Читать книгу Handbuch Mehrsprachigkeits- und Mehrkulturalitätsdidaktik - Группа авторов - Страница 150
4. Curriculare Verankerungen
ОглавлениеDie nach dem Erscheinen des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens (Europarat 2001) um sich greifende Kompetenzorientierung hat den Fokus auf Kommunikation und Mehrkulturalität weiter verstärkt (↗ Art. 18, 43).
Diesen Überlegungen trägt die Kultusministerkonferenz (2004) in einem Beschluss über Standards für die Lehrerbildung Rechnung. Für die theoretischen Ausbildungsabschnitte ist u.a. benannt, dass die Absolventinnen und Absolventen „interkulturelle Dimensionen bei der Gestaltung von Bildungs- und Erziehungsprozessen“ kennen (ebd.: 9). Als Standards für die praktischen Ausbildungsabschnitte sollen sie „die kulturelle und soziale Vielfalt in der jeweiligen Lerngruppe“ (ebd.) beachten. Die Berücksichtigung soziokultureller Vielfalt und von Mehrsprachigkeit wird in der KMK-Richtlinie zu interkultureller Bildung und Erziehung in der Schule (2013) weiter bekräftigt.
In der 1. Phase der Lehrerbildung bilden Mehrkulturalität und interkulturelles Lernen nunmehr zentrale Gegenstände im Studium, was sich konkret in der Berücksichtigung in universitären CurriculaCurricula sowie in ModulprüfungenModulprüfungen der Bachelor- und MasterstudiengängeBachelor- und Masterstudiengänge oder im StaatsexamenStaatsexamen in Form von prüfungsrelevanten ThemenThemenprüfungsrelevante niederschlägt.
In Modulbeschreibungen wird beispielsweise erwähnt, dass Studierende lernen sollen, interkulturelle Lernprozesse anzuleiten und zu fördern. Es geht darum, dass angehende Lehrkräfte verschiedene Dimensionen der Kulturalität kennenlernen und sich damit auseinandersetzen, d.h. z.B. mit der eigenen lebensweltlichen Mehrsprachigkeit ihrer Lerngruppe und deren Bedeutung für das Miteinander der Lernenden sowie mit Fragen von Identität und mehrsprachiger bzw. mehrkultureller SozialisationSozialisationmehrkulturelle (vgl. De Florio-Hansen & Hu 2003). In der Europäischen Union und angesichts plurilokaler Lebenspraxen ist auch die Frage zu stellen, inwieweit die Vielsprachigkeit und VielkulturalitätVielkulturalität innerhalb derselben die Qualität einer „lebensweltlichen“ Vielsprachigkeit hat, was nicht zuletzt durch die medial vermittelte ubiquitäre Erreichbarkeit zielkultureller Kommunikationinterkulturelle Kommunikation der Fall ist. Ziel ist, dass Studierende sensible, reflexive und offene Einstellungen gegenüber ethnischer, kultureller, sprachlicher und anderen Formen der Diversität entwickeln (vgl. z.B. Modulbeschreibungen für Französisch, Justus-Liebig-Universität Gießen 2017). Dazu gehört auch die Kenntnis verschiedener interkultureller Ansätze und Argumentationen, d.h. z.B. universalistischer und partikularistischer, herrschaftskritischer oder transkultureller Positionen (vgl. Art. 36, 37, 38, 41), sowie ihrer Argumentationslogik, um die eigene Position identifizieren, bewerten, verorten und in konfliktiven Situationen sensibel handeln zu können. Dies umfasst auch WertefragenWerte (vgl. Fäcke 2018: 22ff.), die bei differierenden Wertesystemen in schulischen Kontexten und in der internationalen Jugendarbeit heikle Entscheidungen berühren, nicht nur in Bezug auf Jugendliche mit MigrationshintergrundMigrationshintergrund. Wirksam sind Loyalitäten gegenüber der eigenen und der Zielgesellschaft bzw. der aufnehmenden und/oder der Herkunftsgesellschaft.
Die Fokussierung auf die lebensweltliche Viel- oder Mehrsprachigkeit und Viel- oder Mehrkulturalität verlangt eine interkulturell sensible Auseinandersetzung mit den Kulturen und ein Bewusstsein über die Wirkung dieser Auseinandersetzung auf das Selbst der Schülerinnen und Schüler. Den Hintergrund bildet die Weiterentwicklung von einer rein landeskundlichen Vermittlung von zielkulturellem Sachwissen (RealienkundeRealienkunde) hin zur Befähigung zur interkulturellen Kommunikationinterkulturelle Kommunikation (↗ Art. 33, 35). Orte der interkulturellen Begegnung sind sowohl die eigene Gesellschaft, die ZielkulturenZielkulturen des Fremdsprachenunterrichts sowie die medial vermittelte VielkulturalitätVielkulturalität/Vielsprachigkeit (Internet, TV, internationale Lerntandems).
