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Fazit und Ausblick

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Der Überblick über die wichtigsten Reformblockaden und Reformtreiber zeigt, dass es sowohl langfristige als auch situative Faktoren gibt, die Gesundheitsreformen verhindern oder ermöglichen können. Die Rahmenbedingungen für Gesundheitsreformen haben sich in den letzten Jahrzehnten immer wieder verändert. Zuletzt war die Gesundheitspolitik vor allem durch geringen Problemdruck und das Fehlen einer programmatischen Gruppe geprägt. Mit Blick auf die Situation seit Beginn der Corona-Pandemie ist vor allem die Bedeutung einer programmatischen Gruppe zu betonen. Die Rahmenbedingungen, also Handlungsfenster und gesundheitspolitischer Problemdruck, haben sich Anfang 2020 grundlegend verändert. Bisher ist aber noch nicht klar, welche Akteure in welchen Arenen eine neue gesundheitspolitische Vision formulieren können, die parteiübergreifend zustimmungsfähig ist.

Das Corona-Virus wird die Politik auch in den nächsten Jahren prägen.

Nachdem die von den Akteuren im Gesundheitswesen wahrgenommenen Reformbedarfe und -vorschläge sowie die Hindernisse und Potenziale ihrer Durchführung erläutert wurden, stellt sich abschließend die Frage, welche Themen die zukünftige Gesundheitspolitik prägen werden. Die Corona-Pandemie hat die bestehenden Reformbedarfe zum Teil verstärkt, zum Teil infrage gestellt und zum Teil bisher unbeachtete Reformbedarfe sichtbar gemacht.

Das Corona-Virus wird die Politik auch in den nächsten Jahren prägen und unabhängig von Arzneimittel und Impfstoffforschung auch noch länger beschäftigen. Gesundheitspolitische Reformalternativen haben dabei unterschiedliche Möglichkeiten, die Krise als Treiber zu nutzen, um tiefgreifende Veränderungen im Gesundheitswesen und einen gesundheitspolitischen Neustart zu erreichen.

Die Digitalisierung des Gesundheitswesens hat durch die Corona-Krise Aufwind bekommen. Um eine Reduktion der Infektionsgefahr zu erreichen, waren digitale Behandlungs- und Kommunikationsmöglichkeiten in der Pandemie unverzichtbar. An dieser Stelle hat die Pandemie die bisher unzureichende Umsetzung von vorhandenen Ideen durch starken Problemdruck beschleunigt. Dieser Aufwind läuft allerdings Gefahr, angesichts parallel aufsteigender Herausforderungen ungenutzt zu bleiben. Entsprechende Reforminitiativen sollten die durch die Krise sichtbar gewordenen Herausforderungen aktiv für die Implementation digitaler Lösungen nutzen.

In der integrierten Versorgung wird das dominierende Thema der nächsten Jahre die Frage nach der Umstrukturierung der Krankenhauslandschaft sein. Diese Diskussion vollzieht sich als Resultat der ambulanten Versorgung, die sich – in Abgrenzung zu der stationären Behandlung von nur schwer erkrankten COVID-19-Patienten – in der Krise als zentral erwiesen hat. Es gibt verschiedene Bemühungen um eine Wiederbelebung und Ausweitung des Wettbewerbs. Dabei stehen vor allem die Grünen und teilweise auch die Union für einen Fokus auf Regionalisierung (Hildebrandt et al. 2020).

In Bezug auf Krankenkassenstrukturen und Vergütungen standen seit der Erhöhung des Bundeszuschusses 2009 Änderungen an den Finanzstrukturen des Gesundheitswesens nicht mehr im Mittelpunkt der Diskussion. Der Finanzdruck, der jetzt auf die GKV wirken wird, könnte dazu führen, die Trennung zwischen gesetzlichen und privaten Versicherungssystemen wieder zur Disposition zu stellen (Leber 2020). Die Neuorientierung hin zu Public Health und Prävention kann hier ein Fenster darstellen, durch das bisher als schwer durchsetzbar bewertete Reformen eine Möglichkeit zur Realisierung erhalten. Führende gesundheitspolitische Akteure erwarten ein Wiederaufflammen der Diskussion um die Bürgerversicherung und sehen die Krise als „Mutter aller Reformen“ (Laschet 2020).

