Читать книгу Handbuch des Verwaltungsrechts - Группа авторов - Страница 236
I. Einleitung: Begriff, Erscheinungsformen und Konsequenzen
Оглавление7
EU-Eigenverwaltung
Als zentrale, EU-eigene Verwaltung werden die auf Ebene der EU angesiedelten, genuin supranationalen Verwaltungseinrichtungen und ihre Aufgabenerfüllung nach innen und/oder nach außen bezeichnet. Verwaltungsträger insoweit ist nicht nur die Kommission; auch der Rat hat begrenzte Verwaltungsaufgaben (Art. 108 Abs. 2 UAbs. 3, 4 AEUV) bzw. kann mit solchen betraut werden (Art. 291 Abs. 2 AEUV). Hinzu kommen verselbstständigte Verwaltungseinheiten, die auf der Grundlage von Primär- oder Sekundärrecht häufig als rechtlich eigenständige Einrichtungen (wie etwa Agenturen, dazu sogleich) errichtet werden. Sie werden dann einer mittelbaren Unionsverwaltung zugerechnet.[36] Das EU-Eigenverwaltungsrecht besteht damit aus allen auf die unionseigene Verwaltungsführung bezogenen unionsrechtlichen Regeln des einschlägigen Primärrechts und des relevanten EU-Sekundärrechts. Zuweisungen von Verwaltungsaufgaben der EU-Eigenverwaltung finden sich im Primärrecht insbesondere mit Bezug auf die Europäische Kommission. Das sind die klassischen Bereiche der EU-eigenen Verwaltung. Für das EU-Wettbewerbsrecht legen Art. 103 Abs. 2 lit. d, 105 und 108 AEUV die Grundlagen für den Vollzug des EU-Wettbewerbsrechts durch die Kommission, die dann in den einschlägigen Verfahrensverordnungen[37] im Hinblick auf Entscheidungsbefugnisse, Ermittlungsmaßnahmen und Verfahrensabläufe weiter konkretisiert werden. Für die autonome Handelspolitik ist eine Vollzugszuständigkeit der Kommission nicht explizit im Primärrecht verankert, jedoch ist es die Kommission, die in den einschlägigen Gesetzgebungsakten auf der Grundlage von Art. 207 Abs. 2 AEUV mit der Durchführung der EU-Handelspolitik im Bereich Dumpingabwehr, Schutzmaßnahmen, Strafzölle und anderen Formen des Handelsschutzes im Rahmen der Außenwirtschaftspolitik der EU betraut wird.
8
Interne versus externe EU-Eigenverwaltung
Diese Bereiche der EU-Eigenverwaltung richten sich nach außen. Die Anwendung des Unionsrechts erfolgt gegenüber dem Bürger oder Unternehmen, oder aber auch gegenüber einem EU-Mitgliedstaat, wie etwa im Beihilferecht, wo Adressat der Beschlüsse der Kommission der das Beihilfevorhaben notifizierende Mitgliedstaat, nicht unmittelbar der betroffene Beihilfeempfänger ist. Neben der externen EU-Eigenverwaltung besteht auch eine interne EU-Eigenverwaltung, die sich weitgehend auf den Innenbereich der EU beschränkt. Beispiele dafür sind das Beamten-/Personalrecht der EU[38] und das innere Organisationsrecht der Organe und Einrichtungen der EU. Als Innenrecht kann auch, allerdings nur mit erheblichen Einschränkungen[39], das Haushaltsrecht und der Haushaltsvollzug, wiederum vorrangig durch die Kommission gemäß Art. 317 Abs. 1 AEUV und Art. 163 AEUV (spezifisch für den Europäischen Sozialfonds), angesehen werden. Die Administration dieser Bereiche ist naturgemäß eigene Angelegenheit der EU und kann nur durch ihre Einrichtungen erfolgen.[40]
9
Pluralisierung und Ausdifferenzierung
Bereits die phänomenologische Erfassung und Kategorisierung der EU-Eigenverwaltung ist kaum mehr möglich, da ihre Erscheinungsformen sehr vielgestaltig sind; ihre Verwaltungsstruktur ist „polyzentrisch“[41]. Auch die EU-Eigenverwaltung hat sich nicht nach einem vordefinierten Ordnungsraster entwickelt, sondern ist im Wildwuchs politischer oder administrativer Notwendigkeiten entstanden. In den Anfängen der Europäischen Integration war die zentrale Ausführung von Verwaltungsaufgaben im Wesentlichen auf die Kommission und im Einzelfall auf den Rat konzentriert. Heute sind mit den unterschiedlichsten