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Aspekte des Stadt- und Bürgerrechts um 1300

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Einem Handschriftenfund der Zeit kurz nach 1900 in der Heidelberger Universitätsbibliothek verdankt die Wormser Stadtgeschichtsforschung wichtige Quellen zur Entwicklung des Stadtrechts, die 1915 von Kohler und Koehne veröffentlicht und ausgewertet wurden100. Im Folgenden sollen wichtige Aspekte des Stadt- und Bürgerrechts der Zeit um 1300 im Überblick vorgestellt werden. Die Handschrift enthält zum einen Artikel eines aus dem 13. Jahrhundert stammenden Rechtsbuches (18 Artikel) und zum anderen eine zweiteilige Sammlung von zwischen 1300 und 1303 zusammengestellten Ratsverordnungen, die inhaltlich offenbar zum Teil älteren, zum Teil jüngeren Datums sind (84 und 95 Artikel). Die erhaltenen volkssprachlichen Texte umfassen Regelungen zu den Gebieten Zivilrecht (eheliches Güter- und Erbrecht, Familienrecht), Straf- und Strafprozessrecht. Hinzu kommen Regelungen des Verwaltungsrechts der Stadt. Recht genauen Einblick erhalten wir in das Verfahren der Bürgeraufnahme bei Christen und Juden101. Im Gegensatz zu dem bereits um 1230 erkennbaren Speyerer Stadtrecht war das von Worms niemals Gegenstand einer Verleihung an andere Siedlungen oder Orte102. Die Aufnahme Auswärtiger in das Wormser Bürgerrecht geschah im Rahmen einer Rechtshandlung vor dem Rat unter Eidschwur und unter bestimmten Voraussetzungen (Leistungen in Geld und Naturalien, persönliche Freiheit, Verfügung über Grund- und Hausbesitz, keine Verwicklung in eine Fehde, Treueschwur, ein Jahr unangefochtenes Leben in der Stadt). Verschiedene Bevölkerungsgruppen, unter ihnen Spielleute, verfügten über mindere Rechte. Rechtlose Personen waren weiteren Beschränkungen unterworfen.

Aufschlussreich sind die Quellen auch für die Rechtsstellung und die Bürgeraufnahme der Juden. Für die Frage nach dem Zusammenleben von Christen und Juden in der Stadt wurde der Text schon 1934 von Guido Kisch als »bedeutsames Dokument von außerordentlicher rechts-, sozial- und kulturgeschichtlicher Wichtigkeit« eingeordnet und dezidiert hinsichtlich einer Gleichstellung von Christen und Juden interpretiert103. Ähnlich wie in Speyer bestand nach einer Ratsverordnung aus der Zeit unmittelbar nach 1300 in Worms ein dem christlichen Bürgerstatus sehr weit angenäherter Rechtszustand der Juden mit einem nahezu deckungsgleichen Katalog von Rechten und Pflichten. Analog zum Rat als Vorprüfungsinstanz der christlichen Bürgeraufnahme fungierten in Worms als entscheidendes Gremium der Judenbischof und der Judenrat. Es konnte nur derjenige Jude das Bürgerrecht erlangen, den diese zuvor in die jüdische Gemeinde aufgenommen, »nach ihren Sitten zu einem Bürger empfangen« hatten. Diese Aufnahme zog dann die Pflicht zur Gewährung des Bürgerrechts auch durch die Stadt nach sich. Dabei war bei Christen und Juden neben dem Rat auch der Bischof als Instanz von Bedeutung, vor dem der notwendige Bürgereid abzulegen war. Er forderte Treue und Gehorsam gegenüber dem bischof, dem rade und der stat gemeynlichen. Auch die Einstandsabgabe entspricht dem, was von den Christen verlangt wurde. Zur Aufnahme von Juden waren Worms und Speyer unter anderem im Jahr 1315 von Seiten des Reiches ausdrücklich ermächtigt worden104. Der hier skizzierte städtische Rechtstext lässt gemeinsam mit Bestimmungen der Jahre 1312 und 1315 (s.u.) eine für die Juden insgesamt günstige formalrechtliche und gemeindliche Situation während der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts ebenso erkennen wie ein hohes Maß an Kontinuität aus der Zeit des hohen Mittelalters, in der die jüdische Gemeindeorganisation der christlichen Stadtgemeinde im Grunde noch vorausging. In der Rechtspraxis wurden den Juden im gesamten 13. Jahrhundert immer wieder erhebliche Geldzahlungen für die Mauerunterhaltung sowie zur Bekräftigung ihres von Bischof und Rat garantierten Rechtstatus abverlangt. Insgesamt kann ihr rechtlicher Status für die Zeit bis um 1300 dennoch als relativ gut angesehen werden. Zu den in der Stadt bevorrechteten Gruppierungen gehörten neben den bischöflichen Ministerialen die Angehörigen der Münzerhausgenossenschaft und (wohl bis in das 14./15. Jahrhundert) die Gemeinschaft der Wildwerker, das heißt der ursprünglich in einem Dienstverhältnis zum Bischof stehenden Kürschner105.

Die Bestimmungen der normativen Quellen des 13. Jahrhunderts geben Einblicke in die Tätigkeit des Stadtgerichts (zuständig für vermögensrechtliche und bürgerliche Rechtsfragen sowie die Straf- und die freiwillige Gerichtsbarkeit) und der Rechtsprechungspraxis des Rates in seiner Eigenschaft als Gerichtshof und Instanz für Militär-, Finanz- und innere Verwaltung. Das Stadtgericht bestand aus dem Schultheißen (einer finanziell stark belasteten Position), dem Greven (Burggraf), zwei Amtleuten und den Schöffen; diese Funktionsträger wurden am 11. November jeden Jahres eingesetzt, nach den Bestimmungen der Rachtung durch Bischof und Rat gemeinsam, in der Praxis bald allein vom Rat, der seinerseits als Rechtsorgan tätig war. Gerichtsort war – wie im Prinzip auch für die Ratssitzungen – der Bischofshof106. Wenig bekannt ist über die Kompetenzen der ab 1220 nachweisbaren Bürgermeister, von denen es nach 1233 theoretisch zwei geben sollte. Seit dem Ende des 13. Jahrhunderts war allerdings die ritterliche Bürgermeisterstelle nicht mehr besetzt worden; erst ab der Mitte des 14. Jahrhundert amtierten wieder zwei107. Neben einigen weltlichen Spezialgerichten bestand als wichtiger Zweig die mit der weltlichen vielfach konkurrierende geistliche Gerichtsbarkeit108. Das komplexe Gerichtswesen zeigt mithin das auch in anderen Bereichen starke Spannungsfeld zwischen weltlichem und geistlichem Sektor.

Geschichte der Stadt Worms

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