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15. Die Heilkraft des Elfen

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Es war später Vormittag, als Angulfin aufbrach. Wie an den vorherigen Tagen strahlten die Sonnen hell vom klaren Himmel, und es lag eine flirrende Hitze über dem Land. Nur die gelegentlichen Brisen sorgten für kurze Abkühlungen. Das Konzert der Vögel erfüllte die Luft, und auf den Feldern brachten die Bauern ihre Ernte ein. Keiner von ihnen ahnte die Ereignisse, die sich anbahnten, und der Überfall in Weiherbruch hatte sich noch nicht weit herumgesprochen.

All das bemerkte Angulfin nur am Rande. Er war von einer inneren Unruhe erfüllt und trieb sein Pferd zur Eile an. Zwar hätte es auch für ihn andere Möglichkeiten gegeben voranzukommen, aber er wollte sich im Land umschauen, ob weitere Spuren des Feindes zu finden waren. Zu Thorgren und Zihanor hatte er mit viel Zuversicht gesprochen, doch in Wirklichkeit hatte ihn das Auftauchen der beiden Bestien sehr beunruhigt. Die Bedrohung durch Kryonos wuchs schneller, als er erwartet hatte.

Nach nur wenigen Stunden näherte er sich der Dagau-Brücke. Bevor sie jedoch in Sichtweite kam, hielt er auf ein kleines Wäldchen zu, das auf einer Hügelkuppe stand, und von wo er eine gute Übersicht über die nahe Umgebung hatte. Dabei war er dort oben vor beobachtenden Augen sicher. Als er sich hinter den ersten Sträuchern befand und außer Sicht war, stieg er von seinem Pferd ab und ging auf die der Brücke zugewandten Seite des Wäldchens. Hier hockte er sich in das hohe Gras und ließ seinen Blick schweifen. Alles schien ruhig zu sein.

Dort unten in der weiten Ebene überquerte die Mar-Straße die Dagau. Sie war die wichtigste Nordsüd-Verbindung im Seenland und wurde viel benutzt. Diese Straße führte von Thorafjord in weitem Bogen um die nördlichen Ausläufer der Grauen Berge herum bis zur Mar-Kreuzung, von wo mehrere Straßen in alle Himmelsrichtungen wegführten. So konnte man von dort nicht nur schnell die Grauen Berge, sondern auch einigermaßen bequem das Land-Der-Vielen-Feuer erreichen. Eine Straße führte geradewegs bis nach Schibrasch-dim. Es war jene, die Thorgren benutzt hatte, nachdem er glücklich den Gefahren der Trollschlucht entkommen war. Eine dritte Straße schließlich verlief über das seenländische Rohndal ins nördliche Lysidien zu den Minen von Isgarand, die aber ebenso wie die südliche Straße zu dieser Zeit an der Landesgrenze geschlossen war.

Südlich der Dagau-Brücke erreichte man auf der Verlängerung der Mar-Straße nach wenigen Tagesreisen das Barrierengebirge. Dort führte diese namenlose Straße durch eine Schlucht hindurch bis in die südlichen Ausläufer des Gebirges, um schließlich im unbekannten Weiten Sandmeer, der hinter dem Barrierengebirge liegenden Wüste, buchstäblich unterzutauchen. Allerdings war sie zu dieser Zeit ab dem Barrierengebirge kaum noch passierbar. Da sie jenseits des südlichen Seenlandes keine Bedeutung mehr hatte, machte sich auch niemand die Mühe, sie dort unten noch instand zu halten.

Es galt zwar als sicher, dass die Straße unter dem Wüstensand weiterführte, doch bis wohin sie ursprünglich ging und von wem sie angelegt worden war, war in Vergessenheit geraten. Sie war bereits dagewesen, bevor die Einwohner von Erdos anfingen, sich für ihre Vergangenheit zu interessieren, möglicherweise sogar schon, ehe die Völker überhaupt ihre Landesordnungen schufen. Diese Straße war so alt, dass ihr Ursprung nicht einmal in die Legenden eingegangen war. Sie war eines der Großen Mysterien von Erdos.

Die Mar-Straße bedeutete die schnellste und in Friedenszeiten auch die sicherste und bequemste Reiseroute für Händler, Kuriere, Soldaten oder sonstige Reisende. Durch die Bewegungen auf der Straße ließen sich Rückschlüsse darauf ziehen, was im Land vor sich ging. Das alles wusste Kryonos zweifellos auch. Er konnte bereits Späher zur Beobachtung der Mar-Straße ausgeschickt haben. Doch Angulfin konnte nichts Verdächtiges ausmachen, und er besaß – fast – so gute Augen wie ein Elf. Aus einem unbestimmten Gefühl heraus erwartete er sogar Kimocs am Himmel, aber auch sie blieben aus.

Plötzlich zeigte sich auf seinem Gesicht ein überraschter Ausdruck, der aber sogleich in ein erkennendes Lächeln überging.

„Dieses Mal wäre ich in deine Falle getappt“, sagte er laut und ohne seinen Blick von der Dagau-Ebene abzuwenden. „Du hast viel gelernt. Deine Tarnung war vollendet.“

„Du warst ein guter Lehrer“, antwortete eine melodiöse Stimme.

Hinter dem Magier bewegte sich eine Gestalt. Sie war groß und schlank. Reglos hatte sie an einem Baum gelehnt und war dabei vollkommen mit der Umgebung verschmolzen. Geschmeidig und lautlos näherte sich der Elf Angulfin und hockte sich neben ihm ins Gras. Sie sahen sich an und legten die Innenflächen ihrer linken Hände wortlos zum Gruß aneinander.

