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3.3.3Produktionsfaktor Kapital

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Kapital wird oft als abgeleiteter Produktionsfaktor bezeichnet, der erst vom Menschen geschaffen werden muss. Er entsteht aus der Kombination von natürlichen Ressourcen und Arbeitskraft. Kapital ist ein Produktionsfaktor, der verschiedene Zwecke erfüllt. Er dient der effizienten Allokation (Aufteilung) der ursprünglichen Produktionsmittel Arbeit und Boden, der intertemporalen Allokation (d.h. über einen längeren Zeitraum hinweg) der Ressourcen durch Sparen und dem Durchsetzen von Innovationen durch technischen Fortschritt. Zugleich steuert er als Vermögensfaktor die Einkommensverteilung (Männer 1988). In der Ökonomie wird Kapitalbildung einerseits durch Konsumverzicht und Sparen, andererseits durch Investitionen erklärt. Konzeptionell lässt sich zwischen Sachkapital (Maschinen und Anlagen) und Humankapital (Wissen und technischer Fortschritt) unterscheiden. Angeregt durch die wirtschaftssoziologische Debatte kann ferner soziales Kapital unterschieden werden, das aus Chancen und Gelegenheiten durch soziale Beziehungen entsteht (Bourdieu 1986).

(1) Sachkapital. Als Sachkapital gelten die materiellen Ressourcen, die zur Realisierung der Produktion notwendig sind. Vor allem die industrielle Produktion von Gütern für Massenmärkte bedarf eines hohen Sachkapitalvolumens. Große und zunehmend automatisierte maschinelle Anlagen ebenso wie industrielle Vorprodukte bilden den zentralen Kapitalbestand zur Transformation von Gütern in Zwischen- und Endprodukte. Auch Dienstleistungsunternehmen haben mitunter einen hohen Aufwand an Sachkapital. So repräsentieren z. B. Transportfahrzeuge den Sachkapitalbestand von Speditions- und Transportunternehmen.

(2) Humankapital. Das von Menschen erworbene, mitgeführte und in ihnen akkumulierte Humankapital, das eine große Rolle für Arbeitseinsatz und Arbeitsteilung in der Produktion und für die Entlohnung spielt, lässt sich gut über den Wissensbegriff erschließen. Naturwissenschaftlich-technisches Wissen kann einerseits aus der Grundlagenforschung resultieren oder andererseits aus Lernprozessen in der Produktion, wie z. B. durch trial and error. Wissen ist ein immaterielles Gut, für das es allerdings keinen echten Markt und damit auch keinen Marktpreis gibt. Die Nachfrage nach und das Angebot an Wissen sind nicht genau spezifizierbar. Um den Wert von neuem Wissen genau taxieren und einen Preis festzulegen zu können, würde ein potenzieller Käufer Informationen darüber benötigen, wie er dieses neue Wissen verwenden kann. Er müsste also Kenntnisse über dieses Wissen haben. Sobald er diese Kenntnisse aber besitzt, müsste er dieses Wissen nicht mehr kaufen. In dieser Überlegung zeigt sich ein fundamentales Problem bei der Bestimmung eines Marktpreises sowohl für Informationen als auch für Wissen (Arrow 1962 b).

Bezüglich der Arten von Wissen kann zwischen explizitem, kodifiziertem Wissen (explicit, codified knowledge) und implizitem, stillem Wissen (implicit, tacit knowledge), das nicht-kodifiziert oder gar nicht-kodifizierbar ist, unterschieden werden (Nonaka 1994; Nooteboom 2000 b; Gertler 2003). Kodifiziertes Wissen ist Wissen, das z. B. in Form von Regeln oder Formeln niedergeschrieben ist. Es kann leicht weitergegeben werden und ist im Prinzip an jedem Ort erhältlich. Stilles Wissen ist demgegenüber an Personen gebunden und lässt sich nach Polanyi (1967, S. 4) daraus erklären, „that we know more than we can tell“. Polanyi (1967, Kap. 1) führt die Entstehung von tacit knowledge (genau genommen spricht er von tacit knowing) darauf zurück, dass Menschen ihre Aufmerksamkeit vollständig auf ein Ereignis lenken und dadurch den eigentlichen Ereignisauslöser nicht bewusst erleben. Beispielsweise konzentriert sich ein Anlagenfahrer in einem Industrieunternehmen ganz auf den störungsfreien Prozessverlauf und dessen Parameter und führt die konkreten Steuerungseingriffe wie beim Autofahren nicht bewusst aus. Die hierzu notwendigen Fähigkeiten können nicht erklärt, sie müssen erlernt werden. Deshalb ist der Erwerb dieses Wissens an zeitaufwendige Lernprozesse geknüpft, die andauernde Praxis vor Ort bzw. ko-präsentes Interagieren von Akteuren erfordern. Das Wissen wird laufend verändert, wenn neue Erkenntnisse vorliegen und Konventionen über neue Produkte verändert werden müssen. Es ist dadurch lokalisiert, dass Akteure als die Träger des Wissens an bestimmte Standorte gebunden sind, und kann nicht ohne Weiteres an andere Orte transferiert werden (Maskell und Malmberg 1999 a; 1999 b). Aber auch kodifiziertes Wissen kann durch Kontextualisierung in eine Form gebracht werden, die nicht leicht in andere räumliche Zusammenhänge übertragen werden kann (Asheim und Dunford 1997; Belussi und Pilotti 2002). Es ist dies der Fall, wenn das Wissen vor der Anwendung an die spezifischen Bedingungen der Produktion vor Ort angepasst werden muss, also um kontextspezifische Komponenten angereichert und somit lokalisiert wird. Die Formen kodifizierten und nicht-kodifizierten Wissens lassen sich auf eine Unterscheidung von menschlichen Bewusstseinsebenen übertragen, wie sie Giddens (1995, Kap. 1 und 2) vorschlägt. Kodifiziertes Wissen ist im diskursiven Bewusstsein verortet. Es befähigt den Akteur, sein Denken und Handeln zu explizieren. Stilles, nicht-kodifiziertes Wissen hingegen, das sich als Erfahrungswissen in Routinen befindet, ist dem praktischen Bewusstsein zuzuordnen. Menschen wenden fortwährend etablierte Routinen an, die sie wie im Beispiel des Anlagen- und des Autofahrers nicht mehr reflektieren und auch nicht mehr explizit erläutern können.

