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Der Kampf des Rates gegen die geistlichen Privilegien und der Wandel der Verfassung (1367–1407)

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Es zeigte sich recht schnell, dass die Bestimmungen zur Frage des Weinschanks und der Besteuerung des Klerus und damit der Beteiligung der Geistlichen an den stetig wachsenden städtischen Lasten von relativ geringer Dauerhaftigkeit waren und die grundsätzlichen Probleme bald wieder aufkamen. Ab etwa 1378, nicht ohne Zufall parallel zu einer weiteren Verschärfung der finanziellen Belastung der Stadt und möglicherweise unter dem besonderen Einfluss der durch die Verfassungsänderung von 1366 gestärkten Kräfte der Gemeinde bzw. der Zünfte, spitzten sich die alten Schwierigkeiten erneut zu160. Die monetären Probleme der Stadt, von denen auch die bereits erwähnte Zwangszahlung der Juden von 1377 Zeugnis gibt, förderten gleichzeitig mit Versuchen verschiedener Städte, den erst jüngst neu eingerichteten Rheinzoll wieder rückgängig zu machen, Bemühungen um die Erhöhung der städtischen Einnahmen. Anfang 1378 erwirkte Worms ein kaiserliches Privileg zur beliebigen Veränderung des Weinmaßes161 czu notdorfte der stat mit dem Zweck vermehrter Einnahmen, gleichzeitig wurden die Freiheiten der Stadt bestätigt. Die Konflikte eskalierten dann zwischen Herbst 1384 und der Beilegung der Konflikte im Frühsommer 1386, wobei die Quellenlage für die Rekonstruktion der Ereignisse – auch städtisches Aktenmaterial liegt nun vor – relativ gut ist162. Erstmals erfahren wir auf Seiten der Stadt auch Namen handelnder Personen, sodass wir die Zusammensetzung des Rates in Umrissen zu erkennen vermögen. »Außenpolitisch« war die Situation durch den Abschluss bzw. die Verlängerung von Verträgen mit anderen Städten des Rheinischen Bundes ab 1382 gefestigt, sodass man glaubte, nach innen umso selbstbewusster auftreten zu können163.

Die ersten Indizien für eine Verschärfung der Situation enthält ein im November 1384 geschlossenes Bündnis Bischof Eckhards mit der Wormser Geistlichkeit gegen die »Anmaßungen« der Wormser Bürger164. Die Quellen lassen erkennen, dass der Rat den Verkauf von Wein verboten hatte, der noch nach dem alten Maß ausgeschenkt wurde, was auf ein faktisches Verkaufs- und Schankverbot für die Geistlichkeit hinauslief.