In der Arzneimittelpolitik zeichnen sich schon jetzt erste Lehren aus der Corona-Pandemie ab. Die bereits vor der Pandemie geforderte Rückholung der Arzneimittelproduktion an europäische Standorte hat durch die sich verschärfenden Lieferengpässe in der Krise die letzte fehlende Legitimierung bekommen, die diese Reformalternativen schließlich realisieren wird. Ähnlich fundiert wie in den Bereichen „Krankenkassenstrukturen und Vergütungen“ und „integrierte Versorgung“ sind auch in der Pflegepolitik grundlegende Reformen zu erwarten.

Sowohl die Bürgerversicherung und die Trennung der Krankenkassensysteme mit den damit verbundenen Finanzierungsfragen als auch die Reformen in der Pflegepolitik sind parteipolitisch hochgradig umstritten und stellen auch grundlegende Konflikte zwischen gesundheitspolitischen Akteuren dar. Sie sind deshalb zugleich stark abhängig von funktionierenden Lösungen und einer konsensorientierten Politikproduktion, die hier besonders erschwert wird.

Neben den inhaltlichen Herausforderungen stellen auch die identifizierten Reformhindernisse und -potenziale zusätzliche Rahmenbedingungen für das Gelingen von gesundheitspolitischen Reforminitiativen dar. Im Vergleich zu der Situation vor dem Ausbruch des Corona-Virus haben sich diese leicht verändert. Bei den Reformhindernissen betrifft die veränderte Rahmenbedingung die Partikularinteressen und Netzwerke, die durch die Krise, aber auch durch deren Folgen, erneut an Bedeutung gewinnen (s. Tab. 1). Durch die finanziellen Auswirkungen wird die Gesundheitspolitik Gelder weniger großzügig verteilen (können), was zu Verteilungskämpfen zwischen den gesundheitspolitischen Akteuren führen wird. Noch stärker zeigt sich der Einfluss der Corona-Krise bei den Reformpotenzialen. Der gesundheitspolitische Problemdruck ist eindeutig angestiegen, auch durch die verabschiedeten Maßnahmen unter Jens Spahn, und erfordert Reformen als unmittelbare Reaktion auf die Entwicklungen in den Finanzstrukturen. Gleichzeitig werden auch langfristige Strategien in der Vorbereitung von Strukturreformen wichtiger. So bietet die Krise einen möglichen Startpunkt für programmatische Gruppen, die parteiübergreifend und unter Einbindung von sektorspezifischen Interessen und Experten auch wissenschaftliches Fachwissen miteinbeziehen können und damit eine Möglichkeit der langfristigen Etablierung neuer Strukturen, Institutionen und Positionen bieten können. Diese Ansätze werden außerdem durch innovative Impulse aus Gesellschaft und Wissenschaft verstärkt. Beispielsweise können Reformen in der Pflegepolitik auf Absolventinnen und Absolventen neu eingerichteter Studiengänge wie „Community Health Nursing“ zurückgreifen, die wesentlich zu der Ausgestaltung neuer Reformideen beitragen.

Tab. 1 Mögliche Reformhindernisse und Reformtreiber in den nächsten Jahren

Partikularinteressen und Netzwerke Polarisierung des Parteiensystems Blockadepotenzial im Föderalismus Verhandlungszwänge durch Korporatismus und Selbstverwaltung
Allgemeinpolitisches Handlungsfenster Gesundheitspolitischer Problemdruck Programmatische Gruppen Innovative Impulse aus Gesellschaft und Wissenschaft
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In jedem Fall bildet die Corona-Pandemie einen Ausgangspunkt für eine zunehmende Fokussierung des Gesundheitswesens auf Patientenorientierung, Prävention und Public Health, was eine Hervorhebung des Solidaritätsziels unvermeidbar macht und auch einen Anknüpfungspunkt für die Stärkung des Wachstumsziels bietet, unter anderem mit einer expansiveren Förderung von Forschungen innerhalb der Gesundheitswissenschaften, Pflegewissenschaften, Politik- und Sozialwissenschaften und weiteren Fachwissenschaften. Das neue Programm muss aber auch auf potenzielle Gegenspieler vorbereitet sein, die im Wettbewerb um öffentliche Gelder in der exportorientierten Industrie – nicht nur im Gesundheitswesen – liegen können, und auch Akteure der Selbstverwaltung umfassen, etwa die Privatversicherungen und Krankenhausverbände. Ein akteurs- und interessenübergreifendes Programm einer programmatischen Gruppe hat dann realistische Chancen, die Gesundheitspolitik nachhaltig zu prägen.

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