Читать книгу Matriarchale Gesellschaften der Gegenwart - Heide Göttner-Abendroth - Страница 19
1.3 Der anthropologisch-ethnologische Zweig
ОглавлениеDie Forschungen aus dem ethnologischen Zweig haben den großen Vorteil, anhand lebender Gesellschaften eine Vorstellung von matriarchaler Ökonomie, Sozialordnung und Weltsicht geben zu können.
Was »Matrilinearität« ist und welche weit reichenden Konsequenzen sie hat, beschreibt der Ethnologe Bronislaw Malinoswki in einer eindrucksvollen Studie über die Gesellschaft auf den Trobriand-Inseln in Melanesien (1926).16 Diese Studie ist sehr wichtig, weil sie zu einem großen Teil der Beziehung der Geschlechter bei diesen Menschen gewidmet ist, so dass Frauen nicht nur in einem Unterkapitel oder Nebensatz erscheinen. Die Frauen haben nach Malinowski einen großen Anteil am Gemeinschaftsleben des Stammes und spielen bei vielen Tätigkeiten eine führende Rolle. Sie prägen die Kultur der menschlichen Beziehungen und der Erotik, die Malinowski als viel höherstehend bezeichnet als bei den sogenannten »zivilisierten« Völkern. Deren Sitten seien im Vergleich zu der sozialen und erotischen Kultur der trobriandischen Frauen und Männer eher barbarisch, obwohl die wirtschaftliche Basis auf den Trobriand-Inseln beträchtlich einfacher sei. Das sind deutliche Worte, und Malinowski macht damit unmissverständlich klar, dass hohes ökonomisches und technisches Niveau nicht unbedingt mit hohem Niveau der menschlichen Beziehungen einhergeht.
Nach Malinowski gehören zur Matrilinearität in der Trobriand-Gesellschaft folgende soziale und kulturelle Muster: Abstammung, Verwandtschaft und soziale Beziehungen sind ausschließlich nach der Mutter geregelt. Die Mutter gilt allein als verwandt mit ihren Kindern, biologische Vaterschaft ist unbekannt. Die Schwangerschaft gilt als die entscheidende, prägende Phase. Kinder stammen nicht von einem Mann, sondern von den Ahnenseelen des Clans, die sich während der Schwangerschaft im Leib der Frau wieder verkörpern. Das zeigt, dass die Unbekanntheit der biologischen Vaterschaft nicht aus mangelndem Wissen entspringt, sondern aus einer anderen Wertung der Ereignisse: Der Grund der Empfängnis ist kein profaner, sondern ein sakraler. Die Matrilinearität zeigt sich hier unmittelbar mit einem Wiedergeburtsglauben verbunden, der sehr direkt ist. Denn nach dieser Auffassung kehrt jede Ahnin und jeder Ahn durch die Frauen der eigenen Sippe als Kind wieder ins Leben zurück.
In diesem System der Matrilinearität betrachten sich die Brüder als am nächsten mit den Schwesterkindern verwandt. Denn sie tragen nicht nur denselben Clannamen, sondern gehören zur selben Sippe wie die Ahnen, die als Kinder in den Clan zurückkehren. Deshalb umsorgen sie nicht nur ihre Schwestern liebevoll und erwirtschaften in den Gärten die Nahrung für sie, sondern sie ergreifen auch in der Rolle des sozialen Vaters die Mitverantwortung für die Schwesterkinder. Die Brüder setzen ihre Ehre dafür ein, es ihren Schwestern und Schwesterkindern gut gehen zu lassen.
Die matriarchale Grundstruktur besteht also aus Müttern und Töchtern, sowie Schwestern und Brüdern, und auf diesem Muster ist die gesamte Gesellschaft aufgebaut. Dies ist das matriarchale Verwandtschaftsnetz, das Malinowski auf den Trobriand-Inseln erforscht hat und nachzeichnete. Es wirkte sich bei seiner Anwesenheit auf den Inseln noch immer so aus, dass alle Künste, wie die sehr wichtige Magie, und alle Würden bis hin zur Position des Häuptlings nur in weiblicher Linie vererbt wurden. In jeder Generation pflanzt die Frau die Sippe fort und vererbt die Titel, aber der Mann als ihr Bruder repräsentiert die Sippe nach außen. Als Delegierter der Sippe seiner Mutter und Schwestern besaß er eine eigene Würde.