„Ich freue mich, dich zu sehen, Kerin´har“, meinte der Zauberer dann. „Es ist lange her, dass sich unsere Wege kreuzten.“

„Ich habe mit dir gerechnet, Angulfin“, sagte der Elf. „Mein König hat mich euch entgegengesandt. Doch ich nahm an, du wärst nicht allein.“

„Das stimmt“, gab Angulfin zu. „Ich reise mit Thorgren, auf den du wohl anspielst. Und Zihanor, der Sohn des lysidischen Königs Zethimer, begleitet uns. Gestern trafen wir in Weiherbruch ein und schlugen abends einen Angriff von zwei Bestien ab. Thorgren und Zihanor wurden in dem Kampf verwundet. Deshalb ließ ich sie zunächst in Weiherbruch zurück. Es steht aber nicht schlecht um die beiden. In zwei Tagen werden wir den Ort wieder verlassen können. Zuvor muss ich mich mit Melbart treffen. Deshalb reite ich allein. Ich bin gerade auf dem Weg zu ihm. Das unerwartete Auftauchen der beiden Bestien hat mich vorsichtig werden lassen, und ich will sichergehen, dass sich hier keine in der Nähe der Brücke herumtreiben. Übrigens, die Bestien konnten wir erledigen.“ Angulfin grinste zufrieden.

„Gut“, meinte Kerin´har nur. „Aber es ist bedenklich, dass sie schon so weit vorgedrungen sind. Doch sei unbesorgt. Seit ich hier wache, und das ist seit heute Morgen, sind hier keine von Kryonos´ Kreaturen aufgetaucht, weder Bestien noch Kimocs.“

Wenn der Elf das behauptete, dann konnte sich Angulfin auch darauf verlassen.

„Aber es gibt eine weitere Gefahr, eine noch größere“, bemerkte Kerin´har und der Magier blickte ihn fragend an. „Runloc ist wieder aufgetaucht. Nur kurz, da er noch nicht die Kraft besitzt, sich länger in unserer Welt aufzuhalten, aber er kam zurück.“

„Das ist schlecht, sehr schlecht“, meinte Angulfin. „Das könnte ein Grund sein, warum die Bestien sich hier schon herumtreiben. Ja, Kryonos´ Macht wächst schnell, und er wird stark. Wir müssen umso mehr unsere Augen offenhalten. Wenn du sagst, dass die Gegend hier sicher ist, dann will ich mich unverzüglich aufmachen.“

„Ich werde hier wachen, bis du zurückkehrst und deine Freunde mitbringst. Dann werde ich euch noch ein Stück des Weges begleiten. Wenn du hinter die Brücke kommst, halte die Augen auf. Vielleicht entdeckst du noch mehr von uns. Der ganze Weg von hier bis zum Valedrim-Wald wird von Elfen überwacht. Deshalb kann ich auch sagen, dass zur Zeit auf dieser Strecke keine Gefahr lauert.“

Sie verabschiedeten sich und Angulfin ging zurück zu seinem Pferd. Kerin´har stellte sich wieder auf seinen alten Platz und verschmolz erneut mit dem Baum. Bald darauf sah er, wie Angulfin sich in schnellem Galopp der Brücke näherte, sie ohne langsamer zu werden überquerte und dahinter im nahen Wald verschwand. Er gab seinen Artgenossen hinter der Straße ein Zeichen, dass Angulfin, der Magier, auf dem Weg in die Richtung des Valedrim-Waldes unterwegs war.

Der Zauberer spornte sein Pferd erneut an. So schnell es ging, wollte er die freie Fläche bis zum Wald überwinden. Auf der Mar-Straße befand sich niemand. Mit wehender Kutte überquerte er die Straße und ließ jenseits der Brücke sein Pferd den Hang hinaufeilen. Bald befand er sich im Schutz des Waldes. Er wusste, dass die Elfen hier über sein Kommen unterrichtet waren. Sie hatten Wege, Nachrichten schnell und sicher von einem zum anderen weiterzugeben. Jedoch machte Angulfin sich nicht die Mühe, sie zu entdecken. Er verlangsamte den Schritt des Pferdes und ließ es etwas verschnaufen. Einige Male glaubte er, die Blicke aufmerksamer Wächter auf sich ruhen zu spüren. Bei einer auftauchenden Gefahr würden sie ihm zu Hilfe eilen, obwohl Angulfin allein auch nicht wehrlos war.

Nach einiger Zeit verließ der Magier erneut den Schutz des Waldes. Jetzt führte der Weg wieder durch Felder und Wiesen, obwohl er davon nicht mehr viel sehen konnte, denn Astur war bereits versunken und Pelin ebenfalls hinter dem Horizont untergetaucht. Allmählich verschwand das Zwielicht der Abenddämmerung und die Dunkelheit hüllte die Landschaft ein. Kurz nach Mitternacht fand er den Ort, an dem die Begegnung mit Melbart und Liseniél stattfinden sollte. Auf einer Hügelkuppe sah er vor dem sternenklaren Himmel den Schatten eines großen Felsens und daneben den der majestätischen, dreistämmigen Eiche. Dort oben hatte er sich für diese Nacht mit seinem Bruder verabredet. Er hielt auf die Stelle zu, und als er näherkam, erkannte er, dass Melbart bereits anwesend war. Er saß auf seinem Pferd und wartete. Angulfin stellt sein Tier neben das andere. Was nun geschah, würde für manch einen Beobachter seltsam, ja vielleicht sogar unheimlich anmuten, doch Ordensbrüder von Gebir pflegten sich untereinander auf andere Weise zu verständigen als mit gewöhnlichen Sterblichen, wenn sie unter sich waren.

