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3.4Neoklassischer Markttausch

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Die Bedürfnisbefriedigung wird durch den Austausch von Gütern (bzw. von Produktionsfaktoren) letztlich über die Beziehungen zwischen Konsumenten und Produzenten geregelt, die ein Angebot und eine Nachfrage definieren (z. B. Demmler 1990, Kap. 2 und 6; Lipsey et al. 1993, Kap. 4). Aufgrund des Interessengegensatzes zwischen den Anbietern, die ihre Güter zu möglichst hohen Preisen verkaufen möchten, und Nachfragern, die Güter umgekehrt möglichst preiswert erwerben möchten, muss für jeden Tausch ein Kompromiss gefunden werden, um eine Gütertransaktion durchzuführen. Das Instrument, das diesen Kompromiss zwischen Angebot und Nachfrage herstellt, ist der Markt. In der neoklassischen Ökonomie gilt das Interesse hierbei nicht den einzelnen beobachtbaren und lokalisierten Märkten wie z. B. dem Gemüse-, Tulpen- oder Pferdemarkt, sondern dem Markt als abstraktem Koordinationsprinzip (Jevons 1871, Buch IV; Marshall 1990 [1920], Buch V).

Der entscheidende Ausgleichsmechanismus des Interessenkonflikts von Angebot und Nachfrage ist der Preis. Die Nachfrage ist allgemein so strukturiert, dass mit sinkendem Preis (p) die nachgefragte Menge (x) zunimmt. Demgegenüber ist die angebotene Menge umso größer, je höher der Preis ist. Dieser strukturelle Interessengegensatz zwischen Angebot und Nachfrage wird auf dem Markt über den Preis zum Ausgleich gebracht. Dies lässt sich in einem Preis-Mengen-Diagramm zeigen, in das eine fallende Nachfrage- (N) und die zugehörige steigende Angebotsfunktion (A) eingezeichnet sind (→ Abb. 3.7). Es zeigt sich, dass nur in einem einzigen Punkt, d. h. bei einer einzigen Preis-Mengen-Konstellation, Angebot und Nachfrage in Einklang gebracht werden können. Diese Konstellation wird als Gleichgewicht bezeichnet. Im Preis-Mengen-Diagramm lässt sich anschaulich verdeutlichen, wie sich der Gleichgewichtspreis und die Gleichgewichtsmenge verändern, wenn sich die Angebots- und Nachfragebedingungen verändern:

(1) Sinkende Herstellungskosten bewirken beispielsweise, dass sich die Angebotsfunktion nach unten verschiebt (→ Abb. 3.7 a). Dies führt dazu, dass ein neues Gleichgewicht entsteht. Gegenüber der Ausgangssituation hat sich der Preis verringert, aber die Absatzmenge ist angewachsen. Ob sich dadurch die Umsatzsituation der Hersteller verbessert, hängt von der sogenannten Preiselastizität der Nachfrage ab, d. h. davon, ob die positiven Umsatzeffekte durch den Mengenzuwachs größer sind als die entgegen­gerichteten Auswirkungen durch den Preis­rückgang.

(2) Wenn sich, ausgehend von einem Marktgleichgewicht, die Nachfrage erhöht (→ Abb. 3.7 b), so hat dies ebenfalls Auswirkungen auf Preis und Menge (McGuigan und Moyer 1993, Kap. 11). Ein Anstieg der Nachfrage kann z. B. dadurch ausgelöst werden, dass höhere Einkommen zur Verfügung stehen. In diesem Fall verschiebt sich die Nachfragefunktion nach rechts. Das in dieser Situation resultierende neue Marktgleichgewicht ist durch einen höheren Preis und eine höhere Menge gekennzeichnet.

(3) Eine wiederum andere Art der Marktanpassung findet statt, wenn der Staat eine neue indirekte Steuer einführt oder die bestehende Mehrwertsteuer erhöht (→ Abb. 3.7 c). Dies führt dazu, dass die Angebotskurve nun einen steileren Verlauf hat, sich folglich gegenüber der ursprünglichen Angebotskurve nach links dreht. Die sich einstellende neue Gleichgewichtssituation ist dadurch gekennzeichnet, dass sich der Preis bei einem gleichzeitigen Mengenrückgang erhöht.


Abb. 3.7 Marktwirtschaftliche Preisbildung

Trotz der Plausibilität der dargestellten Gleichgewichtsmechanismen unterliegt die Möglichkeit eines stabilen Gleichgewichts einer Reihe sehr restriktiver Annahmen. Entsprechend dem Jevons Gesetz von der Unterschiedslosigkeit der Preise, formuliert von dem britischen Nationalökonomen William Stanley Jevons (1871), kann nur in einem vollkommenen Markt wie oben dargestellt ein einziger stabiler Gleichgewichtspreis entstehen. Ein Markt gilt dann als vollkommen, wenn

 die Güter homogen und somit für die Nachfrage völlig gleichwertig sind;

 Anbieter und Nachfrager gewinn- bzw. nutzenmaximierende Motive verfolgen, über vollständige und somit identische Informationen verfügen und völlig rational entscheiden;

 weder zeitlich, räumlich, persönlich oder sachlich variierende Präferenzen bestehen.

