Читать книгу Geschichte der Stadt Worms - Группа авторов - Страница 89

Stadtherrschaft und Stadtverfassung während der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts

Оглавление

Nach dem faktischen Ende der Wirksamkeit des Rheinischen Bundes im Vorfeld der Königswahl von 1257 setzte sich für die Stadt und das mit ihr eng verflochtene Umland eine bis in die Mitte der 1260er Jahre andauernde Phase extremer Fried- und Rechtlosigkeit fort, wovon die zeitgenössischen erzählenden Quellen, darunter vor allem diejenigen Wormser Provenienz, eindrucksvoll berichten. Die Übergriffe auf die Landwirtschaft und die Handelswege des Umlandes, Fehden und eine ständige Bedrohung der öffentlichen Sicherheit, die zur tödlichen Gefahr für die wirtschaftliche Existenzgrundlage der städtischen Ökonomie zu werden drohten, ließen nach Auskunft der Quellen gerade in diesem Zeitraum kaum nach, wobei auch das von den Wormsern 1264 total geplünderte und niedergebrannte Pfeddersheim nicht von den Auseinandersetzungen verschont blieb. Der gleichzeitige »Kampf um die Stadtherrschaft« spielte sich währenddessen – nach dem faktischen Wegfall der Königsmacht – zwischen dem Bischof (von 1257 bis 1277 Eberhard Raugraf62), dem sich immer schärfer profilierenden Klerus und der Bürgerschaft bzw. dem Rat ab, deren Handeln nun auch nicht mehr einheitlich oder unumstritten war.63 Die in Fehden und Kriegszügen sich manifestierende Auseinandersetzung der insgesamt recht schwachen Bischöfe und der Bürgerschaft mit äußeren Gegnern, vor allem dem regionalen Niederadel, vermengte sich dabei in den Jahren 1257/58 mit der Frage der Anerkennung des Reichsoberhauptes. Auf Alfons von Kastilien hatte sich die Stadt zunächst gestützt, bevor im Juli 1258 Richard von Cornwall in die Stadt einziehen und Worms auf seine Seite ziehen konnte. Die Stadt stellte sich im Verlauf mancher Konflikte mit den Nachbargewalten auch auf die Seite ihres Bischofs und betrieb eine aktive Politik zur Sicherung bzw. Wiederherstellung des Landfriedens, etwa als man 1260 gewaltsam gegen das »Räubernest« Alzey vorging, das als Stützpunkt der allmählich in der Region stärker Fuß fassenden Pfalzgrafen bei Rhein der Stadt immer gefährlicher wurde. In diesem Zusammenhang wird auch ein Fahnenwagen der Stadt erwähnt, den die Bürger als Zeichen und Symbol ihrer wehrhaften Gemeinschaft mit sich führten, wie dies in einer Reihe nordalpiner Städte nach italienischem Vorbild bezeugt ist64. Die Pfalzgrafschaft war von nun an ein immer stärkerer Gegner der Position des Bischofs und dabei zugleich Lehensherr Wormser ritterlicher Familien. Im Jahr 1262 gelang es, einen lange schwelenden Streit der Grafen von Zweibrücken um deren aus dem Burggrafenamt herrührende stadtherrliche Rechte im Wege gütlicher Vereinbarung zu regeln65 und gleichzeitig den Grafen Emicho von Leiningen gegen eine Geldzahlung als Schutzherrn (adiutor, tutor) der Stadt und ihrer Bürger zu gewinnen66. Die zugespitzte Lage hatte inzwischen auf eine im Juni 1259 erfolgte Erneuerung der städtebündischen Vereinigung mit Mainz und Oppenheim gedrängt, in der die Sicherung des Landfriedens und die Aufstellung gemeinsamer Streitkräfte vereinbart wurde67.

