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B. Die Entwicklung der Rechtsprechung

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Die Rechtsprechung des Reichsgerichts sah die Mittäterschaft lange als wechselseitige mittelbare Täterschaft an,[20] ohne freilich darzulegen, warum in diesen Fällen eine teilweise mittelbare Täterschaft anzunehmen sein sollte, obwohl beim jeweiligen Tatmittler kein Strafbarkeitsdefizit, sondern eine prinzipiell freie Handlung vorlag.[21] Hinsichtlich der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme vertrat das Reichsgericht auch bei der Mittäterschaft eine subjektive Lehre. Grundlage der subjektiven Theorien bildete die Äquivalenztheorie, nach der alle kausalen Tatbeiträge für den Erfolg objektiv gleichwertig sein sollen, so dass sich die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme notwendigerweise auf die subjektive Ebene verlagern musste.[22] Auf dieser Ebene wurde dann zwischen dem mit Täterwillen („animus auctoris“) handelnden Täter und dem mit bloßem Teilnehmerwillen („animus socii“) handelnden Teilnehmer unterschieden. Nach den vom Reichsgericht grundsätzlich in unterschiedlichen Entscheidungen vertretenen Ansätzen[23] sollte Täter derjenige sein, der die Tat als eigene will (formell-subjektive Theorie)[24] bzw. im eigenen Interesse will (materiell-subjektive Theorie).[25] Teilweise wurden beide Punkte verbunden[26] oder darauf abgestellt, ob der Beteiligte mit der Tat einen selbstständigen oder nur vom Haupttäter abhängigen Willen zur Geltung bringe.[27]

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Das Reichsgericht nennt mit der subjektiven Seite des Handelnden ein wesentliches Element. Als Abgrenzungskriterium reicht sie indes nicht aus, da grundsätzlich jeder, auch der Teilnehmer, jedenfalls seinen Tatbeitrag als eigenen erbringen will.[28] Zudem kann jemand eine Tat auch in fremdem Interesse selbst begehen (vgl. § 216 StGB und seit 1998 auch die Dritt-Zugeignungs-/Dritt-Bereicherungsabsicht).[29] Schließlich bestimmt gerade der Anstifter regelmäßig aus Eigeninteresse den unmittelbaren Täter zur Tat.[30] Die entsprechenden Abgrenzungen bleiben insoweit letztlich unbestimmt.

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Entgegen (weniger) anderslautender Entscheidungen vertrat das Reichsgericht jedenfalls im Grundsatz keine extrem-subjektive Lehre, nach der allein der Wille maßgeblich sein sollte, so dass auch derjenige, der die Tathandlung eigenhändig ausführt, als bloßer Teilnehmer in Betracht käme – eine Möglichkeit, die von Buri ausdrücklich abgelehnt hatte.[31] Der prominente Fall, in dem mit dieser rein subjektiven Abgrenzung die Höchststrafe für täterschaftlichen Mord vermieden wurde, war die sog. Badewannen-Entscheidung.[32] Diese Rechtsprechung des Reichsgerichts blieb allerdings eine Ausnahme, während zur Zeit des NS-Regimes der VGH die extrem-subjektive Theorie exzessiv zur Strafbarkeitsausdehnung nutzte, um das nationalsozialistische Willensstrafrecht zu verwirklichen.[33] Das Reichsgericht nahm hingegen eine Täterschaft an, wenn der Handelnde die Tat selbst ausführte. Dementsprechend wurde bei eigenhändiger Tatausführung zum Teil auf eine nähere Untersuchung des Täterwillens verzichtet.[34] Umgekehrt sollte nur derjenige die Tat als eigene wollen, der diese auch mit ausführen wollte. Somit bedurfte es wenigstens (des Willens zu) einer tatsächlichen, sei es auch nur vorbereitenden, dem gemeinsamen Tatplan entsprechenden Mitwirkung an der Haupttat.[35] Darin lag eine Relativierung der rein subjektiven Theorie bzw. eine Normativierung der Bestimmung des Täterwillens.

