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14. Überfall in Weiherbruch

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Am nächsten Morgen wurden sie beim Aufwachen von dichten, kühlen Nebelschwaden empfangen. Träge zogen sie vom Fluss herauf und verschwanden zwischen den Bäumen des Waldes. Fröstelnd nahmen sie ihr Frühstück ein. Selbst das neu entfachte Feuer konnte sie nicht recht aufwärmen. Mit klammen Gliedmaßen und Kleidungsstücken machten sie sich wieder auf den Weg.

Es wurde wenig gesprochen. Erst als die aufsteigenden Sonnen den Nebel auflösten und eine wohltuende Wärme spendeten, verbesserte sich ihre Stimmung. Am frühen Vormittag erreichten sie erstmals seit längerer Zeit wieder besiedeltes Gebiet. Einzelne Bauernhöfe tauchten auf, die verstreut in der hügeligen Landschaft lagen. Der Weg hatte sich zunehmend verbessert und war nun fast so fest und breit wie eine Straße. Gelegentlich trafen sie auf Bauern, und ein oder zwei andere Reisende kreuzten ihren Weg.

Um die Mittagszeit kam ihnen ein berittener Trupp seenländischer Krieger entgegen. Sie wurden von ihm angehalten und etwas argwöhnisch beäugt, vor allem Angulfin. Das Zihanor ein Lysidier war, fiel den Kriegern nicht auf, da er wie kein anderer aus diesem Land auf einen Bart verzichtete. Auch seine Kleidung ließ keine Rückschlüsse zu. Hätten sie ihn als ein Krieger des ehemals verfeindeten und immer noch nicht befreundeten Volkes erkannt, wären die Soldaten mit Sicherheit noch misstrauischer geworden. Da Thorgren aber das Gespräch führte, blieb ihnen auch die Mundart Zihanors verborgen.

Offensichtlich war die Patrouille aber in Eile, denn sie erkundigten sich nur sehr oberflächlich nach Herkunft und Ziel der drei Reiter, was diesen ganz gelegen kam. Um die Wachsoldaten nicht länger aufzuhalten, vermied es Thorgren auch, nach Neuigkeiten im Reich König Harismunds zu fragen. Eine Entscheidung, die er später noch bedauern sollte.

Dann ließ die Patrouille die drei Reiter weiterziehen und setzte ihren Weg fort. Auf einer kleinen Lichtung in einem Hain legten Thorgren und seine Begleiter etwas später eine kurze Rast ein.

„Wenn es so gut weitergeht, dann können wir morgen zur Mittagszeit an der Dagau-Brücke sein“, meinte Thorgren. „Von dort ist es dann kaum noch ein halber Tagesritt bis zu den Stromschnellen. Ich rechne damit, dass wir heute Abend den Ort Weiherbruch erreichen. Dort können wir in dem kleinen Gasthaus An der Fähre übernachten. Ich war vor einiger Zeit schon einmal dort. Jedenfalls damals war es eine recht gepflegte Herberge.“

„Das hört sich gut an“, sagte Zihanor. „Wir sind zwar noch nicht lange unterwegs, doch gegen ein vernünftiges Bett habe ich nie etwas einzuwenden.“

„Und ich nichts gegen einen Krug Bier“, bemerkte Angulfin. „Aber denkt daran: Für andere Gäste sollten wir uns als Handelsreisende ausgeben.“

„Für wen denn sonst?“, fragte Thorgren.

Sie nahmen ihre Sachen wieder auf und schon ging es weiter. Die Landschaft, die sie durchquerten, war angenehm. Eine weite, von Feldern und Wiesen übersäte Ebene lag vor ihnen. Die flachen Hügel und seichten Senken der Gegend verliehen ihr ein harmonisches Aussehen. Zur ihrer Rechten zog träge die Dagau dahin. Fern im Norden ruhte majestätisch der Rabenberg in den mittäglichen Sommersonnen. Durch die diesige Luft erschien er ihnen etwas verschwommen. Wie an den meisten Tagen war der Gipfel wolkenverhangen.

Als sie am Abend in Weiherbruch ankamen, hatten sie einen an diesem Tag wenig anstrengenden und ereignislosen Ritt hinter sich. Der Weg, mittlerweile zu einer Straße geworden, hatte eine letzte Hügelkuppe erklommen, und nun lag das Dorf zu ihren Füßen in einer Senke. In leichten Kurven führte die Straße durch Weiherbruch hindurch und verschwand in den dahinterliegenden Höhen.

Das Dorf bestand nur aus wenigen Häusern. Die Hauptstraße wurde von einem Weg gekreuzt, der bei der Dagau-Fähre begann und nach Norden in die Felder und Wiesen führte, um schließlich weit entfernt in den Horizont einzutauchen. An dieser Kreuzung stand das Gasthaus.

Es bestand aus vier gleichartigen, rechtwinklig angeordneten Gebäudeflügeln, die einen kleinen Innenhof einschlossen, und war strohgedeckt und in Fachwerkbauweise errichtet. Der Hof konnte durch ein Bogentor betreten werden. Die Mauern zwischen dem Fachwerk waren mit weißer Farbe getüncht, und wie es schien, erst vor kurzer Zeit, denn der Anstrich war in einem tadellosen Zustand. Die beiden Torflügel standen offen. Kaum befanden sich die drei Reiter im Hof, kam ihnen auch schon dienstbeflissen ein Knecht entgegen.

