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26. Lehr- und lernseitige Einstellungen zu sprachenübergreifenden Ansätzen

1. Aufriss

Der Begriff „sprachenübergreifende Ansätzesprachenübergreifende Ansätze“ impliziert, dass diese mehr als eine Sprache umfassen. Sprachübergreifende Ansätze sind eng verknüpft mit dem Konzept der Mehrsprachigkeit (↗ Art. 6, 7). Von MehrsprachigkeitMehrsprachigkeit wird in der Regel gesprochen, wenn dritte oder weitere Sprachen im Spiel sind. Was Mehrsprachigkeit im Kontext des Fremdsprachenerwerbs heißt und vernüftigerweise heißen sollte, definierte 1989 ein Expertengremium so:

daß unter Mehrsprachigkeit nicht zu verstehen ist, man müsse mehrere Sprachen gleichermaßen beherrschen. Als mehrsprachig darf schon der bezeichnet werden, der auf der Basis der Kenntnis seiner Muttersprache eingeschränkte Kenntnisse in wenigstens zwei weiteren Sprachen entweder in gleichen oder verschiedenen Diskursbereichen hat (um z.B. soziale Kontakte in gesprochener oder geschriebener Sprache aufzunehmen oder Texte lesenLesekompetenz oder Fachgespräche führen zu können). (Bertrand & Christ 1990: 208)

Die Definition nimmt Abschied von der naiven und ohne empirische Evidenz herrschenden Vorstellung, Mehrsprachige könnten alle ihre Sprachen in gleicher Weise zu denselben Themen, mit demselben Kompetenzniveau beherrschen.

Sprachenübergreifende Ansätze gehen den Mehrsprachenerwerb lernökonomisch an. Sie verfolgen das Ziel, lernerseitig vorhandene Sprachkenntnisse und Sprachlernstrategien für das Erlernen weiterer Fremdsprachen fruchtbar zu machen. Es handelt sich um ein vernetzendes Lernen (↗ Art. 56).

Mehrsprachigkeit ist jedoch nicht nur Ziel des Fremdsprachenunterrichts, sie ist zugleich auch eine Voraussetzung, auf die der Fremdsprachenunterricht an deutschen Schulen aufbauen kann. Dies meint die den Lernenden schon bekannten Sprachen und VarietätenVarietäten: die in der Gesellschaft mehrheitlich gesprochene Sprache (z.B. Deutsch in Deutschland), die autochthonen Sprachen (↗ Art. 117), die Dialekte (↗ Art. 126) und die Herkunftssprachen (↗ Art. 106), die in Zahl und Art die Schulen vor besondere Probleme stellen.

Angestrebt wird ein Fremdsprachenunterricht, der die Zielvorstellung eines allenfalls additiven Verständnisses des Mehrsprachenerwerbs durch ein integriertes Konzept ersetzt (Krumm 2004). Vor diesem Hintergrund entstand der Begriff der SprachlernkompetenzSprachlernkompetenz. Es handelt sich um einen Handlungsbegriff, der SprachenbewusstheitSprachenbewusstheit und SprachlernbewusstheitSprachlernbewusstheit (↗ Art. 22) voraussetzt. Ihm zufolge ist ein kompetenter Fremsprachenlerner in der Lage, Sprachen reflexiv zu lernen. Hierbei greift das Individuum auf Wissensressourcen zurück, die es im Umgang mit Sprachen, ihrem Erwerb und mit Kommunikation in ihnen erworben hat.

In der sog. WissensgesellschaftWissensgesellschaft kann nicht mehr davon ausgegangen werden, dass einmal in Schule und Ausbildung erworbenes Wissen ausreicht, um den Anforderungen der Arbeitswelt zu genügen (Europäische Kommission 1996). Die Wissengesellschaft ist eine Lerngesellschaft. Dass unter den Bedingungen der GlobalisierungGlobalisierung und des Europäischen Zusammenschlusses gerade kommunikative Kompetenzen in mehreren Sprachen vielseitige Anschlussfähigkeit gegenüber fremden Kulturen und Wirtschaftsräumen (↗ Art. 24) herstellen, ist augenfällig.

