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11. Adhasils Bericht

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Der Morgen zeigte sich von seiner schönsten Seite. Astur war in einen wolkenlosen Himmel aufgestiegen und Pelin würde ihm am gegenüberliegenden Horizont bald folgen. Trotz der verwirrenden und zuweilen bedrohlichen Nachrichten des zurückliegenden Tages waren die Gefährten wieder guter Dinge. So sehr sie sich bemühten, etwas über sein rätselhaftes Verschwinden zu erfahren, ließ sich Melbart doch nur die Bemerkung entlocken, dass er sich mit einem Ordensbruder getroffen hatte. Er teilte ihnen noch nicht einmal dessen Namen mit. Immerhin gab er das Versprechen, zu einem späteren Zeitpunkt dieses Geheimnis zu lüften.

Wie am vorherigen Tag suchten sie gleich nach dem Frühstück das Haus der Heiler auf, um sich nach Adhasils Befinden zu erkundigen. Dieses Mal fanden sie die Fürstin mit ihrer Pflegerin im Garten, der sich rings um das Gebäude erstreckte. Er war zwar klein, doch sehr gepflegt und zeichnete sich durch eine erstaunliche Vielzahl verschiedenartiger Pflanzen aus. Als die Fürstin ihre Freunde sah, zeigte sie ein gutgelauntes Lächeln, doch wer genau hinsah, konnte eine gewisse Wehmut in ihrem Blick erkennen, als verweilte sie immer noch in ihren Erinnerungen. Sie war sichtlich bemüht, sich nichts anmerken zu lassen.

„Ich hoffe, ihr seid gekommen, um mich endlich hier herauszuholen“, begrüßte sie ihre Freunde.

„Gemach, gemach“, erwiderte Cai mäßigend. „Wir haben nicht den Eindruck, als ginge es Euch hier schlecht. Aber habt keine Sorge, wir werden nicht ohne Euch aufbrechen.“

„Ich stelle mit Freude fest, dass es Euch besser geht, als man erwarten konnte“, meinte Melbart. „Aber Eure Unternehmungslust müsst Ihr für kurze Zeit noch zügeln. Erst sind noch ein paar Dinge zu regeln.“

„Es geht ihr schon fast zu gut“, meinte die Pflegerin lächelnd. „Den ganzen Morgen beschwört sie mich bereits, den Chelonten zu überreden, sie wieder zu entlassen.“

„Ich fühle mich ausgezeichnet“, bestätigte Adhasil ungeduldig. „Ich weiß gar nicht, warum ich hier noch länger herumsitzen soll.“

„Nun, nun“, sagte Melbart besänftigend. „Nicht so stürmisch. Wir haben noch eine anstrengende Reise vor uns. Da müsst Ihr völlig gesund sein, wenn es weitergeht. Doch ich habe eine gute Nachricht für Euch. Ihr könnt Eurer Reise- und Abenteuerlust bald wieder freien Lauf lassen. Ich hatte gerade eine Unterredung mit Eurem Heiler. Er wird Euch morgen – aber erst morgen – aus der Behandlung entlassen. So lange müsst Ihr Euch in Geduld üben. Ruht Euch noch etwas aus, auch wenn es Euch schwerfällt.“

„Na gut, bis morgen werde ich es gerade noch aushalten“, lenkte sie ein.

Angholt war, falls es noch nicht erwähnt wurde, der Jüngste in der Gruppe und seine jugendliche Neugierde mittlerweile schon berüchtigt. Auch dieses Mal ließ er die Gelegenheit nicht aus, es unter Beweis zu stellen. Allerdings richtete er seine Frage über Umwege an die Fürstin, indem er sie zuerst Melbart stellte. Seit sie in Elim´dor waren, wusste er, wie sehnlich Angholt wissen wollte, was die Fürstin während ihres Schlafes-der-Feen erlebt hatte. Allerdings kam Melbart dieses Mal der Wunsch Angholts entgegen, obwohl er ihn der Form halber zunächst mit einem Stirnrunzeln bedachte. In Wirklichkeit erhoffte sich auch Melbart einige aufschlussreiche Erklärungen.

