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Entstehung der christlichen Bibel (1.–4. Jh.n. Chr.)

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Im 2. Jh.n. Chr. fordert der christliche Kaufmann Marcion (um 85–160 n. Chr.) mit seiner eigenen Sammlung von zehn Paulusbriefen und einem von allen jüdischen Einflüssen „gereinigten“ Evangelium die Christenheit heraus, ihr Verhältnis zum Judentum und dessen heiligen Schriften zu bestimmen und den KanonKanon, kanonisch gültiger Schriften im Christentum festzulegen. Der liebende Gott Jesu Christi, der sich im Neuen Testament fände, habe nichts mit dem zornigen Herrn der gefallenen SchöpfungSchöpfung, Geschöpf, des GerichtsGericht und Gesetzes gemein. Ergo: Jüdische Schriften hätten im Christentum nichts verloren. Aus heutiger bibelwissenschaftlicher, aber auch historischer Perspektive muss eine solche TheologieTheologie kritisch betrachtet werden, gerade wenn sie in zeitgenössischen Publikationen explizit oder implizit wiederholt wird und offensichtlich bis heute im Christentum präsent ist. Historisch in Betracht gezogen werden muss aber auch dies: Marcion und sein Werk sind lediglich im Spiegel der polemischen Abwehr seiner Gegner, v.a. des „Kirchenvaters“ Tertullian erhalten. Was Marcion wirklich wollte, lässt sich daher nur mühsam herausfinden. Um 144 n. Chr. bricht er mit dem christlichen Mainstream und gründet seine eigene Kirche.

Melito von Sardes überliefert 180 n. Chr. das älteste „Altes Testament“ genannte, christliche Schriftverzeichnis. Dies belegt ein Zitat von Eusebius (Historia ecclesiastica 4,26,13f). Um 150–200 n. Chr. etabliert sich auch der neutestamentliche KanonKanon, kanonisch. Dies zeigt das muratorische Fragment (ein in Teilen erhaltenes Dokument), welches um 1740 von Ludovico Antonio Muratori publiziert wurde. Der 39. Osterfestbrief des Athanasius (BischofBischof von Alexandria, 298–373 n. Chr.) aus dem Jahr 367 n. Chr. bietet eine Liste der Schriften des Alten und Neuen Testaments und fügt hinzu: „Es gibt auch andere Bücher außerhalb von diesen, die zwar nicht kanonisiert, aber von den Vätern dazu bestimmt sind, denen vorgelesen zu werden, die neu hinzukommen und im Wort der Frömmigkeit unterrichtet zu werden wünschen: die Weisheit Salomos und die Sirachs, Ester, Judit, Tobias; [für das Neue Testament] die so genannte Apostellehre und der Hirte.“

Das frühe Christentum versammelte die einzelnen Pergamente und Papyri in Kodizes. Trotzdem blieb die VielfaltVielfalt der Schriften rein physisch vorhanden. Der KodexKodex, Codex hat den entscheidenden Vorteil, dass bestimmte Schriftstellen schnell zitiert werden können. Das sich entwickelnde Christentum nahm von Anfang an die griechische Textüberlieferung der vorliegenden Schriften zur Grundlage. Das Griechische war im östlichen Mittelmeerraum als Verständigungssprache weit verbreitet. In feiner Differenzierung akzeptierte das Christentum auch weitere griechische Schriften ohne hebräisch-aramäisches Äquivalent, die zwar nicht öffentlich in den Gottesdiensten verlesen, jedoch gern zum Unterricht benutzt wurden. Heute werden diese zusätzlichen Schriften (z.B. 1 Makk, Sir u.a.) im evangelischen Bereich als apokrypheApokryphen, apokryph, d.h. „verborgene“, nicht öffentlich vorzulesende Schriften bezeichnet. Im römisch-katholischen Bereich werden dieselben als deuterokanonische Schriften geführt, d.h. als kanonischeKanon, kanonisch Schriften zweiten Ranges. In der Antike konnte Apokryphon dagegen tatsächlich Offenbarungen für „Eingeweihte“ bezeichnen, vgl. z.B. den Beginn des Thomasevangeliums. Frühchristliche Autor*innen gebrauchten den Begriff ablehnend (SCHMID/SCHRÖTER 2020: 81f).

Das Neue Testament stellt ebenfalls eine bewusste Auswahl möglicher, frühchristlicher Schriften dar – wobei die Auswahl selbst primär eine Frage der Akzeptanz der vielen Gemeinden und nicht die Entscheidung einer zentralen Institution war. Die vier Evangelien des Matthäus, Markus, Lukas und Johannes genossen bereits im 2. Jh. hohe Autorität – frühester Textbeleg ist der Papyrus 52 (John Rylands, um 125 n. Chr.) Dagegen wurden v.a. jene Evangelien, die Jesus als rein göttlichen und damit nicht leidensfähigen Erlöser darstellen, der die verlorenen Seelen zum Himmel zieht, vom Mainstream des Christentums theologisch nicht akzeptiert. Sie entstammen einer alternativen religiösen Bewegung namens ↗︎ GnosisGnosis, gnostisch, die die „Erkenntnis“ bestimmter in den Kult „Eingeweihter“ an oberste Stelle rückte. Das bereits erwähnte Thomasevangelium zählt darunter, aber auch das Philippus- oder Judasevangelium.

Im Christentum wurden früh die theologisch prägenden Briefe der Paulusschule von Gemeinde zu Gemeinde getragen und öffentlich rezitiert – der früheste Beleg ist der Papyrus 46 (Chester Beatty, um 200 n. Chr.). Dabei wurden dem berühmten Missionar 13 Briefe direkt zugeschrieben. Zudem wurden die katholischen Briefe akzeptiert.

Umstritten blieben die ↗︎ ApokalypsenApokalypse, apokalyptisch, da sie mit der Beschreibung von Ereignissen am zeitlichen Ende der Welt tiefgreifende kulturelle Auseinandersetzungen v.a. mit dem römischen Imperium zur Sprache brachten. Die v.a. im Osten des Römischen Reiches lang umstrittene Offenbarung des Johannes beschließt heute den christlichen KanonKanon, kanonisch, während z.B. die Offenbarung des Petrus nicht als kanonisch anerkannt wurde.

Biblisches Arbeitsbuch für Soziale Arbeit und Diakonie

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