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Unbehagen in der Moderne
ОглавлениеErklärungen für die Unfähigkeit aller muslimischen Gesellschaften, tragfähige Synthesen eigener Tradition und fremder Moderne hervorzubringen, sind unweigerlich komplex und kontrovers. Eine Erörterung würde den vorliegenden Rahmen sprengen. Wir können aber konstatieren, dass mit der Niederlage im Sechstagekrieg von 1967 auch der Niedergang der bis dahin dominierenden europäischen politischen Ideologien einherging, einschließlich der Ablehnung einer universellen, aber dem Westen entstammenden wissenschaftlich-rationalen Ontologie. Paradoxerweise wurde der Sieg Israels nicht nur als Sieg westlicher technologischer und organisatorischer Überlegenheit gewertet, sondern auch als Sieg gottesfürchtiger Juden gegen die vom Glauben abgefallenen Araber gesehen:
Die Eroberung Jerusalems, ihre Bedeutung für die Israelis, gab den muslimischen Gläubigen Munition in ihren Debatten mit arabischen Säkularen: Modernität und Religion können zusammengebracht werden, ein Mann kann genauso gut für seine Religion kämpfen, wenn nicht besser, als er für eine kosmopolitische Ideologie wie den Sozialismus kämpfen kann, deren Parolen ohne große innere Zustimmung nachgeäfft werden können. Die Hauptlehre, die religiöse Araber aus Israels Sieg zogen, war, dass Menschen sowohl ins Labor wie zum Beten gehen können. Israel verband, was eine ganze Generation Liberaler und Säkularer für unvereinbar gehalten hatte. Es war sowohl religiöser als auch wissenschaftlicher als die arabischen Staaten.17
Diese „seltsame Herausforderung” durch den Staat Israel hatte in der gesamten islamischen Welt eine bleibende Wirkung. Die Niederlage beendete alle ernsthaften Versuche, sich an die Herausforderungen einer universellen Moderne anzupassen, und leitete eine andauernde intellektuelle Stagnation ein. Sehr bald danach, spätestens seit 1979, „gab es dann keine Säkularen mehr“, wie der Sozialwissenschaftler Sami Zubaida anmerkte. Kein einziger mehrheitlich muslimischer Staat hat sich dieser Dynamik entziehen können, überall befinden sich Säkulare und Liberale seither kontinuierlich im Rückzug – eine Entwicklung die durch die unpopuläre Außen- und Sicherheitspolitik westlicher Staaten noch bestärkt wurde, da eine angenommene oder unterstellte Nähe zum Westen für lokale Akteure den „Todeskuss“ bedeutete, häufig buchstäblich.
Während sich lokale intellektuelle Diskurse also zunehmend auf religiöse Fragen verengten und gleichzeitig gewaltbereiter wurden, bestanden etablierte Allianzen zwischen westlichen und muslimischen Staaten fort. Insbesondere die Regierungen in Pakistan, Saudi-Arabien, Ägypten und der Türkei, ebenso wie, in etwas geringerem Maße, die in Katar, Marokko, Tunesien, Jordanien, Malaysia, Indonesien, dem Tschad und anderen Ländern, befinden sich seither in einem schwierigen Balanceakt. Sie müssen versuchen, die unzufriedene, immer religiöser, radikaler und gewaltbereiter werdende Bevölkerung hinsichtlich der eigenen Unfähigkeit zu beschwichtigen und gleichzeitig die Abhängigkeit vom verhassten Westen zu kaschieren.