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Erläuterungen zur Karte »Worms um 1500«

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In der Karte wird versucht, die bisher bekannte topografische Situation der Stadt und der vorstädtischen Bereiche samt ihrer geistlichen Ausstattung für die Jahre um 1500 entsprechend dem Stand der Forschung darzustellen. Als Grundlage diente ein Stadtplan aus dem Jahr 1860 (Karte 11, vgl. S. 452f.), dessen Straßenverlauf mit dem Detailplan des Wormser Straßennetzes von vor 1689 abgeglichen wurde. Lage und Ausdehnung der Stifte, Klöster, Pfarrkirchen, Kapellen und anderen Bauten können nicht immer mit letzter Sicherheit eingetragen werden. Innerhalb des Stadtgebiets sind teilweise recht ausgedehnte Grünflächen (Wein- und Obstbau, Gartennutzung) anzunehmen. Unsicherheiten bestehen hinsichtlich der Verkehrswege und Wasserläufe außerhalb der alten Ummauerung sowie in Bezug auf die Ausdehnung der vorstädtischen Siedlungsbereiche. Die Bedeutung der seit dem späten Mittelalter und der frühen Neuzeit angelegten Stadtbefestigung sollte nicht zu hoch eingeschätzt werden, zumal die vor ihr umschlossenen Flächen nirgends auch nur annähernd ausgefüllt wurden. Eingezeichnet wurden einige Institutionen, deren Lage nicht vollständig gesichert ist (Kapellen Nr. 26 St. Magdalena (am Fischmarkt), Nr. 36 (St. Ulrich) und Nr. 25 (St. Gertrud), Leprosenhaus bei Mariamünster (Nr. 38)). Zudem wurden mit der Kapelle St. Nazarius (Nr. 29) und dem Heilig-Grab-Spital (Nr. 39) Institutionen aufgenommen, deren Existenz für die Zeit um 1500 nicht mehr gesichert nachzuweisen ist, die jedoch vorher sicher dort bestanden haben. Die fünf um 1500 noch gesicherten Beginengemeinschaften sind nicht eingezeichnet, da ihre genaue Lage nicht eindeutig ist.