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Der BGH vertrat in der Mehrzahl der Fälle zunächst ebenfalls eine moderate Form der subjektiven Theorie und verfolgte den normativierenden Ansatz des Reichsgerichts weiter.[36] Nur in einer Entscheidung wurde ein Bandenmitglied, das die Zollhinterziehung mit ausführte, trotzdem als Täter behandelt, obwohl es nur Gehilfenvorsatz aufwies.[37] In sonstigen Fällen wurde die Möglichkeit einer Beurteilung des eigenhändig die Tat ausführenden Beteiligten als bloßer Gehilfe zunächst nicht ausdrücklich aufgegeben, die eigenhändige Ausführung aber jedenfalls als gewichtiges Indiz für den Täterwillen gesehen.[38] Eine bloße Teilnehmerstrafbarkeit sollte in diesen Fällen nur dann möglich sein, wenn „der Handelnde seinen Willen dem eines anderen vollständig unterordnet und zu diesem in einem Verhältnis steht, das diesem anderen trotz der vollständigen Verwirklichung aller Tatbestandsmerkmale durch das eigene Verhalten die volle Tatherrschaft überläßt“.[39]

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Allerdings neigte der BGH in militärischen Zusammenhängen – wohl begünstigt durch § 47 MStGB, welcher nur die Teilnahmestrafbarkeit des Untergebenen erwähnte – zur Annahme einer solchen vollständigen Unterordnung.[40] In einem nicht-militärischen Fall forderte er dagegen unter ausdrücklicher Ablehnung der „Badewannenentscheidung“, den Willen des Angeklagten, mit seinem Tatbeitrag nicht bloß fremdes Tun zu fördern. Vielmehr müsse der Mittäter seinen Tatbeitrag als Teil der Tätigkeit aller und die Handlungen der anderen folglich als Ergänzung des eigenen Tatanteils auffassen.[41] Dies wurde dann wiederum maßgeblich aufgrund objektiver Umstände ermittelt, und der Täterwille damit letztlich nicht mehr als rein innere Tatsache verstanden.[42] Dem Angeklagten wurde ein Täterwille, den er eigentlich nicht nachweisbar hatte, unter Rückgriff auf objektive Umstände fiktiv unterstellt. Diese Tendenz findet sich auch in anderen Entscheidungen, in denen der Täterwille maßgeblich unter Rückgriff auf den objektiven Umstand der (vermeintlichen) Mitbeherrschung der Tat begründet wird.[43]

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Losgelöst vom Täterwillen und allein auf normative Umstände (richterliche Unabhängigkeit) gestützt, begründete der BGH, dass ein berufsrichterlicher Beisitzer am VGH Täter, nicht bloßer Gehilfe Freislers sei.[44] Dagegen wendete der BGH in anderen Fällen wiederum eine extrem-subjektive Theorie an, degradierte die Tatherrschaft zum bloßen (widerlegten) Indiz, und kam so zu einer Beihilfe des eigenhändig die Tat Begehenden[45] bzw. einer Mittäterschaft bei denjenigen, die bei der Tat nicht anwesend waren, sondern nur den Haupttäter zur Begehung ausgewählt hatten.[46] Der BGH vertrat eine strafbarkeitseinschränkend wirkende extrem-subjektive Theorie nicht nur im prominenten „Staschynskij-Fall“ (BGHSt 18, 87[47]), sondern vor allem auch in mehreren Entscheidungen zu Taten im Rahmen der Vernichtungspolitik des Dritten Reiches.[48] Die Linie des BGH, nach der Täter der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik nur Hitler, Himmler und die engste Führungsriege des Dritten Reiches waren, ließ viele Menschen, die während des NS-Regimes eigenhändig getötet hatten, als bloße Gehilfen (oder, wegen der frühen Verjährung des Totschlags, gar gänzlich ungestraft) erscheinen.[49] Diese Sehweise deckte sich aber nicht mit der sonstigen Rechtsprechung und nicht einmal mit dem „Staschynskij-Fall“, wonach derjenige, dessen Ziele sich mit denen des Taturhebers deckten, nicht bloß Gehilfe sein sollte.[50] Das Bedürfnis nach einer konsistenten Theorie zur Abgrenzung gab der BGH in den Nachkriegsjahren faktisch auf und degradierte das Merkmal des Täterwillens zur Leerformel, die je nach gewünschtem Ergebnis mit beliebigen Kriterien von extrem-subjektiv bis zu den objektiven Aspekten einer Tatherrschaftslehre ausgefüllt werden konnte.[51] Die Rechtsprechung bis 1975 ist danach weniger durch „die“ subjektive Theorie als vielmehr durch die Abwesenheit klarer Abgrenzungskriterien gekennzeichnet.[52] In den Beratungen der Großen Strafrechtskommission wurde die animus-Theorie der Rechtsprechung als „Tarnung für eine richterliche Wertung aufgrund einer Ganzheitsbetrachtung“ bezeichnet.[53]

