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2. Verhältnis von Einigung und Übergabe

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Die Regelform der rechtsgeschäftlichen Eigentumsübertragung ist die durch Einigung und Übergabe nach § 929. Diese Regelung ist Ausdruck des Traditionsprinzips, nach dem die dingliche „Einigung“, also ein Vertrag, durch einen Vollzugstatbestand nach außen dokumentiert wird, wodurch zugleich die Ernsthaftigkeit des Übereignungswillens hervortritt[2]. In den vom Gesetz zur Verfügung gestellten Vollzugstatbeständen (§§ 929 ff für Übereignung beweglicher Sachen, § 873 für Begründung und Übertragung eines Grundstücksrechts) ist allerdings die Publizität des Rechtsübergangs unterschiedlich ausgestaltet, zT (§ 930) deutlich abgeschwächt. Die dingliche Einigung besteht allein darin, dass die Parteien sich über den Eigentumsübergang von dem Veräußerer an den Erwerber einig werden und dies erklären. Dieser Vertrag ist nach allgemeinen Regeln auslegungsfähig, wobei auch klar sein muss, dass gerade der den Besitz Erwerbende oder derjenige, für den er tätig wird (näher Rn 151), Eigentümer werden soll[3]. Die Einigung und die Übergabe müssen nicht im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang miteinander erfolgen; es kommt durchaus vor, und reicht für eine Übereignung auch aus, dass sich Veräußerer und Erwerber im Zuge einer vorweggenommenen Einigung über den Eigentumsübergang an einer Sache verständigen, die der Veräußerer noch gar nicht in Besitz hat, die bisweilen noch nicht einmal existiert[4]. So einigen sich etwa bei der Sicherungsübereignung eines gewerblich tätigen Kreditnehmers mit der kreditgebenden Bank (näher Rn 170) die Beteiligten darüber, dass gegenwärtig im Besitz des Schuldners befindliche, aber auch künftig von ihm erworbene Maschinen ins Eigentum der Bank fallen sollen. Hier ermöglicht § 930 anstelle der körperlichen Besitzübergabe, die nicht zweckmäßig ist, einen Übergabeersatz, in anderen Fällen (der Verkäufer, der eine Ware verkauft und bezahlt erhalten hat, die er aber noch besorgen muss, einigt sich mit dem Verkäufer bereits jetzt über den Eigentumsübergang) bedarf es dann später noch der Übergabe, die Einigung liegt aber gültig vor. Allerdings muss nach dem allgemeinen, die Verfügungsgeschäfte beherrschenden Grundsatz, dass bei Vollendung des Rechtserwerbs noch alle seine Voraussetzungen vorliegen müssen, die Einigkeit bei der Übergabe noch bestehen, näher Rn 140.

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a) Bei der Auslegung von Erklärungen, in denen eine dingliche Einigung gesehen wird oder liegen soll, ist besonders auf den wirtschaftlichen Zweck einzugehen und zu prüfen, ob sich der bisherige Eigentümer schon endgültig von seinem Recht trennen will und der andere – mit oder ohne Besitzerwerb – bereits eine frei verfügbare Rechtsposition erhalten sollte[5]; so kann im Fall 9 I, wenn ihm der Kaufpreis überwiesen wird, mit L über den Eigentumsübergang einig sein, was sich auch in der Mail an R zeigen kann. Dies spielt namentlich eine Rolle bei der Prüfung, ob ein Eigentumsvorbehalt durch Vereinbarung einer aufschiebend bedingten Einigung gewollt war, näher Rn 165. Die Anwendung der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre auf die dingliche Einigung führt dazu, dass bei der Einigung auch Stellvertretung iSd § 164 möglich ist (hierzu näher Rn 151)[6], auch können Willensmängel (§§ 119, 123) auftreten oder es kann zur Ungültigkeit wegen Gesetzes- oder Sittenverstoßes (§§ 134, 138) kommen. Die Bedingtheit der dinglichen Einigung (§ 158) kennzeichnet den Eigentumsvorbehalt (Rn 165).