Wortlos legten sie zur Begrüßung ihre inneren Handflächen aneinander, wie es Angulfin einige Zeit vorher mit Kerin´har getan hatte. Ihren Gesichtern war keinerlei Regung anzumerken. Dann stiegen sie von den Tieren ab und setzten sich zwischen dem Felsen und der Eiche ins Gras. Angesicht zu Angesicht saßen sie sich gegenüber. Jeder legte dem anderen seine Finger auf die Schläfen. Bei geschlossenen Augen begannen sie ihren stummen Gedankenaustausch. Während der ganzen Zeit dieser Zeremonie umfing sie eine schwachleuchtende, grünliche Aura. Ihre Körperumrisse wurden undeutlich, was den Eindruck erweckte, sie würden sich auflösen. Das war natürlich nicht der Fall, doch in diesem Zustand näherten sie sich einer höheren, vielleicht schon geistigen Ebene.

Nun erfuhr jeder von dem anderen, was in den letzten Tagen geschehen war. Außerdem teilte Melbart seinem Bruder die Dinge mit, die bei dem letzten Rat der Weisen von Gebir behandelt wurden. Jeder Magier dieses Ordens hatte die Pflicht, daran teilzunehmen. Nur unter außergewöhnlichen Umständen waren sie davon befreit. Ein solcher Umstand hatte Angulfin von der Teilnahme abgehalten.

An dieser nächtlichen Begegnung nahm noch ein weiteres Wesen teil. Nicht weit entfernt stand die weiße Erscheinung einer Frau, in ihren Umrissen jetzt ebenso undeutlich wie die beiden Magier. Doch ein Merkmal ließe Thorgren und Zihanor sie wiedererkennen. Sie trug einen blauen Edelstein, dieses Mal jedoch an einer feinen, goldenen Kette über ihrer Brust. Es war Liseniél, die Königin des Feenreiches, wie Thorgren, Zihanor und die anderen bald erfahren sollten. Noch ehe die geistige Verschmelzung Angulfins und Melbarts beendet war, verblasste sie und kehrte zurück in ihr Reich.

Die blassgrüne Aura um die beiden Zauberer verschwand schließlich wieder, und sie lösten ihre Hände von den Schläfen ihres Gegenübers. Nach kurzer Zeit standen beide wieder auf, gingen zu ihren Pferden und verließen den Ort in entgegengesetzte Richtungen.

In der ganzen Zeit ihres Zusammentreffens war kein vernehmbares Wort gefallen, wie es eben meistens vorkam, wenn sich die Ordensbrüder untereinander austauschten. Dabei spielte es keine Rolle, wie viele von ihnen teilnahmen. Laute Sprache benutzen diese Druiden nur, wenn sie sich mit Angehörigen der Völker von Erdos oder anderen irdischen Wesen unterhalten mussten. Es war eine stille, schweigsame Welt, aus der die Weisen von Gebir kamen.

Auf dem Weg zurück nach Weiherbruch ließ sich Angulfin mehr Zeit. Er musste nachdenken. Wie ihm bereits Kerin´har gesagt hatte, war Runloc wieder erschienen, und wenn er ehrlich war, kam das auch für ihn nicht völlig unerwartet. Der Ort seiner Ankunft mochte zufällig gewesen sein und sicher ungeschickt gewählt, aber trotz der tragischen Umstände musste man es als eine glückliche Fügung betrachten. Einerseits hatte sich Runloc verraten, als er offensichtlich noch eher zufällig das Tor zu dieser Welt aufgestoßen hatte, was bedauerlicherweise mit dem Tod Tai´gors endete, andererseits hatte dieses Ereignis wichtige Erkenntnisse über Kryonos geliefert.

Außerdem hatte Angulfin erfahren, dass bisher Bestien nur entlang der Janau im Osten und einige wenige am Fuß der Winterberge aufgetaucht waren. Woher die beiden Bestien von Weiherbruch kamen, war ihnen zwar ein Rätsel, doch gab es bisher keinen Grund anzunehmen, dass Kryonos eine größere Anzahl von Spähern ausgeschickt hatte. In gewissem Sinne war das beruhigend.

Beunruhigend war jedoch eine Botschaft Liseniéls gewesen. Sie betraf das Achôn-Tharén. Es war eine Entscheidung von den Hütern dieses Wesens getroffen worden, die die Erfüllung der Aufgabe Thorgrens einerseits erschwerte, andererseits die Suche danach erleichterte. Und beide, Melbart und Angulfin, wussten nun, wie sehr sie sich in ihren Vermutungen über das Achôn-Tharén geirrt hatten. Im Augenblick war es aber noch zu früh, die Pläne wesentlich zu ändern. Angulfin entschloss sich, dem Rat Liseniéls und Melbarts zu folgen und die neuen Umstände zunächst für sich zu behalten, bis bekannt war, was die Botschaft Branwyns sein würde.

Die Lage im Grünland war bisher einigermaßen ruhig geblieben. Zwar hatte die Anzahl und Stärke der Übergriffe aus dem Land des Feindes zugenommen, doch der erwartete Krieg war noch nicht ausgebrochen. Die Grenzwachen waren erheblich verstärkt worden, sodass sie im Augenblick leicht mit den Angriffen fertig wurden.

