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7. Corporate Governance

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Corporate Governance bezeichnet allgemein definiert den rechtlichen und faktischen Ordnungsrahmen für die Leitung und Überwachung eines Unternehmens.[104]

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Als Bausteine eines Systems der Unternehmensüberwachung im Sinne der Corporate Governance werden allgemein unterschieden: der Vorstand und der Aufsichtsrat bzw. der Verwaltungsrat und die geschäftsführenden Direktoren im monistischen System, die Arbeitnehmer und ihre Mitbestimmung, die Banken, die Börse und der Kapitalmarkt, der Markt für Unternehmenskontrolle, die Publizität und die Wirtschaftsprüfung.[105]

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Corporate Governance soll die Unternehmensüberwachung in diesem Sinne nicht nur beschreiben, sondern den am System der Unternehmensüberwachung Beteiligten eine Richtlinie geben, wie die Unternehmensüberwachung gut funktionieren kann. Dies dient letztendlich dazu, die Aktionäre und die zukünftigen Investoren davon zu überzeugen, dass ihr Kapital bei Befolgung eines bewährten Corporate Governance Kodex gut angelegt ist.[106]

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Anfang der 90er Jahre setzte eine intensive Corporate Governance-Diskussion ein. Ergebnis dieser Corporate Governance-Diskussion waren Corporate Governance-Kodizes in zahlreichen Ländern. In den verschiedenen Ländern wurden Corporate Governance-Regeln auf Initiative der unterschiedlichsten staatlichen und nichtstaatlichen Einrichtungen und supranationalen Organisationen geschaffen. Auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat OECD-Richtlinien zur Corporate Governance entworfen, die im Mai 2004 noch einmal angepasst und verschärft wurden.[107] In Großbritannien wurden die Corporate Governance-Regelungen im Combined Code als Standardkodex festgehalten, in Frankreich im sog. Vienot-Bericht. In den USA wurde kein allgemein anerkannter Corporate Governance Kodex geschaffen. Die Gesellschaften haben in den USA ihre individuellen Kodizes entwickelt und veröffentlicht. Dabei haben die Kodizes von General Motors, Campbell Soups oder Calpers besondere Bekanntheit erlangt.[108]

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Anders als diese internationale Entwicklung hat die Kodex-Diskussion zur Corporate Governance in Deutschland relativ spät eingesetzt. Erst Ende der 90er Jahre, im ausklingenden Börsenboom, wurde es zunehmend als Mangel empfunden, dass es in Deutschland keinen Corporate Governance Kodex gab, der insbesondere für ausländische Investoren die Funktionsweise einer deutschen börsennotierten AG transparent machen sollte.

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Im Jahr 2000 wurden auf der Grundlage zweier privater Initiativen zwei Corporate Governance Kodizes entworfen. Es handelte sich dabei zum einen um die von der Grundsatzkommission Corporate Governance aufgestellten „Corporate Governance Grundsätze“ für börsennotierte Gesellschaften, die sog. Frankfurter Grundsätze,[109] zum anderen um den vom Berliner Initiativkreis „German Code of Corporate Governance“ („GCCG“) vorgelegten Kodexentwurf.[110] Die beiden Kodexentwürfe standen in einem gewissen Wettbewerb zueinander[111] und hatten eine unterschiedliche Konzeption. Die Frankfurter Grundsätze waren eher juristisch geprägt, während die Berliner GCCG eine stärker betriebswirtschaftliche Prägung hatten.[112]

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Obwohl die Anregungen der Frankfurter und Berliner Initiativen auf positive Resonanz stießen, wurde es allgemein als problematisch angesehen, auf Dauer zwei unterschiedliche Kodizes in Deutschland zu haben.[113] Deshalb wurde auf Initiative der Bundesregierung eine amtliche Kommission unter Leitung von Baums berufen (sog. Baums-Kommission), die Empfehlungen zu einem noch zu erstellenden einheitlichen Corporate Governance Kodex gab und entsprechende Veränderungen und Anpassungen des Aktiengesetzes in ihrem Abschlussbericht empfahl.[114]

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Auf der Grundlage des Baums-Berichts berief das Justizministerium im Herbst 2001 eine zunächst 12-, später 13-köpfige Kommission unter Leitung des damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden der ThyssenKrupp AG, Gerhard Cromme (Kodex-Kommission). Die Mitglieder der vom Bundesjustizministerium berufenen Kodex-Kommission wurden in dem Bestreben ausgewählt, alle interessierten und von dem Kodex später angesprochenen gesellschaftlichen Gruppierungen in die Kodex-Arbeit einzubeziehen. Bei den Mitgliedern handelte es sich um Vertreter der Wirtschaft, der Wissenschaft und des öffentlichen Lebens.[115]