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Die dingliche Einigung kann von Willensmängeln beeinflusst sein, wofür aufgrund des Abstraktionsprinzips etwa Irrtümer beim Grundgeschäft nicht in Betracht kommen, wenn hiervon nicht im Einzelfall auch das Verfügungsgeschäft betroffen ist[7]. So kann ein Erklärungsirrtum vorliegen, wenn ein Buchhändler, der verschiedenen Kunden telefonisch ein Buch verkauft und verpackt zur Abholung bereit gelegt hat, bei der Übergabe den Inhalt verwechselt, was ein Erklärungsirrtum bei der dinglichen Einigung ist. Inwieweit ein Eigenschaftsirrtum iSd § 119 Abs. 2, wie er beim Verkauf von alten holländischen Fliesen, deren Herkunft aus dem 16. Jahrhundert dem Verkäufer aber unbekannt ist, sich nur auf den Kaufvertrag oder auch auf die Übereignung auswirkt, ist umstritten[8], allerdings spielt dies beim Kauf regelmäßig keine Rolle, weil bekanntlich (§ 1 Fn 10) bei einem Irrtum des Käufers über Eigenschaften der Kaufsache die Gewährleistungsansprüche vorgehen. Unstreitig ist jedoch, dass bei arglistiger Täuschung oder Drohung der Willensmangel so schwer wiegt, dass er auch das Verfügungsgeschäft erfasst[9], also wenn im genannten Fall der Käufer sehr wohl um das Alter der gekauften Fliesen wusste. Die hier bisweilen wirkende Vorstellung, die dingliche Einigung, die sich ja nur auf den bloßen Eigentumsübergang bezieht, sei deshalb „wertneutral“[10], lenkt ein wenig an dieser Berücksichtigung der Schranken der Bindung an privatautonome Akte vorbei. Deshalb ist auch klar, dass auch ein bloßes Verfügungsgeschäft gegen gesetzliche Verbote (§ 134) oder gegen die guten Sitten (§ 138) verstoßen und daher nichtig sein kann, wenn gerade der Eigentumswechsel und die daraus folgende Verfügungsmacht des Erwerbers durch das verletzte Gebot missbilligt werden: So ist beim Kauf dunkler Damenstrümpfe mit dem offensichtlichen Ziel, sie bei einem anschließenden Banküberfall zur Maskierung zu benutzen, nicht nur das Verpflichtungsgeschäft, sondern auch die Übereignung anstößig, ebenso beim Drogenhandel. Bei undurchsichtigen Geschäften wird man dies aber nicht immer annehmen können. Eine besondere Rolle spielt das Problem der Sittenwidrigkeit bei den Sicherungsgeschäften (Rn 190).

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Neben den Fragen, die sich aus der Anwendung des allgemeinen Vertragsrechts auf die dingliche Einigung ergeben, stehen die praktisch ebenfalls wichtigen Folgerungen aus besonderen sachenrechtlichen Gültigkeitserfordernissen wie dem Bestimmtheitsgrundsatz (auch: Spezialitätsgrundsatz), ferner aus der Vorstellung einer gegenüber dem allgemeinen Vertragsrecht geringeren Bindungswirkung der Einigung und schließlich aus dem Grundsatz, dass bei der Vollendung einer Verfügung alle ihre Gültigkeitserfordernisse noch gegeben sein müssen (zum Letzteren näher Rn 140). Nach dem Bestimmtheitsgrundsatz müssen sich Verfügungen als Zuordnungsgeschäfte immer auf einen bestimmten Gegenstand beziehen, anders als Verpflichtungen, die den Schuldner zwar binden, aber die Zuordnung des Gegenstandes der Obligation, wenn der Schuldner ihn überhaupt schon hat, noch nicht verändern, was erst durch das Verfügungsgeschäft geschehen soll; für das schuldrechtliche Geschäft spricht man von einer nur mittelbaren Zuordnung des Gegenstandes der Obligation zum Vermögen des Gläubigers[11], der nunmehr ein Recht auf die Sache, aber nicht an der Sache hat. Das Bestimmtheitserfordernis, das freilich bei einer Reihe von wirtschaftlich wichtigen, teils durch Rechtsfortbildung entwickelten Verfügungsformen nicht immer mit voller Konsequenz angewendet wird und werden kann[12], ist erfüllt, wenn jeder, der die Vereinbarungen der Beteiligten kennt, ohne Heranziehung weiterer Umstände feststellen kann, auf welche Gegenstände sich die Vereinbarung bezieht[13]. Das wird am deutlichsten bei der Gattungs- oder Vorratsschuld: Die Verpflichtung, 100 Sack Mehl aus einem größeren Lager zu liefern, legt nicht fest, welche Säcke hinfort dem Erwerber gehören sollen[14]. Man muss dann die zu übereignenden Stücke näher bezeichnen, wofür eine Benennung der Räume, in denen sie gelagert werden, ausreicht, wenn alle in diesem Raum befindlichen Gegenstände gemeint sind oder für jeden Dritten anhand der Gattungsbezeichnung klar ist, wie die Eigentumsverhältnisse sind[15]. Aber auch bei der Stückschuld bedarf es nach dem Abstraktionsprinzip und dem Publizitätserfordernis bei der Verfügung einer Einigung und Besitzübertragung, wobei die Letztere nicht ohne einen auf bestimmte Sachen konkretisierten Besitzwillen (Rn 31) denkbar ist. Für die Bestimmtheit ist der Zeitpunkt der dinglichen Einigung maßgebend.

