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Worms am Vorabend der reformatorischen Bewegung: Die Jahre 1500 bis 1519/21

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Nach dem Auszug des Klerus 1499 sollte es zehn Jahre dauern, bis die Geistlichkeit 1509 (nach einem vom Trierer Erzbischof und dem sächsischen Kurfürsten verhandelten Kompromiss bzw. einer ausführlichen vertraglichen Einigung) wieder in die Stadt zurückkehrte339. In diesem Zusammenhang musste die Geistlichkeit ihren Anspruch auf unbedingte Steuerfreiheit aufgeben340. Während dieser Jahre gelang dem Rat keine Einigung mit dem nach dem überraschenden Tod Bischof Johanns von Dalberg 1503 gewählten Nachfolger Bischof Reinhard von Rüppurr, da man auf städtischer Seite Reichsacht und Kirchenbann zu widerstehen vermochte; dem Bischof wurde der Einzug weitere zehn Jahre verweigert. Vergeblich versuchte er, auf den Reichstagen der folgenden Jahre auf seine Situation aufmerksam zu machen und für Abhilfe zu sorgen. Es gelang stattdessen dem Rat durch sehr geschicktes Taktieren und Nutzung der guten Beziehungen zum Reichsoberhaupt, ein noch weiter gesteigertes Maß an Unabhängigkeit von der bischöflichen Herrschaft zu erlangen341. Schon im Jahr 1505, als auch die Privilegien der Stadt durch den König ausdrücklich bestätigt worden waren und die Stadt gar das Münzrecht verliehen bekam, wurden neben der neuen Judenordnung (s.o.) weitere Neuerungen im Gerichtswesen in der Stadt in Kraft gesetzt. So wurde in diesem Jahr die Einsetzung eines rechtsgelehrten Schultheißen als Vorsitzender des Stadtgerichts vorgenommen342.

Wie zeitgleich auch in vielen anderen Städten, so kam es 1513/14 in Worms auf Grund sozialer Spannungen und einer akuten Finanznot zu innerstädtischen Unruhen, genauer einem vom Bischof mittels seiner Amtsträger in der Stadt gestützten, auch außerhalb der Stadt propagandistisch geschürten Aufstand gegen die Ratsoligarchie343. Über die Ereignisse sind wir unter anderem aus der Zornschen Chronik informiert. Es bildete sich eine Koalition von Vertretern der Handwerkerschaft und unteren Schichten gegen die etablierte Ordnung und die führenden Familien heraus. Ein Ausschuss der Zünfte sollte das Gebaren des Rates prüfen; es kam zu Unruhen, die Aufständischen bemächtigten sich der Ratsämter, nahmen die Rechnungsbücher an sich und entwarfen neue Eidesformeln. Der Rat begab sich nach Oppenheim in ein kurzzeitiges Exil und versuchte von dort aus, seine Herrschaft wiederherzustellen. Zunächst sah es Ende 1513 nach einem Vergleich aus, zumindest wurden die Aufrührer zunächst nicht bestraft. Das Fastnachtsspiel des Jahres 1514 gab dann das Signal zu einem offenen Aufruhr; Häuser und Besitz der Ratsmitglieder wurden unter der Führung von Jacob Wonsam gestürmt und geplündert; auch die Bettelordensklöster wurden wegen ihrer starken Affinität zu den führenden Familien in den Konflikt involviert. Allerdings konnte dieser Aufstand niedergeschlagen werden. Nach dem Eingreifen des königlichen Landvogts im Elsass, Jakob von Mörsberg, gelang im März 1514 die faktische Beendigung der Unruhen durch eine vertragliche Übereinkunft. Hierin wurde die Verfassung im Sinne der überkommenen Ratsoligarchie zum Teil neu geregelt. Die Zünfte, deren Urkunden verbrannt wurden, durften künftig keine Versammlungen mehr abhalten, fünf Aufständische wurden hingerichtet, etliche aus der Stadt verbannt. Die Konflikte, zu deren Ursachen auch diesmal als mangelhaft empfundene Betätigungsmöglichkeiten von »Aufsteigern« in Politik und Gesellschaft und ihrem Anspruch auf Teilhabe an der Macht zu rechnen sind, führte auch zu einer Solidarisierung des Reichsoberhauptes mit der Stadt und damit zur weiteren Stabilisierung der Verfassungsverhältnisse. Die Hoheitsgewalt des wieder installierten, in seinen umfassenden Rechten legitimierten Stadtrates wurde im Ergebnis bekräftigt.

