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7. Von Weißanger zum Valedrim-Wald
ОглавлениеDie andere Gruppe bestand aus dem Magier Melbart, dem Elfen Ken´ir, Cai Grevenworth, Prinz Angholt, dem Fürsten Hagil, Urth vom Eschenbach und Ritter Siegfried. Sie hatten ihre Route folgendermaßen festgelegt: Von Weißanger wollten sie die Zwergenhügelstraße nach Süden nehmen, dabei würden sie durch die Zwergenhügel kommen, die der Straße ihren Namen verliehen hatten. Sie verlief geradewegs bis an den Rand des Valedrim-Waldes und weiter bis nach Elim´dor, der Hauptstadt der Valedrim-Elfen. Nach einem kurzen Besuch beim Elfenkönig Nôl´taham sollte die Reise im Schutz des Waldes auf der Straße, die schließlich in die Grauen Berge führte, in Richtung Westen weitergehen. Am Eingang zum Alten Klippweg wollten die Gefährten sie dann verlassen und den westlichen und ältesten Teil des Valedrim-Waldes auf diesem schmalen Pfad durchqueren.
Das Dagau-Delta war sehr weiträumig und bot keine markanten Punkte, wo sie mit Thorgrens Gruppe zusammentreffen konnten. Daher war die Gefahr groß, sich zu verfehlen. Und so unterrichtete Melbart seine Begleiter, dass er und Thorgren vereinbart hatten, sich bei den Stromschnellen der Dagau zu treffen. Melbart teilte ihnen auch mit, dass Thorgren mit zwei weiteren Bundesgenossen bereits zu diesem Ort unterwegs war.
Der erste Abschnitt führte die Reiter durch eine weite, unbewaldete Ebene von Wiesen und Feldern, die gelegentlich von Steinmauern und Holzzäunen eingefriedet waren. Die Bauernhöfe lagen weit verstreut, und nur selten kamen sie durch kleine Ortschaften an der Straße. In diesem Teil war das Grünland nur verhältnismäßig dünn besiedelt. Doch die Straße war gut ausgebaut und ermöglichte ein rasches Vorankommen.
Sie begegneten einigen Namurern und auch wenigen Elfen, doch die meisten Namurer waren Bauern, die die sieben Reiter kaum beachteten, und die wenigen Elfen und Grünland-Krieger hielten sie wegen ihrer Packpferde für eine der seltenen Handelskarawanen, die mit ihren Waren zu den Valedrim unterwegs waren. Die Anzahl der Begleitmannschaft war vergleichsweise hoch und ziemlich bunt zusammengewürfelt, und die Ladung schien nur gering, aber der Unterschied zu einer gewöhnlichen Händlergemeinschaft war nicht groß genug, um Misstrauen zu erregen. Und dass der Sohn des Königs unter ihnen war, bemerkte niemand. Sein Gesicht war nur wenigen Grünländern bekannt.
Am Himmel konnten sie bis zum Abend nichts Auffälliges beobachten. Falls irgendwo Nebeldrachen ihre Bahnen zogen, dann blieben sie den Reitern verborgen. So begann ihre Fahrt mit einem ruhigen und ereignislosen Reisetag.
In den Zwergenhügeln legten sie eine längere Rast ein, da sie bis spät in die Nacht hineinreiten wollten. Hier erfuhren einige aus der Gruppe, die es bisher noch nicht wussten, woher die Zwergenhügel ihren Namen hatten. Fürst Hagil erklärte, dass dort zwar nie Felsgnome gelebt hatten, doch bei genauerem Hinsehen die Anhöhen wie eine Horde Zwerge wirkten, die mitten im Laufen zu Stein verwandelt worden und dann zu den jetzt bekannten Hügeln verwittert und inzwischen grasbewachsenen waren. Allerdings fanden einige, dass es doch einiger Vorstellungskraft bedurfte, um diesen Vergleich zu ziehen. Die Gegend diente den Bauern der Umgebung als Weideland.
