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Die Konflikte um Einritt und Eidesleistung Bischof Johanns von Dalberg 1482/83

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Im Gegensatz zu den Familien seiner Vorgänger war die aus der bischöflichen Ministerialität stammende niederadlige Familie von Dalberg, seit dem 13. Jahrhundert mit dem Titel der bischöflichen Kämmerer von Worms versehen, eng mit der Stadt Worms und ihrem direkten Umland verwoben255. Die Familie schickte sich an, ihre kleine territoriale Herrschaft nördlich von Worms gezielt auszubauen, wovon die Grablege der Familie in der Herrnsheimer Pfarrkirche bis heute ein eindrucksvolles Zeugnis ablegt (Abb. 90 S. 763). Die erstaunliche akademische Karriere des sehr jung zum Bischofsamt gekommenen Johann von Dalberg und seine von Beginn an überaus engen Verbindungen zu dem auf die Wahl entscheidenden Einfluss nehmenden pfalzgräflichen Hof (ein Jahr vor der Bischofswahl wurde er Kanzler der Kurpfalz) heben sich von den konventionelleren Karrieren seiner beiden Vorgänger ab. Vor allem die fundierte Ausbildung auf dem Gebiet der Rechtswissenschaften und seine diesbezüglichen italienischen Erfahrungen markieren ein ganz neues Element der Qualifikation und begründeten ein überregionales Beziehungsnetz mit positiven Wirkungen auf den materiell nicht gerade üppigen Wormser Bischofshof als Mittelpunkt des schmalen Hochstifts. An Erfahrungen, Kontakten und Wissen stand Dalberg, seit 1472 durch Nomination Inhaber einer Domherrenstelle in Worms, später auch in Mainz und Trier, ab 1480 Dompropst und somit im Zentrum des politischen Geschehens in Bistum und Hochstift stehend, auf einem beachtlichen Niveau. Dazu gesellt sich die Verbindung zu den Pfalzgrafen, die Johann von Dalberg sicher nicht zu einem Handlanger, jedoch zu einem ganz entschiedenen Parteigänger des für Worms so bedrohlichen und wichtigen Nachbarterritoriums gemacht hat.

Werdegang und Horizont des aus Italien stammenden Dompropstes (nach 1482) und seit 1470 Stiftspropstes von St. Andreas Petrus Antonius de Clapis256 verdeutlichen dabei beispielhaft das personelle Umfeld und die Stützen der Herrschaft des Bischofs. Der in Worms bepfründete Geistliche und Frühhumanist wurde in vielfältigen Gesandtschaftsdiensten an die Kurie eingesetzt und hat zahlreiche diplomatische Missionen für den Heidelberger Hof durchgeführt, ein Zeichen für die intensive Nutzung Wormser geistlicher Ressourcen für Belange der Kurpfalz und die Tendenz zur sozialen Ablösung des Stiftsklerus von den Familien in Stadt und Region. Insgesamt bleibt das Bild des Domkapitels in den Konflikten der Jahre ab 1483 merkwürdig schemenhaft und wenig profiliert. Die seit dem 15. Jahrhundert sicher beim Domstift, in abgeschwächter Form auch bei den übrigen Stiftsgemeinschaften, verstärkte allgemeine Tendenz zur herkunftsmäßig-familiären Isolierung der Stifte darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es bis in diese Zeit hinein enge soziale Kontakte zwischen führenden stadtbürgerlichen Familien und Wormser Stiften gegeben hat. So wurden nach wie vor Stiftungen und Vermächtnisse für diese fixiert. Als Belege für diese Verflechtungen seien nur das testamentarische Vermächtnis eines Wormser Altbürgermeisters vom Februar 1483 zu Gunsten von St. Andreas und die Bestattung eines Altratsherrn in der zu St. Paulus gehörenden Pfarrkirche von St. Rupertus Anfang 1488 angeführt, denen gleichzeitige Bestattungen bei den dem Rat und den städtischen Familien an sich viel näher stehenden Dominikanern an die Seite zu stellen sind257.

