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Das traumatische Gedächtnis

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Zwei Aspekte der Welle an Zeugnisberichten der letzten 40 Jahre sind Gegenstand einer Kontroverse. Der erste betrifft die Weitergabe der traumatischen Erfahrung der Überlebenden des Kriegs und des Genozids an ihre Kinder. Manche meinen, dass die Kinder von Überlebenden die Verletzungen ihrer Eltern erben können. Was wir als „traumatische Erinnerungen“ bezeichnen, kann ihrer Meinung nach an die Kinder und die Angehörigen der direkt betroffenen Individuen weitergegeben werden. Viele, die an der Gültigkeit dieser Hypothese zweifeln, sind bereit, eine metaphorischere Variante zu übernehmen. Sie meinen, die Kinder, die mit Überlebenden des Kriegs und des Genozids zusammenleben, seien so sehr empfänglich für die emotionelle Anziehungskraft, die vom Leid der Älteren ausgeht, dass sie deren Erinnerungen übernehmen und sich zu eigen machen. So besitzen diejenigen, die nach 1945 geboren wurden, eine Art Gedächtnis der Schoah, die Marianne Hirsch als „postmemory“ bezeichnet hat. Die gleiche Beobachtung gilt für die zahlreiche Bevölkerung Armeniens, die nach dem Genozid geboren wurde, aber in ihrer Existenz unauslöschlich von ihm geprägt wurde. In vielen Fällen erhebt diese neue Generation den Anspruch, das traumatische Gedächtnis des Kriegs und des Genozids zu teilen.

Die Ablehnung der Theorie der Weitergabe des traumatischen Gedächtnisses in seiner physiologischen wie in seiner metaphorischen Form fußt auf dem Unbehagen, das der unscharfe Umgang mit dem Begriff „Gedächtnis“ auslöst. Die Kinder der Überlebenden der Schoah, die in den Jahren 1950 bis 1970 geboren wurden, haben nicht das Gedächtnis im konventionellen Sinn des Wortes der Konzentrations- oder Vernichtungslager bewahrt. Sie haben die Erinnerungen an die Erinnerungen anderer aufbewahrt und diese Erinnerungen können tatsächlich einen pathologischen Charakter aufweisen. Kinder, die neben traumatisierten Eltern aufwachsen, können letztlich davon traumatisiert sein. Aber diese Kinder sind nicht von den Mitgliedern der SS traumatisiert worden und haben keinerlei Erinnerung an derartige Ereignisse. Sie haben im Schatten der Erfahrung ihrer Eltern gelebt und haben nicht das Recht gehabt, diese Erfahrung als ihr eigene zu beanspruchen, sei es nun aus Mitgefühl, Nähe oder Osmose. Das eigentliche Problem dieser Theorien der Weitergabe traumatischer Erinnerungen liegt darin, dass sie die Realität oder die Wahrheit der ursprünglichen Verletzung oder Kränkung, die nur von denen, die sie durchgemacht haben, erlitten wurden, leugnen oder verwässern. Angesichts der Allgegenwart des Gedächtnisbooms wird man sich nicht wundern, dass Leute mit durchaus guten Absichten nicht der gleichen Meinung sind, wenn es zu definieren gilt, wer ein authentisches Gedächtnis besitzt.

Das zweite, sehr umstrittene Element betrifft die potenziellen therapeutischen Auswirkungen der Wiedervergegenwärtigung. Auch hier können wir wieder Spuren einer Rückkehr des Sakralen in einer Zeit der profanen Zeugen feststellen. Dieser These zufolge würde es ausreichen, diejenigen, die außerstande sind, ihre Vergangenheit zu bewältigen, zu überzeugen, sie mitfühlenden Zuhörern zu erzählen, damit ein Teil ihrer Schande oder ihrer lähmenden Reue teilweise oder vollständig verschwindet. Es gibt psychoanalytische Varianten dieser Idee, der zufolge das Wiederhochsteigen von Erinnerungen heilen oder zumindest das Leid mildern kann.

In dieser Debatte fragen sich die skeptischen Köpfe, ob das Gedächtnis nicht womöglich ebenso viele negative wie heilende Auswirkungen hat. Worauf stützt sich der Glaube, dass diejenigen, die ihre entsetzlichen persönlichen Erinnerungen tief vergraben haben, besser zurande kommen, wenn sie diese ans Tageslicht zerren? Die Vorstellung, dass das Schweigen in allen Fällen eine ungerechtfertigte Verdrängung ist, hält einer aufmerksamen Prüfung nicht stand. Die Leute haben ausgezeichnete Gründe, den Schrecken, die sie erlitten hatten, den Rücken zukehren zu wollen.

Es besteht kein Zweifel darüber, dass das Zeugnisablegen wichtig ist, denn das hindert manche und vor allem die Schuldigen daran, über die Vergangenheit Lügen zu verbreiten. Eine absichtliche Fälschung zu berichtigen, ist eine unbestreitbare Notwendigkeit. Weniger gesichert ist, dass das Wachrufen der Grausamkeiten des Krieges, des Bürgerkrieges oder des Genozids immer oder fast immer wohltuend für diejenigen wirkt, die sich diese Schrecken vergegenwärtigen. Man registriert zu viele Fälle von Selbstmorden unter denen, deren Gedächtnis die dunklen Seiten der Vergangenheit wieder auftauchen lässt, um diesbezüglich ein endgültiges Urteil zu fällen. Das gilt auch für die Überlebenden von 1914 bis 1918 wie auch für diejenigen, die die nachfolgenden Katastrophen im Lauf des Jahrhunderts überlebt haben.

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