„Was fragst du mich?“, erhielt er die Antwort des Zauberers. „Wende dich an Adhasil. Nur sie selbst kann entscheiden, ob sie dir antworten will.“

Alle schauten die Fürstin erwartungsvoll an. Jeder war nun neugierig geworden. Schließlich hatte sie eine Erfahrung gemacht, die wohl niemand jemals mit ihr teilen würde. Zunächst zögerte sie jedoch. Nicht, weil sie ihr Erlebnis für sich behalten wollte, doch wie sollte sie etwas mit Worten beschreiben, was sich der Vorstellung der meisten entzog. Außerdem fürchtete sie sich davor, bei ihrem Bericht erneut jene überwältigenden Stimmungen hervorzurufen, die sie in jener Welt empfunden hatte. Es waren Eindrücke, die ihr kaum jemals wieder vergönnt sein würden. Doch schließlich schien sie einen Weg gefunden zu haben, ihre Erfahrung in Worte zu fassen.

„Nun ja, es ist schwer, diese Zeit zu beschreiben“, begann sie. „Ich kann mich noch genau an alles erinnern, doch lässt sich einiges nur schwer verständlich in Worte fassen. Nachdem wir von den Pferden abgestiegen waren und auf Cai, Ken´ir und Tai´gor warteten, sah ich plötzlich einen weißen, wolkenähnlichen Schatten auf mich zueilen. Er wurde immer größer und schien ins Unendliche zu wachsen. In gleichem Maße schien die Zeit sich aber auch zu verlangsamen. Ich erwartete, dass mich diese verschwommene Gestalt zu Fall bringen würde. In diesem Augenblick war ich gewiss, ihr nicht mehr ausweichen zu können. Doch es gab keinen Aufprall. Stattdessen schien der Schatten durch mich hindurchzudringen, und da war er auch schon verschwunden. Und dann spürte ich, wie mich eine unüberwindliche Kraft packte und wegzog. Ich sah mich, oder vielmehr meinen Leib noch zu Boden fallen, dann wurde es vorübergehend dunkel um mich herum. Wie lange ich in diesem Zustand verharrte, kann ich nicht sagen. Als ich meine Augen aufschlug, sah ich zunächst nur die dichten Kronen hoher Bäume. Zwischen den bewegungslosen Ästen leuchtete ein hellblauer Himmel hindurch. Mir war schwindelig, und es dauerte einige Zeit, bis ich mich aufrichten konnte. Zuerst dachte ich, ich läge auf der Straße im Valedrim-Wald, doch es herrschte eine seltsame Stille um mich herum, und von euch schien niemand in meiner Nähe zu sein. Trotz meines Unwohlseins erfüllte mich ein tiefer Frieden. Ich empfand eine heitere Sorglosigkeit, wie seit meiner Kindheit nicht mehr. Erstaunlicherweise waren keinerlei Geräusche zu hören, weder der Gesang der Vögel noch die Brise eines Windes. Die Zeit schien stillzustehen. Mir wurde schnell klar, an einen fremden, unbekannten Ort gelangt zu sein, aber ich konnte nicht sagen, wohin. Schließlich gelang es mir, mich aufzurichten. Ich lag am Ufer eines kristallklaren Sees, in dem sich die Strahlen einer einzelnen Sonne spiegelten, obwohl es doch zwei hätten sein sollen. Rings um den See erstreckte sich, so weit das Auge reichte, ein Wald, dessen Bäume teilweise unseren ähnelten, andere mir aber völlig fremd waren, riesigen Farnen gleich. Hinter dem jenseitigen Ufer erhob sich ein mächtiges Bergmassiv. Es war jedoch keines, das mir bekannt vorkam. Unter mir befand sich ein weicher, moosbewachsener Boden. Ich stand auf, und kurz darauf war auch mein Unwohlsein vorüber. Ich war allein, trotzdem fühlte ich mich nicht einsam. Doch die Frage, wohin ich gelangt war, wurde immer drängender. Ich begann, am Ufer entlangzugehen. Erst jetzt und ganz allmählich erwachten die ersten Geräusche. Die Vögel in den Bäumen, das Rauschen des Windes in den Wipfel, die Wellen des Sees, die sanft ans Ufer rollten. Nach kurzer Zeit entdeckte ich im weichen Sand Spuren. Es waren die Fährten von Pferden, zumindest glaubte ich das, denn es waren Hufabdrücke. Alles kam mir seltsam übernatürlich vor. Dann hatte ich das Gefühl, von irgendjemandem beobachtet zu werden. Ich sah mich um, konnte aber niemanden entdecken. Doch als ich meinen Blick wieder nach vorn richtete, stand ein schneeweißes Einhorn vor mir. Woher es gekommen war, wusste ich nicht. In der kurzen Zeit konnte es nur aus dem Nichts aufgetaucht sein. Wir standen uns gegenüber und beobachteten uns schweigend. Es klingt merkwürdig, doch ich zweifelte keinen Augenblick daran, dass es sprechen konnte. Ich spürte keine Furcht.