Schließlich, nachdem sie wieder einige Zeit unterwegs waren, brach die Abenddämmerung herein, und inmitten der Grenzen, wo das Rot der untergehenden Sonnen in das Blau und Schwarz des Nachthimmels überging, zeigten sich die ersten Sterne. Der Anblick, wie der abendrote Himmel im Osten und Westen zurückging und allmählich der zunehmend sternenübersäten Schwärze über ihren Köpfen wich, hatte etwas geradezu Mystisches.
Es war ein wolkenloser Abend mit einer langen Dämmerung und die Nacht würde klar bleiben. Dann ging der Mond Nubius auf und ließ die gepflasterte Straße wie ein silbernes Band vor ihnen erscheinen. Die schwach erhellte Nachtlandschaft bannte ihre Sinne und die erhabene Stille um sie herum wurde nur gestört durch das Geräusch der klappernden Hufe ihrer Pferde.
Die Reiter ließen gerade die letzten, flachen Ausläufer der Zwergenhügel hinter sich, als am östlichen Horizont ein gewaltiges und ungewöhnliches Wetterleuchten losbrach. Selbst die spitzen Zacken der schroffen Gipfel des Kepirgebirges zeichneten sich deutlich am Horizont ab, obwohl sie tagsüber nur bei sehr guter Sicht zu erkennen waren. Kurze Zeit später hörte die Erscheinung wieder auf und wiederholte sich in dieser Nacht auch nicht mehr.
Keiner der Gefährten hatte eine Erklärung dafür, was die Ursache für dieses Schauspiel gewesen sein konnte. Nur Melbart machte eine finstere Miene und sagte: „Es scheint, als ob Kryonos irgendetwas ausheckt.“
Was es jedoch in dieser Nacht war, konnten sie nie in Erfahrung bringen. Nubius stand bald hoch am Himmel und seine leuchtende Scheibe versetzte das Land in fast tagesgleiche Helligkeit. Das Glitzern der Sterne war nur noch schwach zu erkennen. An einer geschützten Stelle in einem kleinen Wäldchen ließ Melbart eine zweite Rast einlegen. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er alles darangesetzt, Elim´dor in einem Ritt ohne Unterbrechungen zu erreichen. Die Umstände hielt er jedoch nicht für so drängend, dass er nicht ein wenig Rücksicht auf seine Begleiter nehmen konnte. Bisher aber schienen sie nur wenig erschöpft zu sein, obwohl sie an diesem Tag eine beachtliche Etappe zurückgelegt hatten.
Kurz nach Mitternacht brachen sie wieder auf. Der Mond besaß nun seine höchste Leuchtkraft, die sich aus dem Licht der beiden Sonnen speiste. Die Landschaft breitete sich still und fast gespenstisch in fahle Helligkeit getaucht um sie herum aus. Kein Lüftchen regte sich und alle Geräusche waren verstummt. Die Hufe erschienen ihnen jetzt doppelt so laut wie am Tage und mussten in der ganzen Ebene zu hören sein.
Schon von weitem erblickten die Reiter das dunkle Band des Valedrim-Waldes. Eine Weile schienen sie sich ihm nur sehr langsam zu nähern, doch schließlich ragte sein Rand schwarz und undurchdringlich vor ihnen auf. Wenige Schritte vor dem Wald brachte Melbart sein Pferd Dicuil zum Stehen. Die anderen folgten seinem Beispiel. Vor ihnen hatte sich etwas höchst Merkwürdiges ereignet. Die Straße endete urplötzlich und tauchte in einen Waldsaum aus Gras und Moos, Unterholz und Bäumen ein.
„Was ist das denn?“, entfuhr es Cai und Hagil wie aus einem Munde.
„Die Straße kann doch nicht einfach so aufhören“, wunderte sich Cai.
