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I. Erscheinungsformen des Vollzugs von Unionsrecht

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Vollzugstypologien: Anwendung, Umsetzung, Durchsetzung

Der Vollzug von (Verwaltungs-)Recht kann in verschiedene Phasen unterteilt werden.[1] Der Rechtsetzung folgt die Rechtsanwendung durch Behörden oder auch Gerichte auf einen Einzelfall. Ferner kann Rechtsetzung nachgeordnete Regelsetzung mandatieren, die Vorgaben der gesetzlichen Ermächtigung umsetzt. Eine solche Umsetzung erweist sich gleichfalls als eine Form des Gesetzesvollzugs, weil das Gesetz der Exekutive konkretisierende Ausführungsrechtsetzung durch Verordnungen zuweist. Gesetzgebung kann ferner rein binnenwirksame Verwaltungsvorschriften zur Folge haben, die für die Rechtsanwendung konkretisierende Anweisungen geben. Schließlich kann die zwangsweise Durchsetzung von der Anwendung unterschieden werden, die durch Überwachung, Sanktionierung oder Verwaltungsvollstreckung erfolgt. Es lassen sich damit vereinfacht die Anwendung, die Umsetzung und die Durchsetzung von (Verwaltungs-)Recht als grundlegende Kategorien unterscheiden, denen unterschiedliche Handlungsformen des Verwaltungsrechts entsprechen. Für das Unionsrecht gilt nichts anderes. Auch das Unionsrecht wird auf Einzelfälle angewendet, wird durch Umsetzungsregeln näher konkretisiert (insbesondere im Regulierungsrecht[2]) oder dann ausgeführt und schließlich im Vollstreckungswege durchgesetzt. Das EU-Primärrecht kennt den Begriff der Durchführung des Unionsrechts schon länger und meint damit sowohl die Einzelfallanwendung wie die Umsetzung durch allgemeines Durchführungsrecht. Gleichwohl lag der Fokus der wissenschaftlichen Diskussion um Erfassung und Kategorisierung des Vollzugs des Unionsrechts zunächst nicht so sehr auf den verschiedenen Funktionen des Vollzugs und den sich dabei stellenden Rechtsfragen, als vielmehr auf der Frage nach der Verortung des Vollzugs und damit auf der Zuständigkeitsverteilung.

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Zentraler und dezentraler Vollzug

In tradierter Diktion wird zwischen zentralem, unionseigenem, direktem oder unionsunmittelbarem Vollzug und dezentralem, indirektem also nationalem, mittelbarem Vollzug des Unionsrechts unterschieden.[3] Während ersterer durch Organe und Einrichtungen der Union selbst erfolgt, ist letzterer eine Angelegenheit der nationalen Stellen, an der alle drei Staatsgewalten beteiligt sind[4] (Mittlerweile könnte man als weitere Kategorie den internationalisierten Vollzug durch internationale Gremien wie etwa Vertragsausschüsse anfügen[5]). Im Vordergrund dieser Abgrenzung steht eine Betrachtung der Kompetenzverteilung zwischen EU und ihren Mitgliedstaaten, wonach gemäß dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung eine Vollzugszuständigkeit nur in den ausdrücklich im Primärrecht vorgesehenen Fällen bei der EU liegen könne. Daher wird auch dargelegt, dass der zentrale Vollzug des Unionsrechts die Ausnahme sei, während im Regelfall das Unionsrecht durch nationale Stellen vollzogen werde.[6] Diese auch in der frühen Judikatur auffindbare, dualistische Betrachtung[7] wird allerdings der Komplexität des Vollzugs von Unionsrecht auf dem heute erreichten Integrationsstand nicht mehr gerecht. Denn die verschiedenen Ebenen wirken bei der Vollziehung des Unionsrechts zusammen, wie sich bereits an dem typischsten Beispiel für zentralen Vollzug, dem Wettbewerbsrecht der EU, aufzeigen lässt: Zwar ist die Kommission die Wettbewerbsbehörde der EU. In dieser Funktion erlässt sie Bußgeldbescheide gegen Kartelle oder genehmigt staatliche Beihilfen. Doch die Vollstreckung geschieht durch nationale Stellen, und nicht nur das: Bereits die Entscheidungsfindung im Kartellrecht erfolgt in Abstimmung mit dem Beratenden Ausschuss und auch im Zusammenwirken mit den nationalen Kartellbehörden im Europäischen Wettbewerbsnetz (ECN)[8], und der Vollzug des Wettbewerbsrechts wird zunehmend auch – parallel – nationalen Stellen überlassen.[9] Das Zusammenwirken erfolgt nicht nur auf vertikaler (also zwischen EU und nationaler Verwaltung), sondern auch auf horizontaler Ebene (zwischen den Mitgliedstaaten). Noch viel intensiver ist das Zusammenwirken der beiden Ebenen in den Fällen ausgestaltet, in denen Entscheidungen in gestuften Verfahren getroffen werden, an denen nationale und europäische Stellen gemeinsam teilhaben, was sich häufig im Regulierungsrecht findet. Somit hat sich die klassische kategoriale Unterscheidung von dezentralem und zentralem Vollzug weitgehend überlebt und nur noch Bedeutung als Grundkategorien an den äußersten Enden der verschiedenen Verschränkungen des Verwaltungsvollzugs in der EU.[10] Neben den kompetenziellen Problemen, die eine Verhaftung in dualistischen Sichtweisen des Vollzugs für die Abbildung der heutigen Realität des Verwaltungsvollzugs des Unionsrechts aufwirft, bringt diese Sichtweise auch Gefahren in der Einschätzung des Rechtsschutzes: Die dualistische Sichtweise bildet sich in dem für den Rechtsschutz gegen die Verwaltung in der EU nach wie vor vorherrschenden Trennungsmodell ab und gibt sich vorschnell mit einem Verweis auf die auf beiden Ebenen bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten zufrieden.[11]