Die daraufhin erfolgte Intervention König Wenzels in die städtischen Angelegenheiten blieb ohne Wirkung. Während sich Bischof und Klerus an das Reichsoberhaupt wandten, suchte sich der Rat in dem ernsthafter als jemals zuvor zugespitzten Konflikt neben der Abstützung bei den städtischen Vertragspartnern im weiteren Umland auch neue Bündnispartner im Innern. Ein wesentlicher Bestandteil des bürgerlichen Selbstverständnisses war auch in Worms ein enger Kontakt zu den Bettelordenskonventen. Im Zuge der erheblichen Verschärfung des Konflikts mit der Geistlichkeit wurden die Dominikaner und Franziskaner 1385 in das städtische Bürgerrecht aufgenommen und somit auf die Unterstützung der städtischen Sache eingeschworen165: Im Juli kam es zunächst zum eidlich bekräftigten Treueschwur der Franziskaner gegenüber Bürgermeistern und Rat, deren Aufnahme in das Bürgerrecht (daz sie burgere wolten werden; der städtische Schutz wurde offiziell mit Übergriffen auf Leib und Gut der Geistlichen begründet) dann im November folgte. Ebenfalls 1385 kam es auch zum Abschluss eines vom Provinzial ausdrücklich bestätigten Schutz- und Freundschaftsvertrages mit den Dominikanern, in denen diese ihre engen und freundschaftlichen Beziehungen zum Rat wiederholt zum Ausdruck brachten. Im Gegenzug zu diesem Bündnis werden beide Konvente – zusammen mit den Augustiner-Eremiten – folgendermaßen verpflichtet166: Auch sollent sie (…) eine offene gotliche und zierliche messe singen von unsere hochgelopten heilgen frauwen Marien an dem nechsten sondage nach unsers hern lichnams dage und sollent auch zu der mesze des jars kommen ire vettere die Predigere und die Augustinere mit iren cruczen und heiltdummen (…) und sollent in der selben messe und in allen messen, die off den dag gesprochen werdent (…) gedencken andechteclichen und bitten vor uns und unsere stad und unsere altfurdern. Man verpflichtet die drei stadtnahen (die Position der Karmeliter ist nicht erkennbar) Mendikantenklöster zu offiziellem städtischem Sakraldienst zum Zwecke der öffentlichen Demonstration der Rechtmäßigkeit des Ratshandelns. Dies und das damit einhergehende Gebetsgedenken für die Ratsmitglieder sowie deren Vorfahren (!) dient gerade vor dem Hintergrund schärfster Konflikte mit dem übrigen Klerus der Steigerung der Legitimation des Handelns der städtischen Führungsschicht. Es dient auch und gerade dem Unterlaufen der kirchlichen Sanktionen und der demonstrativen Durchbrechung der klerikalen Phalanx und richtet sich an die Stadtbewohner und den außerhalb stehenden Klerus gleichermaßen. Immerhin wissen wir aus einer städtischen Quelle aus dem Folgejahr, dass auch der Pfarrklerus außerhalb der Konfliktfront zur Geistlichkeit bzw. auf der Seite der Stadt und ihres Rates gestanden hat. Der Bischof hatte sich offenbar brieflich an den Pfarrklerus gewandt und dabei die Regelungen des Interdikts einzuschärfen gesucht167. Die Unterstützung der Mendikanten für die Kommune auch in Zeiten schwerer Konflikte mit der übrigen Geistlichkeit ist in zahlreichen spätmittelalterlichen Städten zu beobachten168. Inwieweit diese Anordnung, die auch als ein Zeugnis für wachsende Marienverehrung in der Stadt gewertet werden kann und Schlüssel zu einem Teil der Identität der Handelnden ist, tatsächlich zum Beginn ritualisierter kollektiver Frömmigkeitsformen in Worms geführt hat, bleibt mangels weiterer Quellen bis ca. 1490 unklar.

Wir sehen im Umgang mit den Bettelorden den Rat mit einem in dieser Form neuartigen Selbstbewusstsein nach außen auftreten, nicht zuletzt Zeugnis der überaus engen sozialen und personellen Bande zwischen den Mendikanten und den führenden Familien im Rat, der erstmals einen sichtbaren Schritt zur Sakralisierung seines Handelns unternimmt. Das Verharren der Bettelorden in der Stadt auch anlässlich des noch zu behandelnden Auszugs des Klerus aus Worms zwischen 1405 bis 1407, als die Stadt zur Sicherstellung gottesdienstlicher Versorgung zusätzlich vier Priester angestellt hat, zeigt neben anderen Begebenheiten und Ereignissen, dass diese Bindungen von dauerhafter Wirkung waren. Gefährlich für die Stadt wurde es, dass sich die akuten Konflikte mit gleichzeitigen Auseinandersetzungen mit dem Niederadel im Wormser Raum vermengt haben169.

Über Einzelheiten des städtischen Vorgehens gegen Teile der Geistlichkeit und die fortschreitende, die Grenze zur Gewalt überspringende Eskalation sind wir vor allem aus (einseitiger) bischöflicher Quelle informiert. Es ist deshalb nicht ganz eindeutig, wann die vor allem in der bischöflichen Urkunde vom Mai 1386 aufgelisteten Vorgänge zeitlich genau anzusetzen sind170: Beschrieben werden hier bewaffnete Übergriffe auf Geistliche, das öffentlich unter Versammlung des durch die Glocke versammelten Volkes bekannt gemachte Ende der Beachtung geistlicher Privilegien, die Forderung, die Geistlichkeit solle innerhalb drei Tagen einen Treueeid gegenüber dem Rat schwören oder die Stadt verlassen und so fort.

Anfang Januar 1386 verurteilte das Hofgericht König Wenzels die Stadt auf Klage des Klerus zu einer Bußzahlung in Höhe von 100.000 Goldmark171. Verbunden war diese Zumutung mit der unverhohlenen Aufforderung an die Ritterschaft weiter Regionen um die Stadt, die Geistlichkeit zu unterstützen und die städtische Bürgerschaft zu schädigen. Dieser Schritt, der nun eine offene kriegerische Verwicklung nach sich ziehen musste, wurde vom Rat als sehr gravierend eingeschätzt.