„Seid willkommen!“, rief er den Fremden zu. „Mein Name ist Klemens. Was kann ich für euch tun? Mein Herr ist gerade nicht da. Er wird aber bald zurück sein. Wenn es euch nichts ausmacht, nehmt so lange mit mir vorlieb.“

„Wir benötigen Unterkunft für uns drei und Stellplätze für die Pferde für eine Nacht“, sagte Thorgren. „Außerdem wäre eine ordentliche Mahlzeit willkommen.“

„Das lässt sich einrichten“, antwortete Klemens eifrig. „Wenn ihr bitte in die Gaststube gehen wollt. Ich werde dann euer Gepäck auf die Zimmer bringen und die Pferde versorgen. Dort hinten ist der Eingang.“

Das Gasthaus war ein altes Gebäude, und die Dielen knarrten unter ihren Stiefeln, als sie eintraten. Aber es wirkte tatsächlich sehr gepflegt, wie Thorgren versprochen hatte. Eine Magd bot ihnen einen Platz an und wiederholte die Frage des Knechtes nach den Wünschen der Herren. Sie gab ihre Bitte nach einer deftigen Mahlzeit in die Küche weiter, wo die Wirtin gerade zu tun hatte, und trug dann drei Krüge Bier auf. Zu dieser Zeit waren sie die einzigen Besucher in der Gaststube. Freundlich schien der untergehende Astur durch die kleinen Fenster.

Thorgren zog gedankenverloren seinen Tabaksbeutel aus der Tasche, musste aber enttäuscht feststellen, dass er immer noch leer war. Die Magd, die in diesem Augenblick zurückkehrte, bot ihm, aufmerksam wie sie war, an, den Beutel aus den Vorräten des Gasthauses wieder aufzufüllen, was Thorgren mit Freude annahm. Nachdem er seine Pfeife gestopft hatte, setzte er sie genüsslich in Brand, was Zihanor mit einem Nasenrümpfen beantwortete. Anschließend gab Thorgren das Pfeifenkraut an Angulfin weiter. Zihanor sagte auch jetzt nichts und beobachtete nur ein wenig abfällig, wie Angulfin dieser Unsitte, wie er fand, nacheiferte. Beide ignorierten Zihanors Gesichtsausdruck beharrlich.

„So lässt es sich gut ausruhen“, meinte Angulfin zufrieden, streckte seine Beine aus, entließ eine kleine Rauchwolke aus seinem Mund und nahm einen großen Schluck Bier.

Nach einiger Zeit waren auf dem Flur schwere Schritte zu hören. Ein großer, kräftiger Mann kam herein und geradewegs auf sie zu. Aus seinem wettergegerbten Gesicht blickten sie freundliche Augen an. Das musste der Wirt sein, und seine ersten Worte bestätigten diese Vermutung.

„Ihr wünscht drei Zimmer für diese Nacht, sagte mein Knecht?“

„So ist es“, bestätigte Thorgren. „Allerdings benötigen wir kein Frühstück. Wir werden in aller Frühe wieder fortreiten.“

„Es soll geschehen, wie ihr es verlangt“, versprach der Wirt. „Wenn ihr mir bitte folgen wollt. Ich denke, das Abendessen wird noch eine kurze Zeit auf sich warten lassen.“

Sie erhielten drei Zimmer nebeneinander und alle mit einem Blick auf den Fluss und die Fähre, die gerade vom diesseitigen Ufer abgelegt hatte und langsam an einen langen Tau, das quer über die Dagau gespannt war, in Richtung des anderen Ufers gezogen wurde. Neben dem Fährmann und vermutlich einem Gehilfen, erkannte Thorgren einige Stücke Vieh und Säcke, auf denen ein weiterer Mann saß. Ein Bauer, nahm er an.

Ihr Gepäck war von Klemens bereits auf die Zimmer verteilt worden, und jeder von den dreien musste zunächst schauen, in welchem denn nun seine Sachen lagen. Wie schon die Gaststube machten die Schlafräume ebenfalls einen ordentlichen Eindruck, wenn sie auch ein wenig muffig rochen. Sie schienen in letzter Zeit nicht genutzt und damit auch nicht gelüftet worden zu sein. Trotzdem waren die drei zufrieden.

Ihr nächster Weg führte sie in den kleinen Baderaum. Der Wirt hatte ihnen verraten, dass sein rühriger Knecht in weiser Voraussicht bereits Wasser angewärmt hatte. Nach zwei Tagen in der Wildnis nahmen sie dieses Angebot gerne an.

Nachdem sie sich erfrischt hatten, kehrten sie wieder in die Gaststube zurück. Mittlerweile hatte die Wirtin die Abendmahlzeit bereitet. Mit viel Appetit und einem weiteren Krug Bier machten sie sich darüber her, als hätten sie seit Tagen nichts mehr zu essen gehabt, was hinsichtlich der Zusammensetzung dieser Mahlzeit zweifellos stimmte.