Die besorgniserregendsten Nachrichten kamen jedoch aus dem Seenland. Dort hatte der Krieg offensichtlich begonnen, und das schon vor einer Woche. Somit hatte sich manches bestätigte, was Angulfin, Thorgren und Zihanor im Wirtshaus in Weiherbruch zwei Tage vorher gehört hatten. Wenn die Bauern auch nichts Genaues wussten, so hatte Angulfin in dieser Nacht ihrer Zusammenkunft erfahren, dass die ersten Regimenter unter der Führung einer unbekannten Anzahl von Nebeldrachen ins nördliche Seenland einmarschiert waren. Mehrere Ortschaften waren ihnen seitdem zum Opfer gefallen.

König Harismund war dem Feind mit einem Heer entgegengezogen. Die Kämpfe schienen sich über das gesamte Gebiet zwischen dem Trosswald und dem Wintergebirge ausgebreitet zu haben, doch konnte Liseniél nicht sagen, wie es um die Seenländer stand. Angulfin war jedoch klar, dass sie sich in einer äußerst gefährlichen Lage befanden, denn Kryonos hatte mit Zwergen, Uranen, Bestien und Nebeldrachen angegriffen.

Der Magier konnte nur hoffen, dass den Seenländern durch die Namurer und Elfen rechtzeitig Hilfe zuteil wurde. Mit Unterstützung war aber vielleicht auch noch von unerwarteter Seite zu rechnen. Weiterhin wusste Angulfin jetzt, dass der Angriff auf das Grünland nicht mehr lange auf sich warten lassen würde. In einem Punkt waren sich Angulfin, Melbart und Liseniél einig gewesen: Thorgren durfte von der derzeitigen Lage in seiner Heimat nichts erfahren, denn sie fürchteten, er würde in dem Fall dorthin zurückkehren wollen, obwohl klar war, dass er das Schicksal seines Landes durch seine Rückkehr kaum beeinflussen konnte. Jedenfalls nicht, wenn er dort an den Kämpfen teilnahm. Sein Auftrag, das Achôn-Tharén unschädlich zu machen, war entscheidender, und nur damit konnte er seinem Volk und allen anderen wirklich helfen. Doch würde er das auch erkennen? Daher musste Thorgren vorerst unwissend bleiben, zumindest so lange, bis er sich über die Notwendigkeiten seines Schicksals bewusst war. Dann würde er einsehen, dass er keine andere Wahl hatte, als seinen eingeschlagenen Weg fortzusetzen.

Es war schon wieder hell, als Angulfin die Dagau-Brücke erreichte, und bis zum Nachmittag kehrte er dann zum Gasthaus »An der Fähre« in Weiherbruch zurück. Angulfin fand Thorgren und Zihanor im Innenhof der Herberge. Beide waren in ein Gespräch vertieft. Zihanor hatte seinen Verband bereits abgelegt, und nur ein verblassender Bluterguss um eine gut verheilte Wunde herum war noch zu erkennen.

„Wie ich sehe, geht es Thorgren wieder besser“, begrüßte der Zauberer die beiden lächelnd und versuchte, sich die schlechten Nachrichten nicht anmerken zu lassen. „Dann kann ich euch auch gleich darauf vorbereiten, dass wir morgen in aller Frühe wieder aufbrechen werden. Ich nehme an, ihr werdet nicht länger hier untätig herumsitzen wollen.“

„Da hast du Recht“, bestätigte Thorgren. „Meinetwegen lass uns heute noch aufbrechen.“

„Dafür ist es bereits zu spät“, winkte Angulfin ab. „Mein Pferd und ich sind erschöpft. Die letzten beiden Tage waren anstrengend. Morgen früh ist der richtige Zeitpunkt.“

„Dürfen wir jetzt fragen, wo du gewesen bist?“, wollte Zihanor wissen und sah Angulfin erwartungsvoll an.

„Natürlich“, kam die Antwort, aber noch keine Erklärung.

Die drei sahen sich erwartungsvoll an. Thorgren und Zihanor hofften auf eine Erklärung, Angulfin wartete auf die Frage nach seinem Ausritt. Dann brach der Zauberer in lautes Lachen aus, als er die verdutzten Gesichter seiner Gefährten sah.

„Na, wo bleibt die Frage?“, erkundigte er sich.

Nun erst begriffen die beiden den Doppelsinn seiner Bemerkung und mussten ebenfalls lachen.

„Also gut“, begann Angulfin. „Ich traf mich mit Melbart. Wir und seine Gruppe werden uns in zwei Tagen bei den Stromschnellen der Dagau treffen. Morgen Abend werden sie den Rand des Valedrim-Waldes erreichen, dort übernachten und übermorgen weiter zu den Stromschnellen reiten.“

„Habt ihr euch nur getroffen, um das zu verabreden?“, fragte Thorgren sichtlich enttäuscht. „Hast du nichts über die Bestien erfahren, oder über die Lage im Seenland? Stimmen die Gerüchte über den Krieg?“