Zu den Konflikten im Umland, die die zu Lande und auf dem Flussweg68 aktiven Wormser militärischen Verbände nach den aus städtischer Sicht berichtenden chronikalischen Berichten in einem Raum zwischen der Bergstraße (Schriesheim, Starkenburg), der Region um Frankfurt und dem Mittelrhein (Burg Rheinfels), Rheinhessen (Alzey, Nieder-Olm, Pfeddersheim) sowie im Süden bis in das Elsass (Selz) aktiv werden ließen, traten dann ab 1258 verschärfend noch innere Spannungen zwischen der städtischen Bürgerschaft und dem Klerus. Streit entzündete sich zunächst mit dem stärker auf der Einhaltung seiner kirchenrechtlich sanktionierten Sonderstellung beharrenden Klerus über die Frage der Ungelderhebung. Die Forderung der Stadt nach der auch vom Klerus zu entrichtenden, vor allem für die Finanzierung bzw. den Unterhalt der städtischen Verteidigungsinfrastruktur notwendigen indirekten Nahrungsmittelsteuer wurde von der Geistlichkeit zurückgewiesen. Sie begann 1258 damit, ein Verfahren vor dem geistlichen Gericht in Mainz anzustrengen. Die Stadt jedoch, welche nach einem verheerenden Stadtbrand im Mai 1259 mehr denn je auf die Verfügung über finanzielle Mittel angewiesen war (wobei die Juden durch Sondersteuern besonders stark belastet wurden), konnte im selben Jahr durch zwei päpstliche Privilegien von 1259/60 ihre Rechtsposition festigen. Der Druck der Stadt auf die Stifte führte im Juni 1260 – ungeachtet enger personeller Verflechtungen mit Angehörigen der städtischen Führungsgruppe sowie Schenkungen und Stiftungen aus Kreisen von Bürgern und Rittern – zu einem ersten vertraglichen Zusammenschluss der nun stärker in die Defensive geratenden Klerikergemeinschaften, an deren Spitze sich das Domkapitel stellte. Ziel war die Abwehr der Schmälerung geistlicher Rechte und Freiheiten. Auf Dauer gelang es den geistlichen Einrichtungen kaum, dem Druck der Stadt standzuhalten, zumal auch die Bischöfe in diesem von nun an die Stadtgeschichte dauerhaft begleitenden, im Prinzip unlösbaren Konflikt nicht selten eine eher vermittelnde Rolle einnahmen69. Das gemeinsame Auftreten der Stifte darf über das bislang kaum näher untersuchte und von Stift zu Stift sicher ganz unterschiedliche, kontinuierlich fortbestehende Geflecht an Beziehungen in die Bürgerschaft und die städtische Führungsgruppe nicht hinwegtäuschen, wie es gerade Testamente und Stiftungen der Jahre des Konflikts etwa für das Andreas- und das Martinsstift bezeugen70. Einen Fortschritt der städtischen Bemühungen um Einflussnahme im Bereich der karitativen Institutionen markiert die 1261 erfolgende Erwähnung eines städtischen Pflegers (procurator) für das hier erstmals genannte Neue Hospital der Stadt vor den südlichen Stadtmauern71. Bemerkenswert sind gerade für die Ereignisse um die Frage der Besteuerung und des Ungeldes die fast zeitgleichen Parallelen mit der Situation in der Schwesterstadt Speyer72.