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Kooperationsverwaltung, Verwaltungsverbund, integrierte Verwaltung, Verwaltungsraum

Aufgrund dieser Vielgestaltigkeit der Erscheinungsformen des Verwaltungsvollzugs und des Zusammenwirkens beider Ebenen wurden in der wissenschaftlichen Diskussion um die Vollzugstypen weitere Begrifflichkeiten entwickelt, die für die Analyse der vielgestaltigen Verschränkungen der beiden in der dualistischen Sichtweise getrennten Ebenen oder zumindest ihres Zusammenwirkens verwendet werden. Man findet – durchaus auch mit inhaltlichen Divergenzen im Detail – Kooperationsverwaltung[12], Verbundverwaltung[13], integrierte Verwaltung oder allgemein Mehrebenenverwaltung[14]. Früh wurde auch der Begriff des Verwaltungsraums zur Erfassung gerade der Vereinheitlichungswirkungen auf das nationale Verwaltungsrecht (und zunächst darauf beschränkt, somit die supranationale Verwaltungsebene nicht einbeziehend) eingeführt.[15] Diese begrifflichen Probleme, die Komplexität der verschiedenen Erscheinungsformen des Verwaltungsvollzugs und der Ebenenverschränkung zu erfassen und in einem Terminus unterzubringen[16], finden sich auch in der englischen Literatur. Während für das überholte dualistische Bild der Durchführung von Unionsrecht der Begriff „executive federalism“ verwendet wird[17], unterteilt Paul Craig bereits nach „central administration/management“ und „shared administration/management“[18], was in letzterem das Zusammenwirken beider Ebenen anspricht. Jüngeren Datums sind Begrifflichkeiten wie „composite“[19] oder „integrated“[20] administration. Der deutsche Terminus „Verwaltungsraum“ hat eine englische Entsprechung im „European Administrative Space“[21], mit dem allerdings eher die zunehmende Herausbildung einer Verwaltungsagenda für die EU begrifflich erfasst wird. Damit wird eine Verschiebung bezeichnet: Die EU hatte sich zunächst auf Gesetzgebung und Politikgestaltung fokussiert und entwickelte erst in jüngerer Zeit ein Bewusstsein für die Notwendigkeit, auch die Umsetzungsrealitäten des Unionsrechts in den Blick zu nehmen und sie – auch durch vereinheitlichende Strukturen – im Interesse größerer Effizienz und Einheitlichkeit stärker anzugleichen.[22] Der Begriff Verwaltungsverbund hat dabei den Vorteil, dass dadurch die starke, gerade nicht notwendig hierarchische Verflechtung mehrerer grundsätzlich eigenständiger Verwaltungen und Ebenen zum Ausdruck gebracht wird, ohne das Zusammenwirken auf eine Vorstellung von Kooperation zu begrenzen oder an die inhaltlich recht unbestimmte Raummetapher[23] anzuknüpfen. Der Begriff ist offen für unterschiedlichste Funktionen, derer die Verschränkung dient. Gleichzeitig vermeidet die Verbundmetapher die irreführende Vorstellung einer einheitlichen Verwaltung, wie es die Raummetapher in ihrer Parallele zum Binnenmarkt als Raum ohne Binnengrenzen oder zum Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, die auch noch spezifisch unionale Politikziele bezeichnen, insinuiert.

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