Klöster/Konvente

1 Alexianerkonvent

2 St. Andreasberg (Reuerinnen)

3 Augustinereremiten

4 Dominikaner

5 Franziskaner

6 Johanniter

7 Karmeliter

8 Kirschgarten (Augustinerchorherren)

9 Maria-/Nonnenmünster (Zisterzienserinnen)

10 Reichkonvent (Augustinerinnen)

11 Wilhelmiten/St. Remigius

12 Hochheim/Liebenau (Dominikanerinnen)

13 Hochheim/Maria Himmelskron (Dominikanerinnen)

Pfarrkirchen

14 St. Johannes

15 St. Lampertus

16 St. Magnus

17 St. Rupertus

18 St. Amandus

19 St. Michael

20 St. Cäcilia

21 St. Andreasberg

Kapellen

22 Allerheiligen

23 St. Georg/Martinstor

24 St. Kilian

25 St. Gertrud

26 St. Magdalena

27 St. Margaretha

28 St. Meinhart

29 St. Nazarius

30 St. Pankratius

31 Rebstockkapelle

32 St. Silvester u. Valentin

33 St. Sixtus

34 St. Stephan (Bischofshof)

35 St. Stephan (Gottesacker)

36 St. Ulrich

Hospitäler/Leprosenhäuser

37 Heilig-Geist-Spital

38 Leprosenhaus

39 Heilig-Grab-Spital

Klosterhöfe mit Kapellen

40 Otterberger Hof

41 Schönauer Hof

Städtische Bauten/Stadttore

42 Bürgerhof

43 Münze

44 Neue bzw. Leonhardspforte

45 Pfauenpforte

46 Judenpforte

47 Martinspforte

48 Andreaspforte

49 Neupforte

50 Rheinpforte

Jüdisches Worms

51 Judenfriedhof

52 Tanzhaus

53 Kultbad (Mikwe)

54 Bischofshof/Kaiserpfalz

Seit dem 15. Jahrhundert wurden mit der stets kollektiv auftretenden Gemeinde nur noch zeitlich befristete Aufenthaltsgenehmigungen vereinbart. Der von 33 Häusern und 40 Haushaltungen erhobene Hauszins machte nach Auskunft einer Steuerliste der Zeit um 1470 den weitaus größten Teil der für die Stadt erzielten Einnahmen aus der Judengemeinde aus. Die Frage nach dem Abschließungsgrad der Judengasse (vgl. Karte 16, S. 682) ist differenziert zu sehen. Eigentum und Siedlung von Juden auch außerhalb der Judengasse in der Zeit vor 1349 steht eine deutlicher werdende Konzentration mit Abschließungstendenzen in der Zeit ca. 1470 bis 1480 gegenüber, vielleicht nicht zufällig wenige Jahre nach der Einrichtung eines eigenen jüdischen Wohnbezirks in dem mit Worms eng verbundenen Frankfurt am Main im Jahr 1462. Diese Entwicklung in den Jahren nach etwa 1470 ist Quellen über Konflikten zwischen der jüdischen Gemeinde und dem Pfarrer der Rupertuspfarrei wegen der umstrittenen Zahlung des Zehnten für die Häuser in der Judengasse zu entnehmen, die daneben wichtige Aussagen über das Selbstverständnis beider Seiten bieten und auch für die Herrschaftskonstellation aufschlussreich sind: Die Stadt bzw. der Rat steht klar auf Seiten der Juden und verteidigt hier – aus eigenem, gegen geistliche Ansprüche gerichtetem Interesse – die Rechtsauffassung der Juden gegen die geistlichen Instanzen311. Um 1500 ist dieser Abschluss jüdischer Siedlung in der Judengasse zu einem Ende gekommen, wie wir aus den relativ reich fließenden Quellen der Jahre kurz vor der Jahrhundertwende ersehen können.

Wie eng die Stellung der Juden für die Vertreter der Stadt insgesamt mit deren Herrschaftsposition in Verbindung gebracht wurde, zeigen die Umstände der im Jahr 1505 kurzzeitig in Kraft gesetzten Judenordnung312, die mit der Gemeinde offenbar im Einzelnen abgesprochen war. Mit diesem Akt usurpierte der Rat für einige Jahre das Besetzungsrecht für den Judenrat und beanspruchte die damit verbundenen Einkünfte. Die Maßnahme stand in direktem zeitlichem Zusammenhang zu weiteren das Verfassungsgefüge und die seit Jahrhunderten umstrittene Ratsbesetzung betreffenden Reformen sowie einem kaiserlichen Privileg über die Ausweitung von Hoheitsbefugnissen, hatte jedoch keine dauerhafte Wirkung. Die Juden blieben auch nach der Neuverteilung der Machtbalance 1526 in einer stets gefährdeten Position zwischen allen an der Herrschaft in der Stadt beteiligten Institutionen und Gruppen.