Malinowski beschreibt zugleich die spannungsgeladene Paradoxie in der trobriandischen Gesellschaft, denn die Eheform war bereits virilokal und – trotz öfter geübtem Partnerwechsel besonders aufseiten der Frauen – monogam.17 Die Brüder versorgen also nicht nur ihre Schwestern und deren Kinder, sondern auch deren Gatten. Das wirkt sich bei der Stellung des Häuptlings gegen das sonst egalitäre System aus, denn er ist als einziger mit mehreren Frauen verheiratet, weil ihm jeder Clan eine Frau geben muss. Auf diese Weise sammeln sich beim Häuptling die Güter aus dem Gartenbau der Brüder seiner Gattinnen in großen Vorratshäusern an. Zwar muss er davon die großen Feste veranstalten und die Bootsreisen übers Meer ausstatten, so dass er nicht reich wird, aber dennoch gelingt es ihm, seine hierarchische Position zu erhalten. Dazu dient die zementierte monogame Ehe mit seinen Frauen, die am rechtlosesten sind, und die Unmöglichkeit den Häuptling abzusetzen.
Malinowski beschreibt hier mit Genauigkeit und Feingefühl eine völlig eigene Gesellschaftsform, er zeigt ihre Grundstruktur auf und weist auf ihre internen Spannungen hin. Die Frage ist allerdings, ob er sie auch erkennt. Leider kann man das nicht bejahen. Denn sein Werk leidet daran, dass er keine diachronen Überlegungen einschließt, was dazu führt, dass diese Struktur mit den internen Spannungen als unveränderlich da gewesen erscheint. Diese Betrachtungsweise versetzt eine Gesellschaft in einen geschichtslosen Zustand, gerade so, als wären indigene Gesellschaften immer gleich gebliebene, starre Gebilde. Damit erscheinen solche Fragen überflüssig, wie es denn zu diesem hierarchischen Häuptlingswesen gekommen ist, oder wie die eigenartige Verbindung von Matrilinearität und Virilokalität (Wohnsitz der Frau beim Gatten) entstand?
Gefangen in seiner a-historischen Sichtweise gleiten Malinowskis Überlegungen stattdessen ins Nebensächliche ab. So beschäftigt er sich mit dem tiefen Gefühlskonflikt für den Mann als Gatten in einer matrilinearen Gesellschaft, der seine »Vaterliebe« nicht leben und »seine Kinder« nicht bevorzugen kann, weil er den Schwesterkindern verpflichtet ist. Dieses einseitige Mitgefühl hat jedoch eher mit der westlich-sexistischen Vaterschafts-Ideologie als mit der trobriandischen Gesellschaft zu tun, in der Vaterschaft nicht bekannt ist oder keine Rolle spielt. Zugleich zeigt es rassistische Tendenzen bei dem Forscher, wenn er auf diese Weise indigene Gesellschaften als starr und mit unlösbaren Spannungen behaftet sieht – offenbar im Gegensatz zu westlichen Gesellschaften. Als Folge kann Malinowski die Eigenständigkeit und Andersartigkeit der Gesellschaft, die er erforscht, auch nicht benennen. Denn es ist charakteristisch für diese a-historische Sichtweise, dass jeder Gedanke an die Vergangenheit einer solchen Gesellschaft, die vollgültig matriarchal gewesen sein könnte, oder ihre Herkunft von anderen matriarchalen Gesellschaften ausgelöscht ist. Mit der Auslöschung von Geschichte gerät die Ethnologie ins andere Extrem, das nun als das Heilmittel gegen die alten Stufentheorien der Geschichte gilt. Doch beide Extreme spiegeln lediglich die patriarchale Weltsicht. –
In diesem Zusammenhang ist die Kritik der feministischen Ethnologin Annette Weiner (1976) von großer Bedeutung, die durch ihre Forschung eine gründliche Revision des Blicks auf die trobriandische Gesellschaft herbeigeführt hat.18 Sie weist darauf hin, dass in der Ethnologie »Macht« bisher unreflektiert so definiert wird, wie sie in westlich-patriarchalen Gesellschaften gesehen wird, nämlich als säkulare, ökonomisch-politische Macht. Die eigene Sicht und Selbstdefinition der trobriandischen Frauen bleibt dabei völlig ausgeschlossen. Deshalb muss man sich nicht wundern, wenn man mit diesem Begriff von Macht bei der Vorstellung ankommt, dass der Status von Frauen universell gegenüber dem Status von Männern zweitrangig sei. Anhand ihrer Forschung bei den Trobriand-Frauen konnte sie zeigen, dass »Macht« dort vielmehr auf der sakralen Ebene gesehen wird. In diesem Sinne besitzen die Trobrianderinnen eine große Macht auf der spirituellen wie der sozio-politischen Ebene, die in ihrer Gesellschaft öffentlich anerkannt ist.