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Entsprechend ihrem Auftrag hat die Kodex-Kommission auf der Basis des geltenden deutschen Rechts einen deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) entwickelt und in seiner Sitzung am 23.1.2002 verabschiedet. Der Kodex wurde am 26.2.2002 auf der Website der Kodex-Kommission veröffentlicht.[116] Da die Kodex-Kommission eine ständige Einrichtung ist, wird der DCGK von ihr ständig überprüft und bei Bedarf den geänderten Verhältnissen entsprechend angepasst. Die erste Novellierung des DCGK erfolgte in der Plenarsitzung am 21.5.2003.[117]

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Der DCGK enthält drei Kategorien von Verhaltensregeln. Es handelt sich dabei um die Wiedergabe des ohnehin schon geltenden Rechts, die Formulierung von Regeln, deren Einhaltung empfohlen wird, und solchen, deren Einhaltung angeregt wird.[118]

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Im rechtsbeschreibenden Teil des DCGK wird das Ziel verfolgt, kurz und prägnant mit für den Leser des DCGK leicht verständlichen Formulierungen einen möglichst objektiven, umfassendenden Überblick des geltenden Rechts zu schaffen.[119] Die Anregungen werden durch die Hilfsverben „sollte“ oder „kann“ kenntlich gemacht, um ihre Unverbindlichkeit deutlich zu machen. Die Empfehlungen werden durch das Hilfsverb „soll“ gekennzeichnet, um ihren verbindlicheren Charakter deutlich zu machen.[120]

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Da die Kodex-Kommission kein Gesetzgebungsorgan ist, hat der DCGK keine Normqualität.[121] Durch das am 1.7.2002 in Kraft getretene TransPuG wurde ein gesetzlicher Anknüpfungspunkt für den Corporate Governance Kodex in § 161 AktG eingeführt. Danach sind der Vorstand und der Aufsichtsrat einer börsennotierten Gesellschaft verpflichtet, für jedes Geschäftsjahr eine sog. Entsprechenserklärung abzugeben, durch die veröffentlicht wird, ob die Empfehlungen des DCGK von der Gesellschaft beachtet werden.[122] Die Abgabe der Entsprechenserklärung ist eine gesetzliche Pflicht des Organs. Die Entsprechenserklärung bezieht sich nur auf die Empfehlungen und nicht auf die Anregungen des Kodex.[123] Die Entsprechenserklärung muss lediglich klarstellen, ob die Empfehlungen des Kodex eingehalten werden. Diese Erklärung muss wahrheitsgemäß erfolgen. Eine Verpflichtung, den DCGK zu erfüllen, besteht dagegen nicht. Gefordert ist allein das Herstellen von Transparenz.[124]

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Die Organe müssen in der Entsprechenserklärung konkret darlegen, welche Empfehlungen sie nicht beachten. Sie müssen weiter erklären, ob von der betreffenden Empfehlung generell abgewichen werden soll oder ob sich die Abweichung auf einen oder mehrere Einzelfälle beschränkt.[125] Die Entsprechenserklärung kann danach auch sehr knapp ausfallen. Es reicht, wenn die Gesellschaft erklärt, dass sie den Empfehlungen des DCGK generell entspricht oder insgesamt nicht entspricht. Bisher bedurfte es bei der Nichtbefolgung keiner Begründung. Es wurde in Ziffer 3.10 des DCGK dem Vorstand und dem Aufsichtsrat demgemäß auch nur empfohlen, eine Abweichung zu begründen. Dies hat sich mittlerweile durch die Umsetzung der Richtlinie 2006/46/EG vom 14.6.2006 im Rahmen des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes (BilMoG) vom 25.5.2009[126] geändert. Nunmehr wird die Begründung von Kodexabweichungen in § 161 AktG gesetzlich vorgeschrieben.[127]

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Die Entsprechenserklärung ist den Aktionären der Gesellschaft und allen Kapitalmarktteilnehmern dauerhaft zugänglich zu machen. Sie muss jährlich, d.h. einmal im Kalenderjahr abgegeben werden. Solange die Erklärung den Aktionären dauerhaft zugänglich gemacht wird, gilt was in der Erklärung steht. Die Erklärung wirkt somit für die Vergangenheit und die Gegenwart. Wird von der Entsprechenserklärung während des Jahres abgewichen, so ist eine entsprechende Berichtigung vorzunehmen.[128] Durch das BilMoG wurde zudem der Anwendungsbereich des § 161 AktG erweitert. Er gilt jetzt auch für nicht börsennotierte Aktiengesellschaft, die andere Wertpapiere zum Handel an einem organisierten Markt ausgegeben haben.[129]