Eine Folge des Aufstandes war die Fehde zwischen dem Reichsritter Franz von Sickingen und der Stadt. Dieser hatte einigen der Geächteten Zuflucht gewährt, Schuldforderungen eines betroffenen Wormser Bürgers aufgekauft und die Durchsetzung von Rechtsansprüchen zum Anlass für Verwüstungen, Raubzüge, die Lähmung des Handelsverkehrs und eine Belagerung der Stadt 1514/15 genommen344. So musste wegen der aufwändigen Auseinandersetzungen in den Jahren 1515 und 1516 die wichtige Pfingstmesse ausfallen. Die Stadt war den mit Hilfe von Söldnern durchgeführten Aktionen Sickingens hilflos ausgeliefert. Allerdings konnte eine Eroberung der Stadt durch deren entschlossenen Widerstand verhindert werden. Die Sickingensche Fehde konnte erst 1518 durch Vermittlung Kaiser Maximilians geschlichtet werden.

Immer noch stand zu dieser Zeit eine Regelung der seit fast 20 Jahren ungeklärten Verfassungsfragen zwischen Stadt und Bischof aus. Die Lage für die Stadt verschlechterte sich, als der Pfalzgraf Ludwig V. nach dem Tod des Herrschers (12.1.1519) zum Reichsverweser am Rhein ernannt wurde und sich die Stadt gezwungen sah, diesen um einen Vergleich im Kampf mit Reinhard von Rüppurr zu bitten. Es kam somit im Juni 1519 zu der durch pfälzische Beamte vorbereiteten, für die Stadt nachteiligen »Pfalzgrafenrachtung«345, die 1526 in der »Letzten Rachtung« noch einmal punktuell verändert wurde. Sie blieb die verfassungsrechtlich gültige Grundlage des Zusammenlebens von Stadt, Geistlichkeit und Bischof bis zum Ende des Alten Reiches. In der Rachtung von 1519 – die von Kaiser Karl V. 1521 ausdrücklich bestätigt wurde – stellte man Wahl, Einsetzung und Zusammensetzung des Rates auf eine neue Grundlage. Es wurde nun ein 36-köpfiger Rat aus je 18 Vertretern der Zünfte und der Geschlechter eingesetzt, von denen pro Jahr ein Drittel ausgewechselt werden musste. Dabei wurde ein komplizierter Wahlmodus festgelegt, um ein Machtgleichgewicht zwischen Bischof, Geschlechtern und Zünften zu bewahren. Ebenfalls in diesem Sinne geregelt wurde die Besetzung der städtischen Ämter und die Regelung der Fragen der Gerichtsbarkeit durch Rat und Gericht der Stadt sowie des Bischofs. Dieser hatte Worms als Reichsstadt anzuerkennen, im Gegenzug musste der Rat dem Bischof als seinem Herrn Treue schwören. Im Ergebnis der Auseinandersetzungen durften die Ratssitzungen mit Zustimmung des Bischofs im Bürgerhof gehalten werden; nur auf seinen Wunsch sollte sich der Rat im Bischofshof versammeln. Wenngleich die Wahlen der städtischen Funktionsträger – als letzter Rest der einstigen Bedeutung des Ortes – während der gesamten frühen Neuzeit nach wie vor vor der Bischofskirche abgehalten wurden (seit 1505 nach Dreikönig anstelle des Martinstages), so mussten die Bischöfe doch die endgültige Verlagerung wichtiger bürgerlicher Funktionen aus ihrem Einflussbereich hinnehmen346. Im Gefolge der Rachtung war 1522 mit dem später so genannten Dreizehnerrat ein neues, künftig maßgebendes Exekutivorgan des Rates eingesetzt worden347. Mit dem Vertrag von 1526 regelten die Beteiligten die Gerichtsbarkeit dann – unter formaler Berücksichtigung der überkommenen bischöflichen Reservatrechte – faktisch zum Vorteil der Stadt. Der Einfluss der Zünfte wurde dagegen zu Gunsten der traditionell führenden Familien verringert.

