Читать книгу Matriarchale Gesellschaften der Gegenwart - Heide Göttner-Abendroth - Страница 17
1.1 Die Pioniere
ОглавлениеJohann Jakob Bachofen gilt mit seinem Werk »Das Mutterrecht« (1861) als der Begründer der Matriarchatsforschung traditioneller Prägung, denn von ihm ausgehend hat sich die Diskussion zu diesem Thema entwickelt.3 Sein Werk hat in dem Jesuiten-Missionar Joseph-Francois Lafitau einen Vorgänger. Lafitau stellte in seinem mehr als hundert Jahre früher erschienenen Werk »Die Sitten der amerikanischen Wilden, im Vergleich zu den Sitten der Frühzeit« (1724) das Leben der irokesischen Stämme Kanadas, bei denen er weilte, mit ziemlicher Genauigkeit dar, insbesondere die bedeutende Rolle der Frauen.4 Obwohl dies mit den beschränkten Mitteln seiner Zeit geschah, ist sein Bericht wertvoll, weil diese Gesellschaften damals noch weniger vom Einfluss der Weißen gestört waren als später. Er stellte bereits eine Verbindung her zwischen seinen Beobachtungen an einer zeitgenössischen matriarchalen Gesellschaft und manchen Sitten, die ihm von antiken Schriftstellern bekannt waren. Doch als Missionar leitete ihn dabei kein wissenschaftliches Erkenntnisinteresse, weshalb das Buch, außer dass es eine wichtige Quelle ist, folgenlos blieb.
Erst Bachofen eröffnete bewusst ein neues Forschungsgebiet und nannte es »Mutterrecht«, womit er die Matrilinearität und die damit verbundenen sozialen Muster meint. Gleichzeitig benutzte er auch den griechischen Begriff »Gynaikokratie«, der völlig missverständlich ist, denn er bedeutet »Frauenherrschaft« – was aus Bachofens Untersuchungen jedoch nirgends hervorgeht. Beide Begriffe gebrauchte er gleichzeitig ohne genaue Unterscheidung, womit er den Boden für das grundsätzliche Missverständnis und Vorurteil bereitet hat, das bis heute der Matriarchatsforschung entgegengebracht wird und sie behindert. So verwundert es nicht, dass bei der englischen Ausgabe seines Werkes der Begriff »Gynaikokratie« dann mit »Matriarchat« übersetzt wurde (1967).
Sein Verdienst ist, dass er mit seinen Untersuchungen den kulturhistorischen Zweig der Matriarchatsforschung begründet hat und darin bedeutende Arbeit leistete, was eine neue Tür zum Verständnis der menschlichen Kulturentwicklung geöffnet hat. Aus den Quellen antiker Schriftsteller machte er in seinem Werk unmissverständlich klar, dass das Mutterrecht nicht nur eine exotische südasiatische Spezialität gewesen ist, wie man damals annahm. Es war vielmehr in Indien, Persien, Ägypten und im östlichen Mittelmeerraum einschließlich Griechenlands verbreitet und überall die Grundlage der späteren kulturellen Entwicklung. Er kann zeigen, dass es sich in diesen Erscheinungen nicht um bedeutungslose Ausnahmen handelt, sondern um gesellschaftliche Gebilde mit innerer Ordnung, die nicht nur einzelne Völker umfassen, sondern ganz allgemein zu einer bestimmten frühen Kulturstufe gehören.
Bachofen gibt ebenfalls Auskunft über seine Methode, mit der er seine Untersuchungen macht: Es ist die Mythenanalyse, die er so weit wie möglich mit historischen Zeugnissen vergleicht. Er interpretiert also nicht nur Mythen, sondern arbeitet rudimentär mit einer vergleichenden kulturhistorischen Methode. Auf diese Weise kann er, trotz der weiten Zeiträume, die dabei überbrückt werden, erstaunliche Ähnlichkeiten feststellen und kommt zu dem Schluss, dass man Mythen durchaus als geschichtliche Zeugnisse betrachten darf, die in Bildern statt in Worten reden. Damit nimmt er Mythologie als Aussage über vergangene geschichtliche Zustände und Denkweisen ernst.
