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Die säkularen Wissenschaften als Hilfswissenschaften der Theologie
Оглавление„artes liberales“
Die wechselvolle Haltung Augustins gegenüber den „säkularen Wissenschaften“ (vgl. 115: 171f.) ist, wie die Geschichte zeigt, teilweise in der Sache selbst begründet. Bereits in der Pädagogik der Sophisten finden wir Ansätze zu dem, was man später enkyklios paideia, eine auf den ganzen „Umkreis“ des Wissens ausgerichtete Erziehung nannte (vgl. „Enzyklopädie“). Im Grunde die gleiche Sache wurde unter dem lateinischen Titel „artes liberales“ („Fertigkeiten des freien Manns“) zu einem Grundbegriff für die Basis höherer Bildung. An den mittelalterlichen Universitäten kam dem Studium der „artes liberales“ eine herausragende Funktion zu (s. II 2a). Eine grundlegende Problematik liegt in der doppelten Perspektive, unter der dieses Studium von Anfang an betrieben wurde: im Blick zum einen auf seinen wissenschaftstheoretischen Rang und zum anderen auf seine praktische Verwertbarkeit auf dem Weg zu einer ökonomisch verheißungsvollen Karriere.
Lehrplan bei Augustin
Wissenschaftstheoretisch gesehen, hat Augustinus den „disciplinae liberales“ in seinem frühen Dialog „De ordine“ (386) einen hohen Stellenwert eingeräumt. Wo er in seiner späten kritischen Durchsicht durch sein Werk, den „Retractationes“ (426–427), darauf zu sprechen kommt, hat er, zumindest der Sache nach, diese Wertung nicht zurückgenommen. Auf der anderen Seite vertritt er in seinem theologiegeschichtlich höchst einflußreichen Entwurf eines grundlegenden christlichen Bildungsprogramms, „De doctrina christiana“ („Über die christliche Lehre“, 396–397), eine damit kaum zu vereinbarende Position: Die „artes liberales“ seien allenfalls als Hilfswissenschaften für die Bibelauslegung brauchbar. Grundsätzlich solle das Studium von weltlichen Wissenschaften nur mit äußerster Vorsicht für das Seelenheil betrieben werden (De doctrina christiana 2,39,58). Was sie an Nützlichem enthielten, könne ohnehin – und in viel reicherem Maße – in der Bibel gefunden werden (ebd. 2,42,63).
Glückliche Umstände haben bald darauf bewirkt, daß es an einem entscheidenden Punkt der Rezeption von Augustins Bildungsprogramm zu einer Wiederaufwertung der säkularen Wissenschaften und damit schließlich zu einer Emanzipation der Philosophie innerhalb des Raums religiös autorisierter Lehre kam, wie sie wohl doch als einmalig in der Religionsgeschichte zu betrachten ist.