„Wer bist du?“, hörte ich dann seine zarte Stimme.

Adhasil, gab ich zur Antwort. Wo bin ich? Und wie bin ich hierhergekommen?

„Weißt du es nicht?“, fragte mich das Einhorn. „Du bist im Feenreich. Wer hat dich geschickt?“

Was sollte ich auf diese Frage antworten? Ich wusste ja selbst nicht, wie ich an diesen Ort gelangt war. Das Einhorn sah mich schweigsam an und neigte seinen Kopf etwas zur Seite. Es schien meine Unsicherheit zu spüren. Dann wandte es seinen Blick zum Waldrand. Ein zweites Einhorn trat zwischen den Bäumen hervor. Es kam langsam auf uns zu und blieb neben seinem Artgenossen stehen. Sie schienen sich etwas zuzuflüstern, was ich nicht verstand. Dann liefen beide plötzlich fort. Ohne noch etwas zu sagen, verschwanden sie im Wald. Ich war wieder allein. Und jetzt fühlte ich mich das erste Mal in dieser Welt einsam. Aus einem unerklärlichen Grund hatte sich die Stimmung in meiner Umgebung verändert. Plötzlich schien sich sogar die Gegend zu verwandeln. War sie vorher noch wunderschön und erweckte in mir den Wunsch, mein ganzes Leben an diesem fremdartigen, aber verzaubernden Ort zu bleiben, setzte eine allmähliche Diesigkeit und Kühle ein. Ich fror. Zwar verspürte ich immer noch keine Angst, doch das wohlige Gefühl in mir verging. Von allen Seiten kroch ein unerklärlicher Nebel auf mich zu und hüllte mich kurz darauf ein. Er versperrte die Sicht, schien alles zu verdüstern und schließlich reichte mein Blick nur noch wenige Schritte im Umkreis. Es war etwa so wie an einem späten Nachmittag im Herbst, wenn die Nebel aufsteigen und der Untergang Pelins die Abenddämmerung einläutet. Ich konnte gerade noch den Rand des Waldes und die nahen, ans Ufer laufenden Wellen des Sees erkennen. In diesem Augenblick wurde mir die Unwirklichkeit meiner Lage deutlich bewusst. Ratlos stand ich da und harrte dem, was weiter geschehen würde. Ich spürte, irgendetwas kam auf mich zu. Ich brauchte nicht lange zu warten. Drei Wesen tauchten aus dem Nebel auf. Sie schienen mehr zu schweben, als zu gehen. Kurz vor mir blieben sie stehen und musterten mich. Ich hatte solche Wesen noch nie gesehen. Sie hatten Ähnlichkeit mit Menschen, doch wie eigenartig, ich kann nicht mehr sagen, ob es Frauen oder Männer waren. Sie schienen kein Geschlecht zu haben. Waren es Feen, Engel oder andere Wesen? Ich weiß es nicht. Sie glichen einander, und doch unterschieden sie sich voneinander. Die Gestalten trugen weite, weiße Gewänder und strahlten ein schwaches, übernatürliches Licht aus, das eine noch nie erlebte seelische Wärme und Liebe verbreitete. Ich fühlte eine große Geborgenheit. Diesen überwältigenden Augenblick werde ich mein Leben lang nicht wieder vergessen. Es war das Schönste, was ich je erlebt habe. Und doch ahnte ich, es konnte nur von kurzer Dauer sein. Und das wurde mir dann auch unmissverständlich mitgeteilt. Jetzt weiß ich, es waren Wächter.