Im Februar des Jahres ernannten Bürgermeister, Rat und Bürger von Worms mit der Kampfführung Bevollmächtigte, die – wie es heißt – den krieg bedrechten und besorgeten. Namentlich genannt sind nach den beiden Bürgermeistern ca. 65 Personen, eventuell Mitglieder einer Art erweiterter Rat172. Unter ihnen befinden sich nachweisbar etliche Mitglieder der Hausgenossenschaft und einige wenige Zunftangehörige. Die sieben namentlich aufgeführten »Ratsgesellen« (einer von ihnen – Siegfried Holtmund – nachweislich Hausgenosse) hatten sich zunächst der Amtsübernahme verweigert, wurden aber an ihre der Stadt geleisteten Eide erinnert und erhielten eine Zusage materieller Entschädigung bei eventuellen Verlusten im Laufe des Krieges. Ziel war es für die Stadt, bis zum Martinstag und nit lenger die Sache abgeschlossen zu haben. Nach Aussage der erzählenden Quellen aus Worms und Mainz kam es bereits einen Tag nach der Bildung und Beeidung dieses Exekutivausschusses des Rates zu einem Überfall auf das St. Cyriakusstift in Neuhausen bei Worms, in das sich offenkundig der Stiftsklerus bei seinem nicht sicher datierbaren Rückzug aus der Stadt begeben hatte. Am 1. März 1386173 erfolgte die brutale Plünderung und Inbrandsetzung des Cyriakusstifts,174 die Inhaftierung von 38 Klerikern und Plünderungen geistlicher Häuser – auch in der Stadt – sowie eine Fülle von heftigen Gewalttaten. Drei Tage später berichtete bereits der in Ladenburg weilende Bischof in einem Schreiben an den Frankfurter Rat über diese möglicherweise von Kräften aus Mainz sowie Bauern aus dem Umland unterstützten Schandtaten175. Er erwähnt zudem Tötungen, die schändliche Gefangenhaltung von Geistlichen, die Brandstiftung von Kirchen, den Aufbruch von Altären, die Zerstörung von Gewändern, Büchern und liturgischem Gerät sowie den Raub von Gütern und Besitzungen.

In einem wohl kurz danach abgefassten Beschwerdebrief176 des Rates gegenüber der Geistlichkeit in Worms und Neuhausen, ausgestellt von Bürgermeister und Rat und alle gemeinde in unser frihen stad Wormsz (der selten gebrauchte Zusatz der Gemeinde ist vielleicht ein Indiz dafür, dass die Vertreter der Gemeinde relativ starken Einfluss auf das Geschehen besaßen) geht der Rat auf die Vorwürfe der klerikalen Seite ein. Er berichtet von beleidigenden Schriften gegen die Stadt, von bischöflichen Drohungen und beklagt das Vorgehen vor dem Hofgericht. Wohl vom April 1386 ist eine städtische Instruktion für die Ratsboten an König Wenzel in den Akten überliefert, die vom Bürgermeister und einem der Angehörigen des zu Jahresbeginn gebildeten Kriegsausschusses abgefasst wurde. Im Mai 1386 kam es dann durch päpstliche Anweisung zur erwarteten Verhängung des Interdikts über die Stadt177. Die Urkunde nennt auch die Namen der besonders an den Vorkommnissen beteiligten Personen. An der Spitze der Übeltäter finden sich nach den beiden Bürgermeistern 18 Mitglieder der Hausgenossenschaft (die Familien Bonne und Holtmund sind dabei sehr stark vertreten) und weitere ca. 55 Personen, von denen etliche mit den im Februar genannten städtischen Personen identisch sind; offenkundig sind dies in erster Linie Zunftvertreter. Bemerkenswert und für die Einschätzung der Konfliktlinien innerhalb der Stadt ist der von Burkard Keilmann178 kürzlich herausgearbeitete Sachverhalt, dass die auf der Seite des Rates als Exponenten des Ratshandelns gegen den Klerus hervortretende Familie Bonne gleichzeitig – wie bereits kurz erwähnt – enge personelle Verbindungen zum Paulusstift unterhielt. Die Fronten zwischen beiden Lagern verliefen also keineswegs so klar, wie man dies meinen könnte, und auch das Sondervotum des Pfarrklerus und der Mendikanten zeigt, dass wir nicht pauschal von »der« Geistlichkeit sprechen können, ebenso wenig wie wir uns den Rat als unumstrittene Obrigkeit nach innen an der Spitze einer einheitlichen Bürgerschaft vorstellen dürfen. Zudem belegen diese Nachrichten, dass das städtische Handeln keineswegs von einem prinzipiellen Antiklerikalismus gekennzeichnet war.

