Читать книгу Lehren aus 9/11 - Группа авторов - Страница 17
Gefeierte Mörder
ОглавлениеBesagte Teheraner Straße, in der die ägyptische Botschaft liegt, ist benannt nach dem Terroristen, der 1981 bei einer Militärparade Präsident Anwar as-Sadat erschoss. Unmittelbar nach seinen Schüssen rief er die folgenden, in Ägypten und darüber hinaus immer wieder gefeierten Worte: „Mein Name ist Khalid al-Islambuli. Ich habe den Pharao getötet. Ich habe keine Angst zu sterben.”5 Der Präsident der Republik erscheint somit als Repräsentant vorislamischer Tyrannei und der zum Attentäter gewordene illoyale Soldat als Märtyrer einer größeren, ausschließlich islamischen Identität, die größer, aber auch jünger ist als die des repressiven Nationalstaates.6 Dessen offizielle, sich auf europäische Vorbilder stützende Geschichtsschreibung hatte vergeblich versucht, sich gegen andere Staaten abzugrenzen und einigende nationale Narrative zu schaffen, wie der US-amerikanische Historiker Bernard Lewis hinsichtlich des Attentats herausstrich:
Seit der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, als die Erfolge der europäischen Wissenschaft der Ägyptologie den muslimischen Ägyptern erstmals die Sprache, Literatur und Geschichte des vorislamischen Ägypten zugänglich machten, begann eine neue Form der Identität ihre Sicht von sich selbst, ihrem Land und ihrer Stellung in der Welt zu verändern. Ihr Selbstbild wurde patriotisch und national, eher als religiös und kommunal, und sie formten neue, andere Ansichten der Vergangenheit und Hoffnungen für die Zukunft.7
Nationalstaatliche Identitätsfragen spielten auch in vielen anderen mehrheitlich muslimischen Ländern eine wichtige Rolle, zum Beispiel im Iran, in der Türkei oder in Pakistan: „Pakistan kah matlab kya – was ist der Sinn Pakistans?” wurde nicht nur zu einer bedeutsamen Frage für diesen jungen und in vielerlei Hinsicht dysfunktionalen Staat, den der Historiker Faisal Devji als „muslimisches Zion“ bezeichnete, sondern steht stellvertretend für die Suche nach Identität und Sinnstiftung, die alle muslimischen Gesellschaften zerreißt und die weiterhin auf eine tragfähige, integrative Antwort wartet.8 In der Tat ist die Kernfrage schwierig zu beantworten. Diese lautet: Was soll die Grundlage des Zusammenhalts und des friedlichen Zusammenlebens gespaltener Gesellschaften sein, die ethnisch, sprachlich und religiös zerrissen sind, deren unfähiges, repressives Regierungshandeln aber den Wunsch nach Alternativen und Utopien am Leben erhält?9
Der ägyptische Attentäter as-Sadats sprach vermutlich die Wahrheit, als er ausrief, dass er keine Angst habe zu sterben. Wir wissen nicht, ob die Septemberattentäter Angst hatten, aber es ist offensichtlich, dass sie bereit waren zu sterben. In einem aufsehenerregenden, ihr nie vergebenen Beitrag10 hat die New Yorker Intellektuelle Susan Sonntag kurz nach den Anschlägen nicht nur diesen Todesmut bewundert, sondern die Tat als nachvollziehbare Reaktion auf amerikanisches Handeln bezeichnet:
Der Abgrund zwischen dem monströsen Realitätsschock am letzten Dienstag und dem selbstgefälligen Geschwafel und offensichtlichen Unwahrheiten, die öffentliche Figuren und Fernsehkommentatoren von sich geben, ist schockierend, deprimierend. Die Stimmen, die zur Darstellung der Ereignisse berufen worden sind, scheinen sich alle zur Verdummung der Öffentlichkeit verschworen zu haben. Wo ist die Erkenntnis, dass dies kein „feiger“ Angriff auf die „Zivilisation“ oder die „Freiheit“ oder die „Menschheit“ oder „die freie Welt“ gewesen ist, sondern ein Angriff auf die selbsternannte Supermacht, durchgeführt als Konsequenz spezifischer amerikanischer Allianzen und Aktionen? Wie viele Bürger wissen um die anhaltende amerikanische Bombardierung des Irak? Und wenn der Begriff „feige“ benutzt werden soll, wäre er wohl angebrachter, um die zu beschreiben, die aus sicherer Entfernung ohne Furcht vor Vergeltung töten, hoch aus der Luft, als jene, die selber sterben, um andere zu töten. Zur Frage von Mut (einer wertneutralen Tugend): Was immer man über die Täter des Massakers vom Dienstag auch sagen mag, sie waren keine Feiglinge.11
Man könnte lange über Mut und Feigheit, im Leben wie im Krieg, diskutieren. Ebenso wird weiterhin intensiv darüber gestritten, inwieweit westliche Kolonialpolitik und Hegemonie für die gegenwärtige Lage der muslimischen Welt ursächlich seien und damit Mitverantwortung für islamischen Terror trügen, nicht zuletzt durch ihre „feige, post-heroische Art der Kriegsführung”. Wo immer man sich in diesen Debatten auch positionieren mag, es erscheint kaum zweifelhaft, dass die islamische Welt insgesamt die Herausforderungen der Moderne, die weitgehend mit der politischen, militärischen, wirtschaftlichen und ideellen Dominanz des Westens einhergingen, nicht zu meistern gewusst hat. Statt diese Herausforderungen konstruktiv anzunehmen, hat die islamische Welt überwiegend mit einer Rückbesinnung auf religiöse Werte und Ordnungsvorstellungen geantwortet.12 Ein eigenartiger Aspekt dieser Rückbesinnung ist das relative Desinteresse an der Schaffung einer konkret realisierbaren Alternative, eines funktionierenden Eigenen – statt der allgegenwärtigen nihilistischen Lust an der Vernichtung des überlegenen Fremden und seiner Symbole. Die Anwendung von Gewalt und gerade die Inszenierung extremster Brutalität als Selbstzweck, häufig ohne jeglichen instrumentellen Nutzen, verwundern den westlichen Beobachter, der darin ein befremdliches Charakteristikum islamischen Denkens zu sehen glaubt, den eigenen intellektuellen Beitrag im Denken der Postmoderne aber nur selten wahrnimmt.