So akzeptabel und erfolgreich Bachofens Vorgehen ist, so problematisch sind seine theoretischen Deutungen und Wertungen, in die er sein reiches Material presst. Seine Theorie stellt eher die eigene romantisierende Ideologie vom Matriarchat dar als das, was er zur Sache selbst aus den Quellen herausfand. Seine Matriarchats-Ideologie ist geprägt von der Vorstellung vom »Wesen der Frau«, die den patriarchalen Klischees seiner Zeit entspricht. Aus diesem hypothetischen Wesen der Frau versucht er, die Geschichte des Mutterrechts in drei Stufen zu erklären: Die erste Stufe soll ein regelloser »Hetärismus« gewesen sein, wobei sexuelle Promiskuität bestimmend gewesen sei, welche die Frauen unentwegtem Beischlaf ausgeliefert habe. – Doch dieser Hetärismus ist lediglich eine unbewiesene Annahme. – Aus ihm soll sich nach Bachofen das Mutterrecht als entschiedener Widerstand der Frauen gegen diese Lebensweise entwickelt haben, und zwar als das »Demetrische Prinzip« von Keuschheit, Monogamie und ehelicher Zucht. – In diesem Demetrischen Prinzip sehen wir lediglich eine Rückprojektion bürgerlich-christlicher Verhältnisse in die frühe Geschichte. – Nach Bachofen soll die Demetrische Stufe des Matriarchats zuletzt im Amazonentum ihrer »Verwilderung« und ihrem Verfall entgegengegangen sein. – Diese Verwilderung ist für den patriarchalen Blick schon deshalb notwendig, weil die Amazonen weder monogam noch männerfreundlich lebten. – Dafür geht es bei ihm danach umso schneller mit dem Patriarchat, das sich einfach aus den Trümmern der vorigen Epoche erhebt. Das geschieht gemäß dem hypothetischen »Wesen des Mannes«: Kampf und Krieg, Entstofflichung und Unsterblichkeit durch das Macher-Prinzip, von Bachofen das »Geistig-apollinische Prinzip« genannt, bei dem sich der männliche Gott »vollständig von jeder Verbindung mit dem Weibe befreit«.5 – Damit hätten wir in schöner Deutlichkeit die grundlegenden Ideen des Patriarchats beieinander.
Mit dieser geschichtslosen Geschichtsschreibung müssten wir uns nicht weiter befassen, hätte sie nicht eine fatale Konsequenz. Sie hat nachhaltig das öffentliche Bewusstsein zur Frage des Matriarchats geprägt. Die von Bachofen aufgebrachten Klischees zur matriarchalen und patriarchalen Gesellschaftsform halten sich zäh, woraus sich wie von selbst die Höherwertigkeit des Patriarchats ergibt, die allgemein vertreten wird.
Henry Lewis Morgan wurde der Begründer der Ethnologie durch sein Werk über die Irokesen-Liga in Nordamerika (1851), eine matriarchale Gesellschaft – die er allerdings nicht so benennt.6 Bachofen nahm jedoch wissenschaftlichen Kontakt zu Morgan auf, weil er seine kulturhistorische Forschung durch das ethnologische Vorgehen Morgans bestätigt sah. Morgans hervorragende Studie erlaubt zum ersten Mal einen Blick in das Gefüge einer sehr lebendigen, hochentwickelten matriarchalen Gesellschaft der damaligen Zeit – wobei Morgan seine Informationen einem wichtigen irokesischen Gewährsmann verdankt. Doch wie schon bei Bachofen hat auch bei Morgan die eigene Forschung keine tiefergehende Erkenntnis oder gar ein patriarchatskritisches Umdenken bewirkt; daher bleibt seine Forschung zu den Irokesen problematisch. Noch problematischer ist, dass er daraus in seinem Buch »Die Urgesellschaft« (1877) eine evolutionistische Stufentheorie der menschlichen Familienentwicklung konstruiert,7 bei der sich die Geschichte ebenso unentwegt in patriarchale Höhen emporschwingt wie schon bei Bachofen.
Auch er nimmt drei große Stufen an, die der »Wildheit«, der »Barbarei« und der »Zivilisation«, sämtlich Begriffe, die im höchsten Maß bewertend sind. Auf der Stufe der »Wildheit« beschreibt er Familienformen, die auf unterschiedslosem Geschlechtsverkehr und Vielehe beruhen. Begriffe von Blutsverwandtschaft gibt es noch nicht, denn nur die Mitgliedsbeziehungen bestimmen das Hordengefüge.