Einrichtungen nicht nur zahlreiche Verwaltungsträger auf EU-Ebene hinzugekommen, sondern ihre Verwaltungsfunktionen haben sich auch stark ausdifferenziert. Während der Kommission in der Außenwirtschafts- und in der Wettbewerbspolitik der Vollzug des Unionsrechts weitgehend vollständig, d. h. alle Verfahrensstufen abdeckend, und umfassend, d. h. das Politikfeld in der ganzen Breite der einschlägigen EU-Zuständigkeit erfassend, zugewiesen war und teilweise noch ist, stellt sich das in den Bereichen, in denen andere Einrichtungen der EU zum Einsatz kommen, sehr unterschiedlich dar. Den dezentralen Agenturen der EU sind Vollzugsaufgaben kaum je in einer ein Politikfeld insgesamt umfassenden Weise übertragen worden. Am ehesten findet sich solche „umfassende“ Eigenverwaltung noch im Sortenschutz- und im Produktzulassungsrecht.[42] Zuallermeist werden den Agenturen oder den sonstigen Einrichtungen der EU auf sekundärrechtlicher Grundlage[43] jedoch nur ganz spezifische Funktionen übertragen, die sehr unterschiedlich ausfallen können. Sie reichen von bloßer Informationssammlung und Beratung der Kommission bei ihrer Politikformulierung, über die Vorbereitung von Vollzugsrechtsakten der Kommission bis hin zu eigenen außenwirksamen punktuellen Entscheidungsbefugnissen in bestimmten Fragen, oder beschränken sich auf eine Unterstützung nationaler Vollzugsstellen (Europol, früher Frontex[44]). Sie arbeiten im Rahmen ihrer Aufgaben innerhalb eines Politikfelds beim Vollzug des Unionsrechts mit den nationalen Vollzugsstellen zusammen. Die EU-Eigenverwaltung wächst auf diese Weise und wird pluraler und ausdifferenzierter.[45] Institutionen der EU-Eigenverwaltung sind nicht mehr auf wenige Politikfelder begrenzt, sondern können potentiell in allen Zuständigkeitsbereichen der EU auftreten. Auch dort, wo die Kommission traditionell weitgehend allein und umfassend für den Unionsrechtsvollzug zuständig war, stellen sich durch Entwicklungen im Sekundärrecht Veränderungen ein. Wie bereits angemerkt,[46] hat sich die Vollzugsrealität in der Wettbewerbspolitik durch den zunehmenden Einbezug nationaler Wettbewerbsbehörden hin zu einer parallelen Vollziehung der Kartell- und Missbrauchsaufsicht gewandelt, und auch im EU-Beihilferecht sind die nationalen Stellen in die unmittelbare Vollziehung einbezogen worden.
10
Ursachen und Konsequenzen
Hintergrund dieses Anwachsens und der Ausdifferenzierung der EU-Eigenverwaltung ist die bereits angesprochene Neufokussierung auf die Vollzugsrealität,[47] die die Errichtung von Verwaltungsakteuren auf EU-Ebene und die Vorgabe verwaltungsrechtlicher Regeln oder den schrittweisen Ausbau von Ermittlungs- und Entscheidungsbefugnissen mit sich bringt[48], um so die kohärente Umsetzung des Unionsrechts zu stärken.[49] Dies beeinflusst nicht nur die supranationale, sondern auch die nationale Ebene. Auf der supranationalen Ebene verändert sich das institutionelle Gefüge der EU durch die Einrichtung der EU-Agenturen und sonstigen Stellen, die auch in Hinblick auf die EU-Bürger zunehmend genuine Verwaltungsaufgaben wahrnehmen.[50] In der Verbundverwaltung arbeiten mitgliedstaatliche und EU-Institutionen vertikal und horizontal verzahnt zusammen.[51] Für die Mitgliedstaaten wächst der europäische Einfluss auf ihre Verfahrens- und Organisationsautonomie[52].[53] Zunehmend regelt die EU die Zuständigkeit, Ausgestaltung und Zusammensetzung nationaler Verwaltungsbehörden und errichtet Behördennetzwerke. Der Einfluss der supranationalen Ebene auf den Vollzug des Unionsrechts wird sich weiter intensivieren; nicht zuletzt die Szenarien der Kommission für die Zukunft Europas deuten auf eine weitere Stärkung der EU-Eigenverwaltung, insbesondere von Agenturen.[54]