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Worms am Beginn des 16. Jahrhunderts Worms um 1500

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Die Jahre um 1500, vor allem im Zeitraum von 1483 bis 1509, sind in Worms durch eine bemerkenswert dichte und vielfältige Quellenüberlieferung gekennzeichnet, die eine umfassende kulturgeschichtlich angelegte Strukturanalyse der Lage in der Stadt ermöglichen würde. Von herausragender Bedeutung ist dabei als wichtigste erzählende Quelle das schon mehrfach erwähnte so genannte »Tagebuch« des Bürgermeisters Reinhart Noltz297. Noltz, um 1450 geboren, stammte aus einer vermögenden Handwerksfamilie und studierte 1471 nachweislich in Heidelberg, 1472 (wie viele Wormser) in Köln, wobei der Erwerb des Magistergrads belegt ist. Seit 1489 war er Ratsmitglied, zudem fungierte er als Schultheiß, als Baumeister des Liebfrauenstifts sowie zwischen 1495 und 1517 mehrfach als Bürgermeister. Ab 1493 befand er sich im Auftrag des Rates mehrmals auf zum Teil ausgedehnten diplomatischen Missionen, vor allem an den Königshof; er starb Ende 1518. Sein Sohn Eucharius war etwa 1521 Kanoniker am Liebfrauenstift. Es wurde jüngst mit Recht darauf aufmerksam gemacht, dass die seit der Edition von Heinrich Boos eingeführte Bezeichnung »Tagebuch« im Grunde irreführend ist, da es sich um einen »an eine Öffentlichkeit gerichteten städtischen Ereignisbericht mit gelegentlichen autobiografischen Anmerkungen« handelt (Eisermann298). Große Bedeutung kommt der Schilderung protokollarischer Fragen sowie ritueller und zeremonieller Handlungen zu, während politische Themen eher zurücktreten. Wichtig sind viele eingestreute Hinweise auf jahreszeitliche Gegebenheiten und aktuelle Geschehnisse; breiten Raum nimmt der detailliert geschilderte Streit um den Status der Stadt zwischen Bischof und Klerus zum einen und dem Rat zum anderen ein. Die Quelle enthält eine Fülle kulturhistorisch und alltagsgeschichtlich relevanter Mitteilungen, immer wieder spielen auch Drucke eine Rolle (Details zu Druckaufträgen, Praxis des Aushangs von Mandaten). Im Grunde wurde der Text, Zeugnis der Selbstdarstellung einer Stadt, als Ganzes bislang kaum gewürdigt. Daneben stehen – in enger Verbindung untereinander – die von Boos zum Teil edierten, offiziösen »Acta Wormatiensia«299, ein »einzigartiges Dokument einer politischen Stadtgeschichtsschreibung« (Battenberg), erhalten für die Jahre 1487 bis 1501 und in Fragmenten für das Jahr 1513. Der Text, dessen Wert ganz herausragend ist und durch zahlreiche angereicherte Aktenstücke, Urkunden, Briefe und andere Dokumente gesteigert wird, präsentiert im Übrigen eine städtische Gründungslegende, die sich an die der Stadt Trier anlehnt. Wichtig ist für die Zeit bis 1503 auch die so genannte Kirschgartener Chronik300, verfasst von dem Geistlichen Johannes Heydekyn von Sonsbeck. Er lässt starke Sympathien für die Stadt und den Rat erkennen und hat sein Werk als Bischofs- ebenso sehr wie als Stadtchronik abgefasst. Auf die inschriftlichen Quellen, die neuen Siegel und das Stadtwappen, das bischöfliche Salbuch von 1490 sowie auf das Stadtrecht von 1499 wurde bereits eingegangen. Wichtig sind zudem für die Geschehnisse der Jahre 1495 und 1521 die gedruckten Reichstagsakten. Hinzu kommt das bald nach dem Auszug des Klerus 1499 abgefasste »Memorial über die Organisation des Kriegswesens der Stadt Worms«, eine wichtige militärgeschichtliche Quelle301.

