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Theologische Rechtfertigungen des Dschihad

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Die religiöse Rechtfertigung von Gewalt gegen vermeintlich Ungläubige hat in der islamischen Geschichte eine lange Tradition. Ja, sie ist mit dieser Geschichte sogar ursächlich verknüpft. Schon die Frühzeit wurde von militärischen Auseinandersetzungen gegen Nichtmuslime und von Gewalt in den eigenen Reihen geprägt, und Mohammed selbst nutzte nicht nur das Wort, sondern auch das Schwert, um seine religiösen und politischen Ziele durchzusetzen.35

Im Jahr 622 musste er mit einigen Getreuen aus Mekka in die Stadt Yatrib fliehen, die heute unter dem Namen Medina bekannt ist. Dort wurde er, der zuvor weder eine nennenswerte politische noch eine spirituelle Bedeutung hatte, zum anerkannten Religionsstifter und zum politischen Führer. Das war einerseits seinem individuellen Geschick bei der Vereinigung disparater Stämme geschuldet, andererseits aber dem Umstand, dass er bereit war, Gewalt gegen diejenigen anzuwenden, die sich ihm nicht unterwerfen wollten.36 Mohammed und seine Miliz überfielen Karawanen, führten mehrere Kriege gegen Mekka und eroberten die Stadt schließlich. Aus dieser Zeit resultieren die Texte, die Mohammed Atta für seine Anleitungen nutzte. Daher stellt sich die Frage nach dem theologischen Ursprung des Dschihad. Die Berliner Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer ist überzeugt, dass sich der islamische Glaube in gemeinschaftlichen und gemeinschaftsbildenden Riten und Praktiken niederschlug. Dazu zählte ihrer Ansicht nach auch der Dschihad „[...] als bedingungsloser Einsatz für die Sache Gottes, der auch den bewaffneten Kampf gegen seine Feinde mit einschloss. In diesem Sinne diente der Jihad von frühester Stunde an als positiver Glaubensbeweis.“37

Das lässt sich auch an koranischen Versen ablesen, die die Legitimität des Tötens von Andersgläubigen legitimieren. In Vers 9:5 heißt es: „Sind die heiligen Monate abgelaufen, dann tötet die Beigeseller, wo immer ihr sie findet, ergreift sie, belagert sie, und lauert ihnen auf aus jedem Hinterhalt!“38; in Vers 9:29: „Kämpft gegen die, die nicht an Gott glauben, die das, was Gott und sein Gesandter verboten haben, nicht verbieten und die nicht der Religion der Wahrheit angehören“.39 Wenn heutige Dschihadisten Gewalt gegen Nichtmuslime rechtfertigen möchten, können sie sich daher durchaus auf eine gängige theologische Interpretation des Korans berufen. Auch die islamischen Überlieferungen sind reich an Beispielen, die den Märtyrer preisen, der für die Sache Gottes gefallen ist, und den Dschihad als Notwendigkeit darstellen. „Der Dschihad ist Grundpfeiler und höchste Verwirklichung des Islam“, heißt es in einem Hadith aus dem frühen achten Jahrhundert.40

Muslimische Führer haben weltliche Eroberungskriege aus diesem Grund häufig als heilige Kriege bezeichnet, ganz unabhängig davon, ob sie selbst religiös waren oder nicht. Im 20. Jahrhundert zeichnete sich allerdings eine neue Form des Dschihad-Diskurses ab. Dabei ging es um Kämpfe gegen politische Herrscher, denen man mangelnde Religiosität vorwarf. Dies sind die Anfänge des Salafismus, wie wir ihn heute kennen, aber auch der Muslimbruderschaft, die bereits kurz nach ihrer Gründung im Jahr 1928 einen gewalttätigen Apparat ausbildete, der Anschläge durchführte.41 Aus einem Kampf gegen die eigene nationale Elite, den so genannten „nahen Feind“, wurde in den 1970er-Jahren ein internationaler Kampf, der sich auch gegen einen „fernen Feind“ wie die USA oder ganz allgemein gegen „den Westen“ richtete.42 Dabei wurde der Dschihad neu definiert. Er war jetzt nicht mehr allein eine gottgefällige Handlung, sondern eine Pflicht für den Gläubigen.43 Daran orientierten sich die Dschihadisten von Al-Qaida ebenso wie diejenigen des Islamischen Staates, die in ihren Verlautbarungen akribisch versuchten, Folter, Mord und Sklaverei mit Koranversen oder Verweisen auf Mohammed zu legitimieren und als gottgefällig darzustellen.

Die Hamburger Zelle ist ein Beispiel für terroristische Akteure, die aus religiösen Motiven heraus handelten. In Deutschland waren sie in eine bereits existierende islamistische Infrastruktur eingebunden. Diese Infrastruktur, bestehend aus Moscheen, Personen und islamischen Vereinigungen, war den Sicherheitsorganen der Bundesrepublik bekannt. Noch immer existieren Milieus und Einrichtungen, in denen radikales Gedankengut verbreitet wird, noch immer ist die Anzahl von Muslimen hoch, die als „Gefährder“ gelten.

Lehren aus 9/11

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