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1. Ein überirdisches Verlies

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Ein Raum, so grenzenlos und unbeschreiblich, dass er sich jeder Vorstellungskraft eines weltlichen Wesens widersetzte. Lichtspiele von überirdischer Schönheit, so weit das Auge eines Betrachters hätte schauen können, und eine überwältigende Farbenpracht durchfluteten diesen immateriellen Ozean. Sie entstanden, wuchsen ins Unermessliche, schrumpften, verblassten und wurden von neuen Lichterscheinungen durcheinandergewirbelt. Vielfarbige Blitze von ungeheurer Intensität, manche unmittelbar sichtbar, andere verborgen innerhalb der Leuchterscheinungen und doch in ihrer Wirkung erkennbar, wenn sie eine der bunten Leuchtblasen wie eine irdische Gewitterwolke in ihrer ganzen Ausdehnung für wenige Augenblicke aufleuchten ließen, waren die Nervenbahnen zwischen den wabernden Lichtgebilden, ihre Erzeuger und ihr Untergang. Es waren Lichtspiele kosmischen Ausmaßes.

Und doch war dieses gewaltige Lichtermeer gefangen in einer Kugel, deren Hülle von keinem Wesen und keinem irdischen Körper durchdrungen werden konnte und außerhalb der Kugel kaum erahnen ließ, was in ihrem Inneren vor sich ging. Diese Kugel war ein überirdisches Verlies, geschaffen in einer Dimension, die sich jeglicher kosmischen Erscheinung entzog. Da sie sich in keinem sichtbaren und messbaren Teil der irdischen Schöpfung befand, gab es keinen Anhaltspunkt, der Rückschlüsse auf die tatsächliche Ausdehnung dieser Kugel erlaubte. Jeder Versuch einer solchen Abschätzung wäre sinnlos gewesen.

Innerhalb dieser energetischen Kugel fand jedoch kein Entstehen und Vergehen im herkömmlichen irdischen Sinne statt, alle Veränderungen waren lediglich Ausströmungen und Formgebungen des in ihr gefangenen Wesens, und so existierte in ihr auch keine Zeit.

Dieses überirdische Verlies war von Geistwesen geschaffen worden, die sich die Luzengoi nannten, und die gleichzeitig als Wächter dessen dienten, der darin eingesperrt war. Die außergewöhnliche Art dieses Gefängnisses ließ keinen Zweifel daran, dass es ein ebenso außergewöhnlicher Gefangener war, der dort einsaß.

Hinsichtlich dieses Gefangenen erfüllte das Verlies seinen Zweck bereits seit einigen hundert Jahren, genauer gesagt: eintausendfünfundachtzig Jahre erdanischer Zeitrechnung. Und jetzt nahte der Zeitpunkt, an dem er wieder freigelassen werden und auf den Planeten Erdos zurückkehren musste.

Am Beginn dieser Zeitspanne war dieses Wesen auf jener Welt, wo es so viel Unheil angerichtet hatte, von den Luzengoi buchstäblich eingesammelt worden. So mächtig diese Wächter auch waren, auch sie mussten sich kosmischen Gesetzen beugen, und deshalb gab es für sie keine Möglichkeit, ihren Gefangenen, der den Namen Achôn-Tharén führte, länger festzuhalten, obwohl sie wussten, dass seine Freilassung erneut eine finstere Zeit über Erdos bringen würde.

Die Luzengoi gehören zu den wenigen Intelligenzen, die wussten, wann und zu welchem Zweck das Achôn-Tharén geschaffen worden war, und wer sein Schöpfer war. Sie waren es nicht selbst. Das Achôn-Tharén war ein Teil der Schöpfung, von immenser Macht, weder gut noch böse, aber mit dem freien Willen ausgestattet, sich für eine Seite zu entscheiden. Gleichzeitig war es unfähig, selbständig zu handeln. Es war ein Diener und als solcher brauchte es einen Herrn. Diesen Herrn hatte es einst in Kryonos gefunden und war ihm seither untertan. Kryonos war ein Meister schwarzer Künste, und er verkörperte jegliches Gegenteil des Schönen in der Schöpfung. Er hatte sich auf Erdos eingenistet und war im Begriff, wieder einmal, muss man sagen, sich diese Welt zu unterwerfen, nachdem sein letzter Vorstoß vereitelt werden konnte. Wie der ursprüngliche Name des Achôn-Tharéns lautete, ist nicht überliefert, aber seinen jetzigen Namen hatte es von den Einwohnern von Erdos, den Erdanern, erhalten, den sie ihm nach der Art seines ersten Eintreffens auf ihrem Planeten gaben. Achôn-Tharén bedeutet in der Sprache ihrer Weisen Feuer der Götter.