Bereits kurze Zeit später, Mitte 1264, berichten die Quellen dann auch von Spannungen um die ungeliebte Ungelderhebung beim gemein mann bzw. innerhalb der Bürgerschaft, da die Einnahmen für eigennützige Zwecke entfremdet worden seien. Es handelt sich dabei um eine verhältnismäßig frühe derartige Unmutsäußerung73. Jüngere und mächtige Kräfte, so heißt es in einer Quelle, wiegelten die Gemeinde, also die breite städtische Bevölkerung bzw. deren Wortführer, wegen der Frage der angeblich eigenmächtigen Mittelverwendung gegen die Führungsschicht auf (de civibus … iuvenes et potiores conspiraverunt). Durch »viele falsche Behauptungen« hätten die Verschworenen das Volk angezogen, berichtet das der bischöflichen Seite nahe stehende »Chronicon Wormatiense«. Der hier erstmals fassbaren innerstädtischen Opposition gelangen offenbar einige Erfolge im Kampf gegen die Politik des Rates, der Tendenzen zum sozialen Abschluss gegenüber nachwachsenden Kräften zeigte. Nach außen traten in den von der Stadt ausgestellten Urkunden zwischen ca. 1240 und 1300 stets »Ratleute und Bürger« hervor (consules et universi cives). Streit war entstanden um den Bau einer von Bischof und Ratsherren errichteten bzw. genehmigten städtischen Befestigung im Bereich des suburbanen Frauenklosters Nonnenmünster, gegen die sich die Wut der Opposition wandte und die zerstört wurde. Als Träger der auch gegen den bischöflichen Stadtherrn gerichteten Bewegung werden 1264 die fraternitates civium, die offenbar trotz des Verbots von 1233 nicht wirklich verschwundenen, im Wesentlichen wohl zunftartigen Vereinigungen von Bürgern genannt. Durch die Verhängung des Interdikts zwang Bischof Eberhard – im Schulterschluss mit dem Rat – die Aufständischen mittels kirchlicher Strafen zum Nachgeben bzw. unterstützte die Wiederherstellung der Ordnung. Laut einer im November 1264 getroffenen, unter Vermittlung der den städtischen Kräften besonders nahe stehenden Bettelordensklöster zu Stande gekommenen Vereinbarung mussten die Bruderschaften aufgelöst werden. Damit saß die überkommene Ratsobrigkeit – soweit wir dies beurteilen können – wieder fester im Sattel. Konflikte dieser Art, die sich vor allem an Fragen der Verwendung der Finanzen und der Mitbestimmung über den Haushalt der Stadt mit oppositionellen Gruppen entzündeten, gehören von nun an ebenfalls zum immer wiederkehrenden Bild der städtischen Verfassung und des Kampfes um Anteile an der Herrschaft innerhalb der bzw. um die Stadt. Fast zeitgleich – 1265 – beobachten wir auch in Speyer einen Aufstand bzw. schwere Kämpfe um die Stadtherrschaft74.

Dass der Rat und die in ihm führenden Familien selbstbewusst aus dem Geschehen hervorgegangen sind, zeigt sich an dem dann 1265/66 wiederum mit dem Bischof ausgetragenen Konflikt um das »steinerne Haus« der Kommune an der Hagenstraße im Bereich des heutigen alten Rathauses. 1265 begannen die Bürger laut Bischofschronik damit, ein Häuschen in ihrem Hof in der Hagengasse, das sie seit 42 Jahren – demnach bereits seit dem Jahre 1223 – zur Verwahrung ihrer Waffen besessen hätten, auszubauen, was zur Beunruhigung von Bischof und Klerus geführt hat. Es wurde nämlich befürchtet, es könnte ein Gebäude entstehen, in dem die Bürger sich zu Beratungen versammeln würden (ubi cives possent ad consilia convenire). Dieses Häuschen stand auf dem 1232 (s.o.) durch Friedrich II. der Wormser Kirche zugesprochenen Grundstück, auf dem sich zuvor das kurzzeitige Rathaus der Stadt befunden hatte. Der Bischof musste dies als Versuch zur Schmälerung seiner stadtherrlichen Rolle werten, da er eine Verlagerung des Ortes der Ratssitzungen aus seinem Hoheitsbereich befürchtete und entsprechend gegen das Vorhaben vorging. Schließlich kam es, bevor der Konflikt fast bis zum Auszug der Geistlichkeit eskalierte, im Juli 1266 zu einer vertraglichen Vereinbarung, in der der Bischof den Besitzanspruch auf das Gelände fallen ließ und das inzwischen errichtete Steinhaus gegen eine Zinszahlung bei der Stadt blieb. Dabei wurde festgelegt, dass das von der Hagenstraße zur Nazariuskapelle sich erstreckende Grundstück von einem »öffentlichen Weg« durchzogen werden sollte, an den die Stadt Häuser zu Erbzins bauen durfte. Als Zweck war die Lagerung von Kriegsgerät fixiert worden, sodass die domus lapidea, das Steinhaus, nur als Zeughaus fungierte75. Ein Rathaus (curia civium) ist dann wieder 1284 in einem Anrainerbeleg bezeugt76, ohne dass wir etwas über seine Errichtung und Funktionen erfahren. Um diese Zeit verschärfte das Domkapitel seine Auseinandersetzungen mit dem Rat, die sich unter anderem um die Regelung des Asylrechts für den Immunitätsbezirk der Stifte und den Dombezirk drehte. Ihren Höhepunkt fanden die Konflikte in den Jahren 1266/70.