In der Zwischenzeit war es draußen dunkel geworden, und Öllampen verbreiteten ein trübes Licht im Schankraum. Einige weitere Gäste hatten sich eingefunden. Dem Aussehen nach waren es Bauern oder Handwerker. Thorgren schloss daraus, dass es Einwohner aus dem Dorf oder der näheren Umgebung waren. Seine Vermutung wurde durch die Gespräche bestätigt. Zihanor war erstaunt darüber, dass sie bei den Einheimischen kaum Aufmerksamkeit erregten. Sie waren zwar von ihnen kurz gegrüßt, aber nicht weiter in ihre Unterhaltung mit einbezogen worden. Er schloss daraus, dass, obwohl sie an diesem Abend offensichtlich die einzigen fremden Gäste in dem Wirtshaus waren, Reisende hier keine seltene Erscheinung zu sein schienen und bei den Einheimischen deshalb nur wenig Interesse erregten.

Thorgren, Zihanor und Angulfin verhielten sich zurückhaltend, wie sie es besprochen hatten. Sie wechselten einige belanglose Worte, um nicht den Anschein zu erregen, die anderen Gäste zu belauschen. In Wirklichkeit jedoch hörten sie sehr genau zu, was gesprochen wurde. Dabei erfuhren sie, dass den Leuten hier das Wetterleuchten vor zwei Tagen ebenfalls nicht entgangen war. Es hatte für einige Aufregung unter den Einwohnern gesorgt, da ein solches Schauspiel am Himmel noch nie vorher beobachtet worden war. Und niemand konnte sich den Grund dafür erklären.

„Ich möchte wissen, was diese Lichter bedeuteten“, sagte ein Mann, der bereits beim Hereinkommen durch seinen völlig haarlosen Schädel aufgefallen war. „Letzte Woche hatte es das doch schon einmal gegeben.“

Er schien von einem heiteren Gemüt zu sein, hatten unsere drei Freunde schnell feststellen können, da er gern und viel lachte.

„So etwas habe ich noch nie gesehen“, fuhr der Kahlköpfige fort. „Es scheint, als hätten die Götter einen Kampf ausgefochten. Hoffentlich ist das kein schlechtes Zeichen?“

Du ahnst ja gar nicht, wie nah du der Wahrheit kommst, dachte Angulfin, hütete sich aber, es laut zu äußern.

„Du bist zu abergläubisch“, behauptete ein anderer. „Sicher waren es nur gewöhnliche Gewitter, obwohl ich zugebe, dass sie sehr stark gewesen sein müssen. Allerdings war das Wetter schon im Frühjahr ungewöhnlich.“

„Falls es Unwetter waren, dann hätten wir doch den Donner hören müssen“, wandte ein dritter Mann ein. „Und? Habt ihr etwas gehört?“

Die anderen beiden schüttelten nur ihre Köpfe.

„Wahrscheinlich waren sie nur zu weit entfernt“, erklärte derjenige, der bei seiner Behauptung blieb, dass es gewöhnliche Sommergewitter waren. „Zu weit entfernt, um gehört zu werden, doch in der klaren Abendluft eben sehr weit zu sehen.“

Dann wandte sich doch einer der Redner, es war der kahlköpfige Mann, an die drei Fremden.

„Vielleicht wisst ihr, was dieses Wetterleuchten zu bedeuten hatte. Bestimmt habt ihr es auch gesehen, wenn ihr nicht von weit herkommt?“

„Ich fürchte, wir können euch da nicht weiterhelfen“, sagte Angulfin mit einem gespielten Bedauern in der Stimme. „Auch wir haben es vorgestern gesehen, es war ja gewaltig genug, aber was es war, wissen wir auch nicht.“

„Ich hoffe nur, es hat nichts mit dem Krieg zu tun“, meinte der dritte Mann finster.

An dieser Stelle wurden die drei hellhörig. War der offene Kampf gegen Kryonos so schnell ausgebrochen? Konnte das wirklich sein? Falls das stimmte, blieb ihnen eigentlich überhaupt keine Zeit mehr, das Achôn-Tharén zu finden. Dann war es dazu bereits zu spät. Das konnte gut das Ende der Völker von Erdos bedeuten.

„Von welchem Krieg redet Ihr?“, fragte Thorgren und tat ahnungslos.

„Ihr müsst wirklich von sehr weit herkommen, wenn Ihr davon noch nichts gehört habt“, antwortete derjenige, der den Krieg erwähnt hatte. „Wisst Ihr denn nicht, dass die Könige der Elfen, Namurer und Seenländer ihre Heere aufstellen?“

„Wir erfahren hier das erste Mal davon“, sagte Thorgren wahrheitsgemäß. „Worum geht es in diesem Krieg, und warum wollen sie sich bekämpfen?“

Natürlich wusste er einiges über die Kriegsvorbereitungen aus den Gesprächen mit Melbart und Angulfin, und die Frage nach dem Gegner war nicht ernstgemeint. Sie war für jemanden, der sich dumm stellen wollte, aber naheliegend. Er hatte zu diesem Zeitpunkt aber kaum eine Ahnung, wie weit die Dinge gediehen waren. Außerdem interessierte ihn, wie viel die Leute in seinem Land von den Entwicklungen wussten, die eigentlich nicht so offensichtlich ihren Lauf nehmen sollten, vorerst wenigstens. Andererseits war damit zu rechnen, dass größere Truppenbewegungen kaum unbemerkt geblieben sein konnten und sich schnell herumsprachen. Und vielleicht hatte sich in der Zwischenzeit mehr ereignet, als er ahnte, möglicherweise hatten sogar schon Kriegeranwerbungen begonnen. Wenn selbst in diesem doch recht abgelegenen Teil des Landes die Leute davon wussten, musste einiges geschehen sein. Thorgren blickte Angulfin unauffällig an und sah, dass es auch in dem Magier arbeitete.