Damit ein Verkauf aller angebotenen Güter erfolgt (vollständige Markträumung), wird in der klassischen Markttheorie angenommen, dass Angebot und Nachfrage stets aufeinander abgestimmt sind. So impliziert das Say’sche Theorem, dass in einer geschlossenen Volkswirtschaft eine allgemeine Überproduktion über die Nachfrage hinaus unmöglich sei, da jedes Angebot in demselben Umfang kaufkräftige Nachfrage schaffe, die durch Faktoreinkommen und Gewinne dem Wert der Güter entspreche (Demmler 1990). Ohne nach den Ursachen der Nachfrage zu fragen, geht das Theorem davon aus, dass sich jedes Angebot bei variablem Preis seine entsprechende Nachfrage selbst schafft. In einem marktwirtschaftlichen System und unter den Bedingungen eines vollkommenen Markts führt der Preis folglich zu einem Interessenausgleich zwischen Angebot und Nachfrage. Über den Preis erhalten die Produzenten Informationen darüber, welche Menge sie auf dem Markt anbieten müssen bzw. können.

Entspräche dieses perfekte Marktmodell der Realität, so würde ein universeller Markt existieren, der in geographischer Perspektive keine Unterschiede erkennen ließe und auch keine besonderen Fragen aufwerfen würde. Wenngleich Ökonomen wie Jevons (1871) davon überzeugt waren, dass alle Marktteilnehmer immerzu auf perfekte Märkte hinarbeiteten, wird selbst in der neoklassischen Lehre auf die Unvollkommenheit realer Märkte hingewiesen. So identifizierte beispielsweise bereits Marshall (1990 [1920], V.I.7) den Transport als eine Quelle der Marktunvollkommenheit: „the more nearly perfect a market is, the stronger is the tendency for the same price to be paid for the same thing at the same time in all parts of the market: but of course if the market is large, allowance must be made for the expense of delivering the goods to different purchasers; each of whom must be supposed to pay in addition to the market price a special charge on account of delivery“. Traditioneller Ansatzpunkt der Wirtschaftsgeographie sind in den klassischen Standorttheorien eben diese Transportkosten, die zu einer räumlichen Differenzierung der Preise von Gütern führen und somit das Marktgleichgewicht aufheben. Entsprechend lassen sich räumliche Grenzen von Märkten ableiten. Im nächsten Teil des Buchs über raumwirtschaftliche Ansätze werden ausführlich verschiedene Erklärungsansätze dargestellt und diskutiert, die zeigen, dass es aufgrund von Transportkosten zu spezifischen Standortentscheidungen und Raumnutzungsmustern kommt (→ Kap. 5 und 6).

Darüber hinaus gibt es in realen Märkten vielfältige Verletzungen der restriktiven Annahmen des klassischen Marktmodells (→ Kap. 8), wodurch der Preis nicht oder nur bedingt als Koordinations- und Lenkungsinstrument von Angebot und Nachfrage wirkt. Man spricht dann in der Ökonomie von Marktversagen (Endres 2000, Kap. 5 und 6). Marktversagen ist z.B. dann gegeben, wenn sich anstelle einer Wettbewerbssituation bei vollständiger Konkurrenz, bei der eine große Anzahl kleiner Anbieter einer Vielzahl kleiner Nachfrager gegenübersteht, eine Konzentration der Angebotsseite auf eine geringe Anzahl großer Unternehmen (Oligopol) oder gar auf nur ein einziges Unternehmen (Monopol) einstellt. Diese wenigen Unternehmen können beispielsweise ihre Marktmacht missbrauchen und überhöhte Preise verlangen. Märkte werden daher nach der Anzahl der Marktteilnehmer und deren relativem Gewicht in verschiedene Marktformen unterteilt (→ Abb. 3.8) (Friedman 2002 [1912]).


Abb. 3.8 Marktformen (nach Mühlbradt 2001)

Eine zweite Ursache für Marktversagen ergibt sich infolge der Wirkung externer Effekte (Stigler 1951; Schlieper 1988). In der Wirtschaftstheorie liegen externe Effekte vor, wenn die Produktion oder der Konsum von Gütern mit zusätzlichen Kosten (negative externe Effekte z. B. durch Schadstoffemissionen) oder mit zusätzlichen Gewinnen (positive externe Effekte z. B. durch Wissenstransfers) für Dritte verbunden ist, die sich nicht in den Preisen der Güter widerspiegeln (OECD 1993). Es handelt sich dabei um „services (and disservices) rendered free (without compensation) by one producer to another“ (Scitovsky 1954, S. 143). Externe Effekte treten immer dann auf, wenn Eigentumsrechte nicht vollständig zugewiesen werden können. Ein Beispiel hierfür ist etwa die unternehmensinterne Aus- und Weiterbildung von Mitarbeitern, deren Humankapital bei späteren Arbeitsplatzwechseln dem neuen Arbeitgeber zugutekommt.