Sie sprangen von ihren Pferden und fingen an, den Ort zu untersuchen. Niemand traute sich jedoch, bis an den Waldrand heranzutreten. Im Mondlicht erkannten sie aber, dass ein Teil der Pflastersteine, die die Straßenoberfläche bildeten, nur zur Hälfte unter dem Moos hervorragten. Die andere Hälfte war überwachsen. Schließlich näherte sich Urth mutig der Waldgrenze. Er tastete nach den Sträuchern und wollte den Wald dahinter genauer erkunden. Ihm kam das alles äußerst fragwürdig vor. Melbart war etwas entfernt stehengeblieben und betrachtete seine Freunde schmunzelnd. Er ahnte, was geschehen war. Auch Ken´ir beteiligte sich nicht an der Untersuchung. Er hielt sich beobachtend im Hintergrund auf. Urth machte einen Schritt vorwärts. Die anderen hörten noch einen überraschten Ausruf, dann war wieder alles ruhig. Falls Urth in Not geraten war, konnte es weder jemand sehen noch hören.
Ken´ir begann leise zu lachen. Es war, wie er es erwartet hatte. Manch einem kam der Grund für seine Heiterkeit etwas undurchsichtig vor. Der Elf ging unbeeindruckt von allem an den verdutzten Gefährten vorbei auf den Wald zu. Kurz vor dessen Saum blieb er stehen und gab einen langgezogenen, sehr hohen und fast unhörbaren Pfiff von sich. Aus der Ferne wurde ihm auf die gleiche Weise geantwortet.
„Folgt mir“, forderte er die anderen auf. „Wir können jetzt alle hinein.“
Er machte noch ein oder zwei Schritte – und verschwand wie Urth vor ihm. Sein Pferd Indessa drängelte sich an der Gruppe vorbei und verschwand als Nächstes im Wald, noch ehe die anderen Reiter sich wieder in Bewegung setzten. Vorsichtig und zögernd folgten sie ihnen. Melbart bildete den Abschluss hinter den Packtieren. Er hatte gewusst, dass die Straße natürlich nicht zu Ende war. Die Elfen hatten aber einen Zauber über den Eingang des Waldes gelegt.
Kaum hatten sie ihn durch diesen magischen Vorhang betreten, fanden sie sich umringt von Elfenkriegern, die sie mit Laternen in ihren Händen einkreisten. Von draußen waren sie nicht zu sehen gewesen. Ihre Waffen hielten sie aufrecht, seit sich ihnen Ken´ir zu erkennen gegeben hatte. Urth steckte noch der Schreck in den Gliedern, den er bekommen hatte, als er plötzlich eine bedrohlich große Anzahl von Speeren auf sich gerichtet sah. Die Elfen hatten ihn aber nicht behelligt.
Angholt drehte sich um und konnte im Mondlicht erkennen, wie die Straße in der Ferne verschwand. Alles war so, wie es hätte sein sollen, wenn man aus dem Wald auf eine vollmonderleuchtete Landschaft blickte. Nur sehr empfindliche Augen konnten die leichte Verschwommenheit erkennen, die dort über allem lag.
„Seht euch das an“, sagte er zu den anderen. „Von hier kann man jeden erkennen, der sich dem Wald nähert.“
Einige drehten sich um und mussten seine Worte erstaunt bestätigen. Ken´ir und Melbart wussten es bereits.
„Wahrhaftig, ein höchst interessanter Zauber“, meinte Melbart. Der etwas belustigte Unterton entging den meisten.
Ken´ir war gleich zu dem Anführer der Wachen gegangen, um ihre Ankunft zu so später Stunde zu erklären. Er und der Hauptmann kannten sich. Sie kamen auf die Gemeinschaft zu.
„Das ist Telin´gan“, sagte Ken´ir. „Er ist der Anführer dieser Wachschar und ein guter Bekannter von mir. Ich habe ihm gesagt, dass wir auf dem Weg nach Elim´dor sind. Er wird uns einen Krieger mitgeben, der uns bis in die Hauptstadt begleiten wird.“
„Wir waren nicht darüber unterrichtet, dass ihr diesen Weg nehmen würdet“, erklärte Telin´gan, „obwohl wir gehört hatten, dass eine kleine Gruppe in Ken´irs Begleitung sich unserem Wald aus Weißanger kommend nähert. Ohne ihn hätten wir euch als Gefangene betrachtet, denn wir haben den Befehl erhalten, alle, die zu ungewöhnlicher Zeit in den Valedrim-Wald eindringen wollen, festzusetzen.“
Melbart trat nun aus dem Hintergrund hervor.