„Adhasil, Adhasil“, erklang eine eindringliche Stimme in meinem Bewusstsein. „Du kannst hier nicht bleiben!“

Wer von den drei Gestalten diese Worte gesprochen, ich sollte sagen, gedacht hatte, konnte ich nicht herausfinden. Kein Mund hatte sich bewegt. Die Worte waren in meiner Seele entstanden, und sie trafen mich in meinem Innersten. Wenn sie mir auch nichts mitteilten, dessen ich mir vorher nicht schon bewusst war, sträubte sich alles in mir, diesen Ort wieder zu verlassen.

„Du musst wieder zurück!“, fuhren sie lautlos fort. „Deine Freunde warten auf dich. Vor dir liegt noch eine Aufgabe. Du hättest nie hierherkommen dürfen. Deine Anwesenheit ist ein schrecklicher Unfall, über dessen mögliche Folgen du dir nicht im Klaren bist. Wir wissen aber, dass dich keine Schuld trifft. Gleich wirst du diese Welt wieder verlassen müssen. Klammere dich nicht an sie. Dein Widerstand wäre sinnlos und hätte nur eine Verschlimmerung deiner Lage zur Folge, die du zu übersehen nicht fähig bist. Und nun, kehre wieder um!“

Die drei unbegreiflichen Wesen wichen ohne weitere Worte allmählich wieder in den Nebel zurück und verschwanden. Sie ließen mir keine Gelegenheit, auch nur eine meiner vielen Fragen zu stellen. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Völlig hilflos ließen sie mich zurück. Wie sollte ich ihrer Aufforderung nachkommen? Plötzlich erfüllte mich eine unerwartete Rastlosigkeit – und das Gefühl einer großen Gefahr, ohne dass ich gewusst hätte, woher sie kam. Und ich spürte die Notwendigkeit einer Tat, die ich noch vollbringen musste, wie mir das Wesen angekündigt hatte, obwohl mir auch jetzt noch nicht klar ist, welche damit gemeint sein könnte. Dann ging alles rasend schnell. Der Nebel verdichtete sich zu einer völligen Undurchdringlichkeit und bekam eine fast körperliche Dichte. Meine Lage wurde so unerträglich, dass ich nun wirklich zurückwollte. Und wieder packte mich eine unwiderstehliche Kraft und zog mich mit furchtbarer Gewalt weg von diesem Ort. Ich schrie, glaube ich, und hatte das Gefühl, zerrissen zu werden. Ich weiß aber nicht, ob ich mich wirklich bewegte, doch ein dunkler Schatten zog an mir vorüber – drohend und grauenhaft. Schrecklicher als alles, was mir bekannt ist. Dann wurde es für kurze Zeit wieder hell um mich herum und ich erblickte durch getrübte Augen eine Frau, eine Elfenfrau, neben dem Bett, auf dem ich lag. Später wurde mir klar, dass es Ros´wyn, meine Pflegerin war. Noch unter dem Eindruck des Schreckens der Begegnung mit dem unbeschreiblichen Schatten versuchte ich, sie davor zu warnen und fiel dann in die Schwärze einer tiefen Bewusstlosigkeit, bis ich endgültig wiedererwachte. Natürlich war meine Warnung völlig sinnlos, doch hatte ich in diesem Augenblick noch nicht in unsere Welt zurückgefunden.“

„Deine Warnung war keineswegs sinnlos“, unterbrach Melbart ihre Schilderung. „Wenn ich auch erst spät von ihr erfuhr, gab sie mir doch einen wichtigen Hinweis auf ein Ereignis, das mir bis dahin noch ziemlich rätselhaft war.“

