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Von der Logik des Definierens

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Eine Definition der matriarchalen Gesellschaftsform ist auf diese systematische Weise, nämlich in den zwei Schritten einer normalen und einer strukturellen Definition, bisher noch nicht entwickelt worden.12 Beide Schritte bauen aufeinander auf, müssen aber nicht notwendig zusammen angewendet werden.

Zur ersten Definitionsweise: Eine normale Definition ist der Kern jeder wissenschaftlichen Theorie, sie gibt an, was die Theorie eigentlich untersucht, hier den Bereich »Matriarchat«. Um eine wissenschaftliche Definition zu sein, muss sie die notwendigen und hinreichenden Merkmale ihres Untersuchungsbereichs explizit angeben, wobei unter »hinreichenden Merkmalen« die eher zufälligen Eigenschaften verstanden werden. Was die »notwendigen Merkmale« betrifft, so müssen diese Eigenschaften vorkommen, um eine konkrete Gesellschaft unter die Definition einzuordnen. Bei der Bildung der Definition dürfen die notwendigen Merkmale aber weder zu eng noch zu weit formuliert sein. Sind sie zu eng, dann kann die Theorie nicht alles erfassen, was zu ihr gehört. Sind sie zu weit, dann nimmt die Theorie zuviel in ihren Untersuchungsbereich auf, was sie verschwommen werden lässt. In jedem Fall aber muss es die adäquate Angabe der notwendigen Merkmale geben, sonst weiß man nicht, was man untersuchen will und wovon man eigentlich redet.

Die notwendigen Merkmale in der Definition von »Matriarchat« sind die Matrilinearität und die ökonomische Verteilungsmacht der Mütter oder Frauen, bei gleichzeitiger Egalität der Geschlechter. Wenn diese bei einer konkreten Gesellschaft erfüllt sind, kann man von einem »Matriarchat« sprechen. Die Matrilinearität ist unverzichtbar, weil sie nicht nur die sozialen Verhältnisse der gesamten Gesellschaft strukturiert, sondern auch die Erbregeln in der weiblichen Linie und die politischen Entscheidungsprozesse bestimmt, die aus der Matrilinearität folgen. Diese Wirkungen der Matrilinearität stellen Frauen ins Zentrum der Gesellschaft. Zudem rückt die matrilineare Genealogie, welche die Mutterlinie bis zur ersten Ahnfrau zurückverfolgt, Frauen auch ins spirituelle Zentrum. Die Egalität der Geschlechter ist ebenfalls unverzichtbar, denn sie stellt sicher, dass trotz der zentralen Stellung der Frauen matriarchale Gesellschaften keine Geschlechter-Hierarchie kennen, sondern beide Geschlechter als gleichwertig gelten. Matriarchale Gesellschaften sind eben keine Spiegelbilder des Patriarchats. Dennoch wären die zentrale Stellung der Frauen und die Geschlechter-Egalität nicht ausreichend, um ein Matriarchat zu kennzeichnen, denn beides sind allein soziale Verhältnisse. Es muss die ökonomische Verteilungsmacht der Frauen hinzukommen, die – wohlgemerkt – keine Besitzmacht ist. Auch das ist unverzichtbar, denn sie ist eine Ökonomie der Gegenseitigkeit, und genau dadurch wird die matriarchale Ausgleichsökonomie, die alle Mitglieder des Ortes einschließt, hergestellt. Das wäre nicht der Fall, wenn die Ökonomie in den Händen der Männer und Häuptlinge läge, was die Ökonomie zu deren Gunsten einseitig macht, weil sie dann zu einer Ökonomie des Akkumulierens gerät – auch wenn die Matrilinie noch gilt. Solche Gesellschaften gibt es auch, aber sie sind nur noch matrilinear und nicht mehr matriarchal. Das ist eine wichtige Unterscheidung, die in der Ethnologie bis heute nicht gemacht wird.

Es ist sinnvoll, auch hinreichende Merkmale in die Definition aufzunehmen. Sie müssen nicht immer gelten, sondern sind variabel. Aber durch ihre Variabilität zeigt sich die Verschiedenartigkeit der konkreten matriarchalen Gesellschaften. Zum Beispiel ist die Matrilokalität, der Wohnsitz im Mutterhaus, eine hinreichende Bedingung, das heißt, Matrilokalität kann vorhanden sein, muss es aber nicht. So gibt es bei konkreten, matriarchalen Gesellschaften sehr unterschiedliche Wohnformen, die jedoch nichts an ihrem matriarchalen Typus ändern.

Eine solche wissenschaftliche Definition ist ein sehr praktisches, geistiges Werkzeug und für alle verwendbar, die zu diesem Thema weiterarbeiten wollen. Es war ein langer Prozess sie zu entwickeln, denn ich habe sie nicht der Sache übergestülpt, sondern sie ging bei meiner langjährigen, systematischen Forschung schrittweise daraus hervor. Dieser Prozess soll seine Fortsetzung finden, das heißt, die notwendigen Merkmale dieser Definition müssen immer wieder überprüft werden, ob sie auch die notwendigen sind, d. h. ob sie weder zu eng noch zu weit gefasst sind. Außerdem können die hinreichenden Merkmale dieser Definition erweitert werden. Das Überprüfen, Erweitern, Präzisieren einer Theorie ist ein andauernder Vorgang, an dem viele Forscher und Forscherinnen teilhaben können.