„Ja und nein“, antwortete Angulfin. „Die Bestien mögen Späher gewesen sein, wir wissen es nicht genau. Doch es sind wohl erst wenige unterwegs, und wahrscheinlich waren sie die Einzigen in dieser Gegend. Jedenfalls ist Melbart bisher auf keine weiteren gestoßen. Und auch die Elfen, die die Grenzen ihres Waldes sehr sorgfältig beobachten, haben noch keine gesehen. Ihr Angriff hier war zwar beeindruckend, aber kein Grund zur Besorgnis. Was den Krieg betrifft, habe ich nur vage Nachrichten. Das, wovon die Leute im Gasthaus geredet haben, gehörte wohl eher zu den Vorbereitungen der Heeresaufstellungen. Die Grenztruppen wurden verstärkt. Außer einiger Übergriffe aus dem Namenlosen Land ist aber noch nichts Entscheidendes geschehen, soviel wir wissen. Bisher konnten alle Angriffe abgewehrt worden. Alles Weitere besprechen wir später. Jetzt muss ich mich erst einmal ausruhen.“

Angulfin übergab sein Pferd Klemens, dem Knecht des Wirtes, der es in den Stall führte. Er selbst ging auf sein Zimmer und legte sich für einige Zeit aufs Bett. Trotz der Absprache mit Melbart und Liseniél plagte ihn ein schlechtes Gewissen, weil er Thorgren nicht die ganze und dazu bittere Wahrheit über die Lage im Seenland sagen durfte. Er wusste nicht, was Thorgren von ihm halten würde, wenn er von den wirklichen Zuständen erfuhr. Trotzdem blieb Angulfin dabei, dass es für ihre unmittelbare Aufgabe so das Beste war.

Den restlichen Nachmittag verbrachten Thorgren und Zihanor damit, ihre Abreise vorzubereiten. Auch für diesen Tag waren sie die einzigen Gäste im Wirtshaus, und so verbrachten sie die Zeit in der Stille der Herberge. Von ihren Bewohnern ließ sich kaum jemand sehen. Erst zur Abendzeit kamen sie wieder zusammen, und nach und nach fanden sich auch örtliche Gäste ein. An diesem Abend waren es sogar mehr als am Vortag. Ihre Neugierde zog sie in das Wirtshaus, denn naturgemäß wollten die Weiherbrucher Neues zu dem Überfall der Bestien erfahren, doch zu aller Enttäuschung gab keiner der Fremden irgendwelche Erklärungen ab. Bald nach dem Abendessen verließen die drei seltsamen Reisenden die Wirtsstube und ließen die Einheimischen – nicht wissender – zurück. Sie hatten sich mehr Auskunft von ihnen erhofft. Letztlich, argwöhnten die Leute, hatten die Ereignisse möglicherweise mit ihrer Ankunft zu tun. Von dieser Mutmaßung erfuhren Angulfin, Thorgren und Zihanor aber nichts mehr, denn sie waren bereits auf ihren Zimmern.

Eigentlich hatten die drei ihren Aufbruch für die frühen Morgenstunden des folgenden Tages vorgesehen, weil sich Thorgren und Zihanor wieder völlig gesund fühlten. Doch das Schicksal wollte es anders.

Bereits einige Zeit vor dem Aufgang Asturs wachte Thorgren mit unerwartet heftigen Kopfschmerzen auf, die er sich nicht erklären konnte. Er betastete die Wunde, die ihm die Schlangenkatze zugefügt hatte, und spürte, dass sie heiß und feucht und offensichtlich geschwollen war. Verdammt, fluchte er in Gedanken. Warum auch immer, die Wunde musste sich über Nacht entzündet haben. Am vorherigen Abend hatte sie noch so gut ausgesehen, dass Angulfin seine Zustimmung dazu gab, dass Thorgren keinen Verband mehr tragen musste.

Er richtete sich auf und entzündete die kleine Öllampe auf seinem Nachttisch. Dabei spürte er wieder ein unangenehmes Schwindelgefühl. Jetzt fürchtete Thorgren, dass sie an diesem Tag doch noch nicht würden aufbrechen können. Er legte sich wieder zurück aufs Bett. Erneut griff er sich an seine Kopfwunde und betrachtete seine Finger im trüben Licht der Bettlampe. Er war erleichtert. Weder Blut noch Eiter klebten an seiner Haut. Seine Finger waren lediglich von klarer Wundflüssigkeit benetzt. Es sollte Angulfin nicht schwerfallen, die Verletzung zu behandeln, hoffte er. Thorgren nahm ein sauberes Tuch und drückte es auf die Wunde.

Bald danach klopfte es an der Tür, und ehe er antworten konnte, öffnete sie sich und Angulfin trat ein.

„Na, was ist?“, fragte der Magier. „Wir sind bereit, aufzubrechen, und warten auf dich.“

Thorgren wollte sich seinen Zustand nicht anmerken lassen und stand auf. Jedenfalls hatte er das vor, doch Angulfin spürte sehr schnell, dass mit ihm irgendetwas nicht stimmte und seine Bewegungen kraftlos und ungerichtet wirkten. Schließlich verriet sich Thorgren mit einem Griff an seinen Kopf. Leise stöhnend sank er wieder zurück auf sein Bett.

„Was ist? Was hast du?“, fragte Angulfin und kam einige Schritte auf Thorgren zu.

„Die Wunde“, antwortete er. „Ich war sicher, dass sie wieder in Ordnung war.“

Angulfin nahm die Lampe und untersuchte die Verletzung.

„Das ist nicht gut“, murmelte er, „aber auch nicht allzu schlimm.“ Etwas lauter sagte er dann: „Ich vermute, du hast Kopfschmerzen und Schwindelgefühle. Außerdem wird dir heiß sein – Fieber.“

„Ja, von allem etwas“, meinte Thorgren. Er sah nicht sehr glücklich aus. In diesem Augenblick öffnete sich die Zimmertür erneut. Es war Zihanor. Auch er erkannte, dass Thorgrens Zustand sich wieder verschlechtert hatte.