Diese Feststellung ist für die Erforschung matriarchaler Gesellschaften, die grundsätzlich sakralen Charakter haben, äußerst wichtig. Allerdings fasst Weiner diesen Gedanken nicht, sondern sie bleibt in derselben a-historischen, sogenannt »empirischen« Sichtweise befangen, die den größten Teil der modernen Ethnologie kennzeichnet. –
Thesen zum Ursprung der menschlichen Sozialgefüge gibt es in der Ethnologie und darüber hinaus viele. Dabei stehen sich zwei klassische Positionen gegenüber, die auf die Frage, was am Anfang der Geschichte stand: der männliche oder der weibliche Sozialinstinkt, diametral entgegengesetzte Antworten geben.
Claude Lévi-Strauss (1973) vertritt eine radikale Position hinsichtlich der Auffassung, dass dem männlichen Sozialinstinkt diese Rolle zukommt.19 In seiner Theorie vom »Frauentausch« geht er von der Auffassung aus, dass es die Frau als Subjekt in der Gesellschaft nicht gibt, sondern lediglich als Tauschobjekt zwischen Männern. Er stellt sich die elementare Struktur von Verwandtschaft als Kerngruppe von einem Mann als Geber einer Frau und einem Mann als Empfänger der Frau vor. Das Geben der Frau wird von einer beträchtlichen Verlagerung der Güter, eben des Heiratsgutes, begleitet. Das gegenseitige, einem Vertrag entsprechende Geben von Frauen nennt Lévi-Strauss »Frauentausch«. Dieses Verwandtschaftsmuster hält er für universell.
Was seine patriarchale Perspektive noch verschärft ist, dass es auch hier keine Geschichte mehr gibt. Die Verneinung der Geschichte ist sogar ein Dogma der strukturalistischen Ethnologie, wobei außerdem die empirische Untersuchung fremder Gesellschaften durch die Konstruktion binärer Oppositionen ersetzt wird, in die nun alle gesellschaftlichen Fakten gepresst werden. Dennoch hindert seine Abscheu gegen die Geschichte Lévi-Strauss nicht daran, sich urgeschichtlichen Spekulationen hinzugeben, die an die Stelle der entsprechenden ur- und frühgeschichtlichen Forschung treten. Hier zeigt sich die Absurdität der Verneinung von Geschichte, die geradewegs in wilde Geschichtskonstruktionen führt. Damit fällt das Verständnis von anderen Gesellschaften weit hinter die Idee zurück, die Bachofen – immerhin auf dem Boden von kulturhistorischen Daten – formuliert hatte.