„Mein Name ist Melbart“, stellte er sich vor. „Möglicherweise bin ich Euch ein Begriff. Ich bin, wenigstens vorübergehend, der Anführer dieser kleinen Reitergruppe. Ich danke Euch für die Nachsicht. Ich hatte noch nicht erwartet, dass der Valedrim-Wald schon so gut überwacht und vor allem magisch geschützt wird. Ich muss zugeben, dass König Nôl´taham sehr schnell gehandelt hat.“
„Jetzt erkenne ich Euch“, sagte Telin´gan. „Verzeiht, dass Ihr mir nicht sofort aufgefallen seid, doch Ihr hieltet Euch im Rücken der anderen auf, und deshalb habe ich nicht auf Euch geachtet. Der König hat uns nach dem Wehrrat in Weißanger in Alarmbereitschaft versetzt. Doch betrifft es noch mehr die Nebeneingänge zu unserem Wald. Tagsüber ist dieser Eingang geöffnet und wird unauffällig bewacht. Wahrscheinlich hättet Ihr uns nicht einmal wahrgenommen.“
„Sind bereits Bestien oder deren Verbündete gesichtet worden?“, wollte Melbart wissen. „Uranen, vielleicht auch Zwerge?“
„Nein, nicht hier, und soviel uns bekannt ist, bisher auch anderenorts noch nicht“, antwortete der Anführer der Wache. „Aber wir rechnen damit, dass bald Späher auftauchen werden.“
„Das mag durchaus geschehen“, gab Melbart zu, „und es ist gut, dass ihr auf der Hut seid.“
„Wie Ken´ir bereits angedeutet hat, gebe ich euch Tai´gor mit, bis ihr Elim´dor erreicht“, erklärte Telin´gan. „Er soll euch führen. Ich weiß, dass sowohl Melbart als natürlich auch Ken´ir den Weg nach Elim´dor kennen, trotzdem halte ich es für besser, denn im Wald sind ebenfalls einige Maßnahmen zum Schutz unseres Volkes getroffen worden. Ich rate euch daher dringend, nicht von der Straße abzuweichen. Betrachtet das nicht als Drohung, sondern als einen wohlwollenden Rat, wenn ihr mich versteht.“
„Das wissen wir zu schätzen“, sagte Melbart, der Ähnliches bereits vermutet hatte. Er kannte die Vorsicht der Elfen. Dann gab er den anderen ein Zeichen zum Aufsitzen.
„Eine gute Reise“, wünschte Telin´gan.
„Lebt wohl“, gab Melbart zurück.
Tai´gor setzte sich mit seinem Pferd neben Melbart, der wieder die Führung des Trupps übernommen hatte. Die anderen folgten dicht auf.
Allmählich wurde es wieder hell und am östlichen Horizont hatte das Morgengrauen eingesetzt, doch viel war davon noch nicht zu spüren. Im Wald war es sogar recht dunkel, verglichen mit der freien Landschaft, die sie zuvor durchquert hatten. Die Bäume drängten sich bis dicht an die Straße und reckten ihre ausladenden Äste weit herunter. Sie ließen nur wenige Lücken zwischen den Wipfeln. Hier kam das Licht erst einige Zeit später zur Wirkung. Dichtes Unterholz säumte den Weg und ließ den Wald undurchdringlich erscheinen. Im gemächlichen Galopp ritt die Gruppe die Straße entlang. Es wurde nicht gesprochen. Jeder gab sich dem Zauber der Umgebung hin. Auch begann allmählich bei einigen, die Müdigkeit einzusetzen.