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Zum Verhältnis von Gottes Wort und menschlicher Textüberlieferung
ОглавлениеDie Bibel ist nicht vom Himmel gefallen. Sie ist über mindestens 700 Jahre (ab ca. 550 v. Chr. bis 150 n. Chr.) langsam gewachsen, einzelne Texte sind gar noch älter. Generationen haben an ihr gearbeitet. Die Texte ihrer Autor*innen und Redaktor*innen enthalten ebenso Bitteres wie Tröstliches, nahezu kein Thema ist tabu. Religion gehört allgemein zur Evolution des Menschen. Angesichts des TodesTod fragt man nach dem Sinn des Lebens. Gemeinsame Überzeugungen, Gebote und Rituale stärken den Zusammenhalt und das Vertrauen innerhalb der Gruppe. Ein besonderes Augenmerk gilt aber dem Besonderen, Außergewöhnlichen, kurz: der Gotteserfahrung. Der GlaubeGlaube ist als tiefes Vertrauen zu Gott selbst und als „LiebeLiebe“, d.h. Loyalität beschrieben. Am Anfang aller Tradition stehen also religiöse bzw. religiös gedeutete Erfahrungen. Das Neue Testament speist sich speziell aus den Erfahrungen mit Person und Werk Jesu von Nazaret sowie der Deutung derselben.
Die Bibel ist daher nicht einfach mit „Gottes Wort“ identisch, auch wenn dies eine Ehrenbezeichnung darstellt. Auch wenn an einigen Stellen davon die Rede ist, dass Gott wichtige Texte mit eigenem Finger geschrieben (Ex 31,18Ex31,18) oder bestimmte Schriften „eingegeben“ habe (2Tim 3,162Tim3,16), dass bestimmte Menschen als „Sprachrohr“ Gottes gelten (Num 22,38Num22,38) oder dass Gott zu ihnen direkt spricht (Num 12,8Num12,8), muss das Gesamtwerk doch als Ergebnis eines jahrhundertelangen Prozesses der Verschriftlichung und KanonisierungKanonisierung verstanden werden. Vielmehr ist es die religiöse Erfahrung der Menschen mit dem Göttlichen, die hier in menschliche Worte gefasst wird. Auch das biblische Zeugnis selbst spricht inhaltlich eine andere Sprache: Gottes Wort ist weder Laut noch Schrift, sondern Ereignis. Es erschafft und erhält in jüdischer Perspektive die ganze Welt (Gen 1Gen1), und wird aus christlicher Sicht physischer Mensch zu unserer Erlösung (Joh 1Joh1). Ein „GlaubeGlaube an die Bibel“ ist daher nirgends gefordert; ebenso wird nie gesagt, dass ihre Worte irrtumslos oder undiskutabel göttlich wären. Im Gegenteil, sie kann zu großen Teilen als DiskursliteraturDiskursliteratur verstanden werden (→ 1.4 Biblische Texte zwischen Anspruch und Wirklichkeit) – zum Diskurs über die biblischen Inhalte möchte auch das vorliegende Buch anregen.