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Gesundheit für die Bevölkerung
ОглавлениеDie öffentliche Gesundheit („Public Health“) wird seit 1945 systematisch vernachlässigt. Ziel muss es sein, sie zu stärken – und zwar nicht nur durch die Stabilisierung der kommunalen Gesundheitsämter und die Infektionskontrolle. Gerade die Corona-Pandemie steigert die Bedeutung der Bevölkerungsgesundheit und eines funktionierenden öffentlichen Gesundheitsdiensts, der allein der Daseinsvorsorge verpflichtet ist und keine Individualinteressen vertritt.
Bei aller Verantwortung des Einzelnen für seine Gesundheit kann nicht alles auf das Individuum abgeschoben werden. Auch können die Gesundheitsberufe bei allem professionellen Anspruch, der an sie gestellt wird, nicht jede Krankheit heilen und sind weitgehend machtlos gegenüber ungünstigen sozialen Lebensbedingungen ihrer Patientinnen und Patienten. Gesundheit ist Teil der staatlichen Daseinsvorsorge und die epidemiologischen Entwicklungen in den letzten Monaten zeigen, dass der Staat vermehrt direkte Verantwortung für die Gesundheit seiner Bürger übernehmen muss und die Eigenverantwortung des Individuums und die professionelle Verantwortung der Gesundheitsberufe ergänzt.
Verantwortung für die öffentliche Gesundheit bedeutet, eine bedarfsorientierte Versorgung zu gewährleisten. Gesundheitsförderung und Prävention müssen auf Ebene der Städte und Gemeinden verankert werden. Im Sinne von „Health in All Policies“ muss der Verhältnisprävention der Stellenwert eingeräumt werden, der ihrer Bedeutung für die Gesundheit der Bevölkerung entspricht, das heißt staatliche Institutionen müssen auf gesunde Lebenswelten für die Bevölkerung oder Bevölkerungsgruppen hinwirken.
Gesundheitsförderung und Prävention dürfen nicht – wie derzeit vielfach üblich – unverbunden neben dem Bereich der Gesundheitsversorgung stehen. Sie müssen konstitutiver Teil einer zu stärkenden Primärversorgung sein und in pflegerisch-therapeutische Maßnahmen vor Ort integriert werden. Folglich bedarf es einer stärkeren Verknüpfung von ambulanter und stationärer Versorgung mit dem öffentlichen Gesundheitsdienst und auch den Gesundheitsämtern. Bürgerinnen und Bürger müssen eng eingebunden werden. Die Ebene der Primärversorgung eröffnet insgesamt zahlreiche Optionen der kontinuierlichen Partizipation – von der Vereinsarbeit über Heimräte bis zur Beteiligung in kommunalen und regionalen Gesundheitskonferenzen. Voraussetzung sind Strukturen, wie sie bereits in einigen Bundesländern existieren. Kommunale und regionale Gesundheitskonferenzen können zum Dreh- und Angelpunkt der Gesundheitsversorgung werden. Dazu braucht es klare rechtliche Befugnisse sowie Gestaltungspielraum.
Eine wirksame öffentliche Gesundheit ist zwingend angewiesen auf verlässliche Informationen. Eine bedarfsorientierte regionale Gesundheitsplanung sowie eine rationale Bewertung von Maßnahmen und ihren Ergebnissen erfordern geeignete Datenerhebungen bzw. -auswertungen, außerdem die Verknüpfung mit den Daten der Sekundär- und Spezialversorgung und damit Datenmodelle, die höchste Effizienz und Qualität in der Gesundheitsberichterstattung ermöglichen. Die Digitalisierung der Gesundheitsversorgung könnte hier ihre größte Wirkung entfalten. Gesundheitsämter müssen befähigt werden, geeignete Daten zu erheben und die ihnen bereits vorliegenden Daten im Rahmen der Gesundheitsberichterstattung flächendeckend aufzuarbeiten. Auch müssen sie befähigt werden, als verständliche Multiplikatoren aufzutreten.
Die Gestaltung der öffentlichen Gesundheit muss inhaltlich und datentechnisch anschlussfähig sein an die Strukturen der Europäischen Union und an die Bemühungen um globale Gesundheit im internationalen Raum.