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c) Irenäus von Lyon: „Adversus haereses“ (ca. 180–185)

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Gnosis gegen Logos

Justin gebührt – ähnlich wie Philon – ein herausragender Platz in der Geschichte der Fundamentaltheologie wegen des Freimuts, seinen Glauben vor dem öffentlichen Forum philosophischer Vernunft zu vertreten. Sein Verständnis des christlichen Glaubens selbst ist dagegen noch recht rudimentär. Schon wenige Jahrzehnte danach hat sich die Szene deutlich gewandelt. Die Christen brauchen nicht mehr die Kritik einer radikal philosophischen Vernunft zu fürchten. Sie stehen angesichts des Einflusses, den die Gnosis (Gnostizismus) jetzt auch auf die Kirche gewonnen hat, vielmehr ähnlich wie Herakles einer Hydra aus buntgemischten Weltanschauungen gegenüber: Kaum ist ein Kopf abgeschlagen, so wächst ihr aus dem unerschöpflichen Reservoir hellenistischen Denkens und Treibens eine Vielzahl von anderen Köpfen nach.

Neue Aufgaben der Glaubensverantwortung

Wo eine die Höhenflüge des Geistes wie die Niederungen des Instinkts animierende Phantasie die klare philosophische Reflexion ersetzt, kann eine rationale Argumentation allein nichts mehr ausrichten. Zwei andere, vom Zentrum des Christlichen her ohnehin vorrangige Aspekte der Fundamentaltheologie müssen nun in den Vordergrund treten: erstens ein immer tieferes Hineinwachsen in den Glauben, der den Menschen zu sich selbst befreit, indem er ihn für Gott öffnet; zweitens eine Klärung der Art und Weise, wie die Zeugnisse göttlicher Offenbarung authentisch vermittelt und vor willkürlicher Auslegung bewahrt werden können. Diese beiden Aspekte sind nicht voneinander zu trennen: zum authentischen Zeugnis göttlicher Offenbarung kommt es nur dort, wo sich Glaubende in deren Dienst stellen lassen, nicht falsche Zeugen sich selbst über das Gotteswort stellen. Die drei bisher genannten Aspekte – (1) die Verantwortung des Glaubens vor dem Forum einer allen zugänglichen, nicht lediglich einer auf den Binnenraum der Gemeinde zugeschnittenen Vernunft; (2) das „Einleben“ in das geschenkte Gotteswort; (3) die Frage nach der angemessenen Vermittlung der Grundlagen des Glaubens (Hermeneutik) – werden uns in dieser „Einführung“ unter je verschiedenen Perspektiven immer wieder beschäftigen.

Gnosis als Gefahr für das Christentum

Bei aller verbleibenden Unsicherheit über Herkunft, Entstehung und Verbreitung des facettenreichen Phänomens der „Gnosis“ steht fest, daß von Alexandrien ausgehende gnostische Systementwürfe etwa von der Mitte des zweiten Jahrhunderts an auf Rom übergriffen und von dort aus auch in den nördlichen römischen Provinzen in Konkurrenz zur offiziellen christlichen Lehre traten. Ihre Faszination beruhte vor allem darauf, daß in ein dem Anspruch nach allumfassendes metaphysisches System die verschiedensten im Umlauf befindlichen religiösen Motive integriert schienen. Hierzu zählten nun auch pseudochristliche, auf geheime Überlieferungen zurückgeführte Lehren, die von den Aposteln angeblich nur an mit einer höheren Erkenntnis („Gnosis“) Begabte weitergegeben worden waren.