Vor Ende Mai 1386 wurde die verfahrene Lage jedenfalls durch eine pfalzgräfliche Friedensvermittlung zunächst zu einem Waffenstillstand entschärft, dem dann Verhandlungen beider Seiten unter Leitung des Pfalzgrafen folgten. Wiederum waren Vertreter der Städte Speyer und Mainz an den Verhandlungen beteiligt. Im Juni179 kam es zur Beurkundung einer zunächst auf sechs Jahre begrenzten Sühne zwischen Klerus und Stadt, der Fünften Rachtung, die wiederum ausgeprägten Kompromisscharakter in sich trug und keine wirklichen Neuerungen hinsichtlich der Verfassungsbestimmungen enthielt. Unabhängig davon wurde die Lösung der Stadt aus Bann und Interdikt vorbereitet. Die Stadt kam, wie es Heinrich Boos, ausdrückte, aufgrund der Unterstützung durch den Rheinisch-Schwäbischen Städtebund, »sehr glimpflich davon«. Dies alles geschah nur zwei Jahre, bevor der Städtebund 1388 eine entscheidende Niederlage erlebte und die Phase der Bünde als Machtfaktor in der Region zu Ende war180. Die Hilfe, die Pfalzgraf Ruprecht den Stiften und dem Bischof hatte angedeihen lassen, brachte diese nur noch weiter in seine Abhängigkeit. Die Übereinkunft wurde zwischen den Beteiligten verabredungsgemäß im Oktober 1392 verlängert181. Zum Zeitpunkt der Urkundenausstellung waren erneute Streitigkeiten um Fragen der Stadtverfassung entstanden, die allerdings recht rasch durch einen Verfassungszusatz entschärft werden konnten. Vermutlich waren es wieder einmal die sich seit der Niederlage der Städte 1388 weiter verfinsternde finanzielle Lage, hohe Zusatzaufwendungen und damit auch Steuerfragen, die zu Unmut in Kreisen der Zünfte Anlass gab.