Jetzt noch kurz zurück zu den Luzengoi, deren Unbeschreiblichkeit dem ihrer Schöpfung, des überirdischen Verlieses, in nichts nachsteht, deshalb kann ihre Darstellung nur mit unzulänglichen Begriffen erfolgen.

Von ihnen gibt es in der ganzen Schöpfung nur vier. So unbeschreiblich diese Wesen auch sind, so besitzen sie doch eine Gestalt. Wie so viele Lebensformen in der Schöpfung ist auch ihre menschlich. Die Luzengoi sind Lichtwesen von beeindruckendem, für Menschen geradezu unerträglichem Glanz, und je nachdem, wie derjenige beschaffen ist, dem sie sich zeigen, was nur selten vorkommt, empfindet ihr Gegenüber eine vollkommen liebevolle und gütige Ausstrahlung bis hin zu einer überwältigenden Furcht. Luzengoi sind unbestechliche Richter, die nach kosmischen Gesetzen urteilen.

Eingehüllt in eine gleißende Aura lassen sie keine Einzelheiten ihrer Gestalt erkennen. Sie sind ungeschlechtlich, denn sie befinden sich in einer Seinsebene, in der Geschlechtlichkeit keine Rolle mehr spielt. Die Luzengoi haben Namen: Sie heißen Akzaloi, Alduhim, Adbenazai und Aihudir. Doch diese Namen bezeichnen mehr noch ihre Eigenschaften und Wesenszüge.

Diese vier Wesen existierten bereits vor der jetzigen Schöpfung der Welt, und sie werden nach deren Wiederauflösung weiterbestehen. Sie sind – nach irdischen Vorstellungen – ohne Anfang und ohne Ende und haben das Entstehen und Vergehen unzähliger Welten erlebt. Die Luzengoi nur als unsterblich und ewig zu begreifen, hieße, ihr Dasein nicht zu verstehen. Ein Dasein, das zu verstehen kein irdisches Wesen in der Lage sein wird.

So kurz die Dauer eines Schöpfungskreislaufes für die Luzengoi auch ist, in jedem einzelnen haben sie ihre Aufgaben. Sie kümmern sich um den Aufbau, um den Erhalt und schließlich um die Auflösung der Welten. Sie sind die Baumeister des Weltalls. Und sie lenken die Geschicke der Lebewesen in der Schöpfung. Doch es sind nicht ihre Schöpfungen. Die Luzengoi sind als Einzelwesen frei im Denken und Handeln, aber sie sind nicht unabhängig. Sie führen ihre Aufgaben unter den Anordnungen eines übergeordneten, noch unbegreiflicheren Wesens aus. An dieser Stelle jedoch wird die Realität vollkommen unfassbar, und es empfiehlt sich, zu den Luzengoi zurückzukehren.

Eine der Aufgaben der Luzengoi war die sichere Aufbewahrung des Achôn-Tharéns über einen vorgegebenen Zeitraum. Es war nicht das erste Mal, doch wenn die folgenden, unvermeidbaren Ereignisse ein gutes Ende fänden, sollte es das letzte Mal sein.

Dieses Mal war der Zeitraum auf eintausendfünfundachtzig Erdosjahre festgesetzt worden. Auch wenn das für seine Bewohner eine halbe Ewigkeit bedeutet hatte, so dauerte es für die Luzengoi nur ein Augenzwinkern – wenn sie lidgeschützte Augen hätten.

