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Regionen zur Gestaltung von Gesundheit befähigen
ОглавлениеDie Stärkung der Primärversorgung in den Stadt- und Landkreisen kann nur mit einer Dezentralisierung der Gesundheitsversorgung einhergehen. Regionen, Stadt- und Landkreise müssen mehr Autonomie und Verantwortung in der regionalen Gestaltung, Planung und Steuerung der Gesundheitsversorgung erhalten und dazu befähigt werden. Andere Länder – etwa Lettland und Italien – betreiben eine solche Dezentralisierungspolitik schon seit längerem. Internationale Erfahrungen müssen bei der Weiterentwicklung des deutschen Gesundheitssystems stärker berücksichtigt werden. Elemente dieser internationalen Modelle verknüpfen auf interessante Art und Weise die von den Menschen gewünschte Nahbarkeit und Niederschwelligkeit der Versorgung mit der Notwendigkeit zu übergeordneter Planung, Steuerung und Administration durch größere geografische Einheiten. Sie bieten neue Möglichkeiten der Partizipation und der Übernahme lokaler Verantwortung. Wie die zu bildenden Gesundheitsregionen im Einzelfall zugeschnitten sein müssen und worauf sich ihre Zuständigkeit bezieht, bleibt zu erörtern. Es muss zwar klare bundesweite Rahmenbedingungen geben, gleichzeitig ist aber ein einheitliches Modell für ganz Deutschlang wenig sinnvoll, zumal bestimmte Elemente der Spezialversorgung, wie beispielsweise Zentren für seltene Erkrankungen oder besondere Behandlungen, regionsübergreifend betrachtet werden müssen. Keinesfalls jedoch kollidiert die Idee von Gesundheitsregionen – wie gelegentlich behauptet – mit der föderalen Verfasstheit der Bundesrepublik. Das zeigen zahllose Zweckverbände und Arbeitsgemeinschaften, in denen Gemeinden, Städte und Landkreise über ihre jeweiligen Grenzen hinweg gemeinsam den Nahverkehr, die Wasserversorgung, Gewerbeansiedlungen und andere öffentliche Belange zum gegenseitigen Vorteil organisieren. Ein wesentlicher Aspekt dieser regional organisierten Strukturen ist die Entwicklung einer regionalen Gesundheitskompetenz, also die Befähigung von Bürgern, Patienten und allen relevanten Akteuren der Region, sich mit Fragen der Gesundheit informiert auseinanderzusetzen und selbst einen aktiven Beitrag im regionalen Gesundheitsdialog zu leisten.
Damit Regionen Gesundheit und Gesundheitsversorgung für ihre Bevölkerung gestalten können, brauchen sie klare Strukturen und verlässliche Daten für die Planung und Steuerung ihres Versorgungsangebots. Die Digitalisierung eröffnet hier alle Chancen, Gesundheitsdaten zu generieren, um die Versorgung auf die spezifischen Bedürfnisse der Bevölkerung in der Region zuzuschneiden. Dabei können – je nach Interesse der Akteure im regionalen Gesundheitsdialog und im Sinne einer Gemeinwohlorientierung – klassische Indikatoren wie Prävalenz und Inzidenz von Krankheiten ergänzt werden um Analysen der Lebensqualität und ähnlicher Parameter. Gerade auf kommunaler Ebene stehen zahlreiche Daten, u.a. in den Sozial-, Jugend- und Gesundheitsämtern zur Verfügung, die in sinnvoller Ergänzung mit weiteren Daten der Sozialversicherungsträger und anderer Partner verknüpft werden können.
Der öffentliche Gesundheitsdienst erhält in einer solchen neuen Ausrichtung von regionaler Gesundheitsgestaltung im Sinne eines „Public-Health“-Ansatzes eine neue Rolle. Die Gesundheitsämter könnten die notwendigen Daten generieren, vorhalten, auswerten und verknüpfen, um die regionale Entwicklung mit verlässlichen Informationen zu untermauern und als verständlicher Multiplikator aufzutreten sowie für Transparenz zu sorgen. Zudem könnte der öffentliche Gesundheitsdienst mit seiner Gesundheitsplanung weitere regionale Aktivitäten im Sinne eines integrierten Vorgehens einbinden.
Zum Konzept der Regionalisierung von Gesundheit gehören zwingend der Austausch und Vergleich zwischen den Regionen, um Fort- oder Rückschritte in der Versorgungsqualität erkennbarer zu machen, das Interesse an der Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung zu erhöhen und regionsübergreifende Lernprozesse in Gang zu setzen. International gibt es dazu interessante Ansätze wie zum Beispiel das in italienischen Regionen verwendete „Dartboard“ mit diversen Indikatoren und Indizes. Diese Verortung führt zu fruchtbaren Diskussionen zwischen den Regionen über Weiterentwicklungspotenziale. Das „Dartboard“ wird als öffentlicher Bewertungsmaßstab verwendet und ist Ausgangspunkt für kontinuierliche Verbesserungsbemühungen in Richtung des patientenzentrierten Versorgungsansatzes.
Im Kern geht es darum, neue Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen. Verbesserungsbemühen müssen budgetär unterlegt werden und womöglich muss für Ausgleiche zwischen den Regionen gesorgt werden. Die Budgets der Gesundheitsregionen könnten zunächst aus Teilen des Innovationsfonds bestritten werden, später aus dem Gesundheitsfonds.