„Es freut mich, das zu hören“, meinte Adhasil. „Na ja, irgendwann kam ich dann wieder zu mir. Erst durch euch habe ich erfahren, dass ich mich fast einen ganzen Tag lang in einem Schlaf-der-Feen, wie die Elfen ihn nennen, befunden hatte. Für mich waren es nur wenige Augenblicke. Trotz einiger unangenehmer Empfindungen, wünschte ich mir nichts sehnlicher, als an diesen, ja – himmlischen Ort, bevor die Nebel kamen – wieder zurückzukehren. Doch ich weiß, das wird mir niemals wieder erlaubt sein. Eigenartigerweise hatte ich all die schrecklichen Gefühle gleich nach meinem Erwachen vergessen, wodurch der Wunsch zur Rückkehr in das Land der Feen überwältigend wurde, denn so kurz ich auch dort drüben war, ich empfand ein Wohlsein und einen Frieden, wie sie mir bisher unbekannt waren, und die zu schildern, keine Worte geeignet erschienen. Erst später kam die Erinnerung an die dunkle Begegnung wieder zurück. Die Trübsal, die ich empfand, und der Nebel, der mich nach der Begegnung mit den Einhörnern umgab – ich glaube, sie waren absichtlich verursacht worden, um mich zur Rückkehr in unsere Welt zu drängen. Und doch, dieses Erlebnis wird mir unvergessen bleiben.“

Damit beendete Adhasil ihren Bericht und für kurze Zeit schien ein Schleier über ihre Augen zu gleiten, und ihr Blick ging in die Ferne. Obwohl den anderen, vor allen Angholt, noch viele Fragen auf der Seele brannten, entschied sich jeder, ihre Begleiterin in diesem Augenblick nicht damit zu behelligen, denn sie spürten, dass sie aufgewühlt war. Sie mussten ihr Zeit geben, damit diese Wunden heilen konnten.

Melbart legte ihr gefühlvoll eine Hand auf die Schulter und deutete den anderen, diesen Ort wieder zu verlassen.

„Ihr habt eine Erfahrung gemacht, wie es nur wenigen jemals gestattet ist“, stellte er fest. „Sie wird Euch bis ans Lebensende begleiten. Doch lasst Euch dadurch nicht den Sinn für die diesseitige Wirklichkeit trüben. Was auch immer danach kommen mag, vorerst müsst Ihr dieses Leben meistern.“

„So viel ist mir klar geworden“, meinte Adhasil. „Und doch ruft es große Bitterkeit in mir hervor.“

„Alles andere wäre auch verwunderlich“, meinte Melbart verständnisvoll. „Wir werden nun wieder gehen. Erholt Euch heute noch. Ich werde Euch morgen für den Aufbruch abholen. Sammelt bis dahin Eure Kräfte und findet voll und ganz in diese Welt zurück.“

Sie nickte nur. Als sie Adhasil verließen, spürten einige, dass sie eine veränderte Gefährtin vorgefunden hatten.

Melbart und alle anderen kehrten in den Palast Nôl´tahams zurück. In einem gewissen Sinne war der Magier erleichtert, denn nach dem, was Adhasil geschildert hatte, war ihre Bindung an das Feenreich doch nicht so stark gewesen, wie er befürchtet hatte und damit auch nicht ihr Widerstand, zu ihnen zurückzukehren. Die Länge ihres Aufenthaltes war eher dadurch bestimmt gewesen, dass sich Runloc in der diesseitigen Welt herumgetrieben hatte und sie den Rückweg nicht antreten konnte, bevor er wieder aus ihr verschwand.

Es lässt sich denken, dass an diesem Nachmittag noch viel über das Abenteuer der Fürstin gesprochen wurde. Lediglich Melbart beteiligte sich nicht daran. Er hatte noch einige Dinge zu erledigen.

Den Rest des Tages verbrachten die Freunde mit den Vorbereitungen für den baldigen Aufbruch. Das verlorengegangene Pferd war ihnen wie versprochen vom Elfenkönig ersetzt worden. Es war ein schönes Tier, das ihnen fast zu schade vorkam, um es als Packtier zu verwenden. Auch hörte es, im Gegensatz zu den meisten anderen Pferden auf einen Namen: Elian. Es war ein Elfenname und bedeutete »Ausdauernder Begleiter«. Elian war nicht mehr jung und hatte sich auf vielen Reisen als sehr zuverlässig erwiesen. Er zeichnete sich durch Kraft und eine robuste Gesundheit aus.