Von allergrößter Bedeutung im politischen Geschehen war der große Wormser Reichstag des jungen Königs Maximilian im Jahr 1495313. Die hier erlassenen Gesetze, darunter vor allem die Landfriedensordnung, die Kammergerichtsordnung, die so genannte »Handhabung Friedens und Rechts« und die Ordnung des Gemeinen Pfennigs sind zentrale Beschlüsse an einem Wendepunkt der deutschen Verfassungsgeschichte. Der im März vom Herrscher nach Worms einberufene Reichstag, über den wir aus Wormser Sicht vor allem im Noltzschen »Tagebuch« informiert sind, stellte für den Rat und die Bürgerschaft eine gigantische logistische Herausforderung dar und erforderte erhebliche, insbesondere auch finanzielle Anstrengungen. Der Reichstag begann nach dem Einzug des Herrschers mit seiner Gemahlin Bianca Maria im März des Jahres und dauerte bis zur Abreise der meisten Reichstagsteilnehmer ab Mitte August. Zum Zwecke der Organisation und Lösung der logistischen Herausforderungen wurde vorab eine umfassende Verordnung zu Fragen der Organisation, Sicherheit, Beherbergung und Verpflegung erlassen. Der gesamte Reichstag stellte für die Stadt und die zur Beherbergung herangezogenen Mitglieder der führenden Familien eine starke finanzielle Belastung dar, bedeutete aber auch Gewinn an Reputation. Religiöser Höhepunkt während des Reichstags war das Osterfest, an dem der König mit den Fürsten gemeinsam teilgenommen hat. Zu den wegen der aufwändigen äußeren Form besonders publikumswirksamen Geschehnissen des Reichstags gehörten die Verleihungen von Regalien und die Belehnungen. An diese schlossen sich Turniere und Ritterspiele an, an denen auch König Maximilian selbst teilgenommen hat. Bis zum Jahr 1545 sollten noch weitere acht Reichstage in Worms stattfinden314.

Eine Folge des Reichstags war die dauerhafte Installation des königlichen Kammergerichts315, das bereits kurz vor dem Reichstag – seit April 1495 – in Worms tagte. In direkter räumlicher Nachbarschaft zum weltlichem Stadtgericht in der »Münze« angesiedelt, war die Stadt Worms während der Reichstagsverhandlungen als Standort im Gespräch. Vor der Verlagerung nach Frankfurt im Oktober 1499 war sie seit Mai 1497 tatsächlich ebenso Sitz des Gerichts wie von 1509 (Wormser Reichstag im Juni) bis 1519; eine nicht unwichtige Episode in der städtischen Rechts- und Verfassungsgeschichte.

Für die städtische Politik um 1500 war eine ständige Reisediplomatie an den Hof und die Teilhabe an einem weit verzweigten Kommunikationsnetz mit dem Herrscher und seinem Umfeld von großer Bedeutung, wozu eine sehr reiche Zahl an Quellen vorliegt. Der Rat war stets um eine Ausweitung seiner Privilegien und einer Präsenz am Hof Friedrichs III. und Maximilians I. interessiert, weswegen ständig Delegationen und Beauftragte dem meist in den Niederlanden oder den habsburgischen Stammland den residierenden Herrscher hinterherreisten316.

Am wenigsten Einblick lassen die um 1500 fließenden Quellen in die Grundzüge der wirtschaftlichen Entwicklung zu. Es ist nach wie vor unklar, ob wir bereits in dieser Zeit einen relativen Rückgang der ökonomischen Bedeutung gegenüber den Jahrhunderten zuvor annehmen können oder ob der langsame Niedergang der Stadt auf allen Gebieten erst nach der Jahrhundertwende eingesetzt hat317. Eine 1487 der Stadt durch Kaiser Friedrich III. verliehene Messe um den Martinstag (11.11.)318 zog offenkundig keine Intensivierung des seit dem späten Mittelalters vor allem auf Frankfurt konzentrierten Handelsverkehrs nach sich. Einem Überlieferungszufall verdanken wir für das Jahr 1514 das Inventar eines bei dem Aufstand gegen den Rat (s.u.) hingerichteten, sehr wohlhabenden Kürschners, der seine Ware auf dem Frankfurter Markt kaufte. Er besaß mehrere Häuser, gelagertes Pelzwerk im Wert von über 2000 Gulden und beschäftigte in seinem Betrieb bis zu 18 Knechte319.

