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Zeugen und Zeugenberichte

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Von Lascaux bis heute haben die Kriege Zeugen gehabt, die bestrebt waren, diese Augenblicke der Gewalt festzuhalten. Eines der frappantesten Merkmale des eben abgelaufenen Jahrhunderts ist die beachtliche Entwicklung von neuen institutionellen Strukturen für die Aufbewahrung nicht nur der Stimmen und der Gesichter des Soldaten, sondern auch der Zeugen, die als unschuldiges Zivilopfer des Krieges verstanden werden.

Die ersten Zeugen des Großen Kriegs waren die Soldaten, die ihn geführt haben. Der Anfang der Zwanzigerjahre war folglich geprägt von einer Flut von Büchern über den Krieg, von denen die meisten von militärischen oder politischen Verantwortlichen der kriegführenden Länder geschrieben worden waren. Die Soldaten, die diese Bücher lesen, erkennen darin den Krieg, den sie geführt haben, nicht wieder und auch nicht die Prüfungen, das Leid, den Schlamm, die Kampfgase und die verkrüppelten Kameraden. Manche von ihnen greifen zur Feder und lösen eine Überproduktion dessen aus, was man zwischen 1928 und 1932 als „Kriegsbücher“ bezeichnete. Die Soldatengedächtnisse werden zu einem weltweiten verlegerischen Markt. Die Filmindustrie folgt dem lukrativen Trend mit Filmen wie Im Westen nichts Neues, einem internationalen Kassenschlager, der auf den 1929 publizierten Erinnerungen des deutschen Soldaten Erich Maria Remarque fußte. Die Deutschen sprachen darin mit einem snobistischen amerikanischen Akzent und stützten damit die Universalität der Botschaft, der zufolge der Große Krieg ein Modell der Sinnlosigkeit für die Sieger wie für die Besiegten ist. Andere Filme zeugen von einem größeren Optimismus, aber alle teilen die Idee, dass der zwischen 1914 und 1918 von den Soldaten geführte Krieg in keiner Weise dem glich, was die Welt zuvor gekannt hatte.

Im Lauf des Zweiten Weltkriegs gab es mehr Tote unter der Zivilbevölkerung als in den Armeen. Die Feuerkraft der Luftwaffe und der Beschluss der Nazis, zur Auslöschung verurteilte Zivilisten zur Zielscheibe zu nehmen, erklären weitgehend diese Bilanz. Bücher und Filme, die den Konflikt von 1939 bis 1945 konventionell erzählen, sind während des Krieges und danach erschienen.

An Hitlers Krieg war jedoch nicht sehr viel konventionell. Mit der Rückkehr der Stabilität in Europa zwischen 1945 und 1970 und dem Verblassen des Mythos von einem breiten Widerstand im Volk gegen die Naziherrschaft hat der Genozid eine immer zentralere Stellung in der globalen Erzählung des Zweiten Weltkriegs eingenommen. Für den Umgang mit dieser Facette des Krieges sind neue Gedächtnisinstitutionen entstanden und haben eine Rolle bei gewissen Formen der Wiedererinnerung an den Großen Krieg und die Konflikte danach gespielt.

Die erste dieser Institutionen ist gerichtlicher Natur. Obwohl der Friedensvertrag von Versailles im Jahr 1919 den Kaiser angeklagt hat, für den Ausbruch des Krieges 1914 verantwortlich zu sein, ist dieser nie verurteilt worden, da er in Holland, einem neutralen Land, ein Asyl gefunden hatte. Die nach dem Zweiten Weltkrieg organisierten Nürnberger Prozesse haben die Zeugenberichte der Überlebenden der Schoah nicht herangezogen. Die offizielle Dokumentation genügte weitgehend, um zu dem Urteil zu gelangen, dass die Verantwortlichen des „Dritten Reichs“ sich einer Vielzahl von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und von Kriegsverbrechen schuldig gemacht hatten. In den Sechzigerjahren konnte man jedoch eine Entwicklung beobachten, die sich nicht nur auf das Gedenken an die Opfer des Zweiten Weltkriegs – Juden, „Zigeuner“, Behinderte – ausgewirkt hat, sondern auch auf das an vergleichbare Opfer des Ersten Weltkriegs und insbesondere an die Opfer des Genozids an den Armeniern.

Die Chronologie dieser kulturellen Entwicklung des öffentlichen Diskurses über die Kriegsopfer ist diesbezüglich aufschlussreich. Die Verrechtlichung des Gedächtnisses nach 1960 und 1970 entspricht einem Zeitpunkt, in dem in den entwickelten Ländern der Anteil der Bevölkerung, die angibt eine Religion auszuüben, ein besonders tiefes Niveau erreicht hat. Diese Periode wurde von dem Auftauchen neuer Institutionen geprägt – auf dem Gebiet der Justiz, der Archive und der Familien, die beauftragt sind, die Stimmen der Überlebenden der beiden Weltkriege aufzunehmen und aufzubewahren. Das Ausmaß der Opfer des Weltkriegs hat die Kirchen belastet, die zum selben Zeitpunkt ihre zentrale Stellung im Leben der Familien und der Gemeinschaft verloren haben. Folglich haben andere Institutionen zugleich das Privileg und die Last auf sich genommen, diejenigen, die im Krieg gelitten hatten, einzuladen, ihre Geschichte zu erzählen und eine Form der Anerkennung oder der Gerechtigkeit zu finden, die unmittelbar nach dem Krieg nur selten zu erlangen war.