Nach den Erlebnissen der letzten Tage waren einige der Gefährten nachdenklich geworden, weil sie feststellen mussten, dass auf ihrer Fahrt Gefahren lauerten, mit denen sie nicht gerechnet hatten. Mit handfesten Feinden konnten sie als Krieger umgehen, aber die Welt ihres Kampfes hatte ihnen gezeigt, dass sie mehr aufzubieten hatte, als irdische Gegner. Und so hatte manch einer von Dingen erfahren, die für ihn bis dahin kaum vorstellbar waren. Angholt waren derartige Grübeleien jedoch bemerkenswert fern. Mit einer gewissen kindlichen Unbefangenheit äußerte er seinen Gefährten gegenüber mehrfach, dass er, voller Neugierde und Unternehmungslust, den Aufbruch kaum erwarten konnte. Wie zum Beweis hatte er auch als Erster seine Ausrüstung zum Beladen seiner beiden Pferde bereit. Und jetzt befand er sich im Stall und überprüfte sein Reitpferd und dessen Geschirr.

„Na, mein junger Freund, bist du mit der Unterbringung deines Pferdes zufrieden?“, hörte er eine kräftige, aber melodiöse Stimme hinter sich.

Schnell und fast erschrocken drehte Angholt sich um. Es war Nôl´taham, der lächelnd an dem Rahmen der Stalltür lehnte.

„Sehr zufrieden, Herr“, beeilte sich Angholt zu sagen, und er meinte es auch so. „In Euren Ställen werden die Tiere vorzüglich gepflegt. Wenn ich wieder nach Hause komme, werde ich Vater viel von meinem Aufenthalt bei Euch zu berichten haben, und nichts Schlechtes.“

„Das höre ich gern“, meinte der König lächelnd. „Ich meinerseits habe mich gefreut, dich einmal näher kennenzulernen, wozu bisher noch keine Gelegenheit war. Doch hat dein Vater stets lobend und hoffnungsvoll von dir gesprochen. Und das, was ich jetzt von dir weiß, scheint viel von dem zu bestätigen, was dein Vater sagte. Ich wünsche euch beiden, dass du wieder wohlbehalten nach Hause zurückkehrst.“

Damit ging er wieder hinaus. König Nôl´taham befand sich auf einem Rundgang, bei dem er auch den meisten anderen einen kurzen Besuch abstattete, um den Fortgang der Vorbereitungen der Gefährten zu verfolgen und zu helfen, wo es notwendig war.

Am gleichen Abend gab der König zu Ehren der Reisenden noch ein kleines Abschiedsmahl. Auch Ken´ir hatte sich eingefunden, der auch weiterhin an der Fahrt teilnehmen sollte – und wollte. Während der letzten beiden Tage hatte er die meiste Zeit bei seiner Familie zugebracht, wenn er nicht am königlichen Hof zu tun hatte.

Nach dem Essen, das in gelöster Runde stattfand, sprach der König noch einige Worte: „Liebe Freunde, ich hoffe, dieses Mahl wird dazu beitragen, dass ihr morgen mit Zuversicht aufbrechen werdet. Ich habe mich heute davon überzeugen können, dass alle Vorbereitungen sorgfältig getroffen wurden. Wir alle wissen, dass eine schwere, aber hoffentlich nicht unlösbare Aufgabe vor euch liegt und ihr großen Gefahren begegnen werdet. Mit eurer Bereitschaft, dieses Wagnis einzugehen, werdet ihr nicht unwesentlich dazu beitragen, dass die Zukunft der Völker weniger finster aussehen wird. Wir können nur hoffen, dass euch noch genügend Zeit bleibt, das Achôn-Tharén zu finden und es unschädlich zu machen, bevor Kryonos seine Hände nach uns ausstreckt. Er ist einen starker und grausamer Gegner. Trotzdem solltet ihr die heutige Nacht nutzen, um euch noch einmal auszuruhen. Ihr mögt unterwegs Freunden und Verbündeten begegnen, gleichwohl werdet ihr aber auch noch oft genug zu unfreundlichen und dunklen Orten gelangen. Darum lasst uns unsere Becher heben auf das Gelingen eures Unternehmens – und im Gedenken an Tai´gor.“