Das zeigt sich an dem – allerdings nicht unproblematischen – Fall des Ehemanns, der seiner Frau zum dritten Hochzeitstag sämtliche zu diesem Zeitpunkt im gemeinsamen Hausstand befindlichen Hausratsgegenstände geschenkt hatte[16], deren Eigentum die Ehefrau nach der Insolvenz des Ehemanns für sich beanspruchte: Hier war im Zeitpunkt der Einigung klar, welche Sachen sie erfasste; dass später noch andere hinzukamen, beeinträchtigte sicher die Beweisbarkeit der Einigung in Bezug auf die einzelnen Gegenstände, verhinderte aber ihre genügende Bestimmtheit nicht. Zur Besitzübertragung in solchen Fällen Rn 144. Anders wenn die Eheleute – in Voraussicht künftiger Vollstreckungsmaßnahmen von Gläubigern des Ehemanns – die Übereignung nur auf solche Sachen beschränken wollten, die nicht – nach den §§ 808 ff ZPO – unpfändbar und daher vom Gläubigerzugriff nicht bedroht waren[17].

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Der Bestimmtheitsgrundsatz gilt auch, wenn gleichzeitig mit der dinglichen Einigung das schuldrechtliche Grundgeschäft zu Stande kommt; allerdings muss der Wille vor allem des Veräußerers zur Eigentumsübertragung genügend deutlich zum Ausdruck kommen. Die Rechtsprechung ist dabei – etwa bei der Übereignung von Sammlungsstücken, die in verschiedenen Räumen gelagert und nur allgemein bezeichnet waren – den praktischen Bedürfnissen durchaus entgegengekommen[18]. Dennoch begründen die Unsicherheiten bei der Einschätzung der hinlänglichen Bestimmtheit, besonders bei der Sicherungsübereignung eines Warenlagers mit wechselndem Bestand (Rn 179), oftmals den Entschluss, pauschal alle betroffenen Gegenstände zu übereignen, so dass es auf eine Unterscheidung bezüglich der von dem Rechtsgeschäft betroffenen Sachen nicht ankommt (sog. „All-Klausel“)[19].