„Was ist? Was hat er?“, wiederholte er die Frage des Zauberers.

„Tja, ich bin noch nicht ganz sicher“, grübelte Angulfin. „Auf jeden Fall hat sich seine Wunde an der Schläfe entzündet. Ich fürchte, die Krallen der Katze waren doch vergiftet, und das Gift scheint sehr langsam zu wirken.“

„Dann können wir heute wohl kaum noch aufbrechen“, meinte Zihanor. „Vielleicht sind wir an diesen einsamen Ort sogar noch längere Zeit gebunden. Kennst du das Gift? Ist es sehr gefährlich?“

„Ich habe eine Vermutung“, entgegnete Angulfin. „Und wenn sie stimmt, besteht für Thorgren noch keine große Gefahr. Wir werden tatsächlich heute noch hier bleiben müssen, und sobald es hell wird, werde ich versuchen, die geeigneten Kräuter zu finden.“

Thorgren stöhnte leise auf. Er hatte noch den furchtbaren Geschmack der Kräutertees in Erinnerung, die Angulfin ihm nach dem Angriff der Bestien bereitet hatte. Angulfin überhörte es mit zuckenden Mundwinkeln. Er wollte keine offene Schadenfreude zeigen.

„Du, Thorgren, bleibst erst einmal im Bett, solange, wie ich es für notwendig halte. Zihanor, sorge dafür, dass unsere Pferde wieder abgeladen und in den Stall zurückgeführt werden. Lass nur mein Reitpferd noch gesattelt.“

Zihanor verließ das Zimmer und Angulfin wandte sich wieder der entzündeten Wunde zu. Er nickte und murmelte etwas, was Thorgren nicht verstand. Dann verließ auch der Magier den Raum, nachdem er Thorgren geraten hatte, noch etwas zu schlafen.

Kurz nach dem Sonnenaufgang Asturs verließ Angulfin Weiherbruch erneut in Richtung Dagau-Brücke. Er musste zu Kerin´har. An der Art und dem Zeitpunkt des Auftretens der Entzündung der Wunde Thorgrens hatte er ziemlich schnell erkannt, welches Gift in dessen Körper gelangt war. Es war ein sehr langsam wirkendes Gift, das in den folgenden Tagen immer qualvoller werden und Thorgren schließlich töten würde, wenn er keine Hilfe bekam. Das Gift war Heilern unter dem Namen Tesin bekannt. Thorgren hatte Glück, dass Angulfin in der Lage war, es so schnell zu bestimmen, denn jetzt befand er sich noch in einem Zustand, in dem er rasch und sicher geheilt werden konnte. Drei oder vier Tage weiter, und es wäre zu spät gewesen. Angulfin brauchte für die Behandlung ein bestimmtes Kraut. Um das zu finden, hätte er nicht bis zur Dagau-Brücke reiten müssen, es wuchs rings um Weiherbruch, aber seine Heilkraft erhielt es nur durch die Hand eines Elfen. Der nächste Elf, von dem Angulfin wusste, war Kerin´har. Und auch dort in dem Hain war dem Magier das Heilkraut aufgefallen.

„Nanu, was ist denn dieses Mal schiefgegangen?“, wurde Angulfin von dem überraschten Elfen empfangen, als er das Wäldchen erreichte.

Angulfin lächelte, wurde aber gleich wieder ernst. „Ja, es ist tatsächlich etwas schiefgegangen. Thorgren hat eine Tesin-Vergiftung.“ Seine Stimme hatte etwas unüberhörbar Drängendes.

Damit wusste Kerin´har, was Angulfin von ihm wollte. Er pflückte ein kleines Bündel der Pflanzen, die den Namen Skotkraut trugen, und hielt es für einige Minuten von seinen Händen umschlossen.

„Wann hast du die Vergiftung festgestellt?“, wollte der Elf wissen.

„Thorgren hat sie selbst bemerkt, vergangene Nacht“, erklärte Angulfin. „Es war noch einige Zeit vor dem Sonnenaufgang. Es war noch dunkel.“

„Dann besteht für ihn keine Gefahr, weil die Ursache früh erkannt wurde“, stellte Kerin´har beruhigt fest. „Wenn du sofort mit der Behandlung beginnst, dann sollte er morgen früh wieder reisefähig sein.“

Kerin´har öffnete seine Hände wieder. Das ehemals unauffällig grüne Kraut hatte sich hellblau verfärbt.

„Gut“, meinte Kerin´har und übergab Angulfin die Pflanzen.

„Ich danke dir“, sagte der Zauberer erleichtert.

Er verstaute sie in einem kleinen Lederbeutel, den er eigens für diesen Zweck mitgenommen hatte, und machte sich sofort wieder auf den Rückweg. Am frühen Nachmittag erreichte er die Herberge und begann sofort mit der Behandlung.

Angulfin übergab einen Teil des Krautes der Wirtin, die daraus einen Tee bereiten sollte. Sie beäugte die Pflanzen ein wenig misstrauisch, ging aber wortlos an die Arbeit. Sie hatte durch Zihanor bereits erfahren, dass einer der drei Fremden erkrankt war und sie deshalb wenigstens noch einen Tag länger in dem Gasthaus bleiben mussten. Ein Umstand, den sie nicht ungern sah.