Ein wichtiger Indikator für die städtische Qualität von Worms und die Bedeutung des Bildungssektors gleichermaßen ist das Vorhandensein von Buchdruckereien. Erstaunlicherweise ist trotz eines nachweisbar hohen Bedarfs an Druckwerken seit den 1490er Jahren und der räumlichen Stellung zwischen Straßburg und Mainz mit dem aus letzterer Stadt stammenden Peter Schöffer dem Jüngeren erst 1518 (Erscheinungsjahr des frühesten, eindeutig in Worms erfolgten Druckes320) der Betreiber einer Buchdruckerei in Worms nachzuweisen. Er musste wegen seines Engagements für die täuferische Bewegung in Worms 1529 nach Straßburg wechseln. Dies markiert den Beginn einer bis ca. 1560 dauernden Präsenz von Druckbetrieben in der Stadt, in der bereits vor 1500 Wanderbuchhandel nachzuweisen ist321.

Die Situation des für Worms so wichtigen Klerus und der höchst differenzierten Geistlichkeit, in deren finanzielle Lage und deren personelle Stärkeverhältnisse wir einen recht detaillierten Einblick haben, zeigt um 1500 alles andere als ein einheitliches Bild. Bezüglich der Weltgeistlichkeit wurden um 1500 insgesamt 316 Pfründen an den fünf Stiften, acht Pfarreien und 13 selbstständigen Kapellen gezählt; die Steuerlisten zur Erhebung des bereits genannten »Gemeinen Pfennigs« nennen in der Realität insgesamt 228 Weltgeistliche, was auf die verbreitete Pfründenkumulation zurückzuführen ist. Von diesen Personen residierten nur 186 auch tatsächlich in Worms. Vor allem die höhere Stiftsgeistlichkeit322 lebte mehrheitlich nicht in der Bischofsstadt. Die Klostergeistlichkeit setzte sich bei je fünf Männer- und Frauenklöstern in Stadt und Vorstadtgebiet und einer großen Stärke der Bettelordenskonvente beiderlei Geschlechts aus 119 Nonnen und 171 Mönchen zusammen. Insgesamt kommt man so auf mehr als 500 in der Stadt lebende Geistliche. Dazu kommen noch 320 bei Geistlichen bedienstete Personen. Es handelt sich hierbei um in einer rechtlichen Sondersituation stehende Laien. So ergibt sich, dass kurz vor 1500 nicht weniger als 836 Personen Steuerfreiheit einfordern konnten.