Schweigend tranken sie auf den Elfen. Nachdem die Trinkbecher wieder abgestellt waren, fügte der König noch hinzu: „Und jetzt noch eine gute Nachricht: Ich habe mich heute Abend noch einmal nach Fürstin Adhasil erkundigen lassen und kann euch mitteilen, dass sie wieder bei guter Gesundheit ist und morgen als geheilt entlassen wird. Sie kann euch ohne Bedenken weiterhin begleiten. Desweiteren werde ich euch eine Eskorte von Kriegern mitgeben, die euch bis an den Rand des Valedrim-Waldes Schutz und Führung sein soll. Von dort müsst ihr dann allein den Weg zu Thorgren finden. Obwohl wir Elfen schon lange in diesem Wald leben, gibt es immer noch unbekannte Gefahren, Orte und Kreaturen. Und ihr werdet einen Weg einschlagen, der euch durch den ältesten und geheimnisvollsten Teil dieses Waldes führt. Dort geschehen immer noch manche rätselhaften Dinge. Aber seid unbesorgt, es kommt dort selten zu ernsten Ereignissen, eher zu verwirrenden. Ich schlage vor, dass wir uns nun zur Ruhe begeben, damit ihr morgen bei Kräften seid.“

Da es bereits spät war und alle wussten, dass ihnen ein anstrengender Weg bevorstand, schlossen sie sich seinem Vorschlag an.

Der folgende Morgen war kühl und neblig. Astur stand noch unter dem Horizont und der Nebel verschlang die Dämmerung. Kurz nachdem sich die Gefährten im Palasthof versammelt hatten, traf Fürstin Adhasil in Begleitung von Melbart ein. Damit hatte er sein Versprechen eingelöst, sie selbst aus dem Krankenhaus abzuholen. Sie schien bester Laune und voller Unternehmungsgeist.

„Ich danke euch, dass ihr auf mich gewartet habt“, begrüßte sie ihre Gefährten ein wenig schnippisch, doch einige wussten, dass das ihre größte Sorge gewesen war. „Und wie ich sehe, steht alles zum Aufbruch bereit.“

„Nicht nur das“, bestätigte Cai. „Da es Euch so unglücklich getroffen hat und Ihr obendrein gestern Abend nicht an unserem Abschiedsessen teilnehmen konntet, überlassen wir Euch unser neues Pferd. Es stammt aus König Nôl´tahams Ställen und hört auf den Namen Elian.“

Als das Tier seinen Namen hörte, hob es aufmerksam den Kopf und drehte lauschend seine Ohrmuscheln nach vorn. Adhasil ging auf das Pferd zu und betrachtete es prüfend.

„Es ist ein schönes Pferd“, urteilte sie lobend. „Habt Dank für Eure Großzügigkeit, König Nôl´taham.“

Elian wieherte leise und nickte zustimmend mit seinem Kopf, als hätte er jedes Wort verstanden.

„Irre ich mich, oder hat das Pferd eben gelächelt?“, fragte Cai verwundert.

Die anderen mussten lachen.

„Hättet Ihr nicht eine gewisse Bedeutung am Hofe König Harismunds, und müsste ich nicht Euer Verlangen nach Wiedergutmachung befürchten, würde ich Euch fragen, ob Ihr gestern Nacht den königlichen Weinkellern noch einen Besuch abgestattet habt“, scherzte Fürst Hagil.

Cai ertrug den Spott wortlos, aber mit griesgrämigem Gesichtsausdruck. Auf ein Duell mit ihm musste Hagil allerdings verzichten.

Melbart gab den Befehl zum Aufbruch. König Nôl´taham war erschienen, um die Gefährten zu verabschieden und ihnen den Segen der Götter mit auf den Weg zu geben. Zusammen mit einer zehnköpfigen Eskorte, angeführt von dem Reiterhauptmann Kil´anor, verließen sie die Stadt Elim´dor in Richtung Westen – in die Tiefe eines geheimnisvollen Waldes.

Die Rache des Kryonos

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