2. Lehrseitige Einstellungen zu sprachübergreifenden Ansätzen

Und dennoch: Immer noch ist die Auffassung anzutreffen, dass die Schüler durch das Erlernen einer einzigen Fremdsprache bereits maximal belastet würden; sie „würde[n] von weitergehenden Hinweisen auf andere Spachen verwirrt und überfordert“, konstatiert eine Lehrerin in einer Untersuchung zur Einstellung von Lehrenden zur Mehrsprachigkeit (Méron-Minuth 2016: 40). Dabei sind die Einstellungen der Lehrerinnen und Lehrer, die sie ja im Unterricht an die Schüler weitergeben, mitentscheidend für deren Haltung gegenüber dem Erlernen von Sprachen und der Mehrsprachigkeit. Weitere wichtige, in empirischen Arbeiten wiederholt genannte Faktoren betreffen das Unterrichtserlebnis; den Wunsch, die Fremdsprache für Studium und Beruf zu nutzen; den Wunsch, mit den Menschen der Zielkultur zu kommunizieren – um nur die wichtigsten Argumente zu nennen (Meißner, Beckmann & Schröder-Sura 2008: 70f., 87f.), Beckmann 2016: 296, 235ff.). Beispielhaft für das Unterrichtserlebnis ist der Indikator des von den Lernenden angestrebten Kompetenzprofils im Vergleich zu den Prioritäten, wie sie in der Wahrnehmung der Lerner im Unterricht gesetzt werden. Hier besteht eine deutliche Diskrepanz (Beckmann 2016: 242, 299).

Sprachenübergreifende Ansätzesprachenübergreifende Ansätze setzen lehr- und lernseitig eine hohe Kompetenz voraus. Zunächst müssen die Lernenden auf sprachlicher Ebene hinreichend Transferbasen (und Interferenzen) aus den wesentlichen Bereichen der sprachlichen Architekturen erkennen, um disambiguierende SprachvergleicheSprachvergleiche vornehmen und solche in ihre Lehre aufnehmen zu können. Und lehrseitig heißt das Korollar der SprachlernbewusstheitSprachlernbewusstheit SprachlehrbewusstheitSprachlehrbewusstheit.

Hieraus ergibt sich die Forderung an die für die Ausbildung der Fremdsprachenlehrkräfte verantwortlichen Institutionen, Mehrsprachigkeitsdidaktik (↗ Art. 27) in die fremdsprachlichen LehramtsstudiengängeAusbildungFremdsprachenlehrer zu integrieren (Kleppin 2004: 92). Außerdem müssen sie nicht nur für den eigenen Unterricht Verantwortung übernehmen, sondern die Grenzen des eigenen Raumes für die anderen Sprachen und Kollegen/Kolleginnen öffnen. Sie übernehmen Verantwortung nicht nur für das Sprachenlernen der Lerner in „ihrer“ Fremdsprache, sondern für den Erwerb von Mehrsprachigkeit und die Ausbildung kompetenter Fremdsprachenlerner, nicht „nur“ kompetenter Englisch-, Französisch-, Spanisch- und Polnischlerner.

3. Lernseitige Einstellungen zu sprachübergreifenden Ansätzen

Es wurde erwähnt, dass unterschiedliche Faktoren die Einstellung der Schüler zu Sprachen und Sprachenlernen beeinflussen. Hierzu gehört auch die SprachenfolgeSprachenfolge.

So wies Düwell bereits (1979) nach, dass die MotivationMotivationMotivationmotivationale Interferenz, Französisch in zweiter Position zu lernen, durch vorausgehenden EnglischunterrichtEnglischunterricht geschmälert wird. Düwell spricht von „negativer motivationaler InterferenzInterferenzmotivationale“. In heutiger Betrachtung stellt sich die Frage, ob ein auf den Französisch- (oder Italienischunterricht) ‚vorbereitender‘ Englischunterricht die Motivation für Mehrsprachigkeit verbessern könnte. Des Weiteren, ob die in 2. Position unterrichteten Sprachen es verstehen, die Vorarbeit des Englischunterrichts zu nutzen (↗ Art. 14). Zu fragen ist auch, ob ein Gespräch über Mehrsprachigkeit und SprachlernkompetenzSprachlernkompetenz und deren Bedeutung für die Zukunft der Schülerinnen und Schüler überhaupt geführt wird. In den letzten Jahrzehnten wurden mehrere qualitative und quantitative Studien zu den Kompetenzniveaustufen der Schüler vorgelegt – darunter DESI (Schröder, Harsch & Nold 2006) und TOSCA (Köller et al. 2003). Beide Studien betreffen nur das EnglischeEnglisch. Der Grund ist, dass die anderen Fremdsprachen (sieht man von wenigen Schulen ab) in Breite und Dauer nicht hinreichend unterrichtet werden, um Leistungsstudien sinnvoll erscheinen zu lassen. Im deutschsprachigen Raum liegen kaum statistische Arbeiten zu Attitüden bzw. Einstellungen, Motivation und Erfahrungen und dem Unterrichtserlebnis von Schülern mit Fremdsprachenunterricht vor.