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Mit der Reform von 1975 änderte sich die Rechtsprechung nur teilweise. Die Beratungen hatten zwar keine abschließende Entscheidung für oder wider die subjektive Theorie bringen können, deutliche Kritik wurde aber an der zu weitgehenden Annahme von Beihilfe trotz eigenhändiger Tatausführung und damit an einer extrem-subjektiven Theorie laut. Durch die Beratungen hinweg wurde die Sicht geäußert, Fallgestaltungen wie den „Badewannen-Fall“ künftig als Mittäterschaft zu erfassen.[54] Daher ging man nach der Reform davon aus, dass die extrem-subjektive Theorie nun überholt sei.[55] Dem folgte im Wesentlichen auch die Rechtsprechung.[56] Gleichwohl ist anzumerken, dass die meisten an der Reform Beteiligten die (extrem-subjektive) Annahme der Beihilfe in Extremfällen weiter für angemessen hielten, so dass sich auch der BGH nicht gehalten sehen musste, von dieser bisherigen Rechtsprechung vollständig abzurücken und sich die Möglichkeit einer Beihilfe trotz eigenhändiger Tatbegehung weiterhin als Ausnahmefall offenhalten konnte.[57] Insgesamt zeichnete sich die Rechtsprechung des BGH insbesondere dadurch aus, dass sie durch Auswechseln der für sie maßgeblich gehaltenen Kriterien weiter auf eine konsistente Abgrenzungstheorie zugunsten einer vermeintlich gerechte Ergebnisse produzierenden Flexibilität verzichtete.[58]

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Inzwischen nimmt der BGH zur Ermittlung des Täterwillens eine „wertende Gesamtbetrachtung“ vor, bei der verschiedene normative Kriterien miteinander kombiniert werden.[59] Diese Form der Gesamtbetrachtung ermöglicht der Rechtsprechung eine umfassende Würdigung der Gesamtumstände und soll dem Tatrichter „in Grenzfällen“ einen Beurteilungsspielraum eröffnen.[60] Die Mittäterschaft sei durch den Täterwillen aller Beteiligter gekennzeichnet, welcher sich maßgeblich nach dem Grad des eigenen Interesses an der Tat, dem Umfang der Tatbeteiligung und der Tatherrschaft bzw. dem Willen zur Tatherrschaft bestimme.[61] Über die drei letzteren Kriterien der Täterschaft spielen dabei wiederum objektive Kriterien in die Abgrenzung hinein,[62] die sich aber nach Belieben durch das unspezifische Kriterium des eigenen Interesses beiseite schieben lassen. Gerade dieses Interesse wird aber oft auf tatbestandsfremde Umstände, namentlich Motive der Beteiligten, gegründet, die weniger mit der gemeinschaftlichen Begehung der Straftat zu tun haben.[63] Da es sich bei den normativen Kriterien nur um Indizien handelt, binden sie zudem den Richter nicht, dieser kann auch (selbst wenn alle Indizien für die Bejahung der Täterschaft sprechen) nach einer Gesamtschau eine Teilnahme annehmen und umgekehrt. Damit wird dann aber die Unterscheidung von Täterschaft und Teilnahme zu einem „strafzumessungsähnlichen Akt“.[64] Das widerstreitet dem Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG.[65]

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Die Rechtsprechung betont also einerseits im Ausgangspunkt zutreffend die maßgebliche Willensübereinstimmung der Mittäter als subjektive Seite der Mittäterschaft. Andererseits bleibt die Abgrenzung der Rechtsprechung jedoch nach wie vor – gerade aufgrund der Auswechselbarkeit der angelegten Kriterien – beliebig und unbestimmt.[66] Zudem darf auch das subjektive Element nicht losgelöst von der durch den gemeinsamen Entschluss bedingten erweiterten Tatmacht gedacht werden:[67] Ein reines Wollen kann keine Verantwortlichkeit für fremdes Handeln begründen.[68] Mittäterschaft erfordert mehr als nur einen gemeinsamen Willensentschluss der Beteiligten, wie dies für den Komplott ausreichte.

12. Abschnitt: Täterschaft und Teilnahme§ 51 Mittäterschaft › C. Begründungsansätze in der Literatur

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