Die Stadt bemühte sich zur gleichen Zeit um die Absicherung des Landfriedens, dem auch ein Hoftag König Richards von Cornwall 1269 in Worms diente77. Die Königswahl Rudolfs von Habsburg 1271 hatte die Stellung des Herrschers sowie des Königtums insgesamt gestärkt. Ende 1273 huldigte die Bürgerschaft dem neuen Reichsoberhaupt in einer feierlichen Zeremonie unter Glockengeläut vor dem Dom78. Rudolf bestätigte zugleich die Rechte und Freiheiten der Stadt und ihrer Bürger.

Nach dem Tod Bischof Eberhards 1277 folgte auf ihn sein Bruder Dompropst Friedrich Raugraf (bis 1283)79. Seine Amtszeit war mitgeprägt durch eine sich immer stärker zuspitzende finanzielle Krise der Wormser Domkirche, der man unter anderem durch den vermehrten Rentenkauf bei Angehörigen der städtischen Oberschicht zu begegnen suchte. Zudem kam es wieder zu einer Zusatzbesteuerung der Juden. Zu den ersten Amtshandlungen des Bischofs gehörte die erneute Bewilligung des städtischen Ungeldes Anfang 1278. Zur Erhebung der Verbrauchssteuern wurden Hohlmaße eingesetzt; das Ölmaß der Stadt aus demselben Jahr, hergestellt von dem aus Worms stammenden Meister Eckehard, hat sich im Museum der Stadt erhalten80. Das Gefäß (Abb. 17) ist mit einer Inschrift versehen und trägt als Zeichen einen geflügelten Drachen. Dieses Symbol verweist ebenso auf das Wappen des auf dem Bronzegefäß genannten Bürgermeisters Werner Amella wie auf die Gemeinschaft der Wormser Münzer und Geldwechsler (Münzerhausgenossen) insgesamt, die als Amtsträger des Bischofs auch die Hoheit über die Eichangelegenheiten verwalteten.


Abb. 17: Ölmaß der Stadt Worms, 1278 (Museum der Stadt Worms)