Es muss im Laufe des Jahres 1392 zu innerstädtischen Unruhen gekommen sein, in deren Verlauf Vertreter der Zünfte gemeinsam mit der sich in dieser Zeit als Zunft konstituierenden Hausgenossenschaft stärkeren Einfluss auf die jährliche Rechnungslegung (daz die zunftmeistere do by sin in radis wise) und vor allem die Ämterbesetzung im Rat zu nehmen versuchten. Die Hintergründe dieser Annäherung der Hausgenossen an die Zünfte sind unklar. Nach den als zweyunge und offlauf … zuschen der gemeinde und uns (Wir die burgermeistere und der rat gemeinlichen der stat Wormsz) umschriebenen Unruhen ist es dann zu einer Reihe von auch vom Bischof genehmigten Übereinkünften bzw. zu einer wiederum von Mainz und Speyer mit organisierten Sühne zunächst mit dem Rat gekommen, in deren Ergebnis die Zünfte bzw. ihre führenden Vertreter ihre selbstständige Versammlungs- und Regelungskompetenz bestätigt erhielten und zugleich ihren Einfluss auf die Ratsbesetzung zu erweitern vermochten. Als Aussteller treten hier erstmals Wir die husgenossen und alle andere zunffte der stede Wormsz hervor (29. Dezember 1392182), desgleichen in einer weiteren Urkunde vom selben Tag, mit der die 1386 vom Rat mit der Kriegsführung beauftragten fünf Ratsherren von Forderungen und Ansprüchen freigestellt werden. Die Zünfte erhielten in einem wiederum am selben Tag abgeschlossenen Vertrag183 nunmehr das Recht auf Ernennung derjenigen 24 Männer zugesprochen, aus denen der Bischof die Sechzehner zu bestimmen hatte. Dies setzte voraus, dass der Rat das überkommene formale Versammlungsverbot für die Zünfte ausdrücklich aufhob (mogent sich furter mit einander beraden nach notz und notdurft der stede und irer zunfte). Jede der zu diesem Zeitpunkt 24 Zünfte erhielt – und das stellt eine wesentliche Neuerung und Stärkung dar – das Recht, am Martinstag einen ehrenwerten (biderben) Mann für den Rat zu ernennen. Jährlich hatte der Rat den Zünften Rechenschaft über die städtischen Finanzen abzulegen. Ausdrücklich mitbesiegelt wurden die Bestimmungen auch hier von vier bzw. drei Ratsabgesandten (frunden) aus Mainz und Speyer, die vermutlich auch an der Ausarbeitung der Übereinkunft bzw. dem Zustandekommen der Sühne Anteil hatten. Zum gleichen Zeitpunkt einigten sich Bürgermeister und Rat sowie die Hausgenossen und anderen Zünfte der Stadt in Form einer Sühne über die Beilegung der nicht näher bezeichneten Unruhen184. Auf die Folgen der Verfassungsänderung von 1392 und der mit ihr vermutlich einhergehenden Wandlung des Charakters der Ratsherrschaft ist im folgenden Abschnitt noch einzugehen. In der Rückschau markiert die Zeit um 1400 sicher einen Punkt beginnender Veränderungen hinsichtlich der Art und Weise, wie der jetzt noch breiter legitimierte Stadtrat handelte. In den 1390er Jahren kam es offenbar zu Übergriffen gegen die Juden, was für eine von zünftischen Kräften getragene Bewegung spricht; auch aus Straßburg und der Kurpfalz waren sie kurz zuvor vertrieben worden185.

Wenn hier immer wieder von Zünften und zünftischen Kräften die Rede ist, so darf man nicht übersehen, dass unsere Kenntnisse dieser in der Regel dezidiert politischen Gemeinschaften überlieferungsbedingt äußerst schmal sind. Bis zum Ende des 14. Jahrhunderts lassen sich über die innere Organisation und Funktionsweise, den realen Anteil am politischen Geschehen, das personelle Profil der führenden Kräfte und die Formen des Gemeinschaftslebens keine gesicherten Aussagen treffen. Zunftordnungen sind nur äußerst vereinzelt überliefert, so 1352 eine Ordnung für die Bäcker in acht rheinischen Städten, darunter Worms186. Im Jahr 1399 treten die Metzger (die meistere und die zunfft gemeinlichen der metzelere zunfft) als Urkundenaussteller hervor; hier werden Rechte des Dompropstes gegenüber den Fleischern erwähnt187. Ein Weistum über die Rechte des Propstes an der Zunft vom Vorjahr zeigt, dass die Geistlichkeit nicht unerhebliche Rechte an den Gewerben der Stadt bewahren konnte188. Möglicherweise waren die nun stärker politisch aktiven Gewerbeorganisationen an einer Klärung bzw. Fixierung ihrer potenziell konfliktträchtigen Beziehungen zur Domgeistlichkeit interessiert. Die Urkunde nennt neben fünf Meistern 20 weitere Metzger der Zunft der Oberen und Niederen Verkaufsstände (Scharren) zu Worms.