Eine dritte Ursache für Marktversagen liegt in der Unvollständigkeit bzw. der asymmetrischen Verteilung von Informationen über transaktionsrelevante Bedingungen (Akerlof 1970). Wenn Anbieter oder Nachfrager nicht über vollständige Markttransparenz verfügen, wie z.B. auf Finanz- und Kreditmärkten (Handke 2011, Kap. 2), so treffen sie Transaktionsentscheidungen aufgrund unterschiedlicher Bedingungen, was nicht zu einem echten Gleichgewichtspreis führt.

Schließlich scheitert der Marktmechanismus viertens bei der Produktion von Kollektivgütern, bei denen es aufgrund der Möglichkeit des Trittbrettfahrens zu Anreizen kommen kann, sich nicht an der Produktion dieser Güter zu beteiligen und dennoch an dessen Konsum bzw. Gebrauch zu partizipieren, wie z. B. bei der Herstellung einer sauberen Umwelt oder der Entwicklung neuen Wissens (Glückler und Hammer 2015).

In einem planwirtschaftlichen System legt der Staat im Unterschied zur Marktwirtschaft fest, welche Bedürfnisstruktur wie befriedigt werden soll. Vereinfacht dargestellt bestimmt er die produzierte Menge und den zu zahlenden Preis (Lipsey et al. 1993, Kap. 6). Dies muss aber nicht mit den tatsächlichen Bedürfnissen korrespondieren, denn die Nachfragekurve, die ja menschliche Bedürfnisse widerspiegelt, existiert nach wie vor. In den osteuropäischen Planwirtschaften zeigten sich die Probleme derartiger Wirtschaftssysteme in der Nachkriegszeit sehr deutlich. So wurden einige Güter wie etwa Grundnahrungsmittel staatlich subventioniert und zu einem geringeren Preis angeboten als der, der sich in einem marktwirtschaftlichen System ergeben hätte. Dies führte zu staatlichen Verlusten. Bei anderen Gütern wie z. B. Luxusgütern, die zu einem staatlichen Gewinn hätten führen können, wurde zwar ein höherer Preis als der Marktpreis verlangt, dafür aber schlug die Mengenplanung fehl. Insgesamt entstanden massenweise unbefriedigte Bedürfnisse. Dies mag auch erklären, warum der Preis für gebrauchte Autos in der ehemaligen DDR über dem für Neuwagen lag, obwohl dieser Preis bereits über demjenigen lag, der sich unter Marktbedingungen in einer offenen Volkswirtschaft gebildet hätte. Es soll hier nicht die Überlegenheit des marktwirtschaftlichen gegenüber dem planwirtschaftlichen System dokumentiert, sondern lediglich festgestellt werden, wie bedeutsam Preise als Koordinationsinstrumente sind, da sie die Handlungen einer Vielzahl von Akteuren dezentral beeinflussen und auf einen Interessenausgleich hin orientiert sind. Dieses Koordinationsinstrument kann offensichtlich durch planwirtschaftliche Elemente nicht leicht ersetzt werden. Umgekehrt zeigen wiederholte Finanz- und Wirtschaftskrisen der letzten Jahrzehnte und insbesondere in den 1990er- und 2000er-Jahren, dass Marktwirtschaften bei einem Mangel an staatlicher Lenkung allein aufgrund des Preismechanismus große Finanz- und Spekulationsblasen produzieren können, die krisenbedingt zu erheblichen Umverteilungen und Wertvernichtungen führen können (Shiller 2005; Clark 2011; Dymski 2017). Der Ausgleich von Angebot und Nachfrage kann in realen Märkten daher nicht ausschließlich dem Preismechanismus überlassen werden, sondern muss durch staatliches Handeln, das den jeweiligen Kontextbedingungen in räumlicher Perspektive angepasst ist, reguliert bzw. koordiniert werden.

Die vielfältigen Abweichungen realer Märkte von der idealtypischen Idee eines vollkommenen Markts verwandeln das Erkenntnisinteresse an der Entstehung und Funktionsweise von Märkten letztlich in eine empirische Frage, die offen für zeitliche und räumliche Vielfalt und Kontextualität ist (Callon 1998 a; Berndt und Boeckler 2009). Die Kernfragen der Wirtschaftsgeographie konzentrieren sich demnach nicht nur auf die Kosten der Überwindung räumlicher Entfernungen, sondern auch auf die spezifische Organisation wirtschaftlichen Austauschs, die Gestaltung ökonomischer Beziehungen und die Entstehung und Veränderung territorial spezifischer Praktiken, Regeln und Institutionen im Wirtschaftsprozess. In den folgenden Teilen des Buchs werden daher weniger Transportkostenprobleme, sondern Fragen der Interaktion, Organisation, Evolution und Innovation in räumlicher Perspektive diskutiert.

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