Der durchweg schwierigen Situation des sich sozial immer mehr von den städtischen Familien und Kräften entfernenden Stiftsklerus steht eine beachtliche Blüte insbesondere der der Windesheimer Reform angehörenden Chorherren von Kirschgarten gegenüber, deren Konvent als der angesehenste, größte und auch auf dem Gebiet der Kultur (Bibliothek, Handschriftenproduktion) bedeutendste der Stadt um 1500 anzusehen ist323. Das durch Bischof Johann von Dalberg angefertigte Synodale von 1496324 lässt für das Bistum insgesamt eine günstige Lage in der religiösen Versorgung der Bevölkerung und einen durchaus recht guten Zustand der Geistlichkeit und der Pfarrverhältnisse in der Fläche erkennen. Innerhalb der Stadt sind die Bestrebungen des Rates, die Klöster, Pfarreien und Konvente seiner Aufsicht zu unterwerfen, seit ca. 1480 stark forciert worden. Spürbar ist dies auch bei den um 1500 immerhin noch fünf Beginengemeinschaften325. Ganz besondere Bedeutung für den Rat und die gesamte Stadt besitzt das Verhältnis zum Liebfrauenstift im nördlichen Vorstadtbereich (vgl. Tafel 10). Die Verflechtung der Stadt und der Zünfte mit der Entwicklung des Liebfrauenstifts seit der Mitte des 15. Jahrhunderts hängt mit der Baugeschichte der Stiftskirche zusammen326. Seit der Zeit kurz nach 1450 werden erhebliche Anstrengungen des Stifts erkennbar, den begonnenen Bau einer »großen und kostspieligen« Kirche abzuschließen. Seit 1458 wird eine enge Verschränkung zwischen den finanziellen und organisatorischen Interessen des Stifts und der Stadt deutlich. Zu diesem Zeitpunkt werden erstmals zwei als buwemeister bezeichnete städtische Pfleger bzw. mit der Rechnungslegung beauftragte Finanzverwalter erwähnt, bei denen es sich um zwei bekannte Ratsmitglieder handelt. Von ihnen verfügte einer nachweislich als Pfleger des Spitals über einschlägige Erfahrungen hinsichtlich Verwaltung und Organisation; verbunden ist dies mit einem Rentenverkauf in großer Höhe, dem in den folgenden Jahrzehnten weitere gefolgt sind. Das Stift fungierte in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts als bedeutender Kreditgeber des Rates. Spezifisch für das Verhältnis von Stift und Stadt war offenbar, dass das Stift einen Teil seines Vermögens der Stadt in der Form eines Kredits übergab, dafür eine jährliche, für Bauzwecke bestimmte Rente erhielt und zugleich seine Vermögens- und Verwaltungsverhältnisse durch städtische Experten regeln ließ. Offenkundig hat die Stadt eine umfassende Aufsicht über den wieder begonnenen Weiterbau der Kirche übernommen. Dass nicht zuletzt aufgrund dieses organisatorischen Engagements und der städtischen Hilfe die Bauarbeiten relativ rasch vorangeschritten sein dürften, wird auch durch Inschriften bezeugt327. Ein bemerkenswertes Dokument des städtischen, insbesondere zünftischen Engagements beim Bau des Stifts und der erheblichen materiellen Förderung durch die Stadt sind die Zunftwappen an den Schlusssteinen der Seitenschiffgewölbe und das im Chorumgang angebrachte Stadtwappen328. Einen Eindruck von diesem städtischen Engagement und Selbstverständnis in Bezug auf das Liebfrauenstift geben die im Verlauf des so genannten Morsheimer Prozesses 1519 gemachten Zeugenaussagen329. Es ging dabei um zwischen Stift und Stadt umstrittene Zahlungsverpflichtungen. Die im Zuge des Prozesses protokollierten Angaben zum Verhältnis beider Seiten legen den Eindruck nahe, dass der Rat um die Mitte des 15. Jahrhunderts die Baumeisterschaft und die finanzielle und organisatorische Oberhoheit über die aufwändigen Arbeiten übernommen hat. Im Übrigen wurde im Laufe des Prozesses gerade die Anbringung des städtischen Wappens im Stift zum Beleg dafür genommen, dass die Kirche durch die burgerschafft zu Wormbs und nit durch die geistlichen erbauwet sy wordenn330.


Tafel 9: Dom-Südportal, um 1290/1310


Tafel 10a: Liebfrauenkirche


Tafel 10b: Blick von Süden über die Stadtmauer, St. Andreas und St. Magnus zum Dom


Tafel 11a: Grande Armée du Prince de Condé, 1791


Tafel 11b: Kolorierter Stich des rechtsrheinischen Bürgerfeldes, 1753 (StadtA Wo Abt. 1 B Nr. 1638)


