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Verhandlungszwänge durch Korporatismus und Selbstverwaltung

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Neben den formal am Gesetzgebungsprozess beteiligten Akteuren sind Organe der Selbstverwaltung wesentliche Entscheidungsträger in der Gesundheitspolitik, da sie als mittelbare Staatsverwaltung vor allem an der Umsetzung beteiligt sind. Wichtigstes Entscheidungsgremium ist hier der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA). Die unparteiischen Mitglieder herausgerechnet stehen sich hier qua definitionem die jeweiligen fünf Stimmen von Leistungserbringern (Krankenhäusern und Ärzten) und Kostenträgern (Krankenkassen) als Bänke entgegen (s. Abb. 1). Dem G-BA obliegt die Auswahl des von der GKV erstattungsfähigen Leistungsangebots, die Methodenbewertung nach Kriterien der evidenzbasierten Medizin sowie die Förderung von innovativen Versorgungsformen durch den Innovationsfonds. Während die einzelnen Bänke teils sehr starke Interessen vertreten, die sich in Debatten um Probleme und adäquate Lösungen für die deutsche Gesundheitspolitik niederschlagen, ist die Institution des G-BA selbst ein Entscheidungs- und Ausführungsgremium, das selten in Eigeninitiative und als Einheit bestimmte Reformvorschläge vorantreibt – nicht zuletzt deshalb, weil der G-BA nicht einheitlich bestimmte Positionen vertreten kann. Dies hindert aber den Vorsitzenden des G-BA, aktuell Josef Hecken, nicht daran, seine wichtige Position (bei unentschiedenem Stimmenverhältnis ist er das Zünglein an der Waage) auch dafür zu nutzen, seine Sichtweisen öffentlichkeitswirksam in den gesundheitspolitischen Prozess einzubringen. Unabhängig davon dient die prozessuale Ebene des G-BA aber erfolgreich zur Mediation von Interessen, die durch ihren korporatistischen Charakter eine höhere Akzeptanz von Reformen durch die Stakeholder ermöglichen (Bandelow et al. 2021a).

Abb. 1 Organisationsstruktur des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) (eigene Darstellung auf Basis der Selbstdarstellung des G-BA 2020)

Korporatistische Strukturen wurden vor allem in den 1960er- und den 1970er-Jahren als Möglichkeit zur Erhöhung von Steuerungspotenzialen und zur Verbesserung von Politikergebnissen gesehen. Im Gegensatz zu pluralistischen Strukturen zeichnet sich Korporatismus durch eine Interessenvermittlung von oben nach unten aus. Die Spitzen zentralisierter Zwangsverbände treten miteinander und mit dem Staat in Verhandlungsprozesse. Diese Verhandlungen werden von wissenschaftlich ermittelten Daten begleitet und sollen zu inhaltlich optimalen Ergebnissen führen. Alle Verhandlungspartner bieten dabei eigene Beiträge im Rahmen eines Tausches an. Der erzielte Gesamtnutzen wird dann an die Mitglieder verteilt. Im deutschen Gesundheitswesen hat sich eine Struktur zwischen Krankenkassenverbänden, Leistungserbringern und Staat etabliert.

Korporatistische Strukturen beinhalten zwei unterschiedliche Arten von Entscheidungen, für die sie sich als unterschiedlich erfolgreich erwiesen haben. Erstens können korporatistische Strukturen den Rahmen für die Aushandlung grundlegender Gesundheitsreformen bieten. Die zweite Art von Entscheidungen betrifft die Umsetzung gesetzlicher Vorgaben und die konkrete Ressourcenverteilung, etwa im Hinblick auf Leistungskataloge und Honorarordnungen. Dies wurde teilweise im Rahmen der Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen versucht. Die Zusammensetzung des Gremiums und insbesondere die kontinuierliche Ausweitung des Beteiligtenkreises haben allerdings letztlich zu einer Blockade geführt. Erfolgreicher sind entsprechende Strukturen mit begrenzter Teilnehmerzahl und direkten Zugriffsmöglichkeiten des Staates im Falle von Nichteinigung (Töller 2017). Dies funktioniert weitgehend im aktuellen G-BA. Allerdings zeigen die dauerhaften Konflikte zwischen dem BMG und dem G-BA, dass die konkrete Aufsichtskompetenz des Ministeriums noch nicht abschließend geklärt ist. Dieser „Schatten der Hierarchie“ (Scharpf 1993) ist auch dann eingeschränkt, wenn staatliche Entscheidungen entweder politisch oder sachlich nicht möglich sind. Sie sind politisch nicht möglich, wenn staatliche Entscheidungskompetenzen unzureichend zentralisiert sind und der Staat daher nicht glaubwürdig mit der Durchsetzung von Zwangsmaßnahmen drohen kann. Dies war insbesondere in den 1980er-Jahren der Fall. Sachlich sind sie nicht durchsetzbar, wenn es für Entscheidungen spezifischer Kompetenzen von Akteuren des Gesundheitswesens bedarf. Dies galt etwa für die gescheiterten Versuche der Einführung einer Positivliste für Arzneimittel. Es gilt auch bei den problematischen Aktualisierungen der Gebührenordnungen der Ärzte und Zahnärzte.

Insgesamt kann Korporatismus den Staat entlasten. Dies ist aber an enge Voraussetzungen gebunden. Innerhalb der korporatistischen Gremien muss ein Ausgleich zwischen den Machtverhältnissen der beteiligten Interessen möglich sein. Zudem ist zu empfehlen, alle Möglichkeiten für äußere Einigungszwänge zu nutzen.

Selbst steuerungspolitisch erfolgreiche korporatistische Strukturen bleiben allerdings demokratietheoretisch problematisch. Nicht beteiligte Interessen werden ausgegrenzt. Auch verfassungsrechtlich ist nicht immer gesichert, dass Entscheidungen in korporatistischen Gremien mit dem Demokratieprinzip nach Artikel 20 des Grundgesetzes vereinbar sind. Die aktuellen Strukturen des Gesundheitswesens entsprechen nur formal, aber nicht unbedingt inhaltlich der ursprünglichen Idee des Tauschkorporatismus. Insbesondere die Verbindung mit einer Stärkung des Wettbewerbs seit 1992 lässt sich als Übergang zu einem Wettbewerbskorporatismus beschreiben.

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