Von größtem Wert für die Kenntnis der Situation des Klerus sind die weitestgehend erhaltenen Erhebungslisten des auf dem Reichstag 1495 beschlossenen so genannten »Gemeinen Pfennigs«, einer direkten Kopf- und Vermögenssteuer für den Klerus der Stadt, und das »Synodale«, das unter Bischof Johann von Dalberg angefertigte Verzeichnis der Pfarreiverhältnisse im Bistum von 1496302. Die Quelle bezeugt die enormen Anstrengungen des Bischofs zur Intensivierung seiner Aufsicht über die geistlichen Einrichtungen und die Bemühungen um die Hebung der Seelsorge in seinem Bistum. Aus städtischer Sicht berichtet in großer Ausführlichkeit die Zornsche Chronik303. Zudem liegen aus dem Zeitraum reiche ungedruckte Quellen im Stadtarchiv vor, deren Auswertung noch keineswegs befriedigend genannt werden kann304.

Trotz der reichlicher als je zuvor fließenden Quellen sind viele Fragen zur reichsstädtischen Topografie der Stadt insgesamt noch ungeklärt305. Nur im Ansatz ist beispielsweise eine (andernorts besser erkennbare) Viertelbildung mit gewerblichen Schwerpunkten erkennbar306.

Ganz auf Spekulation beruhen alle in der Literatur anzutreffenden Angaben über Bevölkerungszahlen der Stadt um 1500. Sicher ist, dass neben den ca. 250 Juden bis zu etwa 500 Geistliche (ungeachtet der nicht hier residierenden Personen) einschließlich ihres Personals in der Stadt wohnten. Geht man – und diese Schätzung kann derzeit als die realistischste Größenordnung gelten – von einer Gesamtbevölkerung von ca. 6000 bis eher 7000 Personen aus, so wären demnach bis zu knapp zehn Prozent der Stadtbevölkerung dem Klerus zuzurechnen307. Im Gegensatz zu Mainz, dessen Bevölkerungszahl während des Mittelalters offenbar sehr starken Schwankungen ausgesetzt war und um 1400 wohl noch 8000 bis 10.000 Personen betragen hatte, zum Zeitpunkt des Übergangs der Stadt in die Herrschaft des Erzbischofs 1462 – also am Tiefpunkt der Stadtentwicklung – aber nur noch etwa 5800 betragen haben kann308, ist die Entwicklung in Worms seit dem Einbruch von 1349 allem Anschein nach eher kontinuierlich verlaufen. Am Vorabend der Stadtzerstörung 1689 war die Einwohnerzahl dann auf etwa 3000 Personen zurückgegangen309.

Wichtig und sehr aufschlussreich sind die aus der Zeit um 1470 bis 1500 überlieferten Quellen zur Entwicklung der Rechtsverhältnisse und Lebensbedingungen der Juden (s.u.), die unter anderem Einblick in Siedlung, Gemeindegröße und Topografie des Judenviertels gewähren310. Gut 240 Juden lebten nach Auskunft der in städtischen Quellen erhaltenen Steuerlisten in 42 Häusern. Letztlich für die dauerhafte Existenz der Gemeinde entscheidend war ihre Absicherung durch ein komplexes Geflecht von Bindungen zur Stadt, zum bischöflichen Stadtherrn und zum Königtum in Verbindung mit ihrer wirtschaftlichen Bedeutung. Gerade das Königtum besaß vitale Interessen an den Juden. Die Interessenkonstellationen und der Zwang zur Rücksichtnahme in verschiedene Richtungen haben Vertreibungen bzw. fundamentalen Verschlechterungen des Rechtsstatus enge Grenzen gezogen. Die jüdische Gemeinde ist in die innerstädtischen Konflikte kaum einbezogen worden. Vor diesem Hintergrund konnte sich in Worms eine zahlenmäßig und ökonomisch relativ bedeutsame Judengemeinde zwischen den um die Stadtherrschaft kämpfenden Fronten bis in die Neuzeit hinein halten. Das Schicksal der Gemeinde kann dabei gleichsam als Indikator der Herrschaftskonstellation angesehen werden.


Karte 10: Worms um 1500

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