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Ob die gesetzliche Entsprechenserklärung gem. § 161 AktG vom Vorstand und Aufsichtsrat abgegeben wurde, prüft der Abschlussprüfer der Gesellschaft. Im Anhang zum Jahresabschluss ist gem. § 285 Ziff. 16 HGB anzugeben, dass die Entsprechenserklärung gem. § 161 AktG abgegeben wurde und den Aktionären zugänglich gemacht worden ist. Eine Prüfung, ob die Erklärung richtig ist, wird vom Abschlussprüfer nicht vorgenommen.[130]

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Da es keinen Zwang gibt, den Empfehlungen und Anregungen des DCGK zu entsprechen, kann die Nichtbefolgung auch keine rechtlichen Sanktionen auslösen. Eine Bindungswirkung kann nur dann eintreten, wenn Empfehlungen oder Anregungen des Kodex in die Satzung aufgenommen werden.[131] Da eine, wenn auch nunmehr zu begründende, Abweichung vom DCGK (sog. Opting-out) möglich ist und damit kein Zwang zur Befolgung des DCGK besteht, sind die gelegentlich erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 161 AktG, wonach ein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Demokratieprinzip und den Gesetzesvorbehalt angenommen wird,[132] im Ergebnis nicht zutreffend.[133]

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Die Nichtabgabe der Entsprechenserklärung oder eine falsche Entsprechenserklärung kann allerdings zu Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegen den Vorstand und/oder den Aufsichtsrat führen. Bei der Nichtabgabe der Entsprechenserklärung kann sich der Schadensersatz gegen Vorstand und Aufsichtsrat aus §§ 93, 116 AktG ergeben, weil durch die Nichtabgabe das Ansehen und der Wert der Gesellschaft am Kapitalmarkt sinken kann. Zu beachten ist dabei allerdings, dass dieser Anspruch nur der Gesellschaft und nicht den Anlegern zusteht. § 161 AktG ist kein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB.[134]

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Auch für die börsennotierte SE gilt über Art. 9 SE-VO und § 161 AktG der DCGK. Dementsprechend hat die Regierungskommission am 14.6.2007 in die Präambel zwei neue Absätze aufgenommen.[135] Den Vorgaben des deutschen Aktienrechts entsprechend, bezieht sich der DCGK bisher ausschließlich auf das duale System. Insofern wirft die Anwendung des DCGK auf die dualistische SE keine prinzipiellen Fragen auf.[136] Es ist aber festzustellen, dass es weiterhin in jedem Fall einer Anpassung des DCGK an das monistische System bedarf.[137] Bislang hat die Regierungskommission von einer weitergehenden Behandlung der SE Abstand genommen, da man erst abwarten wolle, welche Bedeutung die monistisch verfasste SE in Deutschland erhält.[138]Demzufolge bleibt nichts anderes übrig, als den DCGK auf die monistische SE analog anzuwenden.[139] In den DCGK müssten für die SE in jedem Fall Empfehlungen über das Zusammenwirken der geschäftsführenden Direktoren mit dem Verwaltungsrat aufgenommen werden. Klargestellt werden müsste auch, in welchen Fällen der Verwaltungsrat seine Gesamtverantwortung wahrnehmen muss und die Aufgaben nicht an die geschäftsführenden Direktoren delegieren darf. Die bereits ausführlich dargestellten[140] Probleme, die bei einer Personenidentität des Vorsitzenden des Verwaltungsrats und Vorsitzenden der geschäftsführenden Direktoren auftreten können, sollten ebenfalls im DCGK geregelt werden.[141] Gänzlich neu überdacht werden sollte in diesem Zusammenhang das im DCGK bereits angelegte Spannungsfeld zwischen der kollegialen Führungsstruktur, die dem deutschen Aktienrecht zugrunde liegt, und der Empfehlung des Kodex in Ziff. 4. 2. 1 zur Hierarchisierung des Vorstands.[142]

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Die gesamte Anpassungsdiskussion wird sich vor dem Hintergrund der zunehmenden europarechtlichen Vereinheitlichungsbestrebungen der Corporate Governance Kodizes bewegen.

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