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Nationales Zentrum mit Verantwortung für öffentliche Gesundheit

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Die Corona-Krise hat die Schwächen des öffentlichen Gesundheitsdiensts schonungslos offengelegt. So ging zum Beispiel das Thema Risikokommunikation fast völlig unter, spielte und spielt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in der Pandemie so gut wie keine Rolle. Während die Pandemie vor allem infektiologisch und epidemiologisch auf Bundesebene durch das Robert-Koch-Institut bearbeitet wurde, blieben zahlreiche andere Aspekte – soziale, kulturelle, religiöse, psychische, somatische, wirtschaftliche – vielfach ausgeblendet, weil es keine Institution des Bundes gibt, die entsprechende Daten und Fakten aufbereitet.

Die Themen öffentliche Gesundheit und staatliche Daseinsvorsorge haben durch die Pandemie einen neuen Stellenwert erlangt. Die Notwendigkeit einer inhaltlichen und strukturellen Weiterentwicklung des öffentlichen Gesundheitsdiensts ist offenkundig. Seine zukünftige Rolle muss geklärt und es müssen verbindliche Ziele und Strategien definiert werden. Auch ist die Aufteilung der Kompetenzen zwischen Bund, Ländern und Kommunen kritisch zu beleuchten und in der Konsequenz neu zuzuschneiden.

Das breite Aufgabenspektrum des öffentlichen Gesundheitsdiensts erfordert eine wissenschaftliche Unterstützung, die Leitlinien und Standards für seine spezifischen Aufgabenfelder entwickelt und zur Qualitätssicherung beiträgt. Auf Bundesebene gibt es keine einheitliche Stimme des öffentlichen Gesundheitsdiensts. Bis auf das Zentrum für Öffentliches Gesundheitswesen und Versorgungsforschung an der Universität Tübingen gibt es zudem keine Verankerung des öffentlichen Gesundheitsdiensts im universitären Bereich, die Forschung und Lehre vereint. Die in den 1980er-Jahren etablierten Lehrstühle für „Public Health“ haben bislang kaum Zugang zu den Gesundheitsämtern gefunden. Gleichzeitig bietet der öffentliche Gesundheitsdienst die Möglichkeit eines datenbasierten Informationsaustausches. Strukturelle Maßnahmen können auf der fundierten Grundlage kommunaler Gesundheitsberichterstattung aufbauen. Auf Landes- und Bundesebene können diese Daten zusammengeführt werden.

Vor diesem Hintergrund ist die Etablierung eines „Nationalen Zentrums für öffentliche Gesundheit“ notwendig – eines Zentrums, das auch die Umsetzung des Pakts für den öffentlichen Gesundheitsdienst begleiten könnte, der 2020 von Bund und Ländern beschlossen wurde.

Darüber hinaus könnte ein solches Zentrum folgende Funktionen übernehmen:

Digitalisierung des öffentlichen Gesundheitsdiensts und Vernetzung mit anderen Akteuren und Institutionen im Gesundheitsbereich

Integration unterschiedlicher Daten, u.a. auch aus der Gesundheitsberichterstattung der Länder und Kommunen

Erarbeitung fachlicher Standards und Qualitätssicherungsmaßnahmen für alle Aufgabenfelder des öffentlichen Gesundheitsdiensts

Koordination der Aus-, Fort- und Weiterbildung im öffentlichen Gesundheitsdienst

systematischer Aufbau von Kompetenz sowie einer relevanten Datenbasis, um Krisen zu antizipieren und zu managen

Vernetzung von vorhandenen Kompetenzen

Organisation des Kommunikationsprozesses innerhalb der Wissenschaft, zwischen Wissenschaft/Politik und Wissenschaft/Gesellschaft sowie Wissenschaft/öffentlichem Gesundheitsdienst

Fungieren als Kommunikator für gesundheitsrelevante Bedarfe in allen Politikbereichen und Stärkung des „Health-in-All-Policies“-Ansatzes

Koordination der professionellen Perspektiven auf die multidimensionalen Aspekte krisenhafter Entwicklung im deutschen Gesundheitswesen

Abstimmung nationaler Präventionsziele sowie Erarbeitung einer nationalen „Public-Health“-Strategie

Fungieren als Dachorganisation für die kommunalen Gesundheitsämter: Koordination, Zielsetzung, Erfahrungsaustausch, Problemartikulation, Vertretung der Interessen im öffentlichen Raum etc.

Aubfau einer qualifizierten Gesundheitsberichterstattung als Basis für politisch qualifizierte Entscheidungen

Erstellung von Konzepten für eine systematische Kompetenzsteigerung der Bürger, Versicherten und Patienten

Für die Versorgung von Patienten verfügt das deutsche Gesundheitssystem über starke institutionelle Strukturen, nicht jedoch für Prävention, soziale Gesundheit und Krisenmanagement im Sinne einer vorsorgenden Gesundheitspolitik. Eine starke nationale Agentur oder Bundesoberbehörde muss diesen Mangel kurieren. Sie wäre auch die Institution, welche die in eigener Autonomie handelnden Regionen und deren öffentliche Gesundheitsdienste moderierend verbindet, ihre Datenaufbereitung und Vergleiche untereinander begleitet sowie unterstützt und vor allem auch die inhaltliche Weiterentwicklung der Primärversorgung vor Ort mit Leitlinien und Handlungsempfehlungen vorantreibt. Sie vernetzt vorhandene Kompetenzen und verschiedene Ebenen horizontal sowie vertikal, treibt als starker Akteur und Kümmerer, der dem „Public-Health“-Gedanken verpflichtet ist, innovative Versorgungskonzepte und Versorgungsforschung voran.

Das deutsche Gesundheitssystem muss systematisch weiterentwickelt werden, um zu einem Gesundheits-System zu werden. Um nicht in alte Beharrungstendenzen zurückzufallen, könnte die Institutionalisierung eines neuen angesehenen Akteurs wie eines „Nationalen Zentrums für öffentliche Gesundheit“ dazu beitragen, als innovationsfähige Struktur eine neue Haltung im Gesundheitsbereich zu vertreten und die notwendigen Veränderungen im Zusammenhang mit innovativer Datennutzung voranzubringen. Auch auf dieser Ebene könnte direkte Partizipation ermöglicht werden, zum Beispiel durch die Zusammenarbeit mit Bürgerräten. Zudem ist eine gute Verbindung zu den europäischen und internationalen Einrichtungen, wie beispielsweise dem European Centre for Disease Control und der Weltgesundheitsorganisation, unabdingbar für die Zusammenarbeit auf internationaler Ebene.

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