Auf der Stufe der »Barbarei« entstehen nach Morgan durch Einschränkung der Heiratsbeziehungen »Gentilgesellschaften«, die er am Beispiel der Irokesen erklärt. Er zeigt, wie sich Stämme dieser Gesellschaftsform nicht aus »Familien« aufbauen – eine unbekannte Größe in der Frühzeit – sondern aus Sippen, die sich zuerst in der weiblichen Abstammungslinie bilden und viel später in der männlichen Abstammungslinie. Mehrere Sippen bilden nach bestimmten Heiratsregeln einen Stamm, und mehrere Stämme wiederum ein Volk. In einer solchen Stammesgesellschaft ist jede politische Einflussnahme und Entscheidung identisch mit den persönlichen Beziehungen zur Sippe und zum Stamm.
Durch diese Identität von Verwandtschaftslinie und politischer Entscheidung ist die Stammesgesellschaft »homogen«, anders als die durch den Einbruch von Fremden später zerrissene Gesellschaft. Zugleich ist sie eine der ältesten und am weitesten verbreitete Organisation der Menschheit. Morgan nennt sie die »universelle Verfassungsgrundform der alten asiatischen, europäischen, afrikanischen, amerikanischen und australischen Gesellschaft«.8 Sie war das Werkzeug, durch das die frühe Gesellschaft ohne politische Herrschaft zusammengehalten wurde.
Einmal ohne seine Stufentheorie der Geschichte betrachtet sind diese Feststellungen weitreichende Erkenntnisse. Denn sie weisen auf den relativ späten, geschichtlich nachweisbaren Ursprung von Herrschaft hin. Diese wird aber allgemein als seit Beginn der Menschheit bestehend hingestellt, aus durchsichtigen Gründen. Es ist der Mythos von der Ewigkeit patriarchaler Herrschaft, insbesondere des Mannes über die Frau. Morgan geht jedoch einen anderen Weg, um die Brisanz seiner eigenen Erkenntnisse wieder zu verdunkeln: Er wertet diese frühere Entwicklungsstufe ab.
Wie nicht anders zu erwarten ist, dämmert nach dieser matriarchalen Verwandtschaftsgesellschaft endlich die »Zivilisation« herauf. Wenn sich aufseiten der Männer Privateigentum und Landbesitz entwickeln, ist dies der Auslöser für die Umwandlung von matrilinearen in patrilineare Sippen. Unaufhaltsam und offenbar kampflos schreitet die Menschheit fort zur »Zivilisation«, die gekennzeichnet ist von Monogamie, in welcher der Mann endlich seine Vaterschaft erkennen kann. Morgans hohe Bewertung der »Zivilisation« beruht darauf, dass er in dieser Monogamie beide Partner die gleiche Würde und die gleichen Rechte besitzen sieht, was in der bürgerlichen Gesellschaft seiner Zeit ideal gelungen sein soll. – Dieser Schluss ist erstaunlich, denn zuvor hat er als Motor dieser Entwicklung das Privateigentum in der Hand des Mannes ausgemacht und erkannte an, dass diese Entwicklung zu Lasten der Frau geht! Doch das entschuldigt er damit, dass die Frau dieses Opfer für den Fortschritt der Menschheit bringen muss.
Damit entlarvt sich auch diese Stufentheorie der Geschichte als pure Ideologie. Sie spiegelt eine Vaterschafts-Ideologie, die für die spätbürgerliche Kleinfamilie typisch ist und außer ihrem Rassismus gegenüber anderen Kulturen auch einen groben Sexismus zeigt. Dennoch wird Morgan als »Vater der Anthropologie« gefeiert, da er diese Disziplin auf einen empirischen Boden gestellt hat.9 Aber bis heute hat die Ethnologie in ihrer westlichen Spielart die rassistischen und sexistischen Züge nicht überwunden.
Als dritter unter den Pionieren sei noch John Ferguson McLennon (1865) genannt, der sich auf Morgan stützt.10 In seinem Werk über elementare Eheformen bringt er noch weitere Beispiele von geschichtlichen und gegenwärtigen Völkern, die ihre Abstammung in der Mutterlinie, nicht in der Vaterlinie verfolgen. Sein Werk hatte die Absicht, die Vorstellung von einer patriarchalen Urgesellschaft, die damals vorherrschend war, zu widerlegen – was sehr verdienstvoll ist. Allerdings löste es unter den Wissenschaftlern damals eine heftige Kontroverse aus.