Gegen Ende der kurzen Amtszeit des Oberhirten, ab etwa 1281, verschärften sich die Konflikte zwischen Klerus und Stadtbürgern aufs Neue. In diesem Jahr beschloss das Domkapitel, künftig keine Angehörigen von bürgerlichen Familien mehr in seine Reihen aufzunehmen, was bis dahin offenbar geschehen war und aus der Sicht der Kanoniker gleichsam die Gefahr der Unterwanderung der Gemeinschaft und der gezielten Besetzung kirchlicher Pfründen verschärft hatte. Das Kapitel setzte damit ein äußeres Zeichen für eine zunehmende soziale Abgrenzung zu Gunsten vor allem adliger Familien, während in der Stadt und ihrem direkten Umfeld gleichzeitig die Zahl der Neugründungen geistlicher Einrichtungen und Gemeinschaften – auch und gerade für Frauen – in den Jahren zwischen ca. 1278 und 1300 einem später nicht mehr erreichten Höhepunkt zustrebte81. Kurz darauf zog die auf den Tod von Bischof Friedrich folgende Vakanz 1283 einen Versuch des Rates nach sich, seine verfassungsrechtliche Lage und seine Handlungsspielräume im Gefüge der Stadtherrschaft zu verbessern. Eine städtische Klageschrift82 nennt die entscheidenden Streitpunkte und verweist auf die umstrittene Frage der Münzprägung bzw. -hoheit, die zweifelhafte Inhaftierung zweier Ministerialer, die Erhebung von Ungeld beim Klerus und das angestrebte Verbot der Getreideausfuhr durch geistliche Institutionen. Bereits seit einiger Zeit gibt es nun Indizien für Uneinigkeit an der Stadtspitze. Die seit der Rachtung von 1233 vorgeschriebenen sechs ritterlichen Angehörigen des Gremiums traten seit der Mitte des 13. Jahrhunderts in einen zunehmenden Gegensatz zu den neun bürgerlichen Funktionsträgern, da sich ihre herrschaftlich-wirtschaftlichen Interessen, ihr Tätigkeitsschwerpunkt und ihre soziale Verortung in einem starken Wandel befanden, der zu einem Abdriften aus der stadtbürgerlichen Front führte83. Wie dramatisch diese Entwicklung sein konnte, zeigt die Nachricht in den Wormser Annalen, die Ritter hätten sich 1272 geweigert, eine Abgabe zur Wiederherstellung der fast ruinösen Stadtmauer zu leisten84.

In der Situation des Jahres 1283 und damit am Vorabend der Einsetzung eines neuen Bischofs kam es offenkundig zu einer Spaltung des Rates. Die neun bürgerlichen Ratsherren verbanden sich im Juni 1283 eidlich untereinander und vereinbarten, nur einem Bischof den Treueeid zu leisten, der einen Katalog klarer Forderungen erfüllen würde. Die ritterlichen Ratleute, einem künftigen Bischof auch als Lehensnehmer näher stehend, schreckten vor dieser Konsequenz zurück85. Der neue Bischof Simon von Schöneck (1283–1291) sah sich nach seiner Wahl gezwungen, den Forderungen nachzukommen86; dazu gehörte sogar die Zusage, der Stadt gegen mögliche Klagen des Domkapitels Beistand zu gewähren. Für die folgenden Jahre um 1285 lässt sich – bei aller Quellenarmut zur inneren Stadtentwicklung – eine wachsende Opposition der allmählich als handelnde Verbände erkennbaren Zünfte gegen die etablierte Ratsherrschaft erkennen. Der Wortlaut einer im Juni 1287 erlassenen Satzung von Bischof und Rat, in der versucht wurde, dem inneren Unfrieden und seinen Begleiterscheinungen ein Ende zu bereiten, lässt das Ausmaß der inneren Konflikte und die Existenz von unterschiedlichen Parteiungen erahnen87. Die Rede ist hier vom Waffentragen, von Unruhestiftung, von Zusammenrottungen, aufrührerischen Versammlungen und ähnlichen Friedensstörungen innerhalb des Burgfriedens der Stadt. Die Rolle des Rates in der Friedensgerichtsbarkeit wird ausdrücklich genannt. Bereits zwei Jahre zuvor war der rechtliche Handlungsrahmen des Rates bzw. dessen Gerichtsbarkeit durch ein Privileg König Rudolfs von Habsburg weiter ausgedehnt worden88.