Technischer Fortschritt entsteht, wenn neues Wissen problembezogen angewendet wird und zur Verbesserung bestehender bzw. zur Schaffung neuer Produkte und Prozesse eingesetzt wird. Dies ist besonders dann wichtig, wenn es gelingt, dieses Wissen etwa in Form neuer Maschinen oder Organisationsformen, die eine effizientere Produktion ermöglichen, kommerziell umzusetzen. Die Entstehung technischen Fortschritts kann einerseits entlang eines bekannten technologischen Entwicklungspfads erfolgen, wobei bestimmte Heuristiken und Lösungsprinzipien, die sich in der Vergangenheit bewährt haben, weiter fortgeschrieben werden (Dosi 1982; 1988). Ein Beispiel für eine derartige Entwicklung technischen Fortschritts ist die Miniaturisierung in der Computer- und Halbleiterindustrie. Alternativ kann technischer Fortschritt auch durch einen Wechsel zu einem anderen neuartigen Entwicklungspfad oder durch einen fundamentalen Wechsel des zugrunde liegenden technologischen Paradigmas entstehen (→ Kap. 14.3) wie etwa beim Übergang von der Transistor- zur Halbleitertechnik (Bathelt 1991 b, Kap. 2). Die Erkenntnis, dass Wissen im Wirtschaftsprozess offensichtlich eine immer zentralere Rolle spielt, kommt darin zum Ausdruck, dass zunehmend von einer knowledge-based economy (OECD 1996; Powell und Snellman 2004) und von knowledge-based industries gesprochen wird (z. B. Strambach 1995; Park 2000).

(3) Soziales Kapital. Das Konzept des sozialen Kapitals thematisiert eine Ressource, die im Gegensatz zu Sach- und Humankapital nicht in der Verfügungsgewalt eines Akteurs oder einer Organisation liegt, sondern in der Beziehung zwischen Akteuren besteht und somit nur in Abhängigkeit von Partnern mobilisiert werden kann (→ Kap. 7.3). Soziales Kapital beschreibt das Potenzial an Chancen und Gelegenheiten, die ein Akteur oder eine Organisation durch die Beziehungen zu anderen realisieren kann (Burt 1997; Jansen 1999, Kap. 9). So stellen z. B. soziale Netzwerke zwischen Akteuren eine Form sozialen Kapitals dar, da sie die Unsicherheit der Interaktion auf der Grundlage von Vertrauen reduzieren und dadurch die Möglichkeit der Kooperation bei gemeinsamen Zielen eröffnen. Ebenso ist es möglich, durch die Realisierung sozialen Kapitals Humankapital (Coleman 1988) oder Sachkapital zu erwerben. Der Unterschied zu Human- und Sachkapital kann an folgendem Beispiel illustriert werden: Eine Fußballmannschaft mag für ein Spiel favorisiert sein, weil sie die besseren Spieler mit den größeren spielerischen Fähigkeiten, man könnte sagen das qualifiziertere Humankapital, besitzt. Dennoch aber kann sie von einer scheinbar schwächeren Mannschaft geschlagen werden, wenn diese durch gutes Zusammenspiel und eine geschlossene Mannschaftsleistung ihr soziales Kapital mobilisiert. Ein anderes Beispiel sind Netzwerke zwischen Händlern derselben ethnischen Gruppe, in denen aufgrund sozialen Kapitals eine hohe Effizienz erreicht wird (Bebbington und Perreault 1999).

Es stellt sich nun die Frage, wie Menschen die Fähigkeit bzw. Kompetenz erwerben können, soziales Kapital aufzubauen, wenn es sich hierbei doch um eine Ressource handelt, die nicht im Besitz einer einzelnen Person liegt. Diese Frage lässt sich wohl nicht allgemeingültig beantworten. Sicherlich ist der Erwerb von sozialem Kapital erfahrungsabhängig und geschieht in verschiedenen Gesellschaften aufgrund unterschiedlicher Prozesse. Für die deutsche Gesellschaft kann man sich vorstellen, wenn man das Beispiel der Fußballmannschaft aufgreift, dass insbesondere Erfahrungen im Mannschaftssport für den Aufbau von sozialer Kompetenz von Bedeutung sein könnten. Bastian (2000, Kap. III.2) argumentiert, dass Musikerziehung in diesem Zusammenhang ebenfalls eine wichtige Rolle spielt und belegt dies anhand von Langzeitstudien an Berliner Schulen. Durch Musizieren im Ensemble lernen Kinder und Jugendliche fast spielerisch, miteinander zu kooperieren, aufeinander zuzugehen und gemeinsam Verantwortung zu tragen. Damit erfahren sie, so Bastian (2000, Kap. III.2), wie bedeutsam es sein kann, eigene Leistungen in das gelingende Gesamtergebnis einzubringen.

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