„Kein Krieg untereinander“, fuhr der Mann fort. „Wie es heißt, soll es im Norden einige Kämpfe mit Felsgnomen gegeben haben. König Harismunds Aufruf zu den Waffen wurde sogar bis hierher gehört. (Also doch, dachte Thorgren). Das kann aber nur heißen, dass da etwas Größeres im Busche ist als nur einige Scharmützel mit den Zwergen. Vor einigen Tagen kam ein Reisender hier durch, der darüber berichtete. Es scheint etwas Unruhe im Seenland zu geben.“

„Wisst Ihr Genaueres?“, fragte nun Angulfin.

„Nur was dieser Fremde sagte. Und das war nicht viel mehr, als ich Euch gesagt habe. Nur noch, dass sich Grünländer und Elfen wohl auch an die Seite König Harismunds gestellt haben. Allerdings, wer kann schon sagen, was wahr ist und was Gerüchte sind?“

„Pah, wer weiß, was da wirklich dran ist“, sagte ein anderer geringschätzig. „Vielleicht wieder einmal eine Sache zwischen uns und denen hinter der Mauer. Denen ist ja nicht zu trauen.“

„Dazu wären kaum unsere Krieger und die der Elfen nötig“, wandte der Kahlköpfige ein.

„Warum sollte es Streit mit den Lysidiern geben?“, wollte Thorgren wissen. „Regt sich etwas an der Grenze?“

„Das wohl nicht, zumindest ist mir nichts bekannt“, musste derjenige zugeben, der diese Möglichkeit ins Gespräch gebracht hatte. „Doch wer sollte uns sonst gefährlich werden?“

Zihanor war kurz davor, dem Mann zu antworten, als seine Aufmerksamkeit auf schwere, hastige Schritte draußen auf dem Flur gelenkt wurde.

Plötzlich stürzte laut polternd ein Fremder in die Gaststube. Völlig außer Atem rief er: „Bestien! Wilde Tiere! Ungeheuer! Sie sind unten am Fluss, am Anleger! Das Bootshaus brennt!“

Bestien!?, durchzuckte es Thorgren unwillkürlich. Hier? Das kann, das darf nicht wahr sein. Sind sie wirklich schon so stark?

Noch während ihm diese Gedanken durch den Kopf schossen, sprangen alle in der Gaststube auf und hetzten auf die Straße. Thorgren und Zihanor zogen ihre Schwerter. Mit Angulfin und den anderen Männern aus der Wirtschaft liefen sie hinunter zum Bootsanleger.

Bereits bevor sie dort ankamen, vernahmen sie das Geschrei von Menschen und dazwischen ein bestialisches Brüllen, das von den angreifenden Kreaturen herrühren mochte. So konnten sich keine menschlichen Wesen anhören. Blutüberströmt kam ihnen ein Mann entgegen, der ohne auf die Neuankömmlinge zu achten, in der Dunkelheit verschwand. Vor ihnen war die Umgebung in ein unstetes Rot getaucht. Das musste das brennende Bootshaus sein. Tatsächlich stand es vollkommen in Flammen.

Laut kreischend kam ein Wolfsmensch herausgesprungen und blickte blindwütig um sich. Im Schein der Flammen sah er noch schrecklicher aus. Angulfin zog etwas aus seinem Gewand, das aussah wie eine silberne Kugel. Mit einer Bewegung, die an Kraft und Schnelligkeit ihm keiner zugetraut hätte, schleuderte er das Ding zielsicher auf die Kreatur. Mit einem mörderischen Gebrüll machte die Bestie einen gewaltigen Satz zur Seite und flog ein Stück durch die Luft. Noch im Flug krümmte er sich merkwürdig zusammen und schlug dann schwer auf dem Boden auf. Dort blieb er regungslos liegen. Plötzlich begann er von innen her bläulich aufzuleuchten und löste sich vor den Augen der Beobachter auf. Angulfins Kugel fiel zu Boden und kullerte in ein Erdloch. Noch ehe jemand anderes sich für sie interessieren konnte, lief der Magier zu ihr hin und versteckte sie wieder in seiner Hand.

In der Zwischenzeit waren die anderen nicht untätig gewesen. Vor dem Bootshaus hatten sich Thorgren und Zihanor von Angulfin getrennt und waren zur hinteren Seite der Hütte gelaufen, um weiteren Bestien den Weg abzuschneiden. Zihanor hatte eine herumliegende, brennende Fackel aufgehoben und suchte den Boden nach Spuren ab, während Thorgren die Umgebung sicherte. Quer verlaufend, von der Hütte weg zu einem Busch, stießen sie auf eine Blutspur. Vorsichtig näherten sie sich dem Strauchwerk.