Der Tod Bischof Simons im Oktober 1291, der mit dem Rat in recht gutem Einvernehmen gestanden zu haben scheint, zog mit der Ablehnung des Nachfolgekandidaten Eberhard von Strahlenberg durch den Rat der Stadt89 eine erneute Belastungsprobe nach sich. Die Stadt ging zur Bekräftigung ihres selbstbewussten Auftretens im August 1293 ein Bündnis mit den Städten Mainz und Speyer ein. Der Vertrag ist ein für die weiteren zwischenstädtischen Beziehungen grundlegendes Dokument, auch sprachgeschichtlich von Belang und fixierte modellhaft künftig immer wieder aufgegriffene Regelungen für den Bündnisfall und hinsichtlich des Verhaltens bei einer Königswahl90. Einen Tag vor dem Wahltermin für die städtischen Amtsträger, am 10.11.1293, kam es dann doch noch zu einer Einigung über die Modalitäten des Einzugs und des Herrschaftsantritts Eberhards. Die urkundliche Bestätigung dem Bischof vorgelegter Artikel über Rechte und Privilegien der Stadt (Zweite Rachtung) vom selben Tag markiert einen erneuten, auf der Rachtung von 1233 beruhenden Kompromiss beider Seiten91. Die Regelungen betreffen unter anderem Fragen der Festlegung und Erhebung des Ungeldes, die ungeschmälerte Ausübung der Friedensgerichtsbarkeit des Rates und die uneingeschränkte Kompetenz auf dem Gebiet der Aufnahme von Bürgern (auch Juden) durch die Stadt. Der Text entspricht weitgehend dem im August 1283 von seinem Vorgänger besiegelten Rechtsstand. Bischof Eberhard ernannte die neuen Ratsmitglieder, die sich nun zu dem notwendigen und der Verfassung entsprechenden Treueeid gegenüber ihrem Herrn entschließen konnten. In den Jahren des Pontifikats von Eberhards Nachfolger Raugraf Emicho (Dezember 1293 – Juli 1299) bestand offenkundig ein sehr einvernehmliches Verhältnis mit der Stadt, wobei der Bischof anscheinend die wachsenden sozialen Spannungen zwischen den Ratsfamilien und Kräften zünftischer Familien auszunutzen verstand. Die Stadt war inzwischen auch in den Thronstreit zwischen König Adolf von Nassau und Albrecht von Habsburg hineingezogen worden und erlangte – wie auch Speyer – Anfang 1299 durch Albrecht eine Bestätigung ihrer Privilegien und Freiheiten92.

Unter dem wiederum nur kurzzeitig amtierenden Bischof Eberwin von Kronberg (1299–1303), der die bischöflichen Rechtspositionen verschärft betonte, verschlechterten sich die Beziehungen zum Rat in der Folge wiederum sehr heftig. Zugute kam Eberwin, der die Stadt mit dem Interdikt belegte und in dessen Amtszeit sich auch erhebliche Gegensätze innerhalb des Stiftsklerus zeigten, die starke Zunahme von Spannungen zwischen dem Rat bzw. den in ihm dominierenden Familien zum einen und zünftischen Kräften innerhalb der Bürgerschaft zum anderen, die sich wiederum an Fragen der Erhebung und Verwendung des Ungeldes entzündeten. Die politischen und sozialen Verwerfungen, die sich durch die Folgen des Stadtbrandes im Jahr 1298 nochmals dramatisch zuspitzten, wurden durch die Regelungen in der so genannten Dritten Rachtung vom 11. September 1300 vorläufig beigelegt93.

