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Kapitel 1: Eine kritische Geschichte der traditionellen Matriarchats­forschung

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Dieses Kapitel ist keine Forschungsgeschichte im herkömmlichen Sinne. Zum Thema Matriarchat lässt sich eine solche nicht ohne weiteres schreiben, denn die Ansätze zu einer fortlaufenden Forschung in diesem Gebiet hören immer wieder auf, und der wiederholte Beginn verschwindet im Dunklen. Die Fäden reißen ab, wobei die Bruchstücke ins Nirgendwo zu führen scheinen, die Argumente nicht verfolgt werden oder – wie in der europäisch-westlichen Wissenschaft – gründlich verdrängt werden. Dennoch gibt es einen unterschwelligen Strom an Wissen über matriarchale Muster und Gesellschaften, der sich aus verschiedenen wissenschaftlichen Zweigen speist. Aber auch diese Tatsache, dass es seit dem 19. Jahrhundert, genauer: seit mehr als 150 Jahren, eine Forschung und Diskussion zum Thema Matriarchat gibt, ist nicht allgemein bekannt. Wenn sie bei seltenen Gelegenheiten zu Tage tritt, wird sie rasch durch Verachtung oder Lächerlichmachen zum Schweigen gebracht.

Angesichts dieses merkwürdigen Sachverhalts fragt man sich, was hier eigentlich vorgeht? Es scheint so zu sein, dass die Forscher – zumindest die traditionellen – hier etwas für ihr Selbstverständnis Ungeheuerliches entdecken, etwas, das ihr patriarchales Weltbild erschüttert. Sie müssten es hinter sich lassen, wenn sie den Konsequenzen ihrer Entdeckungen weiter folgen würden. Außerdem würden sie in der patriarchal geprägten Wissenschaftsgemeinschaft ihr Prestige aufs Spiel setzen und sich isolieren, vielleicht gar ihre Stellung verlieren, wenn sie ihren Erkenntnissen treu bleiben würden. Darum drehen sie immer wieder zurück, was sie entdeckt haben; sie heben ihre Erkenntnisse theoretisch wieder auf, um das patriarchale Paradigma von Gesellschaft und Geschichte zu retten – woraus sich zahllose logische und sachliche Widersprüche ergeben.

Wie sehr das System des Patriarchats Erkenntnisse über die matriarchale Gesellschaftsform immer wieder unsichtbar machen will, zeigt sich insbesondere dann, wenn Forscher und Forscherinnen diese Selbstzensur durchbrechen und zu ihren Erkenntnissen stehen, das heißt, sie offen benennen – wie es in der jüngeren Zeit öfters der Fall ist. Sie werden unverzüglich auf verschiedene Weise diffamiert und ihr Werk mit allen Mitteln verdunkelt, sowohl von Fachkollegen als auch von den Medien und der allgemeinen Öffentlichkeit. Hier tritt die ideologische Gewalt des patriarchalen Systems hervor, eine Gewalt, die sich zunehmend verschärft, je weniger sich das Wissen über die matriarchale Gesellschaftsform unterdrücken lässt.

In diesem Kapitel sehe ich meine Aufgabe deshalb darin, diese abgerissenen Fäden aufzufinden und wieder anzuknüpfen. Ich folge diesen verdunkelten Linien und mache den unterschwelligen Strom der Forschung zum Thema Matriarchat wieder sichtbar. Es geht mir darum, in die geschichtliche Entwicklung der Gedanken und der Forschung zu matriarchalen Gesellschaften einzuführen. Dass es sich hier um eine eigene Gesellschaftsform handelt, die sich von der patriarchalen wesentlich unterscheidet, dieser Gedanke existierte tatsächlich nicht vor den Pionieren, die ihn erstmals formulierten. Hier ist insbesondere Johann Jakob Bachofen zu nennen. Matriarchale Gesellschaften gab es schon lange vorher, auch Berichte über sie, aber nicht dieser Gedanke von einer eigenständigen Gesellschaftsform und auch nicht der Begriff »Matriarchat«. Was aber nicht benannt werden kann, kann auch nicht erkannt werden.

Darum versuche ich das Zerstückelte hier wieder zusammen zu fügen wie ein Mosaik aus seinen verstreuten einzelnen Steinen. Mich werden die Fragen leiten: Was tragen die genannten Forscher zur Sache bei, und was tun sie danach mit ihren Erkenntnissen? Ferner: Was wird aus ihren Erkenntnissen in der patriarchalen Wissenschaft und Öffentlichkeit gemacht? Das sind ideologiekritische Fragen, die zeigen werden, wie begrenzt und absichtlich begrenzend bisher mit diesem faszinierenden sozio-kulturellen Thema umgegangen worden ist. Dabei führt uns der Weg zur heutigen Situation, die sehr spannungsgeladen ist – denn das patriarchale Paradigma beginnt zu bröckeln.

Gleichzeitig macht dieses Kapitel in sachlicher Hinsicht sichtbar, welche wissenschaftlichen Fächer zur Erkenntnis der matriarchalen Gesellschaftsform beigetragen haben, und es zeigt die Schlüsselrolle der interdisziplinären Methodologie, die für ein angemessenes Verständnis dieser Gesellschaftsform nötig ist. Doch statt eine vollständige Liste aller Quellen, die für die Matriarchatsforschung relevant sind, zu geben, stelle ich hier nur sehr wenige Werke als exemplarische Beispiele aus den wichtigsten Disziplinen kurz dar.1 Das zeigt, wie der Weg der traditionellen Matriarchatsforschung bisher verlief.

Meine Fragen werfen dabei neues Licht auf alte Theorien, doch auch auf Theorien jüngerer Herkunft. Dass ältere Theoretiker nicht von kritischen und feministischen Studien profitieren konnten, sollte kein Grund sein ihre Ergebnisse zu ignorieren. Schließlich waren sie zu ihrer Zeit die einzigen, die matriarchale Muster zur Sprache brachten. Die Situation hat sich seither sehr verändert, aber – wie wir sehen werden – nicht immer zum Besseren im Universitätswesen. Patriarchale Ideologie, die im Fall der älteren Forschung eher unbewusst blieb, wird bei der jüngeren Forschung bewusst und aggressiv eingesetzt. Daher ist diese Übersicht als eine kritische Würdigung der Forscher gemeint, die Wesentliches zur Matriarchatsforschung beigetragen haben. Gleichzeitig gibt sie Aufschluss darüber, was sich durch die moderne Matriarchatsforschung grundsätzlich ändert.2

Matriarchale Gesellschaften der Gegenwart

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