Die Studie von Beckmann (2016: 317f., 325f.) deutet darauf hin, dass die befragten Schüler und Studierenden über eine geringe Sprachlernkompetenz verfügen. Es konnte exemplarisch nur gezeigt werden, dass sie weder selbst über Zielsetzungskompetenz verfügen noch die Lehrziele im Unterricht wahrnehmen. Letzeres ist selbstverständlich ein Indikator, der von zwei Komponenten beeinflusst wird: einerseits von der klaren Darstellung der Ziele im Fremdsprachenunterricht und andererseits von der Fähigkeit, diese Lehrziele wahrzunehmen, zu verstehen und im eignen Lernhandeln umzusetzen. In der Wahrnehmung der Studierenden waren Methoden und das selbstständige Sprachenlernen nicht Gegenstand des Unterrichts (ebd.: 298). Morkötter (2005: 254) beschreibt das Interesse der Lerner in Jgst. 10, sich mit dem eigenen Sprachenlernen auseinanderzusetzen. Darüber hinaus betont sie, dass die grundlegende Bereitschaft zum interlingualen Vergleich eine explizite Auseinandersetzung mit dem Thema im Unterricht voraussetzt (Morkötter 2005: 290f.).

Die MES-Studie (Meißner et al. 2008) und die schon erwähnte Untersuchung von Beckmann zeigen deutlich, dass die Lerner großes Interesse am Erwerb mehrerer Sprachen haben. So äußerten sich die Befragten in beiden Studien und über alle Altersstufen (in der MES-Studie wurden Schüler der Jgst. 5 und 9 befragt, Beckmann (2016) befragte Schüler der Jgst. 12/13 und Studierende verschiedener Hochschulen) hinweg sehr positiv gegenüber ihrem zukünftigen Fremdsprachenerwerb. Zwar nahm die Bereitschaft, mehr als eine weitere Sprache zu erlernen, mit steigendem Alter ab, gleichzeitig verfügten die Befragten jeder Alterstufe über Kenntnisse in zumindest einer weiteren Fremdsprache.

Diese Bereitschaft, weitere Fremdsprachen auch über den schulischen Kontext hinaus zu erlernen, macht einen sprachübergreifenden Ansatz und die damit einhergehende Förderung der language awareness und des Sprachlernbewusstseins (↗ Art. 22) zu einer zentralen Anforderung an den modernen Fremdsprachenunterricht.

Literatur

Bausch, K.-R., Königs, F. G. & Krumm, H.-J. (Hrsg.) (2004): Mehrsprachigkeit im Fokus. Arbeitspapiere der 24. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen

Beckmann, C. (2016): Lernziele im Fremdsprachenunterricht. Eine quantitative Analyse der Einstellungen von Schülern und Studierenden. Tübingen.

Bertrand, Y. & Christ, H. (Koord.) (1990): Vorschläge für einen erweiterten Fremdsprachenunterricht. In: Neusprachliche Mitteilungen 43, 208-212.

Düwell, H. (1979): Fremdsprachenunterricht im Schülerurteil. Untersuchungen zu Motivation, Einstellungen und Interessen von Schülern im Fremdsprachenunterricht, Schwerpunkt Französisch. Tübingen.

Europäische Kommission (Hrsg.) (1996): Lehren und Lernen. Auf dem Weg zur kognitiven Gesellschaft. Weißbuch zur allgemeinen und beruflichen Bildung. [http://europa.eu/documents/comm/white_papers/pdf/com95_590_de.pdf].

Kleppin, K. (2004): Mehrsprachigkeitsdidaktik = Tertiärsprachendidaktik? Zur Verantwortung jeglichen (Fremd-) Sprachenunterrichts für ein Konzept von Mehrsprachigkeit. In: Bausch, K.-R., Königs, F. G. & Krumm, H.-J. (Hrsg.), 88-95.

Köller, O., Waterman, R., Trautwein, U. & Lüdtke, O. (2003): TOSCA – Eine Untersuchung zu allgemeinbildenden und beruflichen Gymnasien. Opladen.

Krumm, H.-J. (2004): Von der additiven zur curricularen Mehrsprachigkeit. In: Bausch, K.-R., Königs, F. G. & Krumm, H.-J. (Hrsg.), 105-112.

Meißner, F.-J., Beckmann, C. & Schröder-Sura, A. (2008): Mehrsprachigkeit fördern. Vielfalt und Reichtum Europas in der Schule nutzen (MES); zwei deutsche Stichproben einer internationalen Studie in den Klassen 5 und 9 zu Sprachen und Fremdsprachenunterricht. Tübingen.

[http://www1-uni-giessen.de/rom-didaktik/Multilingualism/].

Méron-Minuth, S. (2016): Fremdsprachenlehrkräfte und ihre Einstellungen zu der Frage der Mehrsprachigkeit im Unterricht. In: französisch heute 47/3, 36-41.

Morkötter, S. (2005): Language Awareness und Mehrsprachigkeit. Eine Studie zu Sprachbewusstheit und Mehrsprachigkeit aus der Sicht von Fremdsprachenlernern und Fremdsprachenlehrern. Frankfurt a. M.

Schröder, K., Harsch, C. & Nold, G. (2006): DESI – Die sprachpraktischen Kompetenzen unserer Schülerinnen und Schüler im Bereich Englisch. Zentrale Befunde. In: Neusprachliche Mitteilungen 59/3, 11-32.

Christine Beckmann

Handbuch Mehrsprachigkeits- und Mehrkulturalitätsdidaktik

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