Die ersten, ruhigen Monate nach der Wahl Dalbergs im Sommer 1482 endeten um die Mitte des folgenden Jahres. Informiert sind wir über die Geschehnisse in außergewöhnlichem, wenngleich tendenziösem Detailreichtum aus städtischen Quellen, die unmittelbar nach der Zuspitzung in der zweiten Hälfte 1483 abgefasst wurden. Die Berichte – mit zahlreichen wörtlichen Reden – verweisen in Stil und Aufmachung bereits auf die ab 1487 berichtenden offiziösen »Acta Wormatiensia«, auf die noch gesondert einzugehen ist258. Erkennbar werden ein zunächst reibungsloser Ablauf der später so umstrittenen städtischen Ämterbesetzung im Herbst 1482 durch einen vom Bischof beauftragten Domgeistlichen, eine Reihe bischöflicher Aufenthalte bereits vor dem ersten offiziellen Einritt sowie eine massive Einflussnahme kurpfälzischer Räte auf das Handeln des jungen Geistlichen. Den Anlass für den Ausbruch fundamentaler Konflikte gab dann die Diskussion um den Wortlaut der beim Einzug zu leistenden (gegenseitigen) Eide beider Seiten, wobei der von der Stadt vorgelegte Text von den pfalzgräflichen Räten abgelehnt wurde. Es ist kaum erkennbar, inwieweit hinter der Eidesverweigerung in erster Linie die Politik der Ratgeber aus Heidelberg oder das Anliegen des ehrgeizigen Geistlichen selbst gestanden hat, klare Grenzen zur Stadt und ihrem Rat mitsamt seinen gewachsenen Herrschaftsansprüchen zu ziehen. Der Streit, an dem der Einigungsversuch scheiterte, ging einerseits um die Worte unser fryenstatt, andererseits um die Aufnahme der Verpflichtung der Stadt in den Eid, Rechte und Freiheiten von Bischof und Stift zu schützen259.

Durch die Weigerung, dem Herkommen gemäß die rituellen Eidesleistungen und damit den durch Übereinkunft gestifteten öffentlich sichtbaren Herrschaftsantritt zu vollziehen, trat im Herbst 1483 eine geradezu anarchische Phase mit einem als bedrohlich empfundenen Ordnungsvakuum ein, in welches die Kurpfalz drohend eingriff und nahezu eine Fehde gegen die Stadt vom Zaun brach. Eine solche wäre weder politisch zu schultern noch ökonomisch durchzuhalten gewesen. Bereits hier – während der ersten Phase der Beziehungen beider Seiten – werden die Schwierigkeiten einer angemessenen Problemlösungsstrategie und die gegenseitige Blockade beider Seiten erkennbar. Schließlich wurde der vollzogene Einritt Johanns von Dalberg260 im September 1483 von dem Schwurzeremoniell abgetrennt, zu dessen Vorbereitung weitere Personenkreise und Städtevertreter in die Wormser Konflikte einbezogen wurden. Auf einem nach Speyer einberufenen Rechtstag im Oktober trafen dann die Parteien aufeinander. Die Ratsvertreter befanden sich dabei in einem doppelten Dilemma: Zum einen galt es, geforderte Eingriffe in die überkommene Verfassung – wie die wiederholt betonte Forderung nach einem eigenen Schwur der Gemeinde gegenüber Bischof und Geistlichkeit – abzuwehren, zum anderen musste man auf die Stimmungslage des gemeinen Mannes Rücksicht nehmen, bei dem ob der Länge der Verhandlungen und ihrer gleichzeitigen Erfolglosigkeit rasch Unwillen aufzukommen drohte.