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Zu den spezifisch sachenrechtlichen Gültigkeitserfordernissen eines Rechtsgeschäfts gehört die Verfügungsbefugnis des Veräußerers (als nicht nur bei der Eigentumsübertragung wichtig, sondern auch bei der Bestellung oder inhaltlichen Veränderung eines dinglichen Rechts)[20]. Diese Befugnis folgt gewöhnlich aus der Inhaberschaft an dem betroffenen Recht, also etwa dem Eigentum, es kann aber auch sein, dass Rechtsinhaberschaft und Verfügungsbefugnis getrennt sind, so etwa in der Insolvenz des Eigentümers, in der die Befugnis, über Gegenstände der Insolvenzmasse zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter übergeht, ähnlich bei der Testamentsvollstreckung (§ 2211). Verfügungsbefugnis eines Nicht-Rechtsinhabers kann sich auch durch eine Ermächtigung (§ 185) des Berechtigten ergeben. Eine weitere, die sachenrechtlichen Verfügungsgeschäfte kennzeichnende Besonderheit besteht darin, dass der Doppeltatbestand erst durch die Übergabe oder einen Übergabeersatz vollendet ist, nach wohl hM aber bis dahin die Einigung nicht bindend ist, was von der Rechtslage bei sonstigen vertraglichen Einigungen abweicht, näher Rn 142.

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Untersucht man vor diesem Hintergrund die Verfügungstatbestände in den Ausgangsfällen, so ergibt sich: Im Fall 7 zeigt die Vereinbarung zwischen E und F nach der Rückkehr des E von seiner Reise, dass E die HiFi-Anlage nicht mehr zurückhaben will und seine Beziehung zu der Sache zu Gunsten des F ganz aufgeben will; die Einigung über den Eigentumsübergang liegt also vor.

Im Fall 8 spricht für einen entsprechenden Willen des R der Umstand, dass er eine die N für ihre Hilfe einigermaßen entschädigende Zuwendung machen will, wenn er auch – da er natürlich einen Schlüssel zu seiner Wohnung behält – seine Sachbeziehung nicht ganz aufgibt. Hier ist also von einer Einigung auszugehen, eine Übergabe in Gestalt eines Besitzwechsels fehlt aber noch. Bei der Prüfung, ob eine Einigung vorliegt, sind zu berücksichtigen das Sicherheitsbedürfnis des Veräußerers, die Sache nicht ohne Erhalt der Gegenleistung aus der Hand zu geben, demgegenüber die Absicht, sich mit der Sache nicht länger zu belasten, sie dem möglichen Zugriff Dritter zu entziehen und dergleichen. Vielfach, besonders bei Parteien ohne juristischen Sachverstand, wird man mit der Bezahlung des vollen Kaufpreises bereits einen Willen zum Eigentumserwerb an der verkauften Sache annehmen können, doch ist mit Rücksicht auf das Abstraktionsprinzip vor der voreiligen Annahme eines schlüssig erklärten Einigungswillens zu warnen.

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b) Neben der Einigung bedarf es einer Übergabe im Sinne des § 929, die in einem einverständlichen Geben und Nehmen des unmittelbaren Besitzes besteht. Ausgangspunkt ist § 854 Abs. 1 (Erlangung der tatsächlichen Sachherrschaft durch den Erwerber). Durch die Einbeziehung der Figur des mittelbaren Besitzes (Rn 32 ff) verschieben sich die Dinge etwas: Der Veräußerer muss sich jeden Besitzes entäußern, der Erwerber muss mindestens mittelbaren Besitz erlangen, ohne dass ihm der Veräußerer selber den Besitz vermittelt. Solange nämlich der Veräußerer die tatsächliche Beziehung zur Sache behält, spricht für ihn die mit dem Besitz verbundene Vermutung (§ 1006 Abs. 1), auch der Eigentümer zu sein. Nicht immer ist ganz klar, ob wirklich der Veräußerer sich jeder Form der besitzrechtlichen Herrschaft entäußern oder ob er doch noch gewisse Einflussmöglichkeiten behalten will, dazu Rn 130.

Die Form des § 929 ist vom Gesetz als Regelfall der Eigentumsübertragung herausgestellt, weil sie der Verlautbarungsfunktion des Besitzes am besten gerecht wird. Nach Vollzug der Übergabe weist der Besitz auf den neuen Eigentümer hin; Eigentum und Besitz sind, für Dritte erkennbar, in einer Hand. Für das manchmal bestehende Bedürfnis des Veräußerers, auch nach Eigentumsübergang noch eine Zeitlang, vielleicht sogar auf Dauer noch eine gewisse Beziehung zur Sache zu behalten, sind vom Gesetz die Formen des Übergabeersatzes (§§ 930, 931) vorgesehen (dazu Rn 143 ff), sodass es für § 929 bei der Forderung einer völligen Trennung des Veräußerers von der Sachherrschaft bleiben kann[21].