Zur zweiten Definitionsweise: Ich ging beim Definieren noch einen Schritt weiter, indem ich eine strukturelle Definition von »Matriarchat« formulierte. Eine solche strukturelle Definition, die allmählich aus der Sache entwickelt wird, darf nicht als »idealtypisch« missverstanden werden. Einen Idealtypus zu postulieren kommt dem Denken in Kategorien als geschlossenem System gleich; diese Abstraktion wird a priori oder vorgängig zu gründlicher Forschung formuliert. Dies ist ein überholtes Vorgehen, wie es in der traditionellen Philosophie vorkommt. In der modernen Wissenschaftsphilosophie verhält sich eine strukturelle Definition gegenüber dem Untersuchungsbereich in anderer Weise: Sie geht nachträglich aus der Forschung hervor und erfasst ihr Untersuchungsgebiet, hier die matriarchale Gesellschaftsform, in ihrem tieferen Zusammenhang. Das heißt, sie formuliert deren innere Beziehungen, die alle ihre Teile stimmig miteinander verbinden. Genau diese stimmigen oder konsistenten, inneren Beziehungen ergeben die Tiefenstruktur der matriarchalen Gesellschaftsform. Beispielweise gehört die Matrilokalität, auch wenn sie nur ein hinreichendes Merkmal ist, jedoch zum inneren, logischen Zusammenhang einer matriarchalen Gesellschaft. Darum erscheint sie in der strukturellen Definition. Diese Art der Definition ist kein geschlossenes System wie ein Idealtyp, sondern gibt eine offene Struktur an, die durch den fortlaufenden Forschungsprozess ausgearbeitet und präzisiert werden kann.

Methodologisch ist dabei wichtig, dass matriarchale Gesellschaften heute durch viele Veränderungen gegangen sind. Nach einer langen Geschichte von Kämpfen, um ihre traditionellen Kulturen zu bewahren, sind sie heute durch wachsenden Druck vonseiten ihrer patriarchalen Umgebung bedroht; dadurch haben sie sich in mancher Hinsicht verändert. Deshalb ist es unerlässlich, die Geschichte dieser Kulturen einzubeziehen, um ein besseres Verständnis ihres matriarchalen Charakters zu erreichen. Hier kann eine strukturelle Definition in einem behutsam rekonstruierenden Verfahren gebraucht werden, wobei sie mehrere sehr wirksame, wissenschaftliche Funktionen erfüllt: Erstens können matriarchale Gesellschaften durch sie besser aus sich selbst verstanden und genauer beschrieben werden, wobei im Zweifelsfalle das Verstehen immer positiv zugunsten einer matriarchalen Gesellschaft sein muss. Zweitens werden durch sie verschiedene Ausprägungen einzelner matriarchaler Gesellschaften sehr differenziert deutlich. Drittens können durch sie Deformations- und Zerfallserscheinungen matriarchaler Gesellschaften erfasst werden. Dies alles kann erst bei der praktischen Anwendung dieses geistigen Werkzeugs sichtbar werden.

Um es noch einmal zu sagen: Es wäre eine fataler Irrtum, eine strukturelle Definition mit einem abstrakten Idealtyp oder unumstößlichen Kategorien, die ein festes, geschlossenes System sind, zu verwechseln. Eine solche Position ist heute völlig überholt. »Unumstößliche Kategorien« und »geschlossene Systeme« gehören zur traditionellen, patriarchal geprägten Philosophie und ihrem imperialistischen Wahrheitsanspruch, aber weder zur modernen Wissenschaftsphilosophie noch zur modernen Matriarchatsforschung. Es geht hier ums Praktische: um die Entwicklung eines differenzierten, angemessenen Werkzeugs für die wissenschaftliche Erforschung eines äußerst komplexen Untersuchungsbereichs. Diese sukzessive Methode des Vorgehens wird in diesem Buch gezeigt, in dem eine strukturelle Definition entwickelt und – durch meine eigene Forschung über konkrete Gesellschaften – ständig erweitert wird. Dabei ist die Weiterentwicklung der strukturellen Definition im Verlauf der Entfaltung dieser neuen Wissenschaft ein offener, kreativer Prozess, an dem viele wissenschaftlich Tätige beteiligt sein können. Denn der Prüfstein für die Matriarchatstheorie ist das präzise, sensible und respektvolle Verstehen und Darstellen der konkreten matriarchalen Gesellschaften selbst in ihrer Gemeinsamkeit und in ihrer Vielfalt. Wenn sie das erreicht, wird sie eine starke und weit reichende erklärende Kraft haben – was das Merkmal einer guten Theorie ist.

Matriarchale Gesellschaften der Gegenwart

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