Leises Stöhnen drang ihnen entgegen. Thorgren drückte mit seinem Schwert einige Zweige zur Seite und Zihanor hielt seine Fackel in die entstandene Öffnung. Entsetzte Augen in einem blutverschmierten Gesicht blickten sie an. Der Mann musste sich vor der Gefahr in das Unterholz gerettet haben. Thorgren versuchte ihm zu verstehen zu geben, dass sie Freunde waren und er sich vor ihnen nicht zu fürchten brauchte. In der gleichen Sekunde gewahrte er in seinem Blickfeld ein weiteres Augenpaar – starr, rotschimmernd und boshaft. Noch bevor er handeln und Zihanor warnen konnte, kamen sie zischend auf ihn zugeschossen und stießen ihn zu Boden. Was es war, konnte er nicht erkennen. Das Letzte, was er wahrnahm, war ein beißender, unbekannter Gestank und ein harter Aufprall seines Kopfes. Dann fiel er in eine tiefe Bewusstlosigkeit.

Als Thorgren wieder zu sich kam, spürte er einen zermürbenden Kopfschmerz. Zuerst verschwommen, aber dann immer klarer, sah er die Gesichter der um ihn Herumstehenden – Zihanor, Angulfin, den Wirt mit seinem Knecht, den Kahlköpfigen und einige unbekannte Männer. Er befand sich wieder in einem Gebäude, vermutlich im Wirtshaus. Nur langsam erkannte er sein Zimmer. Zihanor trug einen Verband um den Kopf. Trotzdem lächelte er erleichtert, als er sah, dass Thorgren wieder zu sich kam. Angulfin schaute wie meistens heitergelassen drein.

„Hat er nicht einen verdammten Dickschädel?“, fragte er Magier in den Raum hinein, ohne jedoch eine Antwort zu erwarten.

Thorgren versuchte sich aufzurichten, fiel aber stöhnend wieder auf sein Lager zurück. Vor seinen Augen tanzten bunte Kreise und glühende Pfeile schienen sich in sein Hirn zu bohren. Aber er blieb bei Bewusstsein, wenn auch mühevoll. Mit schmerzverzerrtem Gesicht tastete er den Verband um seinen Kopf ab.

„Langsam, nicht so hastig“, ermahnte ihn Angulfin. „Diese Reise wäre für dich fast zu Ende gewesen. Da kannst du ruhig noch etwas liegenbleiben.“

„Was ist passiert?“, fragte Thorgren mit schwacher Stimme. „Das Letzte, woran ich mich erinnere, ist, dass Zihanor und ich einen Verwundeten in einem Gebüsch nahe des Bootshauses fanden. Dann sah ich zwei leuchtende Augen, die mich plötzlich ansprangen und zu Boden rissen. Das ist alles.“

„Jetzt ist zunächst einmal wichtig, dass du nicht allzu schwer verletzt wurdest“, beruhigte ihn der Zauberer. „In zwei oder drei Tagen wird es dir wieder so gut gehen, als wäre nichts geschehen. Ehrlich gesagt, du hattest großes Glück. Heute Nacht brauchst du erst einmal Ruhe.“

Angulfin sorgte dafür, dass alle außer Zihanor den Raum verließen. Was der Zauberer Thorgren über seine Verletzung gesagt hatte, stimmte zwar, doch wollte er ihn noch mit Erklärungen verschonen. Das hatte auch noch bis zum nächsten Morgen Zeit. Es war bereits spät in der Nacht. Einige Kräutertees Angulfins, die erwartungsgemäß schauderhaft schmeckten, ließen Thorgrens Kopfschmerzen schließlich abklingen, und er fiel in einen erholsamen Schlaf.

Am nächsten Morgen wurde Thorgren von hellen Sonnenstrahlen geweckt, die durch das Fenster auf sein Gesicht fielen. Die Kopfschmerzen waren kaum noch spürbar, und er fühlte sich wieder wesentlich besser. Neben ihm auf einem Stuhl saß Angulfin. Er hatte die ganze Nacht bei ihm gewacht. Doch schließlich war er von der Müdigkeit übermannt worden, denn sein Kopf war nach vorn gebeugt, und er ließ ein ruhiges Schnarchen hören. Thorgren versuchte sich zu bewegen, was ihm erstaunlich leicht fiel. Dann richtete er sich im Bett auf. Zunächst machte sich ein leichtes Schwindelgefühl bemerkbar, das aber schnell wieder verschwand. Seine Übung ließ für einen Augenblick aber seine Kopfschmerzen in unerwarteter Heftigkeit wieder aufleben. Noch ehe er aufstehen konnte, hörte er die mahnenden Worte Angulfins: „Das würde ich an deiner Stelle noch nicht versuchen. Bleib lieber noch etwas liegen.“

Der Magier saß immer noch in der gleichen Haltung wie zuvor und hatte mit geschlossenen Augen gesprochen. Bei der ersten Regung des Verletzten war er aufgewacht, ohne sich etwas anmerken zu lassen. Nun blickte er auf und schien mit dem, was er sah, zufrieden zu sein.