1520 war es auf der Grundlage des Vertrages zu einem Einzug Bischof Reinhards in seine Stadt gekommen; er nahm dabei den Treueeid der Bürgerschaft entgegen348. Die jahrelange Abwesenheit des Klerus und das erhebliche Desinteresse des abwesenden Bischofs hatten zu einer sehr negativen Entwicklung der seelsorglichen und insgesamt der kirchlichen Situation in der Stadt stark beigetragen. Die Verwaltung und Spendung der Sakramente wurden immer stärker politisch instrumentalisiert; das Ansehen des Stiftsklerus schwand stetig. 1521/22 verlängerte man zudem den traditionellen Schirmvertrag mit der Kurpfalz auf weitere 60 Jahre und schrieb damit deren Einfluss verstärkt fest. 1523 war der Bruder des Kurfürsten, Heinrich, zum Koadjutor Bischof Reinhards erhoben worden349, was einen Umschlag der politischen Gesamtlage zu Ungunsten der Stadt einleitete.

Einen letzten Höhepunkt des spätmittelalterlichen Glanzes und politischer Bedeutung erlebte Worms anlässlich des durch den neuen König Karl V. auf den Jahresbeginn anberaumten, am 27. Januar eröffneten Reichstages von 1521, dem durch den Auftritt Martin Luthers eine weit über den Tag hinaus bedeutsame Tragweite zukommt350. Dabei ist die Quellenlage aus Sicht der Stadt wesentlich ungünstiger als für die durch städtische Aufzeichnungen gut dokumentierten Ereignisse des Jahres 1495. Wiederum waren Quartierfragen zu lösen (was nur unzureichend gelang), die Lebensmittelpreise wurden festgesetzt (was eine Teuerung nicht zu verhindern vermochte), die Arbeitsfähigkeit des Reichstages musste gewährleistet werden. Während der insgesamt gut fünf Monate dauernden Beratungen hielten sich nach Schätzungen mindestens 10.000 Menschen in der Stadt auf, zeitweilig noch deutlich mehr. Die Verhandlungen fanden in den städtischen und bischöflichen Repräsentationsbauten statt. Besonderen Stellenwert erhielt die Reichsversammlung durch das Auftreten Martin Luthers vor dem Hintergrund der bereits virulenten evangelischen Bewegung in der Stadt351.

Im Verlauf eines dramatischen Konflikts mit den Bischöfen hatte es die Stadt Worms seit den 1480er Jahren vermocht, in enger Anlehnung an das Reich eine weitgehende Unabhängigkeit als Reichsstadt zu erringen und dabei die Rolle der Bischöfe stetig zu reduzieren. Mit den für ihre Verfassung bestimmenden Regelungen der Jahre 1519, 1522 und 1526 gelang es ungeachtet schwindender wirtschaftlicher Grundlagen, die Machtverhältnisse mit dem nach seinem Auszug in seinem Ansehen irreparabel geschwächten Stiftsklerus und den Bischöfen dauerhaft zu regeln. Der Beginn und rasche Durchbruch der reformatorischen Bewegung in den 1520er Jahren leiteten ein neues Kapitel der Wormser Stadtgeschichte ein, einen langsamen Prozess des Wandels. Dieser war seit ca. 1500 auf zahlreichen Gebieten der städtischen Gesellschaft und im Selbstverständnis des Rates und der in ihm führenden Familien vorgeprägt und seine Ursachen reichen sehr weit in das späte Mittelalter zurück.

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