Als Angulfin das Krankenzimmer betrat, lag Thorgren immer noch im Bett, wie der Zauberer verlangt hatte. Zihanor saß auf einem Stuhl am Kopfende. Beide waren eingenickt und blickten etwas verwirrt, als sich die Tür öffnete.

„Wie geht es dir?“, fragte der Zauberer Thorgren.

Der lächelte schwach und antwortete: „Mir ist heiß, ich habe Kopfschmerzen, mir ist schwindelig und in meiner Kehle brennt ein Feuer. Doch sonst geht es mir ausgezeichnet. Wo warst du? Und hast du eine Ahnung, was mir fehlt?“

„Ich denke schon“, antwortete Angulfin. „Deshalb hat mein Ausflug auch ein wenig länger gedauert. Ich musste einen Elfen finden, und der Einzige, den ich in unserer Nähe wusste, ist Kerin´har.“

„Kerin´har?“, fragte Zihanor.

„Er und seine Krieger überwachen die Grenze zwischen der Dagau-Brücke und dem Valedrim-Wald“, erklärte der Zauberer. „Nur seine Kraft macht in diesem Fall das Skotkraut zu einem Heilkraut.“

Nun erklärte Angulfin auch, welcher Art Thorgrens Erkrankung war und wie er ihm helfen konnte. Es dauerte nicht lange und Thorgren trug wieder widerwillig einen Verband um seinen Kopf. In der Zwischenzeit hatte die Wirtin den bestellten Tee gebracht und war wortlos wieder aus dem Zimmer verschwunden. Thorgrens schlimmste Befürchtungen wurden noch übertroffen. Dieser Tee schmeckte noch grauenvoller als alle, die er seit dem Bestienüberfall hatte trinken müssen. Neben diesem Trank verblassten alle anderen Beschwerden.

„Wenigsten aus dieser Sicht solltest du den Tee schätzen“, erwiderte Angulfin auf die Klage Thorgrens, dessen Gesichtsausdruck in der Tat mitleiderregend war.

Das Kraut zeigte eine beachtliche und unerwartet schnelle Wirkung. Schon wenige Stunden nach dieser ersten Behandlung verschwanden das Fieber und mit ihm die Schmerzen. Als Angulfin am Abend noch einmal den Verband wechselte, während Thorgren mit größtem Abscheu einen weiteren Kräuteraufguss trank, war die Wunde durch das Kraut zwar blau verfärbt, aber deutlich abgeschwollen.

„Das sieht besser aus, als ich erhofft hatte“, musste selbst Angulfin zugeben und nickte zufrieden. „Ich schätze, morgen früh können wir tatsächlich weiterreiten.“

„Warum konnte das Kraut so schnell das Gift zerstören?“, fragte Zihanor verwundert. „Steckt da wieder einmal Magie hinter?“

Angulfin fing an zu lachen und antwortete: „Sogar eine sehr mächtige – eine elfische Magie. Das Kraut hätte ich hier nahe beim Dorf an den Wegesrändern auch gefunden, doch erst die Kräfte Kerin´hars erweckten die heilende Wirkung. Und da ich schnell die Ursache für die Erkrankung herausgefunden hatte, war die Behandlung dann einfach. So, und nun gehe ich schlafen, und ihr solltet es auch tun. Morgen wird ein anstrengender Tag.

Dass der Fährmann einige Tage später an dem gleichen Gift starb, erfuhren die Freunde nie.

Noch in der Morgendämmerung machten sich die drei Gefährten endlich wieder auf den Weg. Thorgrens Zustand hatte sich tatsächlich wieder so weit gebessert, dass er kaum noch Beschwerden hatte und sich nicht mehr beeinträchtigt fühlte. Klemens hatte bereits die Pferde gesattelt und bepackt. Sie brauchten nur noch den richtigen Sitz ihrer Ausrüstung zu überprüfen. Die Wirtin hielt für jeden der Reisenden ein Bündel mit Essen bereit.

Auf ihrem Weg aus dem Dorf hinaus trafen sie auf keinen Menschen, obwohl um diese Tageszeit sicher schon Bauern und Knechte bei der Arbeit waren. Es schien, als würden die Leute ihnen aus unerfindlichen Gründen aus dem Weg gehen. Ein Eindruck, der die drei nicht kümmerte.

Bald führte der Weg wieder durch Felder und Wiesen. Die große Sonnenscheibe Asturs erhob sich über den Horizont und abgesehen von einigen Schleierwolken zeigte sich der Himmel ungetrübt. Es versprach wieder, ein sonniger, warmer Tag zu werden.

Zum Erstaunen seiner beiden Begleiter ließ der Magier sie noch vor Sichtweite der Dagau-Brücke anhalten und warten, ohne ihnen den Grund dafür zu nennen. Er selbst ritt auf ein kleines Wäldchen auf einem nahen Hügel zu. Kurz darauf kehrte er in Begleitung eines zweiten Reiters zurück. Er war größer und dünner als Angulfin und ritt auf einem Schimmel. Als sie nahe genug herangekommen waren, erkannten die beiden, dass es sich um einen Elfen handelte. Angulfin hatte seinen beiden Begleitern weder den genauen Aufenthaltsort von Kerin´har genannt, noch erwähnt, dass er sie begleiten würde, deshalb hatten sie zunächst auch keine Ahnung, mit welchem Elfen sie es hier zu tun hatten.

