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1. Handlungsfähigkeit

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Traditionell[182] wird bereits die Handlungsfähigkeit von Verbänden verneint. Juristischen Personen und Personenvereinigungen fehle es als juristischen Konstrukten an der psychisch-geistigen Substanz, sie seien unfähig, einen eigenen „natürlichen“ Willen zu bilden und zu handeln. Das Handeln von Verbänden sei stets von Menschen abgeleitet, ein eigenes Handeln sei nur im Zivilrecht normativ anerkannt.

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Die Gegenauffassung bejaht die Handlungsfähigkeit. Ein älterer Ansatz[183] nahm an, dass ein Verband durch seine Mitglieder „selbst“ handelt, also i.d.S. über eine „natürliche“ Handlungsfähigkeit verfügt. Jedes Mitglied des Verbands unterwerfe sich mit seinem Beitritt den in der Satzung geregelten Modalitäten der Beschlussfassung. Der Verbandswille manifestiere sich in der Beschlussfassung der Mehrheit, das Verbandsverhalten bestehe in der Umsetzung durch die Vertreter. Der Verband habe damit einen Sonderwillen, der sich vom Einzelwillen der Mitglieder unterscheiden könne. Gegen diese Sichtweise ist aber einzuwenden, dass dieser Verbandswille kein „eigener“ ist, sondern auf der vorgelagerten Willensbildung von Menschen fußt.[184] Zudem handelt bei der Umsetzung der Beschlüsse nicht der Verband, sondern ein Vertreter, der auch auf eigenen Entschluss hin tätig werden kann. Im Übrigen ist es wenig plausibel, dass die Mitglieder die Begehung von rechtswidrigen Handlungen stets billigen bzw. sich solchen Mehrheitsentscheidungen unterwerfen wollen.[185]

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Ein neuerer Ansatz[186] erblickt den „eigenen“ Verbandswillen und die „natürliche“ Handlungsfähigkeit des Verbands im „realen“ Tätigwerden des Verbands, das er als dessen (originär) „eigenes“ Handeln begreift. Angeknüpft wird hierbei insb. an die Theorie der realen Verbandspersönlichkeit von Otto v. Gierke, wonach Verbände reale, eigenständige soziale Subjekte seien und „selbst“ durch ihre Vertreter handeln (Rn. 7), aber auch an die Systemtheorie von Niklas Luhmann, wonach sich das Verhalten eines sozialen Systems als dessen eigenes Handeln begreifen lasse. Teilweise wird auch in Anlehnung an Immanuel Kant angenommen, dass jede Handlung natürlicher Personen, die als Teil einer juristischen Person vollzogen wird, „eine Handlung des Ganzen, mithin jedes einzelnen Teiles“ darstellt.[187] Freilich ist gegen diese Sichtweisen erneut einzuwenden, dass nicht der Verband „selbst“ handelt, sondern dass Menschen „für ihn“ handeln, womit aus der Perspektive des Rechts (nur) eine Zurechnung von Handlungen an den Verband als „eigene“ stattfindet.

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Überzeugender ist die verbreitete[188] Annahme, dass einem Verband die willensgetragenen Handlungen seiner Leitungspersonen auch strafrechtlich als „eigene“ zuzurechnen sind, mithin eine „Form des eigenen Handelns durch einen anderen“[189] vorliegt. Teilweise[190] werden einem Unternehmen sogar die Handlungen aller Personen zugerechnet, die ihm angehören. Maßgebend ist in jedem Fall die normative Anerkennung. Prägnant formulierte dies Franz v. Liszt bereits im Jahr 1881: „Wer Verträge schließen kann, der kann auch betrügerische oder wucherische Verträge schließen“.[191] Soweit hierdurch aber auf das Zivilrecht und speziell auf § 31 BGB[192] abgestellt wird, wonach Vereine für Handlungen ihrer Organe „haften“, ist dem entgegenzuhalten, dass der Schluss von der zivilrechtlichen Haftung auf die strafrechtliche Verantwortlichkeit nicht zwingend ist.[193] Auch der Hinweis darauf, dass dem Strafrecht die Zurechnung eines Verhaltens „als eigenes“ nicht fremd sei, weil bei § 25 StGB dem mittelbaren Täter das Verhalten des Tatmittlers zugerechnet wird und auch bei der Mittäterschaft Tatbeiträge wechselseitig zugerechnet werden,[194] verfängt nicht. In diesen Fällen liegt ein (originär) eigenes Handeln und Wollen des Täters vor, an das die Zurechnung anknüpft.[195] Durchgreifend ist dagegen der Verweis auf § 30 OWiG, da die Festsetzung einer Verbandsgeldbuße die Begehung einer Tat durch eine Leitungsperson voraussetzt, womit eine Zurechnung von Handlungen normiert ist. Wenn aber eine Zurechnung im Ordnungswidrigkeitenrecht konstruktiv möglich ist, dann muss sie das auch im Strafrecht sein, da der Handlungsbegriff in beiden Rechtsgebieten identisch ist und aus dem Unterschied, der zwischen Ordnungswidrigkeiten und Straftaten im Hinblick auf das Unrecht besteht (Rn. 25), keine abweichende Bewertung der Handlungsfähigkeit resultieren kann.[196] Weiter ist auf die strafrechtliche Regelung des § 74e StGB (Rn. 46) hinzuweisen: Bei der Einziehung von Verbandseigentum, das zu einer strafbaren Handlung missbraucht wurde, wird die Handlung des Organs oder Vertreters dem Verband nach dem Wortlaut des Gesetzes ausdrücklich „zugerechnet“.[197] Schließlich kann darauf hingewiesen werden, dass das BVerfG bereits im Jahr 1966 im Bertelsmann-Lesering-Beschluss ausgeführt hat, dass „die juristische Person […] als solche nicht handlungsfähig [ist]“, womit die „für sie verantwortlich handelnden Personen“ maßgebend sind.[198]

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