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Der methodische Zweifel als Ausgangspunkt theologischer Reflexion
ОглавлениеDie Rolle des Zweifels bei Augustin
Das Wort „Zweifel“ wird in unterschiedlicher Bedeutung verwandt. Im theologischen und philosophischen Umfeld sind vor allem die folgenden Differenzierungen wichtig:
(a) Glaubenszweifel. Ein Zweifel am Wort Gottes kann ähnlich schuldhaft sein wie eine distanzierte Zurückhaltung gegenüber einem aufrichtigen Wort der Liebe. Prinzipielles Mißtrauen um einer vermeintlichen Selbstsicherheit willen geht an die Wurzel jeder menschlichen Beziehung, sowohl zu anderen Menschen wie zu Gott selbst. Diese Grundevidenz darf aber nicht zu weit ausgedehnt werden. Problematisch ist etwa die Formulierung, daß diejenigen, die den durch das kirchliche Lehramt vermittelten Glauben einmal angenommen haben, nie mehr einen gerechten Grund haben können, diesen Glauben in Zweifel zu ziehen (vgl. 12: 3014). Eine solche Aussage kann Seelsorger dazu verführen, bei den Gläubigen Höllenangst zu schüren, um selbst von unangenehmen Fragen verschont zu bleiben. Diese kapseln sich dann ihrerseits allem kritischen Denken gegenüber ab. Was übrig bleibt, ist kein Glaube mehr, der zum Freimut befreit.
(b) Existentieller Zweifel. Unsicherheiten, die sein Selbstvertrauen unterhöhlen, können den Menschen in ein bis zur Verzweiflung gehendes Zweifeln stürzen. Søren Kierkegaard kommt das Verdienst zu, solche Bedrohungen des Lebens und Denkens unter Einsatz seiner ganzen Existenz ausgelotet zu haben. Zumindest der frühe Augustinus darf in gewisser Hinsicht als ein Vorgänger Kierkegaards gelten. Schon bei ihm lassen sich wichtige Nahtstellen zwischen Glaubenszweifel, existentiellem und philosophischem Zweifel ausmachen.
(c) Philosophischer Zweifel. Fragen, die jeden im Alltag beunruhigen, finden sich oft im philosophischen Zweifel auf einer höheren Ebene reflektiert wieder. Der systematisch betriebene philosophische Zweifel wird meist als „Skepsis“ (von gr. skopein, „genau beobachten“) bezeichnet. „Skeptizismus“ nennt man die Theorie, der zufolge es überhaupt keine oder nur relativ sichere Wahrheiten gibt. Ein gefestigter Glaube an unbedingt gültige Wahrheiten läßt sich dadurch zwar nicht beirren. Ohne eine rationale Widerlegung des philosophischen Skeptizismus führt ein solcher Glaube aber leicht in ein gegen alle Kritik abgeschottetes fundamentalistisches Ghetto. Aus diesem Grunde ist gerade auch für die Theologie der stringent betriebene
(d) universale methodische Zweifel von Wichtigkeit. Ihn hat Augustinus in seinem Frühwerk erstmals durchgeführt und in späten Schriften sogar noch erweitert. Im Frühwerk setzt er sich mit „den Akademikern“ auseinander, d. h. hier: bestimmten Philosophen innerhalb der platonischen Schule, die durch ihre radikale Skepsis den Platonismus immer wieder von einem Beharren auf dogmatischen Positionen befreit haben. Das grundlegende Argument Augustins (das sich dann später bei Descartes in verschärfter Form findet) lautet: Selbst wenn ich annehme, daß ich mich in allen meinen Wahrheitsannahmen täusche, bleibt die Gewißheit erhalten, daß ich bin und weiß, daß ich bin. Auf der Basis dieser unhintergehbaren Selbstgewißheit findet Augustinus in seiner frühen Schrift „Über die Willensfreiheit“ einen rational begründeten Zugang zur Existenz Gottes („De libero arbitrio“ 2, 3–13/7). In seinem späten Werk „Über den Gottesstaat“ legt er besonders ausführlich dar, daß auch ein alles einbeziehender Zweifel das Bild des dreifaltigen Gottes in uns nicht zerstören kann (6). Selbst wenn ich mich über alles täusche, habe ich Gewißheit über:
mein sich auch noch in diesem Täuschen vollziehendes Sein (meine Prägung durch den Vater als Ursprung allen Seins),
mein Wissen um dieses Sein (die Prägung durch den Sohn als Logos, der den Vater von Ewigkeit her erkennt) und
mein Bejahen dieses Seins und Wissens (die Prägung durch den Hl. Geist als die Liebe, die durch ihr Wollen der Einheit von Sein und Erkennen in Gott diese Einheit zugleich von Ewigkeit her ist).
„Kant vor Kant“
In dieser Argumentation geht es nicht um eine metaphysische Spekulation, die auf Absicherung meines Ichs zielt, sondern im wesentlichen um eine transzendentale Reflexion im Sinne Kants: Augustinus reflektiert auf eine unhinterfragbar gewisse Möglichkeitsbedingung (oder „Antenne“) dafür, daß ich Gott, wenn er sich mir als dreifaltig offenbaren will, als solchen auch erkennen kann. Angesichts des in dieser gründlichen Auseinandersetzung mit der philosophischen Skepsis bewiesenen Respekts, den Augustin dem antiken Denken zollt, ist eine gegenläufige Bewegung in seinem Werk höchst verwunderlich.