„Du siehst immerhin schon besser aus als gestern“, stellte er fest. „Ganz erstaunlich in so kurzer Zeit. Deine Gesichtsfarbe ist wieder die eines Lebenden.“

„Das wird sich aber schnell ändern, wenn ich nicht bald pinkeln kann“, wandte Thorgren ein. „Deine Giftmischungen mögen ja heilsam sein, aber sie führen irgendwann zu körperlichen Bedürfnissen, die nicht lange unterdrückt werden können.“

Angulfin musste laut lachen. Er stand auf und holte eine Blechschüssel unter dem Bett hervor. Nachdem er Thorgren geholfen hatte, sich zu erleichtern und dieser wieder mit aufgerichtetem Oberkörper in seinem Bett saß, reichte der Magier ihm einen weiteren Tee und etwas Brot und Fleisch. Thorgren aß mit ordentlichem Appetit, was ein gutes Zeichen war. Nur der Tee behagte ihm nicht.

„Wie wäre es mit ein wenig Honig“, schlug Thorgren vor.

„Der schwächt seine Wirkung“, erklärte Angulfin allen Ernstes, aber Thorgren war nicht völlig überzeugt.

Als er fertig war, reichte er Angulfin das Geschirr. Einigermaßen zufrieden streckte er sich auf dem Bett aus.

„Da gibt es doch sicher noch einiges, was du mir erzählen willst“, vermutete Thorgren.

„Ja, richtig“, tat Angulfin erstaunt. „Warte noch einen kurzen Augenblick.“

Er ging hinaus und kam nur wenig später in Begleitung von Zihanor wieder zurück.

„Ich glaube, Zihanor sollte dabei sein, wenn wir uns über den gestrigen Abend unterhalten“, meinte er und setzte sich wieder.

Der Lysidier zog ebenfalls einen Stuhl ans Bett heran und nahm Platz. Er trug zwar noch seinen Verband, machte aber keinen angeschlagenen Eindruck.

„Heute Nacht wollte ich nicht darüber reden“, begann Angulfin. „Nicht nur, weil du noch zu schwach warst, sondern auch, weil zu viele Fremde anwesend waren, die nicht mehr wissen müssen, als sie ohnehin sahen. Um es gleich vorneweg zu sagen, es hat nicht viel gefehlt, und unser Abenteuer wäre hier zu Ende gewesen. Du hattest nicht nur Glück, sondern auch eine wahrhaftige Schutzfee. Nachdem ich eine der Bestien getötet hatte, bin ich hinter euch hergelaufen, um euch zu suchen. Als ich um die Ecke des brennenden Fährhauses kam, sah ich, wie ihr euch in einen Busch hinunterbeugtet. In diesem Augenblick geschahen mehrere Dinge gleichzeitig. Eine riesige Katze, deren Kopf der einer Schlange glich, kam aus dem Unterholz herausgesprungen. Sie schien es auf den Fackelträger, also Zihanor, abgesehen zu haben. Noch im Sprung warf sie dich, Thorgren, mit dem Hieb einer Tatze, Pfote würde ich das nicht mehr nennen, zu Boden, wo du reglos liegenbliebst. Wie ich später feststellte, warst du mit dem Kopf auf einen Stein aufgeschlagen und erhieltest an der Schläfe einen Kratzer durch ihre Kralle. Die Schlangenkatze, es war das Reittier des Wolfsmenschen, nehme ich an, stürzte sich auf Zihanor, der gerade noch einen abwehrenden Hieb mit seinem Schwert anbringen konnte, bevor es so aussah, als wollte die Bestie ihre Fangzähne in ihn hineinschlagen. Ich wusste nicht, wie ich helfen sollte, ohne euch selbst zu gefährden und war verzweifelt. Doch in diesem Augenblick wurdet ihr beide in eine schwachleuchtende, blaue Aura gehüllt, deren Ursprung ich nicht sofort erkennen konnte. Innerhalb dieser Glocke aus Licht wurde die Bestie mitten in ihrem Angriff aufgehalten und schwebte ein Stück von Zihanor weg. Unter heftigem Zucken fing der Körper der Bestie an, zu schrumpfen. Selbst für mich sah es entsetzlich aus. Der Vorgang lief vollkommen lautlos ab, wie mir Zihanor später erklärte. Das Ungeheuer wurde immer kleiner, bis es schließlich in einem winzigen, glühenden Punkt verschwand. Die Aura löste sich wieder auf und wurde ebenfalls in eine kleine, leuchtendblaue Kugel oder etwas Ähnlichem hineingesogen. Doch nun erkannte ich die Ursache für eure unerwartete Rettung. Es war die Erscheinung, die uns schon auf der Lichtung im Wald begegnet ist. Dann verschwand sie wieder. Die schützende Aura war ihrem Juwel auf der Stirn entsprungen. So wurdet ihr gerettet.“

„Ich wünschte, wir könnten ihr unseren Dank erweisen“, sagte Thorgren. „Du weißt, wer sie ist? Werden wir sie wiedersehen?“

„Ja und sehr wahrscheinlich“, beantwortete der Magier die Fragen Thorgrens auf etwas rätselhafte Weise. „Ich hatte hier nicht mit ihr gerechnet, und es ist noch zu früh, euch ihren Namen zu nennen. Ich kann euch aber immerhin sagen, dass sie nicht von dieser Welt stammt, und sie scheint uns schon ein paar Tage zu begleiten. Seid gewiss, dass wir ihr wiederbegegnen werden.“

„Du sprichst also von der Frau aus dem Wald, oder ihrer Erscheinung?“, vergewisserte sich Thorgren. „Von der du sicher bist, dass sie nicht die Seherin war.“

Angulfin nickte.