Die Kompetenzorientierung hat zu einer differenzierten Modellierung von Fertigkeiten (Kompetenzen) geführt. Konstitutiv ist das Zusammenwirken von drei bzw. vier Domänen, darunter die Ausdifferenzierung interkultureller Kompetenzeninterkulturelle Kompetenz in savoirs, savoir-faire und savoir-être (Byram 1997). In der Lehrerbildung gilt es zu vermitteln, wie sich interkulturelle Kompetenzeninterkulturelle Kompetenz aufbauen und wie sie wirken, d.h. wie sie uns verändern, uns und den Anderen zu Revision alter Positionierungen führen und welche Rolle die notwendige ReflexivitätReflexivität hierbei spielt. Die dann erfolgenden Zielsetzungen betreffen die Auswahl und die Behandlung von möglichen Inhalten.
Die curriculare Berücksichtigung dieser Themenfelder spiegelt sich auch in den Abschlussprüfungen der Bundesländer. In BayernBayern gibt es noch das zentralisierte Staatsexamen mit genauen Vorgaben für einzelne Prüfungsthemen. In den Fremdsprachendidaktiken, d.h. jeweils parallel für die Schulfächer EnglischEnglisch, FranzösischFranzösisch, ItalienischItalienisch und SpanischSpanisch, werden u.a. Theorien und Ziele des interkulturellen Lernensinterkulturelles Lernen und deren Umsetzung im Unterricht sowie Ziele und Verfahren der Textarbeit im Hinblick auf interkulturelle, literarische und sprachliche Bildungsziele geprüft (Bayrische Staatskanzlei 2008). Mehrkulturalitätsdidaktik mit ihrer Bezugnahme auf mindestens drei Kulturen kommt jedoch nur bedingt vor.
In der Hamburger Lehrerbildung wird der sprachlich-kulturellen Vielfalt der Metropole besonders Rechnung getragen. Zu den Teilzielen des Hamburger IntegrationskonzeptsHamburger Integrationskonzept 2017 gehören u.a. die „Erhöhung des Anteils qualifizierten pädagogischen Personalspädagogisches Personalmit Migrationshintergrund mit Migrationshintergrund“ sowie die „Steigerung des Anteils interkulturell qualifizierten Personals in Schulen und schulischen Unterstützungs- und Aufsichtssystemen“ (Freie und Hansestadt HamburgHamburg 2017: 46; vgl. auch Hassan 2016).
Die kulturell heterogene Zusammensetzung der Lerngruppen ist natürlich in allen Schulfächern relevant. Mehrkulturalitätsdidaktik und interkulturelles Lernen bilden daher auch ein Thema in den Erziehungswissenschaften (↗ Art. 16) und in anderen Fachdidaktiken (vgl. z.B. Prediger 2001).
Neben der Ausbildung in den Lehrberufen spielt Mehrkulturalität auch in außerschulischen Kontexten eine Rolle, d.h. in der Ausbildung zur Lehrkraft für Deutsch als Zweit- und Fremdsprache (↗ Art. 110). Bezeichnend sind hier auch die Angebote der international agierenden Firmen (↗ Art. 24).
Auch in der Lehrerfort- und -weiterbildungLehrerfort- und -weiterbildung wird Mehrkulturalität berücksichtigt. So sind die Kultusbehörden an der Sensibilisierung der Lehrkräfte für Themen einer interkulturellen Erziehung und Bildung interessiert und stellen dazu neben Weiterbildungsmaßnahmen auch Handreichungen zur Verfügung (z.B. Niedersächsisches Kultusministerium 2000).
Am Europäischen Fremdsprachenzentrum (EFSZ) des Europarats in Graz gibt es ebenfalls Initiativen, die die Ausbildung angehender Fremdsprachenlehrkräfte im Blick haben. Dazu gehört u.a. das dort entwickelte Portfolio für Sprachlehrende in AusbildungPortfolio für Sprachlehrende in Ausbildung (Newby et al. 2008), das als Selbstreflexionsinstrument Anregungen zur Selbsteinschätzung Studierender anbietet. Es umfasst verschiedene Kompetenzbeschreibungen, u.a. auch zu kulturspezifischen ThemenThemenkulturspezifische, wie die folgenden Beispiele zeigen: „Ich weiß den Mehrwert zu schätzen, den Schüler verschiedener kultureller Herkunft in den Klassenverband einbringen, und kann daraus einen Nutzen ziehen.“ (ebd.: 17) oder „Ich kann die Fähigkeit der Schülerinnen beurteilen, sich bei Begegnungen mit der Kultur der Zielsprache angemessen zu verhalten.“ (ebd.: 58).