Unter ausdrücklicher Betonung der bischöflichen Position wurden – durch Vermittlung des Bischofs und von ihm, dem Domkapitel und der Stadt besiegelt – in der deutschsprachigen Urkunde erstmals Vertreter der Gemeinde, das heißt faktisch der Zünfte, an der Bestellung des für die Steuererhebung maßgeblichen Ausschusses beteiligt. Darüber hinaus sollten die Abgesandten der in die städtische Herrschaftsordnung einbezogenen Kräfte auch bei Beratungen über kriegerische Unternehmungen und städtische Bündnisse sowie den Abschluss von Edelbürgerverträgen beteiligt werden und ein Zustimmungsrecht besitzen. Mit letztgenannten Abmachungen wurden bestimmte Niederadlige in das Stadtrecht aufgenommen und das gegenseitige Verhältnis beider Seiten schriftlich fixiert. Das neue Gremium, die so genannten »Sechzehner«, erhielt einen der vier Schlüssel für die zur Aufbewahrung des Stadtsiegels dienende Truhe, städtische Urkunden durften nur noch mit ihrer Zustimmung besiegelt werden. Sechzehnern und Gemeinde wurde das Versammlungsrecht – friedlich und ohne Waffen – ausdrücklich eingeräumt. Die Sechzehner rekrutierten sich aus den vier innerstädtischen Kirchspielen und wurden am Martinstag von Bischof und Rat auf Vorschlag der Gemeindevertreter ernannt. Aus zwei Sechzehnern und vier Ratsmitgliedern wurde eine Kommission für die laufende Verwaltung des Ungeldes gebildet, welche dem Rat einmal im Vierteljahr Rechenschaft abzulegen hatte. Die Sechzehn, deren Besetzung, Kompetenzen und Amtszeit sehr detailliert geregelt wurden, sollten auch an den Ratssitzungen teilnehmen dürfen. Keinen Anteil hatten sie an der Strafgerichtsbarkeit und der Verwaltung der freiwilligen Gerichtsbarkeit des Rates. De facto wurden die Sechzehner allerdings bald bei sämtlichen Angelegenheiten zugezogen; auch in ihrem Namen wurden fortan die städtischen Urkunden ausgestellt. Diese Tendenz sorgte für einen langfristig wirksamen Interessenausgleich, wie er in dieser Form in benachbarten Kathedralstädten nur von geringerer Gültigkeit und kürzerer Dauerhaftigkeit blieb.

Mit den Bestimmungen dieser Urkunde, deren Hintergrund die dramatische Zuspitzung der Verschuldung war und mit der auch der Bischof seinen Einfluss auf die städtische Politik zu stärken vermochte (zumal er an der Besetzung der Sechzehner und der Festlegung des Ungeldes Anteil hatte), kommt eine seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts auch in anderen Bischofsstädten zu beobachtende Verschiebung der stadtherrschaftlichen Gewichte zu Ungunsten der alten, den Rat dominierenden Familien der städtischen Führungsgruppe zu einem vorläufigen Abschluss, eine Bewegung, in deren Verlauf neue, von den Zünften getragene Kräfte Anteil am Stadtregiment erlangen. Im Gegensatz zu den Nachbarstädten Mainz und Speyer, in denen sich diese Konflikte etwas später gewalttätig entladen haben, gelang in Worms nach dem Eindruck der erhaltenen Quellenzeugnisse eine recht einvernehmliche Lösung der Probleme.

Von nun an tritt das Gremium der Sechzehner als Organ zur Vertretung zünftisch-gemeindlicher Interessen hervor und ist fester Bestandteil der Stadtspitze. Leider sind unsere Kenntnisse über die Entwicklung des zünftischen Lebens und die Zusammensetzung des neuen Gremiums nur gering. Immerhin hatte Bischof Emicho im April 1299 den Schuhmachern zu Worms (unsere lieben burgere die schumacher zu Worms) eine Marktordnung erteilt94, die erste Quelle über das Vorhandensein gewerblicher Vereinigungen seit ihrem Verbot 1233. Damit wird die ausdrückliche Existenz einer solchen zunächst gewerblichen, aber bereits politisch gewichtigen Korporation ebenso bezeugt wie die lebendige Tradition der Beziehungen der Gewerbevertreter zum Bischof, der auf die von den Verkaufsständen der Schuster an ihn zu entrichtenden Zinse verweist und damit die fortbestehenden Interessen der Bischöfe am nur bruchstückhaft erkennbaren gewerblichen Leben der Stadt aufmerksam macht. Bereits für die Zeit um 1260 ist die Existenz einer zunftartigen Gemeinschaft (societas) der Müller bzw. Mühlenbetreiber der Stadt unter der Leitung eines magister nachzuweisen, die in einer engen Bindung an das Paulusstift standen95.

