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Kompromiss und innerer Frieden: Die Jahre 1430 bis 1482

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Ab etwa 1433 – während der Pontifikate von Friedrich von Domneck (1426–1445) und Reinhard von Sickingen (1445–1482)245 – blieb die innerstädtische Situation in Worms im Vergleich zu anderen Städten vergleichsweise ruhig. Ganz anders als in Mainz, wo der Pendelausschlag vor dem Hintergrund einer tief greifenden ökonomisch-finanziellen Dauerkatastrophe und tiefer Gräben zwischen den um die Macht ringenden Gruppierungen noch zunahm, gerieten die politischen und Verfassungsfragen in Worms in ruhiges Fahrwasser. Das Verhältnis von Rat und Ratsfamilien, Zünften und Gemeinde auf der einen und den Bischöfen mit der Geistlichkeit auf der anderen Seite war bis 1482/83 von gegenseitiger Kompromissbereitschaft und dem Fehlen echter Konflikte gekennzeichnet. Die Ratsherrschaft wies offenbar keine ernsthaften Legitimationsdefizite nach innen auf. Das stets gefährliche soziale Gefälle zwischen Ratsoligarchie und Zunftvertretern war eher schwach ausgeprägt und ernsthafte Misshelligkeiten zwischen Stadt und Geistlichen blieben im genannten Zeitraum weitgehend aus. Einer der Gründe für diese Entwicklung (Boos begründete sie mit der »Mäßigung und Klugheit der Führer«) liegt wohl auch in der geringeren sozialen und wirtschaftlichen Differenz bzw. einer relativ großen Durchlässigkeit zwischen Ratsfamilien und Zunftvertretern. Ein mögliches Indiz für den geringen Abstand zwischen den keineswegs fest gefügten Gruppierungen ist auch das Fehlen bruderschaftlicher Organisationsformen führender Familien bzw. Geschlechter, wie sie neben Mainz auch in Trier und den weitaus meisten großen Städten belegt werden können. Zu vermuten ist immerhin, dass die in Mainz so verheerenden finanziellen Probleme in Worms weniger gravierend waren. Belegt ist für das Jahr 1440 die Teilhabe von vier Vertretern der Gemeinde, die ansonsten so gut wie nicht mehr in den Quellen entgegentritt, bei der Rechnungslegung (s.o.). Unstreitig hat die wirtschaftlich extreme Krisensituation vor allem während der 1430er Jahre Folgen für die städtische Wirtschaft gezeigt. Dass es in Worms nicht zu einer sozialen, politischen und wirtschaftlich-finanziellen Krise im Mainzer und Speyerer Ausmaß gekommen sein dürfte, zeigt die (allerdings auch in der politischen Konstellation gründende) Weiterexistenz der jüdischen Gemeinde, die im Gegensatz zu den dortigen Vertreibungen von 1435 bzw. 1438 steht. Der relativ breit legitimierte Rat konnte sich seit der Mitte des 15. Jahrhunderts um die für die Entwicklung der Stadt wichtige Ausweitung und Stärkung der eigenen Gerichtsbarkeit bemühen und die Bindungen an das Reich intensivieren246. Hinsichtlich des für die Frage nach der Stadtherrschaft wichtigen Gerichtswesens kam es unter Beachtung der formalen bischöflichen Reservatrechte seit der Mitte des Jahrhunderts zu einer Ausweitung der Ratshoheit, parallel zu vielfältig nachweisbaren Bestrebungen, die Ratsobrigkeit und das kommunale Gerichtswesen stärker zu betonen. Dies geschah etwa durch die im November 1476 erfolgte Einstellung eines juristisch gelehrten Stadtadvokaten gemäß einer Übereinkunft zwischen altem und neuem Rat247, die 1477 mit dem Bischof vertraglich geregelte partielle Appellationsbefreiung für Rat und Stadtgericht und durch den Erwerb eines päpstlichen Gerichtsstandsprivilegs 1480. Auch vor diesem Hintergrund sind die mit dem Amtsantritt Bischof Johanns von Dalberg 1482 beginnenden dramatischen Konflikte um Ratsherrschaft, Stadtverfassung und Gerichtswesen der Reichsstadt zu sehen. Seit der Mitte des 15. Jahrhunderts nahm die Inanspruchnahme des weltlichen Gerichts durch die Bürgerschaft in starkem Maße zu, was für eine Autoritätssteigerung und damit ein Anwachsen der kommunalen Rechtspflege spricht248. Nicht vergessen werden darf als Voraussetzung des städtischen Handelns die noch ganz frische Erinnerung an die Niederlage der Stadt Mainz gegen ihren Erzbischof 1462, über deren Ursachen man sich durchaus im Klaren war249. Dieses Menetekel hat das Handeln der Führungsschichten nachhaltig beeinflusst und ihnen die drohenden Gefahren deutlich vor Augen geführt.