Diese vier Hüter wussten, dass die Zeit der erneuten Freilassung des Achôn-Tharéns gekommen war. Sie hätten auch nichts dagegen unternehmen dürfen. Gleichmäßig verteilt standen sie außerhalb des Verlieses. Dieser Umstand lässt jedoch nicht auf die Größenverhältnisse schließen. Ihre Sinne durchdrangen den Raum und erfassten die Anwesenheit des Achôn-Tharéns. Hier war es gestaltlos. Es hatte seine feurige Kugelform verloren und seine feinstoffliche Ausdehnung erfüllte den ganzen Raum des Verlieses. In dieser Gestalt war ihm all seine Macht genommen, ohne dass es seiner Vernichtung anheimgefallen war, denn das hatte nicht geschehen dürfen.

„Der Augenblick ist gekommen“, hörten die Luzengoi die lautlos gesprochenen Worte Akzalois. „Das Achôn-Tharén muss erneut befreit werden. Die Zeit seiner Hut ist vorüber.“

„Ein unvermeidbarer Schritt zur Herstellung der alten Ordnung“, bestätigte Aihudir.

„Unvermeidbar, gewiss, aber wird er dieses Mal die Entscheidung bringen? Erwarten wir nicht, dass es der Endgültige sein wird“, zweifelte Alduhim.

„Darüber ein Urteil zu fällen, wäre verfrüht“, sagte Adbenazai. „Und wäre ein Urteil möglich, hätte es dann überhaupt einen Sinn, weiterzumachen, wenn es abschlägig ausfiele? Nicht einmal wir können vorhersehen, wie es dieses Mal ausgehen wird.“

„Das ist wahr“, gab Alduhim zu. „Aber die Vergangenheit lässt wenig Raum für Hoffnung.“

„Dieses Mal sind andere Mächte im Spiel. Viele Handlungen und Ereignisse beeinflussen die Zukunft. Wie es dieses Mal auch endet, die Folgen tragen nicht nur wir, aber die Auswirkungen für andere werden bedeutender sein, im Guten wie im Bösen.“

„Das ist wahr“, meinte Adbenazai. „Und doch kann Zweifel kein Maß für unser Tun sein, darf es auch nicht.“

„So sei es dann. Lasst uns tun, was vorherbestimmt ist“, entschied Akzaloi. „Stellen wir die Verbindung her.“

Die vier Luzengoi begannen, ihre Geisteskräfte zu einer Kraft zu verschmelzen. Wie sie einst das Verlies geschaffen hatten, so lösten sie es nun wieder auf. Allmählich zog sich die schwach glimmende Kugel innerhalb des Raumes zwischen ihnen zusammen, um sich in dessen Mitte in einem Punkt zu konzentrieren. Während das Gefängnis schrumpfte, nahm seine Helligkeit zu. Die Leuchterscheinung wurde deutlicher, immer stärker ihre Strahlung und schließlich war das Achôn-Tharén wieder zusammengefügt. Der Raum des Verlieses, dessen schimmernde Mauern die Wächter aus dem Achôn-Tharén selbst erschaffen hatten, verschwand. Bläulich pulsierend und eine unterschwellige Bedrohung ausstrahlend, schwebte es zwischen den Luzengoi, den vier Lichtgestalten, umgeben von der tiefen Schwärze der Unendlichkeit. Dann verblasste die blaue Kugel und in dem Maße, wie es wieder in die irdische Welt hinüberging, wurde sie in der Dimension der Luzengoi schwächer, bis sie schließlich daraus verschwunden war.

In der vollendeten Schwärze, die das Achôn-Tharén umgab, blinkten plötzlich unzählige Lichtpunkte in unterschiedlichen Farben und Größen auf, bunte Nebel wurden sichtbar und seltsam geformte Spiralen. Der irdische Weltraum.

Zwischen den Sternen und scheinbar aus dem Nichts entstand eine winzige blaue Kugel, und ohne lange an ihrem Platz zu verharren, setzte sie sich mit irrwitziger Geschwindigkeit in Bewegung. Sie kannte ihr Ziel, und nichts konnte jetzt noch verhindern, dass sie es erreichte. Geradlinig flog sie auf einen kleinen Verband von Himmelskörpern zu, bestehend aus zwei Sonnen, einem erdähnlichen Begleiter und dessen Mond. In wenigen Tagen würde sie Erdos erreichen. Des Achôn-Tharéns Herr hatte gerufen und sein Ruf war ein Befehl.

Die Rache des Kryonos

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