Kanon

In den fünf Büchern seiner „Entlarvung und Widerlegung der fälschlich so genannten Gnosis“ (ca. 180–185, zumeist lateinisch als „Adv.[ersus] haer. [eses]“ zitiert) berücksichtigt Irenäus von Lyon alle drei oben genannte Aspekte fundamentaltheologischer Arbeit. Er entlarvt – die populärphilosophische Manier seiner Gegner aufnehmend – die logischen Widersprüche in ihrem „System“ (Aspekt 1). Als erster Theologe überhaupt stellt er wichtige hermeneutische Regeln für den Umgang mit den Zeugnissen der christlichen Offenbarung heraus (Aspekt 3): Um die Behauptung einer „apostolischen Überlieferung“ nachprüfen zu können, muß deren Ort innerhalb einer ununterbrochenen, auf die Apostel zurückgehenden Traditionskette aufweisbar sein. Dies gilt unabhängig davon, ob es auch schriftliche Überlieferungen gibt (a). Nun haben aber auf die Apostel und ihre Schüler zurückgehende Schriften schon längst ihren Platz im Leben der Gemeinden, und die Kirche ist gerade dabei, einen Kanon aufzustellen, welche dieser Schriften als allgemein verbindlich zu betrachten sind. Für Irenäus steht bereits die Zahl von (nicht mehr und nicht weniger als) vier Evangelien als absolut verbindlich fest (b). Auch inhaltlich muß sich zumindest in einer knappen Form die Einheit des christlichen Glaubens identifizieren lassen

„regulae fidei“

(c). Hier befindet sich Irenäus in einer Übergangsphase zwischen den schon in sehr frühen Taufbekenntnissen festgelegten „Glaubensrichtlinien“ („regulae fidei“) und den später ausgefalteten „Symbola“ (vor allem dem sog. Apostolischen Glaubensbekenntnis und dem „Credo“ von Nicäa-Konstantinopel). Der Bischof von Lyon versucht selbst, solche Kurzfassungen der für alle Christen verbindlichen Inhalte des Glaubens zu formulieren. Dabei bietet er zugleich einen schönen Vorblick auf seine gesamte Theologie (s. bes. Adv.haer. I 10.22).

Leib als Bild Gottes

Aus der Tiefe reflektierten Glaubens entfaltet Irenäus einen Gegenentwurf zur Gnosis, der in der christlichen Theologie seinesgleichen sucht (Aspekt 2). Der schroffe gnostische Dualismus zwischen dem „Pleroma“, der absoluten Fülle reiner Geistwesen, und einer völlig wertlosen Materie, die am Ende dem Nichts preisgegeben wird, war mit einer Absage an den Schöpfergott und die jüdische Religion insgesamt verbunden. Dem stellt der Bischof von Lyon eine biblische Theologie „aus einem Guß“ entgegen, die von einer frappierenden Prämisse ausgeht. Für ihn ist im Unterschied zu vielen Theologen nicht problematisch, wie Gott, der reine Geist, so etwas Niedriges wie menschliches Fleisch annehmen konnte.

Heilsgeschichte als Modellieren

Der Mensch ist vielmehr „eine Mischung von Seele und Fleisch, eines Fleisches, das nach Gottes Ähnlichkeit (similitudo, homoiosis) geformt und durch seine Hände gebildet (plasmare) wurde“. Satan, der gefallene Engel, neidet uns dieses Leben und verführt darum die Häretiker, „den Schöpfer zu lästern und das Heil dem Gebilde (plasma) Gottes, welches das Fleisch ist, abzusprechen, um dessentwillen doch der Sohn Gottes seine ganze ,Geschichte des Heils‘ (oikonomia) vollbracht hat“ (Adv.haer. IV, Vorwort; vgl. V 6,1).

Sünde als „Verhärtung“

Daraus ergeben sich für Irenäus Folgerungen, deren Schönheit man gerade auch alten Menschen nicht vorenthalten sollte: „Wenn du […] Werk Gottes bist, dann warte geduldig auf die Hand deines Künstlers, die alles zur rechten Zeit macht […]. Bringe ihm ein weiches und williges Herz entgegen […] und behalte seine Feuchtigkeit in dir, damit du nicht hart wirst und den Eindruck seiner Finger abweist“ (Adv.haer. IV 39,2). Das „ontologische Wesen“ des Menschen besteht in einer „plasmatio“, die sich über die ganze Geschichte Gottes mit den Menschen erstreckt. Zu keinem Zeitpunkt dieses göttlichen „Modellierens“ darf sich der Mensch als „fertig gebrannten Ton“ betrachten. Auf eine kurze Formel gebracht: „Niemals entzog sich Adam den Händen Gottes“ (ebd. V 1,3).

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