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Prolog
ОглавлениеEin iranischer Geheimdienstmann erzählte mir einmal einen Witz. Er fragte mich augenzwinkernd, ob ich nicht auch glaubte, dass 9/11 ein „inside job“ des Mossad gewesen sein müsse. Auf mein Achselzucken hin erklärte er mir lachend, ob ich es denn jemals erlebt hätte, dass neunzehn Muslime es alle pünktlich zum Flughafen geschafft hätten [...]. Aus dem Witz sprach zum einen die allgegenwärtige Frustration über die eigene Unfähigkeit, im Wettlauf der Moderne konkurrenzfähig zu sein, aber auch ein Unbehagen ob der den Islam mittlerweile definierenden Aggressivität.2
Häufig versucht man, dieses Unbehagen durch Witze, Leugnung oder magische Intonationen des Mantras vom Islam als „Religion des Friedens“ zu verringern, wonach die Urheber solcher Anschläge irgendwie nicht den „wahren“ Islam repräsentierten. Moralische Schuld, politische Verantwortung sowie kritische Fragen nach den Ursachen allgegenwärtiger Gewalt werden regelmäßig externalisiert, was Sadeq al-Azm in anderem Kontext vor langer Zeit bereits treffend als „Logik der Entlastung” beschrieb:
Niemandem, der den Zustand der Araber vor und nach dem letzten Krieg verfolgt hat, kann unsere heftige Neigung verborgen geblieben sein, größte Anstrengungen zu unternehmen, um unsere Verantwortung zu leugnen und sie stattdessen auf Faktoren jenseits unserer Kontrolle zu schieben. Dies hat es uns ermöglicht, uns für die peinliche Situation, in der wir uns befinden, zu vergeben, für unsere Unfähigkeit, unseren Verpflichtungen gegenüber der großen arabischen Aufgabe [der Befreiung Palästinas] sowie der modernen Zivilisation überhaupt nachzukommen. […] In der Tat, schon unser Begriff „nakhbah”, also Unglück oder Katastrophe, für den Sechstagekrieg [1967] und seine Folgen, trägt viel von dieser Logik der Entlastung und der Vermeidung von Verantwortung und Rechenschaft in sich.3
Besagter Geheimdienstmann erzählte seinen Witz während des Neujahrsempfangs der iranischen Botschaft in Kabul, anlässlich des Staatsbesuchs von Präsident Ahmadinejad. Mein ägyptischer UN-Kollege nutzte die gelöste Stimmung, um zu fragen, ob man denn in Teheran nun endlich die Straße vor der ägyptischen Botschaft umbenannt habe. Dies wurde lachend vermutet, aber wir waren uns alle nicht sicher – was zu einem kurzen gemeinsamen Nachdenken darüber führte, wo wohl zuerst Moscheen oder Straßen nach den Septemberattentätern benannt würden. Es erschien uns unzweifelhaft, dass die offiziellen Bekundungen der Anteilnahme nicht unbedingt das gesamte Spektrum der öffentlichen Meinung widerspiegelten, sondern dass diese symbolträchtige Erniedrigung des Stärkeren bereits vorher versucht worden war, dass sie weitergehen wird und dass es nicht unbeträchtliche Sympathien hierfür gab und weiterhin gibt.4