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Für eine Veräußerung nach § 929 ist es nicht unerlässlich, dass der Veräußerer persönlich die Sache übergibt oder in Empfang nimmt, es reicht aus, wenn die tatsächliche Gewalt dem Besitzdiener verschafft worden ist. Auch Übergabe an eine Person, die Besitzmittler des Erwerbers ist, reicht aus. Auf der anderen Seite werden gerade im gewerblichen Verkehr veräußerte Sachen von einem Besitzdiener des Erwerbers übernommen, so dass der Geschäftsherr Besitzer und Eigentümer werden kann.

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Schickt im Fall 8 die N ihre Freundin F, die die Bilder für sie restaurieren soll, mit einer schriftlichen Nachricht zu der B, die daraufhin die Bilder aushändigt, so wird auf Seiten des Veräußerers R eine Besitzdienerin tätig (dazu Rn 36), auf Seiten der Erwerberin die F als Besitzmittlerin, da zwischen ihr und N ein Verhältnis gem. § 868 besteht; s. zu dem Fall aber auch Rn 139.

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In Grenzfällen ist die Anwendung des § 929 zweifelhaft. So kann es sein, dass der Veräußerer in die Übergabe Hilfspersonen einschaltet, die ihm weder den Besitz vermitteln noch gar seine Besitzdiener sind, dennoch aber auf seine Veranlassung tätig werden und dem Erwerber Besitz verschaffen.

Wenn etwa im Fall 9 E die Anweisung des I befolgt, die R-Reederei zur Aushändigung der Ware im Bestimmungshafen an L zu veranlassen, so ist keineswegs gesagt, dass jetzt E oder die Reederei dem I oder gar schon dem L den Besitz vermitteln wollen, da E mit L nicht in vertraglichen Beziehungen steht und die Reederei nur mit E. Wenn aber die Übergabe wie gewünscht vonstatten geht, hat die Reederei (oder I) als sog. „Geheißperson“ dem L den Besitz verschafft, und E hat seine Position als Besitzer (möglicherweise noch als mittelbarer Besitzer, dem die Reederei den Besitz vermittelte) verloren.

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Allgemein lässt man es genügen, wenn ein Dritter als unmittelbarer Besitzer auf Geheiß des Veräußerers unmittelbaren Besitz an den Erwerber überträgt[22], wobei entscheidend ist, dass der Veräußerer, ohne selbst Besitzer zu sein, immerhin die tatsächliche Macht hat, dem Erwerber unmittelbaren Besitz zu verschaffen. Solange dies mit einem wirklichen Wechsel der tatsächlichen Sachherrschaft verbunden ist, ist gegen diese Ausweitung des Übergabebegriffs nichts einzuwenden. Es ist dann auch zumindest im Ansatz folgerichtig, für § 929 gewissermaßen umgekehrt die Übergabe an eine Person ausreichen zu lassen, die nicht Besitzmittler des Erwerbers ist, der sich vielmehr damit begnügt, dass eine von ihm angewiesene Person Besitz begründet; man spricht von „doppeltem Geheißerwerb“[23]. Die auffallende Großzügigkeit der Rechtspraxis im Umgang mit dem Übergabeerfordernis hat ihre Ursache darin, dass „abgekürzte Lieferungen“ von Sachen, die sonst über mehrere Stationen laufen müssten, einfacher und kostengünstiger durchgeführt werden können als Lieferungen in einer „Veräußerungskette“.