„Hiermit stelle ich euch den Elfen Kerin´har vor“, erklärte der Magier. „Er hat einige Tage lang die Brücke überwacht und wird uns für eine kurze Zeit begleiten. Ihm haben wir auch die heilende Wirkung des Skotkrautes zu verdanken. Kerin´har, diese beiden sind Thorgren und Zihanor.“

„Es ist schön, unerwartet Freunde zu treffen“, sagte Thorgren zur Begrüßung. „Außerdem stehe ich für Euren Dienst in Eurer Schuld.“

Kerin´har lächelte und meinte: „Macht Euch darüber keine Gedanken. Ich habe Euch und auch Angulfin gern geholfen. Es war keine Mühe. Umso mehr freut es mich, dass es Euch wieder gut geht.“

Zihanor sah den Elfen interessiert an. Er hatte noch nie einen – lebenden – Vertreter dieses Volkes gesehen und kannte sie nur aus den Legenden und vom Hörensagen. Unwillkürlich fiel ihm die Trophäe im Schloss seines Vaters wieder ein. Gewaltsam versuchte er, diesen Gedanken zu vertreiben.

„Ich habe durch Angulfin von eurem Abenteuer mit den Bestien erfahren“, sagte der Elf. „Ich kann euch beruhigen, hier sind bisher noch keine von diesen Kreaturen aufgetaucht. Der Weg über die Brücke ist sicher. Bis zum Valedrim-Wald werden ich und meine Krieger euch begleiten. Dann kehren wir nach Elim´dor zurück.“

„Ihr seid doch allein. Wo sind denn die anderen?“, fragte Zihanor und ärgerte sich im gleichen Augenblick über diese kindische Frage. Wenn Kerin´har weitere Elfen ankündigte, dann würden schon irgendwo unterwegs welche auftauchen.

„Das werdet Ihr bald sehen“, meinte der Elf nur.

So setzten die nunmehr vier Reiter den Weg fort. Sie kamen ungestört an der Brücke vorbei und erreichten bald den Wald, in den Angulfin zwei Tage vorher bereits hineingeritten war.

Nach und nach gesellten sich ihnen weitere Elfen hinzu, die im Wald postiert waren. Zihanor war jedes Mal von neuem überrascht, dass er sie erst erkennen konnte, als sie sich auf die Straße zubewegten. Im Wald waren sie ihm nicht aufgefallen. Er, als Jäger, bewunderte die Fähigkeit dieser Wesen, sich so geschickt verstecken zu können. Alle Elfen berichteten das Gleiche: Der Weg war sicher.

Da sie einige Zeit miteinander unterwegs waren, gelang es Zihanor, ein Gespräch mit dem Anführer der Elfen zu beginnen. Kerin´har, der spürte, dass der Lysidier sehr interessiert an seinem Volk war, beantwortete Zihanor manche Frage, wobei er seine Antworten wohlüberlegt und nicht immer umfassend gab. Aber selbst, wenn Zihanor das bemerkt hätte, wäre er immer noch zufrieden gewesen mit dem, was er über dieses Volk erfuhr. Im Großen und Ganzen hatte er Glück, es mit einem Elfen zu tun zu haben, der sich gern unterhielt. Das war nicht die Regel in diesem Volk. So erfuhr Zihanor vieles, was neu für ihn war, und manches, das offensichtlich falsch über die Elfen berichtet wurde. Er hätte dem Elfen auch gern einiges über sein Land berichtet, doch verwirrt stellte er fest, dass Kerin´har scheinbar gar nichts darüber wissen wollte. Er wagte aber auch nicht, ihn nach dem Grund zu fragen.

Schließlich, als sie die Ebene vor dem Valedrim-Wald erreichten, hatten sich ihnen neben Kerin´har weitere neun Elfen angeschlossen. Zur linken Hand erstreckte sich in einiger Entfernung das dunkle Band des Waldes des Elfenvolkes. Inzwischen hatten sie sich von der Dagau so weit entfernt, dass sie den Fluss nicht mehr sahen. Auf ihrem weiteren Ritt nach Süden würden sie sich ihm wieder nähern und irgendwo auf die Stromschnellen stoßen.

„Hier nun trennen sich unsere Wege“, sagte Kerin´har, und wer ihn kannte, spürte ein gewisse Erleichterung in seiner Stimme. Angulfin hörte sie heraus und schmunzelte in sich hinein. Ihm wäre es wahrscheinlich nicht anders ergangen. Wenn es Zihanor aufgefallen war, ließ er sich davon nicht beeindrucken. „Weiter können wir euch nicht begleiten“, fuhr der Elf fort und streckte seinen Arm aus. „Haltet euch in diese Richtung, dann könnt ihr die Stromschnellen nicht verfehlen. Nicht weit entfernt werdet ihr auf einen kleinen Zufluss der Dagau stoßen, der aus den Bergen kommt. Er ist nicht tief und fließt langsam. Ihr könnt ihn leicht durchqueren. Aber ich vermute, Angulfin und wohl auch Thorgren kennen den Weg. Ich wünsche euch viel Glück.“

„Wir danken euch für eure Hilfe“, meinte Angulfin und setzte freundschaftlich hinzu: „Möge der Tau am Morgen noch lange eure Füße benetzen.“

Kerin´har lachte und antwortete: „Mögen eure Gesichter noch lange die Farbe des Lebens tragen.“

Dann gab er seinen Männern einen Befehl, und sie schwenkten nach Nordosten ab, auf den Valedrim-Wald zu.

Die Rache des Kryonos

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