Bereits kurz vor der Beilegung der Konflikte, im Oktober 1392, war das Verhältnis zwischen der Stadt und den Kämmerern von Dalberg durch einen detaillierten Vertrag geregelt worden189. Die der bischöflichen Ministerialität des 12. Jahrhunderts entstammende Familie gehörte zu den wichtigsten niederadligen Geschlechtern in der Region und stand im Begriff, mit Schwerpunkten um Herrnsheim und Abenheim eine auf Lehensrechten aufbauende kleine Herrschaft zu etablieren. Der Vertrag von 1392 bekräftigte die hergebrachten Privilegien der Familie, die in erster Linie aus von den Bischöfen verliehenen Rechtstiteln in der Stadt herrührten. Gesonderte Rechte galten vor allem für die im Bereich der heutigen Unteren Kämmerergasse liegenden Höfe der Familie, die eng mit dem St. Martinsstift verbunden war190. Die Familie partizipierte nach wie vor nicht unwesentlich am Wirtschafts- und Rechtsleben der Stadt. In Handel und Grundherrschaft blieb die Bindung zur Stadt Worms eng. Der Vertrag ist auch Indiz dafür, wie stark die Stadt nach 1388/89 in Abhängigkeit von den Pfalzgrafen und deren Lehensleute geraten war. Das der Stadt königlicherseits 1394 erteilte Gerichtsstandsprivileg der Stadt191 konnte angesichts der Probleme zunächst keine direkten positiven Folgen entfalten. Diese Probleme betrafen die erheblichen finanziellen Schwierigkeiten der Stadt, die erstmals explizit im Sommer 1398 zur Bewilligung eines zeitlich befristeten Entgegenkommens in Fragen des Weinschanks durch die Wormser Stifte geführt haben192. Vermittelt wurde diese für eine begrenzte Zeit zu Mehreinnahmen führende Übereinkunft für die städtische Seite von drei Hausgenossen, bei denen (dies gilt ausdrücklich für die zwei genannten Mitglieder der Familie Bonne) enge persönliche Kontakte und verwandtschaftliche Beziehungen zum Stiftsklerus nachweisbar sind. Als Begründung für die auf Bitten der Stadt zugestandene Maßnahme wird ausdrücklich auf die noit und schult der Stadt, mithin ihre finanzielle Zwangslage, aufmerksam gemacht. Seit dieser Zeit wuchs der ökonomisch-finanziell begründete erneute städtische Druck auf den Klerus in Fragen der Sonderrechte und vor allem der Besteuerung193.

Die Streitigkeiten mit Bischof Eckhard von Dersch und der Geistlichkeit erreichten in den Jahren zwischen 1404 und der langfristigen Regelung des Verhältnisses zwischen Klerus und Stadt in der so genannten »Großen Pfaffenrachtung« von 1407 einen bis in die 1480er Jahre beispiellosen Höhepunkt194. Der »außenpolitische« Rahmen für diese Konflikte war denkbar ungünstig, zumal seit der Wahl von 1400 mit Ruprecht I. der vormalige Kurfürst der Pfalz als neuer König amtierte und das Verhältnis der Stadt zum Herrscher keineswegs ungetrübt blieb. Die Stadt sah sich in den ersten Jahren des 15. Jahrhunderts einer massiven Koalition aus Bischof, Kurfürst und König gegenüber. Gegen die städtische Forderung nach einer Besteuerung des geistlichen Weinschanks und damit eines Pfeilers der strikt gewahrten klerikalen Sonderrechte wandten sich Bischof und Stifte. Im Ergebnis kam es zu Pfingsten 1404 (andere Quellen berichten von Februar 1405) zum Auszug eines Teils des Klerus aus der Stadt195, zum Entzug der gottesdienstlichen Versorgung und damit einem tiefen Einbruch in die allgemeine Ordnung. Es lässt sich belegen, dass bestimmten Teilen des Stiftsklerus – namentlich des mit städtischen Kräften personell verbundenen Stifts St. Paulus – diese Eskalation keineswegs gelegen kam. Die Geistlichkeit war auch in dieser Lage alles andere als eine homogene Einheit196.

Der diesmal offenbar nicht (wie 1386) gewaltsame Konflikt erreichte 1405 mit einer Fehdeansage der Stadt gegen den Klerus einen weiteren Höhepunkt197. Bald darauf hat Bischof Matthäus von Krakau, seit diesem Jahr im Amt und sofort energisch und mit allen kirchlichen Sanktionsmitteln gegen die Stadt vorgehend, gescheiterte Versuche unternommen, die Front zwischen Rat und Zünften zu sprengen und Letztere auf seine Seite zu ziehen198. Die Zunftmeister verwahrten sich in einem Schreiben vom August 1406 dagegen, dass sie zur zweiung, ohneinigkeit und hadderung bracht moechten werden. Ausdrücklich wird hier vom Rat als dem »Herrn« gesprochen199. Dieser stand in engem Kontakt mit den Zünften und bezog in seine Politik sogar einen sonst quellenmäßig nicht greifbaren Großen Rat von mehr als 100 Personen in seine Tätigkeit ein200. Die Bemühungen um eine breite Absicherung, intensive Informationen und stetige Rückversicherung bei den Zünften zahlte sich aus: Die Reihen der Stadt blieben bis zur Übereinkunft von 1407 geschlossen, deren Vorgeschichte mit Ausgleichsverhandlungen zu Jahresbeginn eingesetzt hat. Zeitgleich, seit 1407, kam es zu massiven Problemen der Stadt mit einzelnen prominenten Vertretern der Hausgenossenschaft. Noch 1400, kurz nachdem sie sich unter die Zünfte eingereiht hatten, erlangten die Hausgenossen eine Bestätigung ihrer Privilegien, von denen besonders die Eximierung von der üblichen Gerichtsbarkeit und steuerliche Sonderrechte zum Problem werden konnten. Leider sind wir über die Zusammensetzung der Gruppe und ihren tatsächlichen Anteil an der Ratsherrschaft kaum informiert201.