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Angenommen, im Fall 9 weiß der Veräußerer E nichts davon, dass I die Ware bereits an die Firma L weiterverkauft hat. Er will daher, um seine Verpflichtungen zu erfüllen, nur an I übereignen. Da er aber weiß, dass in der Praxis häufig „schwimmende Ware“ gehandelt wird, hat er keine Bedenken dagegen, dass die R die Ware an einen ihr von I bezeichneten Empfänger übergibt. Wenn es dem L gelingt, etwa durch die Vorlage von Dokumenten, den Kauf von I und den Weiterverkauf an T zu belegen, und R dann die Ware an T übergibt, sollen durch die Übergabe mehrere Grundgeschäfte erfüllt werden: Die Verpflichtung des E gegenüber I, die des I gegenüber L und die des L gegenüber seiner Tochtergesellschaft T (welches Geschäft idR ebenfalls ein Kauf sein wird).

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Derartige Gestaltungen der rechtlichen Beziehungen spielen in der Praxis auch eine Rolle bei der „Durchlieferung“ von Waren, die ein Händler beim Lieferanten gekauft hat und durch diesen direkt an seinen Abnehmer ausliefern lässt; ähnlich beim sog. Streckengeschäft durch die mehrfache Veräußerung einer auf dem Transport befindlichen Ware (vgl. dazu wiederum Fall 9 und sogleich Rn 138).

Angesichts der Trennung von dinglichem und schuldrechtlichem Geschäft könnte ein solcher Vorgang dahingehend verstanden werden, dass sich direkt E als Veräußerer und T als Erwerber über den Eigentumsübergang einigen. Man müsste dann lediglich prüfen, ob möglicherweise die R als Vertreterin oder Botin des E dessen Einigungserklärung übergibt. Sehr realistisch ist ein solches Verständnis aber nicht. Näher liegt, dass jeder Verkäufer nur mit einem unmittelbaren „Nachmann“ in der Kette zu tun haben will, mit dem er die Abreden über Qualität, Zahlungsmodalitäten und dergl. getroffen hat, von dem er seine Gegenleistung erwartet, und demgegenüber er gegebenenfalls Zurückbehaltungsrechte oder auch einen Eigentumsvorhalt (§ 449) wird geltend machen können. Deshalb kombiniert die Praxis die Übergabe durch einen „auf Geheiß“ des Veräußerers handelnden, ihm nicht den Besitz vermittelnden Dritten mit der Einschaltung einer „Geheißperson“ auf Seiten des Erwerbers. In der „Veräußerungskette“ bedeutet dies, dass der jeweilige Verkäufer, gegebenenfalls über seinen Vormann, den unmittelbaren Besitzer veranlasst, den Besitz auf den Letztkäufer zu übertragen. Es bedarf dann, um eine gültige Übereignung im Sinne des § 929 annehmen zu können, nur noch der Anwendung der Figur der vorweggenommenen Einigung (Rn 124), die aber im Verhalten der Beteiligten durchaus gesehen werden kann. Letztlich werden so in einem Akt der Übertragung der tatsächlichen Sachherrschaft (von R auf T) mehrere Übergaben iSd § 929 (und damit Übereignungen) bewirkt.

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Die Rechtsprechung hat diese auf das in der Praxis sog. Streckengeschäft zugeschnittene, stark ergebnisbezogene Konstruktion der Vorgänge mehrfach gebilligt[24], und das Schrifttum folgt ihr dabei[25], wobei man sich mit der Begründung etwas schwer tut, dass anstelle des Besitzes des Veräußerers und des Erwerbers Anweisungen einer Person treten, die Besitzverschaffungs- bzw Besitzzuweisungsmacht hat. Die praktische Schwierigkeit dieser die Publizität bei der Übergabe stark auflockernden Konstruktion liegt bei der Frage nach der Anwendung von Tatbeständen des Erwerbs vom Nichtberechtigten, weil geklärt werden muss, ob der Einfluss des Veräußerers auf eine „Geheißperson“ iSd § 932 dem Besitz gleichsteht, sowie im Bereicherungsrecht, wenn wegen Mängeln der schuldrechtlichen Geschäfte einzelne oder mehrere Übereignungen rückabgewickelt werden müssen[26].

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Nicht immer ist ganz klar, ob sich der Veräußerer wirklich jeder besitzrechtlichen Position begeben will. Welche Anforderungen die Rechtsprechung in dieser Hinsicht stellt, zeigt Fall 8.