In dieser Situation galt es, die Zünfte, durch die die Gemeinde organisiert wurde und damit kontrollierbar war, in die Verhandlungen einzubeziehen. Es gelang offenbar durch die Hineinnahme der Zunftmeister und weiterer Vertreter in die Gespräche und ihre Entsendung in die Bürgerschaft, eine uneingeschränkte Loyalitätsbekundung zu erlangen. Auf der Grundlage der so erweiterten Legitimationsbasis trat man umso geschlossener den auch anderweitig belegten Versuchen des Bischofs entgegen, die städtische Seite zu spalten. Die Aufweichung des nach außen einheitlich erscheinenden Ratshandelns wurde auch durch gezielte Einzelkontakte Johanns von Dalberg zu bestimmten Ratsmitgliedern versucht. Die Ratleute hielten jedoch augenscheinlich an Entscheidungen im Gremium fest. Auf dem Speyerer Rechtstag, auf dem die Stadt Worms Ratsfreunde aus Frankfurt, Straßburg, Speyer und Basel auf ihrer Seite hatte, ist erstmals ein Element erkennbar, das in der Folgezeit immer wichtiger wurde und das die Art der Konfliktaustragung zu verändern begonnen hatte: die erhebliche Rolle von Juristen und juristisch geschulten Vertretern beider Seiten und das Bemühen um schriftliche Absicherung der jeweiligen Rechtsposition durch Anfertigung von Abschriften wichtiger Dokumente261. Gewaltandrohungen schufen ein Klima der Angst.

Strittig waren neben den Eidestexten, deren höher als bisher eingeschätzte Bedeutung symptomatisch für die gewachsene Verrechtlichung des Zusammenlebens in der Stadt ist, und dem für den Rat außerordentlich gefahrvollen Gemeindeschwur die Verfügung über die vom Bischof beanspruchte jährliche Vergabe des Gerichtssiegels und damit die Legitimation der Gerichtsbarkeit in der Stadt sowie die Frage nach der Örtlichkeit der Ratsversammlungen. Es wurde der Vorwurf geheimer Beratungen in einer Trinkstube anstelle der vorgeschriebenen Beratung im Domumfeld und damit unter der Aufsicht und in der Rechtssphäre des Bischofs erhoben. Der Rat verwies in den Schwierigkeiten des Spätjahres 1483 auf seine rechtlichen Bindungen an das Reich und die entsprechenden Verpflichtungen gegenüber der Gemeinde und führte diese Umstände als Hinderungsgründe für jedwede Veränderung der hergebrachten Gewohnheiten ins Feld. Schließlich fand man – auch auf Betreiben der auf eine Einigung drängenden befreundeten Städte – zu einem für den Rat nicht unproblematischen Formelkompromiss, der die Ratswahl möglich machte. Entscheidend für die auf die Wahrung der Rechte des Hochstifts und des Klerus abzielende Politik Johanns von Dalberg und seinen gemeinsam mit dem Domkapitel errungenen Etappensieg war die Rückgriffsmöglichkeit auf die Macht der Kurpfalz. Diese nutzte die Schwäche der Stadt und den Zwang zum Kompromiss im Dezember 1483 zum Abschluss eines die Stadt knebelnden Schirmvertrags auf nicht weniger als 60 Jahre aus, der mit nicht geringen Geldzahlungen verbunden war, eine bereits seit langer Zeit geübte, nun aber verschärfte Praxis, mit der die Stadt zusätzlich in den Würgegriff genommen wurde262.

Im Vergleich zu den zuletzt um 1400 zugespitzten Konflikten zwischen Rat und Klerus spielte 1483 die Frage nach den geistlichen Sonderrechten in steuerlicher und anderer Hinsicht keine erkennbare Rolle, vielmehr waren es Formulierungsstreitigkeiten, in denen aber von den Akteuren genügend potenzieller Sprengstoff für das künftige Zusammenleben erkannt wurde, um nahezu bis zum Äußersten ausgefochten zu werden. Inwieweit die berichtete Einheitlichkeit der Ratspolitik der Wirklichkeit entsprochen hat, erscheint übrigens angesichts der Tatsache zumindest fraglich, dass für die folgenden Jahre Brüche und Fraktionen hier und dort deutlich erkennbar werden. Insgesamt dürfte der Rat jedoch nach innen gestärkt aus den Schwierigkeiten herausgekommen sein.

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