Tafel 12: Linksrheinischer Brückenturm Ernst-Ludwig-Brücke, 1900

Wie sehr die städtische Seite hinsichtlich des Liebfrauenstifts in der Zeit kurz nach 1500 vom Selbstverständnis einer umfassenden Kirchenpflegschaft331 ausging, bezeugen die »Acta Wormatiensia«. Im Zusammenhang der Darlegungen über die Sorge um die Kirchen und ihren Bau heißt es, man habe sich seitens der vornehmsten Laien seit alters her der kirchenpflege unterzogen: als der Cristenglaube in dise lande kommen und man angefangen hat kirchen zu bawen, haben die frommen andechtigen leyen die fürnemigsten von den burgern/besonders hie zu Wormbs/sich der arbeit und fursorge der kirchen unnd gepawe ausz innigkeit und liebe, den sie dem Cristen glauben hetten angenommen/und underzogen sich der kirchenpflege, als noch bey unsern zeiten der gepawe des stifts unnser lieben frawen, auch der pfarrkirchen gemeinlic, (…) als noch sind die kirchengesworn etc. gemeinlich die besten und furnemigsten inn stetten und pfarren332. Für die Zeit um 1500 verfügen wir darüber hinaus mit dem Noltzschen »Tagebuch« über eine Quelle, die auch eine Reihe wichtiger Indizien zur Stiftsgeschichte und ihrer Verflechtung mit der Stadt enthält; immerhin war der Verfasser zeitweise auch als Baumeister bzw. Kirchenpfleger eingesetzt. Mehrfach wird hier ein als »alte Gewohnheit« bezeichneter Termin einer Sakramentsprozession und eines feierlichen Gottesdienstes am Mittwoch nach Ostern erwähnt, darunter für das Jahr des Reichstags von 1495 eine Messe mit Teilnahme des in der Stadt weilenden Königs Maximilian333. Auch an Mariae Verkündigung hat der Rat wie auch etliche jar hiervor ein erlich andechtig amt und mesz zu unser frawen singen und daselbst predigen lassen334.

Im Verlauf des beschriebenen Auszugs des Klerus aus der Stadt 1499 hätten die Geistlichen schmachvollerweise das besonders geschmückte Marienbildnis, Ziel einer stark frequentierten Wallfahrt zum Stift, heimlich entwendet und mitgenommen. Die in der Vergangenheit bei den Wallfahrten erlangten Almosen für die Kirche hätten zusammen mit dem besonders betonten städtischen Engagement zum Bau des Stifts entscheidend beigetragen335. Zum Jahr 1507 heißt es, die beiden (städtischen) Baumeister des Stifts, Hermann Lisperger und Reinhard Noltz, hätten – nachdem ein entsprechendes Schreiben der beiden an das Stift, den Stock zu leeren, ohne Wirkung geblieben sei – den prall gefüllten Opferstock des Stifts in Gegenwart von Notar und Zeugen geöffnet und das Geld in des rats verwarung verbracht336. Hintergrund dieser Maßnahme, die ein bezeichnendes Licht auf die Anziehungskraft des Marienkultortes in der Stadt um und kurz nach 1500 wirft, waren städtische Vorwürfe, die Stiftsherren hätten die Kirche verlassen, Heiltümer entfremdet und sich damit des Sakrilegs schuldig gemacht (s.o. S. 247f.). Die gegen Ende des 15. Jahrhunderts stark aufblühende Wallfahrt zu dem als wundertätig verehrten Bildnis hat in einer Zeit wachsender Marienverehrung die Attraktivität des Stifts in einer Zeit stetig wachsender Frömmigkeit auch für die Stadt gesteigert und die Bereitschaft zu einem besonderen Engagement gefördert. Durch das »Tagebuch« von Reinhart Noltz sind wir darüber hinaus über eine vom Rat am Palmsonntag durchgeführte Palmprozession im Jahre 1505 informiert, die ebenfalls Einblick in die Bemühungen um sakrale Legitimation und Selbstdarstellung durch den Rat gewährt337. Auf dessen erhebliche Anstrengungen, nach dem Auszug des Klerus eine städtischerseits gesteuerte Religionsfürsorge zu installieren und den direkten Einfluss auf die religiösen Institutionen zu steigern, wurde bereits aufmerksam gemacht. Diese Bemühungen verweisen bereits auf die ab den 1520er Jahren starke reformatorische Bewegung und müssten einmal gesondert in vergleichender Perspektive analysiert werden. Festzuhalten ist, dass die »Entzauberung« des Stiftsklerus und seiner Heilsnotwendigkeit für die Stadt und ihre Bewohner bereits eine Generation vor dem Durchbruch der reformatorischen Bewegung Realität war338.

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