In den Siebzigerjahren entstanden Tausende kleine Gruppen und Organisationen, die sich für die Verteidigung der Menschenrechte einsetzten, und in dieser neuen Umgebung einer weltweiten Ethik hat der moderne Zeuge des Krieges einen herausragenden Platz eingenommen. So hat der Begriff „Zeuge“ – ein Wort, das in seiner ursprünglichen griechischen Form die Haltung des Märtyrers bezeichnet, der bereit ist, für seinen Glauben zu sterben – am Ende des 20. Jahrhunderts neue Bedeutungen angenommen. Die erste bezeichnete denjenigen, der vor einem Gerichtshof vom Wesen der Kriegsverbrechen und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit Zeugnis ablegte, die zweite denjenigen, der bereit war, dass seine Stimme und seine Erzählung für die Nachwelt aufgezeichnet werden – als Zeuge für die Zukunft und vor allem für die jüngeren Generationen.

Diese Zeugen erzählten Geschichten in der ersten Person, Familiengeschichten, die in den Archiven gelagert oder veröffentlicht werden sollten. Das Ablegen dieser Zeugenberichte hat oft mehrere Jahrzehnte in Anspruch genommen. Diese Erzählungen waren vielleicht zu hart für die Ohren der Kinder der Überlebenden: Diese neue Generation hatte schließlich nur Lust, ein „normales“ Leben zu führen, eines wie die anderen Kinder. In vielen Fällen hat man einen deutlichen zeitlichen Abstand zwischen dem Ende des Krieges und dem Beginn der formellen Zeugenberichte der Überlebenden festgestellt. Nach dem Eichmann-Prozess 1961 und im Gefolge anderer Prozesse von Naziverbrechern in Europa haben die Stimmen der Überlebenden wie etwa die von Primo Levi eine beispielhafte moralische Stärke angenommen. Derart ohne Umschweife zu sprechen und so zu zeigen, dass die Ethik die Schändlichkeit von Auschwitz überlebt hat, hat dem Zeugenbericht ein existenzielles Profil verliehen. Diejenigen, die die Male dieser Verbrechen auf ihren Körpern und in ihren Köpfen trugen, haben ein Gefühl der Würde wiedergefunden, indem sie in einem Vortragssaal aufstanden oder im Rahmen einer Zusammenstellung von Archiven vor einer Kamera Platz nahmen. Die Erzählung, die der Welt hinterlassen wird, würde nicht nur diejenige der Mörder sein, sondern auch derjenigen, die ihren Henkern entkommen waren.

Der gleiche zeitliche Abstand lässt sich bei den Überlebenden des Genozids an den Armeniern feststellen. In den Achtzigerjahren haben die Enkelkinder der Überlebenden ihren bis dahin schweigenden Großeltern die Erzählungen ihrer Vertreibung aus dem Osmanischen Reich entlockt. Dank dieser Zeugenberichte konnte die vollständige Geschichte des Genozids an den Armeniern in der Sprache derjenigen auftauchen, die ihn erlebt hatten. Dieses Auftauchen hat eine noch größere politische Bedeutung angenommen angesichts der hartnäckigen Leugnung seitens der türkischen Behörden, die sich weigern, zuzugeben, dass irgendeine Tat, die irgendwie einem Genozid gleicht, vor einem Jahrhundert in der osmanischen Türkei stattfinden konnte. Diese „Märtyrer“ haben in der traditionellen Sprache ihrer Kirche von der nationalen Tragödie Armeniens Zeugnis abgelegt.

So haben am Beginn des 21. Jahrhunderts die Zeugen des Krieges und der Kriegsverbrechen in den Gerichtshöfen der ganzen Welt das Wort ergriffen. In diesem Rahmen haben sie wie auch in dem der Museen und der Archive, die für die Aufbewahrung ihrer Zeugnisse geschaffen wurden, Geschichten der Grausamkeit erzählt, die an die Grenzen unserer Vorstellungskraft rühren und sie übersteigen, aber auch Geschichten des Mutes und (manchmal) des Glaubens, die einem den Atem rauben. Manche Überlebende haben erklärt, sie hätten einen Auftrag erhalten – den Auftrag zu leben, um Zeugnis abzulegen. Diese „moralischen Zeugen“ sprachen nicht nur von dem, was sie mit eigenen Augen gesehen hatten, sie sprachen auch im Namen der Toten, die sich im Augenblick ihres letzten Seufzers bewusst waren, dass jemand diese Katastrophe überleben sollte, weil sonst niemand glauben würde, was sie zu berichten hatten.

Am Ende des 20. Jahrhunderts und danach ist das Zeugnisablegen zu einem weltweiten Phänomen geworden. In manchen Fällen tritt der ursprüngliche religiöse Sinn des Wortes deutlich hervor. In Südafrika besaß die Kommission Wahrheit und Versöhnung – eine aufschlussreiche Bezeichnung – eine sakrale Aura, die auf der Macht der Beichte und auf der Vorstellung, dass die Wahrheit befreiend wirkt, beruhte. Die Verbrecher, die öffentlich ihre Verbrechen gestanden, entgingen derart der Strafe, die über diejenigen verhängt wurde, die beschlossen hatten, das Schweigen zu bewahren. In Lateinamerika hat der Mord an Priestern und Nonnen dazu geführt, die Suche nach der Wahrheit über die schmutzigen Kriege anzuspornen, die von rechten Regierungen in Chile, in Argentinien, in Guatemala und in Ecuador geführt worden waren. In Polen und im postkommunistischen Russland hat der Widerstand katholischer oder orthodoxer Frauen und Männer gegen den Kommunismus zur Heiligsprechung einer gewissen Anzahl von denen geführt, die tatsächlich ihr Leben ihrem Glauben geopfert haben.

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