„Ja, nicht die Seherin“, bestätigte der Magier. „Aber es war das gleiche Wesen.“

Bei dieser etwas unklaren Andeutung beließ er es zunächst.

„Ich finde, deine Erklärungen sind nicht gerade verständlich“, meinte Zihanor unwillig. „Doch wenn du nicht mehr sagen willst, dann wird uns das wohl genügen müssen.“

„Es ist noch nicht an der Zeit“, beharrte Angulfin. „Habe ein wenig Geduld.“

„Ich verstehe nicht, was diese Geheimnistuerei immer soll, aber meinetwegen“, sagte Thorgren mürrisch. „Wenigstens kann ich dir danken, Zihanor. Ohne dein beherztes Eingreifen wäre ich möglicherweise schwerer verletzt oder sogar getötet worden, bevor unsere geheimnisvolle Beschützerin uns hätte retten können.“

„Ich bin nicht sicher, ob ich wirklich so viel ausgerichtet habe“, zweifelte Zihanor. „Aber ich freue mich umso mehr, dass du – wir – so glimpflich davongekommen sind.“

„Wie geht es dem Verletzten aus dem Gebüsch?“, erkundigte sich Thorgren.

„Nachdem wir euch beide in Sicherheit gebracht hatten, kümmerte ich mich um ihn“, berichtete Angulfin. „Er hatte zwar schwere Verletzungen, die aber nicht tödlich gewesen wären. Was ihn schließlich umbrachte, war das Gift des Bisses der Schlangenkatze. Ich konnte ihm leider nicht mehr helfen. Die Wirkung war bereits zu weit fortgeschritten. Er lebte aber noch lange genug, um mir mitzuteilen, dass es sich bei den Angreifern nur um diese beiden Bestien gehandelt hatte.“

Thorgren hatte sich im Bett aufgerichtet.

„Der Mann starb an Vergiftung?“, fragte er erschrocken. „Warum lebe ich dann noch? Schließlich wurde ich ebenfalls von der Bestie verwundet.“

„Weil er gebissen wurde“, erklärte Angulfin. „Du dagegen erhieltest deine Verletzungen durch die Krallen. Es scheint so, als wären sie nicht giftig gewesen.“ Erleichtert legte sich Thorgren wieder zurück. „Wer war dieser Unglückliche, und was ist aus dem Verletzten geworden, der uns entgegenkam, als wir zum Anleger liefen?“

„Der Tote war der Gehilfe des Fährmannes“, antwortete Angulfin. „Der andere war der Fährmann selbst. Er wurde bei sich zu Hause gefunden. Er hat auch einige Wunden und ist noch sehr schwach, doch er wird sich in einigen Tagen wieder erholt haben. Er hatte sozusagen Glück im Unglück. Schließlich konnte er mich aber darüber aufklären, wie die beiden Bestien nach Weiherbruch gekommen waren. Sie hatten den Fährleuten auf dem anderen Ufer bereits aufgelauert und sie dann gezwungen, sie im Schutze der Dunkelheit nach Weiherbruch überzusetzen. Sie waren so schnell auf das Floß gesprungen, dass er keine Gelegenheit gehabt hatte, sich, seinen Gehilfen und das Floß noch in Sicherheit zu bringen. Unter Todesgefahr hat der Fährmann sie übergesetzt. Die Bestien machten eindeutige Gesten, dass sie die beiden töten würden, weigerte er sich, sie mitzunehmen. Es war sein Glück, dass ein Schmied in der Dämmerung noch erkannt hatte, welche Ladung sie da so spät noch herüberbrachten. Er war es auch, der uns hier in der Gaststube alarmierte.“

„Obwohl es ihm am Ende nichts genutzt hat.“

„Angulfin, was war das für ein Ding, mit dem du den Wolfsmenschen zur Strecke gebracht hast?“, fragte Zihanor. „Kurz bevor Thorgren und ich um die Hütte herumgelaufen sind, habe ich noch gesehen, wie sich diese Bestie auflöste, nachdem du sie mit irgendetwas beworfen hattest.“

Angulfin kicherte wie ein kleines Kind und zog eine silberne Kugel aus seiner Kutte, die etwa die Größe einer Walnuss hatte.

„Das ist die Wunderwaffe“, sagte er und legte sie in Zihanors Hand.

Auch Thorgren blickte sie interessiert an, doch dann entstand eine gewisse Enttäuschung auf seinem Gesicht, als hätte er mehr erwartet.

„Eine gewöhnliche Silberkugel?“

„Oberflächlich gesehen schon“, bestätigte der Magier. „Allerdings besteht sie aus sehr reinem Silber. Und keiner wird jemals etwas anderes an ihr feststellen können.“

Das stimmte, denn Angulfin verheimlichte ihnen, dass sie aus einem inneren Kern und einer äußeren Schale bestand. Und dieser innere Kern war alchimistisch »veredelt« und trug verschiedene Zauber in sich. Doch selbst, wenn die Kugel zersägt worden wäre, wären Kern und Schale nicht voneinander zu unterscheiden gewesen. Es ist jedoch nicht bekannt, ob eine dieser magischen Kugeln, die im Übrigen noch einige andere Eigenschaften besaßen, jemals in andere Hände als denen der Druiden von Gebir gelangt waren, außer bei dieser Gelegenheit.