So kommt es, dass Lévi-Strauss die alte Theorie von den feindlichen Urhorden wieder aufleben lässt, nach der sich diese Horden gegenseitig überfallen, erschlagen und die Frauen geraubt haben sollen. Schließlich hätten sie sich zusammengeschlossen, wobei zur Sanktion wurde, was vorher durch Gewalt erzwungen war: die Einführung des Tauschs von Frauen und Gütern. – Hier wird so getan, als habe es Kampf und Totschlag unter männlicher Führung von Anfang der Geschichte an gegeben. Damit soll sich dauerhaftes menschliches Zusammenleben in größeren Gebilden erst durch Gewalt und dann durch deren Sanktionierung, also durch Krieg und Kontrakt, gebildet haben. Diese abstrakte und widersprüchliche Konstruktion dient dem Zweck, die erste größere Sozialbildung, den Stamm, aus den männlichen Sozialinstinkten abzuleiten. Dabei werden Kriegsführung, egoistisches Anhäufen von Gütern und Gewalt gegen Frauen von Lévi-Strauss – und nicht nur von ihm – als männliches Urverhalten angenommen, obwohl diese Verhaltensformen geschichtlich erst spät entstanden sind. Dies ist jedoch eher ein Problem nicht so sehr von Sozialinstinkten, sondern von a-sozialen Instinkten. Dennoch werden diese späten, deformierten männlichen Triebe in die Urgeschichte als Beginn von Gesellschaft zurückprojiziert. Auf diese Weise wird patriarchales Verhalten als universell und immerwährend hingestellt, was nichts anderes bedeutet als die Verherrlichung von Gewalt und Krieg. –
Die entgegengesetzte Antwort auf die Frage nach der Entstehung menschlicher Sozialgefüge hat Robert Briffault (1927) gegeben. Bei seiner Suche nach den Grundformen sozialen Verhaltens stieß er zu seiner Überraschung bald darauf, dass sie alle auf jene Instinkthandlungen zurückgehen, die den weiblichen und nicht den männlichen Funktionen entsprechen. Dabei bleibt aber unverständlich, dass das Sozialverhalten von Frauen in geschichtlich patriarchalen Gesellschaften einen derart fundamentalen Einfluss gehabt haben soll. Deshalb schloss Briffault, dass die frühe Entwicklung von größeren sozialen Gebilden von Frauen ausging und auf eine vorgängige matriarchale Gesellschaftsordnung hinweist.
In seinem umfangreichen Werk »The Mothers«, in welchem allein 60 engbedruckte Seiten die Aufzählung jener Stämme und Völker ausmachen, die in allen Kontinenten matrilinear und matrilokal organisiert waren, geht er diesem Gedanken nach.20 Bei allen Gesellschaften dieser Art zeigt sich deutlich, dass es die Autorität der ältesten Mutter ist, die den weiblichen Clan zusammenhält und die Söhne zur Wechselheirat nach außen bewegt, um Verbindungen mit anderen Clans zu knüpfen. Das Exogamie-Gebot (Heirat nach außen) – bisher immer dem Mann als handelndem Subjekt der Geschichte zugeschrieben – ging von den Frauen aus, und damit fügten sie die Clans in friedlicher Weise zu einer matriarchalen Gesellschaft zusammen. Dies stellt Briffault eindeutig fest, und er weist an einer Fülle ethnologischer und historischer Beispiele nach, dass die Mütter die Basis und die handelnden Subjekte der Gesellschaftsordnung von Urzeit an sind, wie verschieden sich diese Ordnungen auch entwickelt haben.
Doch dieses Werk wurde ebenso wenig als eine Revolution der herrschenden Weltsicht ernst genommen wie schon Bachofens Werk. Es erlitt das Schicksal von Missachtung und Verschweigen wie alle Werke von Forschern, die der Ideologie vom Mann als dem ewig ersten Geschlecht widersprechen. Wie ist es sonst möglich, dass Lévi-Strauss in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts noch seiner patriarchalen Urgeschichts-Konstruktion anhängen kann, fast fünf Jahrzehnte nach dem bedeutenden Werk von Briffault? Die Antwort auf diese Frage liegt auf der Hand, denn es ist Lévi-Strauss’ Theorie von Gewalt und Krieg seit Urzeiten, die der patriarchalen Weltsicht entspricht. Daher wurde sie mit Absicht nicht nur in der westlichen Wissenschaft, sondern auch in der allgemeinen Öffentlichkeit durchgesetzt und hat das Wissen von friedfertigen Gesellschaften, von Müttern begründet, nahezu ausgelöscht.