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2. Voraussetzungen der Festsetzung

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Die Festsetzung einer Verbandsgeldbuße knüpft § 30 OWiG an enge Voraussetzungen, die der Gesetzgeber im Laufe der Zeit mehrfach erweitert hat. Bei § 30 OWiG handelt es sich nach h.M. um eine „Zurechnungsnorm“[92] in dem Sinne, dass bestimmten Verbänden (Rn. 29) bestimmte Straftaten und Ordnungswidrigkeiten ihrer Leitungspersonen („Repräsentanten“; Rn. 30 ff.) zugerechnet werden.

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Sanktionsfähig sind nur juristische Personen, nichtrechtsfähige Vereine und seit dem 30. August 2002[93] alle rechtsfähigen Personengesellschaften (§ 30 Abs. 1 Nr. 1–3 OWiG); zuvor waren nur Personenhandelsgesellschaften einbezogen. Erfasst sind nach h.M.[94] auch juristische Personen des öffentlichen Rechts (z.B. Körperschaften, Anstalten), da der Wortlaut keine Einschränkung enthält, öffentliche Unternehmen in privat- oder öffentlich-rechtlicher Form betrieben werden können und eine Privilegierung unangemessen wäre. Umstritten ist, ob der „Staat“ (Bund, Länder) sanktionsfähig ist.[95] Im Falle einer (partiellen) Gesamtrechtsnachfolge kann die Verbandsgeldbuße seit dem 30. Juni 2013[96] gegen den bzw. die Rechtsnachfolger festgesetzt werden (§ 30 Abs. 2a OWiG). Zuvor bestand eine Sanktionslücke, da eine Geldbuße wegen des Analogieverbotes (Art. 103 Abs. 2 GG) nur dann festgesetzt werden konnte, wenn zwischen der früheren und der neuen Vermögensverbindung nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise („nahezu“) Identität bestand.[97]

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§ 30 Abs. 1 OWiG setzt die Begehung einer Anknüpfungstat durch einen Menschen voraus, der als Leitungsperson fungiert: bei der juristischen Person das vertretungsberechtigte Organ oder ein Mitglied des Organs (Nr. 1); beim nichtrechtsfähigen Verein der Vorstand oder das Mitglied des Vorstands (Nr. 2); bei einer rechtsfähigen Personengesellschaft ein vertretungsberechtigter Gesellschafter (Nr. 3). Seit dem 1. November 1994[98] sind auch bestimmte gewillkürte Vertreter, nämlich Generalbevollmächtigte, in leitender Stellung tätige Prokuristen und Handlungsbevollmächtigte (Nr. 4) einbezogen, um einer Verschleierung der Verantwortung entgegenzutreten.[99] Schließlich sind seit dem 30. August 2002 alle sonstigen Personen einbezogen, die für die Leitung verantwortlich handeln, wozu auch die Überwachung der Geschäftsführung oder die sonstige Ausübung von Kontrollbefugnissen in leitender Stellung gehört (Nr. 5). Damit wurde europäischen Vorgaben Rechnung getragen und einer Verlagerung der Verantwortlichkeit auf untergeordnete Ebenen weiter entgegengewirkt.[100]

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Die Straftat oder Ordnungswidrigkeit muss entweder Pflichten verletzt haben, welche die juristische Person oder Personenvereinigung treffen (§ 30 Abs. 1 Alt. 1 OWiG), oder diese bereichert bzw. der Täter dies beabsichtigt haben (§ 30 Abs. 1 Alt. 2 OWiG). Die Pflichtverletzungsalternative bezieht nur die Verletzung betriebsbezogener Pflichten ein, also von Sonderpflichten, die speziell dem Verband obliegen, und von Allgemeinpflichten im Zusammenhang mit dem Betrieb des Verbandes.[101] Dagegen sollen durch die Bereicherungsalternative unrechtmäßige Vorteile abgeschöpft werden, die dem Verband zugeflossen sind.[102] Die Anknüpfungstat muss schuldhaft bzw. vorwerfbar begangen worden sein, da dem Verband die Schuld der natürlichen Person als eigene zugerechnet wird. Wichtigste Anknüpfungstat ist § 130 OWiG, da Taten i.d.R. durch Personen unterhalb der Leitungsebene begangen werden und die Aufsichtspflicht (des Inhabers bzw. seiner Vertreter, § 9 OWiG) eine betriebsbezogene Pflicht ist.[103] Hierdurch ist der „Durchgriff“ auf den Verband möglich, wenn ein Mitarbeiter eine Tat begangen hat und die Aufsichtspflichtverletzung einer Leitungsperson i.S.v. § 30 OWiG festzustellen ist. Maßgebend ist diesbezüglich, ob die Zuwiderhandlung „durch gehörige Aufsicht verhindert oder wesentlich erschwert worden wäre“ (§ 130 Abs. 1 S. 1 OWiG). Damit wurde die sog. Risikoerhöhungslehre im Ordnungswidrigkeitenrecht normiert.[104] Wegen der engen Verzahnung von §§ 9, 30 und 130 OWiG ist von einer „Troika“[105] die Rede. Sanktionslücken bestehen aber dann, wenn ein Mitarbeiter eine Tat begangen hat und lediglich die Aufsichtspflichtverletzung einer Person vorliegt, die nicht zu dem herausgehobenen Kreis der Leitungspersonen zählt.[106] Weiter ist es gut möglich, dass Aufsichtsmaßnahmen ergriffen werden, die nach außen hin Rechtstreue dokumentieren, im Innenverhältnis jedoch nicht ernsthaft Anwendung finden („window-dressing“).[107] Schließlich sind Lücken bei der Erfassung von Auslandstaten durch das Ordnungswidrigkeitenrecht denkbar, da die Anwendbarkeit des deutschen Rechts und damit die Möglichkeit zur Festsetzung einer Verbandsgeldbuße davon abhängig sein kann, dass der Verband im Ausland Leitungspersonen mit deutscher Staatsangehörigkeit einsetzt, auf deren Straftaten nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB deutsches Recht anwendbar ist.[108]

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Bei beiden Tatalternativen ist ein Vertretungsbezug erforderlich, d.h. die Leitungsperson muss „als“ vertretungsberechtigtes Organ (usw.) gehandelt haben. Auch § 14 StGB und § 9 OWiG setzen dies beim „Handeln für einen anderen“ voraus. Nach der Gesetzesbegründung[109] wird der Täter „in aller Regel“ nicht als Vertreter tätig, wenn er „in seinem eigenen Interesse handelt“. Dementsprechend folgte die Rechtsprechung lange der Interessentheorie,[110] wonach der Vertretungsbezug besteht, wenn der Täter bei wirtschaftlicher Betrachtung „wenigstens auch“ im Interesse des Vertretenen handelt, nicht aber, wenn er ausschließlich eigennützig tätig ist. Diese Differenzierung führte jedoch „zu einer dem Schutzzweck zuwiderlaufenden Zurückdrängung der Delikte des Insolvenzstrafrechts“[111] und war bei Fahrlässigkeitsdelikten nicht durchführbar. Im Schrifttum setzte sich deshalb eine Funktionstheorie durch, wonach der Täter rechtliche oder tatsächliche Wirkungsmöglichkeiten genutzt haben muss, die sich aus seiner Stellung ergeben.[112] Mittlerweile hat der BGH[113] die Interessenformel aufgegeben und fordert ein Tätigwerden „im Geschäftskreis des Vertretenen“ (Geschäftskreistheorie), nicht bloß „bei Gelegenheit“.

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