Zihanor wog die Kugel abschätzend in der Hand. Sie fühlte sich kalt an und wollte sich auch nicht erwärmen. Ansonsten schien sie ihm eine gewöhnliche Silberkugel zu sein mit einer polierten, makellosen Oberfläche. Er gab sie dem Zauberer zurück.

„Du siehst enttäuscht aus“, stellte Angulfin fest. „Was hattest du erwartet? Tatsächlich bliebe sie für euch stets eine Silberkugel, und hätte sie einer von euch geworfen, wäre sie wirkungslos an der Bestie abgeprallt. Vielleicht hätte sie die Kugel nicht einmal gespürt. Nur durch den Gebrauch eines Mitgliedes meines Ordens wird sie zu einer wirkungsvollen Waffe.“

„Und wie entfaltet sie ihre Wirkung, wenn sie auf jemanden trifft?“, fragte Thorgren.

„Nun, ganz einfach“, meinte Angulfin nur. „Sie dringt in den Körper des Gegners ein, wandelt ihn in Licht um und löst ihn so schließlich auf. Übrig bleibt nur die Kugel.“

„Ah ja, das ist wirklich ganz einfach“, stimmte Thorgren mit einem bissigen Lächeln zu.

„Das ist sehr beeindruckend“, meinte Zihanor. „Ich habe so etwas vorher noch nie gesehen.“

„Nun, das kann ich mir vorstellen. Es gibt auch nicht viele davon. Doch wünscht euch, sie nie wieder sehen zu müssen. Wir setzen sie nur gegen wirklich starke Gegner ein, oder wenn es schnell gehen muss. Ich selbst benutze lieber ein Schwert, das ich unter meiner Kutte trage. Es kostet weniger Kraft.“

„Eine letzte Frage, bevor wir deine Ungeduld heraufbeschwören“, wandte sich Thorgren noch einmal an Angulfin. „Wie ist es möglich, dass diese beiden Bestien bereits so weit entfernt vom Kepirgebirge aufgetaucht sind? Sie werden kaum die einzigen Späher des Feindes gewesen sein, die das Land durchziehen. Das wiederum würde bedeuten, dass Kryonos bereits sehr stark geworden ist. Ich fürchte, die Zeit läuft uns davon.“

„Du zweifelst schon wieder an unserem Erfolg“, sagten Angulfin und Zihanor wie aus einem Mund.

Beide sahen sich erstaunt an und lächelten dann.

Angulfin fuhr fort: „Diese beiden Späher bedeuten noch nicht viel. Glaubtest du wirklich, wir könnten gemütlich nach dem Achôn-Tharén suchen, während sich bei Kryonos nichts tut? Doch bedenke, Merowinth hatte Erfolg, als Kryonos bereits im Besitz des Achôn-Tharéns und der Krieg in vollem Gange war. Jetzt ist das mit Sicherheit noch nicht der Fall.“

[An dieser Stelle irrte Angulfin wie einige Tage vorher Melbart, denn tatsächlich war das Achôn-Tharén bereits vor fünf Tagen zu Kryonos zurückgekehrt, was der Magier aber noch nicht wissen konnte, da er seit ihrem Aufbruch von Schibrasch-dim noch keine neuen Nachrichten erhalten hatte. Das Wetterleuchten war eine Folge der Wiedervereinigung von Kryonos mit dem Achôn-Tharén gewesen.]

„Trotzdem hast du Recht mit deiner Befürchtung, dass sich die Zeit des Krieges nähert“, sagte Angulfin. „Das Auftauchen dieser Bestien könnte ein Anzeichen dafür sein. Und es gibt Gründe zur Besorgnis. Doch die betreffen eher mich als euch mit eurem Auftrag. Deshalb werde ich die nächsten Tage auch nicht ungenutzt verstreichen lassen. Ihr beide bleibt noch hier. Halt – ehe ihr Einspruch erhebt. Dir, Zihanor, mag es ja bereits wieder gut gehen. Doch Thorgren steht unter dem Einfluss meiner Heiltees. Er ist mit Sicherheit noch nicht reisefähig. Glaubt es mir. Ihr bleibt also hier und erholt euch. Ich werde nicht lange weg sein. Seid jedoch bereit, ab übermorgen sofort aufzubrechen. Zihanor, hier ist eine Liste mit Kräutern und einigen Rezepturen. Sorge dafür, dass Thorgren weiterhin seine Medizin bekommt. Die Frau des Wirtes wird dir behilflich sein. Ich habe vor, Nachrichten einzuholen. In spätestens zwei Tagen werde ich wieder zurück sein. Lebt wohl und kommt wieder zu Kräften.“

Damit stand er auf und verließ den Raum. Er ließ zwei etwas ratlose Gefährten zurück. Durch das geöffnete Fenster hörten sie wenig später die Geräusche eines davongaloppierenden Pferdes.

„Das ging so schnell, dass er seine Abreise bestimmt schon vorher mit dem Wirt besprochen hat“, meinte Zihanor. „Wenn das Pferd man nicht schon gesattelt im Hof auf ihn wartete.“

„Tja, die Gedanken eines Zauberers sind unergründlich“, sagte Thorgren und streckte sich wieder aus.

Die Rache des Kryonos

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