Zwar hatte R der N Zugang zu den Bildern und die Möglichkeit verschafft, die Bilder ohne Widerstand der B an sich zu nehmen. Zugleich ist aber zu vermuten, dass die B einer abweichenden späteren Weisung des R, die Bilder nicht – auch nicht an die N – herauszugeben, Folge geleistet haben würde; eine andere Person, die R beauftragt hätte, die Bilder an einen dritten Ort zu bringen, hätte jedenfalls dann Erfolg gehabt, wenn R ihr hierfür seine Schlüssel ausgehändigt hätte. Daher hat der BGH in diesem Fall eine Übergabe iSd § 929 verneint[27].

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c) Da bei der Verfügung also die Teile des Doppeltatbestandes zeitlich auseinanderfallen können, kann sich die Schwierigkeit einstellen, dass beim letzten Tatbestandsteil nicht mehr alle Voraussetzungen der Wirksamkeit vorliegen oder eine vorweggenommene Einigung vom Veräußerer widerrufen wird. Im Ausgangspunkt gilt der Satz, dass bei Vollendung einer Verfügung noch alle Gültigkeitserfordernisse gegeben sein müssen. Das kann einen Einigungsübergang verhindern bei einer zeitlichen Streckung des Übereignungsvorgangs entweder durch Auseinanderfallen von Einigung und Übergabe, aber auch durch die Einschaltung von Besitzmittlern und Geheißpersonen in den Übergabevorgang.

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Dass die Einigung der Übergabe der Sache vorausgeht, ist bei der Sicherungsübereignung von Warenlagern mit wechselndem Bestand der Regelfall (näher Rn 170). Aber es wird verlangt, dass die Einigung bei der Übergabe noch fortbesteht[28], was insbesondere bedeutet, dass der Verlust der Verfügungsbefugnis (der Veräußerer wird vor der Übergabe der Sache insolvent) den Eigentumsübergang verhindert. Andererseits ist die Einigung als solche eine Willenserklärung, sodass für sie etwa § 130 gilt, einschließlich seines Abs. 2, so dass eine vor dem Tod des Veräußerers erklärte Einigung gegen den Erben fortwirkt, der aber, etwa wenn Testamentsvollstreckung angeordnet ist, die Verfügungsbefugnis verlieren kann und im Übrigen (Rn 142) an die Einigungserklärung vor der Übergabe nicht gebunden sein soll. Der Ausgangssatz bedeutet also nur, dass das Vollzugsmoment der Verfügung, bei der Übereignung also die Besitzübertragung, Zeichen des Veräußerungswillens (und der entsprechenden Befugnis) des Veräußerers sein muss.

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Das betrifft die streitige Frage der Bindung des Veräußerers an die von ihm erklärte Einigung[29]. Sie wird von der hM[30] verneint, wofür neben der Formulierung in § 929, die darauf abhebt, dass die Parteien „einig sind“, der Gegensatz zu § 873 Abs. 2 als Argument für eine fehlende Bindung an die Einigungserklärung angeführt wird. Die Entstehungsgeschichte des Gesetzes ist in diesem Punkt dunkel; die Tatsache, dass für Willenserklärungen allgemein § 130 gilt, wonach eine dem Empfänger zugegangene Erklärung nicht mehr frei widerruflich ist, spricht gegen die hM. Vor allem ist nicht einzusehen, welchen Sinn die hier reklamierte Freiheit des Veräußerers von einer Bindung an die erklärte Einigung haben soll, wenn dann doch die schuldrechtliche Verpflichtung zu der entsprechenden Verfügung bindend ist und mit Vollstreckungszwang durchgesetzt werden kann[31], zumal es den Parteien frei steht, etwaige Unsicherheiten, ob die Verfügung wirksam werden soll, in die Gestalt einer rechtsgeschäftlichen Bedingung iSd § 158 Abs. 1 zu kleiden. Die hM sieht denn auch zumindest ein, dass angesichts der verbindlichen Einigung über das obligatorische Grundgeschäft der Fortbestand einer vertragsgemäß erklärten Einigung zu vermuten ist, ein Abrücken von ihr also für den Erwerber deutlich sein muss[32].

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