Dass sich die inneren Verhältnisse nach 1300 trotz des Ausgleichs in der Verfassung keineswegs beruhigt haben, belegen Nachrichten über innerstädtische Auseinandersetzungen bzw. innere Unruhen in den Jahren 1302/04, wie sie auch in einer Reihe anderer Städte, darunter fast zeitgleich im benachbarten Speyer zu beobachten sind96. Es kam zu einer Fehde zwischen dem Rat und der ritterbürgerlichen Familie des reichen Bürgers und Ratsmitglieds Johann (von) Holderbaum, der in Lehensbeziehungen zu den Pfalzgrafen getreten war. Dieser wurde aus der Stadt verbannt; es ist ihm allerdings gegen den Willen von Bischof und Rat die Rückkehr nach Worms gelungen. Die benachbarten Städte Mainz und Speyer traten in dem Konflikt als Vermittler auf. Ihre Ratleute handelten auch den Inhalt eines Vertrages aus, mit dem am 1.1.1303 Bischof, Rat, Sechzehner und Gemeinde zunächst die Wiederherstellung des Friedens zu erreichen suchten97. Ausgegangen waren die schweren Verwerfungen offenbar von zünftischen Kräften, die Anstoß an der Aufnahme des Bürgers in die Burgmannschaft und damit die Gefolgschaft des Pfalzgrafen und dessen starkem Engagement in der Sphäre niederadligen Lebens genommen und dessen Bürgerrecht infrage gestellt haben. Der Vorfall verweist auf das Gefahrenpotenzial der dynastischen Verbindungen zwischen städtischen Familien und dem landsässigen Adel der Region und macht die Verschiebungen in der sozialen Verortung einiger der führenden Wormser Familien deutlich, bei denen es Interessenkonflikte durch die Fundierung in der Stadt bei gleichzeitigen Bemühungen um den Aufbau einer quasi niederadligen Position im Umland samt der notwendigen Loyalität gegenüber den Lehensherren der Region gegeben hat. Diese führten im Zeichen stärkerer zünftischer Anteilnahme am Stadtregiment leichter zu Problemen als bisher. Es gelang nicht, den Stadtadel auf eine klare Abgrenzung zu seinen Aktivitäten im Umland festzulegen; die erstarkenden und jetzt dauerhaft an der Stadtherrschaft beteiligten zünftischen Kräfte erreichten es nicht, dass der politische Einfluss der mit dem Umland verbundenen Familien des Niederadels bzw. städtischen Patriziats nachhaltig eingeschränkt wurde. Dies zeigt auch die Tatsache, dass es Holderbaum nicht nur gelang, in die Stadt zurückzukehren, er stieg 1311 sogar zum Bürgermeister auf98. In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts sollten sich dann die Auseinandersetzungen der Stadt mit niederadligen Geschlechtern der Region häufen.

Festzuhalten ist, dass durch die Urkunden der Jahre 1293, 1300 und 1303 und die darin getroffenen Regelungen für etliche Jahrzehnte Ruhe eingekehrt ist und die Verfassungsentwicklung der Stadt wieder in friedliches Fahrwasser geriet. Deutlich zeigt sich, wie stark die Beziehungen der Städte Mainz, Speyer und Worms untereinander auf die innerstädtische Politik zurück- bzw. auf diese einwirkten. Auf künstlerischem Gebiet ragt in den Jahren um 1290/1310 das neue gotische Südportal des Domes mit der eigentümlichen Darstellung der triumphierenden Kirche in Gestalt eines Tetramorph heraus, wobei das Portal insgesamt zugleich auch als Ausdruck einer intensivierten Marienverehrung anzusehen ist (Tafel 9)99.

Geschichte der Stadt Worms

Подняться наверх