Überlieferungsbedingt steigt für die Zeit seit ca. 1450 die Zahl der Quellen für Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung und des städtischen Steuerwesens: So ist schon aus den Jahren ab 1432 wieder eine steigende Zahl von städtischen Verordnungen vor allem für das Wirtschaftsleben überliefert, pro Jahrzehnt bis 1500 drei bis sieben Ordnungen. Möglicherweise ist diese Intensivierung auch auf den seit 1430 nochmals gesteigerten Einfluss der Zünfte auf den Rat zurückzuführen (s.o.). Aus der Zeit um 1450 ist ein Verzeichnis von Zollsätzen des kurz nach 1400 erstmals belegten städtischen Kaufhauses erhalten, das die Abgaben für den Verkauf von Tuchen, Waid, Farben, Wolle, Leinwand, Zwillich, Barchent, Garn, Harz, Pech, Seife, Kreide, Papier und Eisen auflistet und auch die Pfingstmesse erwähnt250. Genannt werden dazu verschiedene Ledersorten, Felle sowie eine Reihe von Fischsorten. Um diese Zeit, aus der auch eine Steuertabelle für die Erhebung der Vermögenssteuer und eine Ordnung für die zunftmäßig organisierten Krämer bzw. Hausierer erhalten ist251, stand der Rat in Streitigkeiten mit einer religiösen Frauengemeinschaft wegen der durch diese gegebenen Konkurrenz auf dem Gebiet der Textilproduktion252: Der Gudelmannkonvent (Reichkonvent) schloss 1469 mit der Stadt einen Vertrag über die Festlegung der Zahl gestatteter Webstühle im Rahmen seiner marktorientierten Tuchproduktion ab. Noch zu Beginn des 16. Jahrhunderts sind die Leinweber gegen die Konkurrenz durch die Frauen vorgegangen.

Ungeachtet der auch durch die formale Anerkennung der bischöflichen Position ermöglichten Phase äußerlicher Ruhe ließ sich seitens der Stadt ein Anwachsen der Bedeutung der Kurpfalz nicht verhindern. Wie verhängnisvoll der bis vor die Tore der Stadt reichende Zugriff sein konnte, zeigte sich anlässlich der in einer Fehde der Pfalzgrafen mit Kurmainz im Juni 1460 erfolgten Zerstörung des Cyriakusstifts in Neuhausen253, aus dem die Reliquien des Stiftspatrons nur mit Mühe geborgen und in den Dom gerettet werden konnten. Ein klares Indiz für die Bemühungen um Einflussnahme sind auch die starken und seit ca. 1425 sehr lebendigen Reformansätze in etlichen Wormser Klöstern, die vom Bischof und dem benachbarten Landesherrn gleichermaßen gefördert wurden254. Einen neuen Höhepunkt im Verlauf der kurpfälzischen Machtausweitung markieren dann die 1482 einsetzenden dramatischen Konflikte um die Stadtherrschaft.

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