Bis Juni 1404 waren die Gespräche über die Beilegung der Konflikte zu einem Abschluss gekommen. Mit der so genannten »Großen Pfaffenrachtung« vom 9. Juli 1407202 konnte – unter maßgeblicher Vermittlung von König Ruprecht I. und dem Mainzer Kurfürsten – ein tragfähiger Kompromiss über alle strittigen Fragen erzielt werden. Einerseits konnte die Stadt ihre faktisch bedrohte politische Selbstständigkeit wahren und Ansprüche des Bischofs bezüglich der Vereidigung auf seine Person abwehren, andererseits konnte die Geistlichkeit weite Teile ihrer Rechte erhalten. Eine Reihe von Artikeln der Rachtung betraf die Steuerfreiheit des Klerus für den Weinschank, für den ein für die Stadt ungünstiger Kompromiss gefunden wurde. Dies gilt auch für die städtische Grundbesitzsteuer. Andere Artikel bezogen sich auf das Verhältnis der Stadt zum Bischof. Festgelegt wurde, dass die Ratssitzungen gemäß altem Herkommen (das offenbar durch Verlagerung in den Bereich des Bürgerhofes außer Gebrauch gekommen war) im Saal des Bischofshofes abgehalten werden sollten. Immerhin konnte die Gewohnheit von Sitzungen im Bürgerhof bzw. der Ratstrinkstube in dem vornehmlich im 15. Jahrhundert in dieser Funktion bezeugten Haus zum Sperberzagel zur Beratung von Fragen untergeordneter Bedeutung faktisch durchgesetzt werden203. Fragen der Gerichtsverfassung wurden nicht direkt geregelt, wenngleich sich der bischöfliche Druck auf das weltliche Gericht nach 1400 erhöhen sollte. Wir erfahren aus der Rachtung auch Näheres über die beträchtliche verfassungsrechtliche Bedeutung der so genannten Hofglocke. Die Rechtsgültigkeit der Verkündigung von Ge- und Verboten war demnach untrennbar mit ihrem Läuten verbunden204. In der Rachtung ist zudem die Rede von einer wohl als Laufsteg zu denkenden Verbindung zwischen den Domtürmen, bei denen es sich wahrscheinlich um die Westtürme handelt, die – von den Wormser Bürgern zu Zwecken der besseren Verteidigung ihrer Stadt angebracht – nun wieder abgebaut werden sollte205. Dies verweist darauf, dass neben dem originär gemeinschaftlichen und stadtgemeindlichen Aspekt der Glocken dem Dom selbst durch seine Türme als Mittel der städtischen Wehrorganisation wesentliche Verteidigungsfunktionen zukamen. Insgesamt wurden die Rechte des Klerus gestärkt bzw. im Ganzen bestätigt. Der Klerus kehrte im Sommer 1407 in die Stadt zurück. Für die Lösung aller offenen Fragen der Verfassung der Stadt und des Verhältnisses zur Geistlichkeit erwies sich das Geflecht der zwischenstädtischen Verbindungen und Kontakte der Städte Mainz, Speyer, Worms und Straßburg untereinander von großem Gewicht. Kürzlich wurde für dieses Netzwerk personeller und institutioneller Kontakte und Informationen von Michael Matheus der Begriff »Eidgenossenschaft«206 gewählt, was aus Wormser Sicht unbedingt zu unterstreichen ist. Die Teilhabe der Ratsherren an Streitschlichtungen, Verträgen und der Regelung fundamentaler politischer und Verfassungsfragen besitzt nach der Aussage von Wormser Quellen der Zeit um 1400 gleichsam »Verfassungsrang«.

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