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1.7 Der archäologische Zweig

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Der archäologische Zweig führt uns mit den Bodenfunden die erstaunliche Kulturhöhe matriarchaler Gesellschaften vor Augen und gleichzeitig die erstaunliche Dauer der matriarchalen Kulturentwicklung. Die Bodenfunde haben für die Annahmen in den kulturgeschichtlich ausgerichteten Zweigen die größte Beweiskraft, obwohl sie sich ohne kulturhistorische Erkenntnisse nicht interpretieren lassen.

So ist, seit Heinrich Schliemann im Vertrauen auf die mythischen Epen von Homer die Städte Troja, Mykene und Tyrins ausgegraben hat, durch die Archäologie bewiesen, dass Mythen und mythische Epen keine Hirngespinste sind, sondern einen kulturhistorischen Kern haben. Wenig später tat Arthur Evans dasselbe: Er vertraute den Erzählungen der kretischen Mythologie und fand die Paläste der Minoischen Kultur auf Kreta. In seinen umfangreichen Werken berichtet er über seine Ausgrabungen.40

Im ersten Buch (1901) beschreibt er eine Fülle von Funden religiöser Symbolik mit großer Genauigkeit, aber seine Deutung ist patriarchal belastet. So hält er den Kult heiliger Steine, heiliger Bäume und heiliger Säulen und den Kult der Doppelaxt noch für den einer männlichen Gottheit. Große, bestimmende Frauengestalten auf Siegelringen heißen »Adorantinnen«, d. h. »Anbeterinnen«, während kleine, unbekleidete, männliche Figuren, die beziehungslos in der Höhe schweben, »Gott« genannt werden. Dreißig Jahre später hat Evans seine Ansicht vollständig revidiert (1931), was für seine wissenschaftliche Redlichkeit spricht. Seine weitere Forschung führt ihn dazu, Kreta nicht mehr von einem winzigen, nackten Kriegsgott beherrscht zu sehen, sondern von der Großen Muttergöttin, die uns auf allen Wandbildern, Siegelringen und in vielen Statuetten entgegentritt. Über heilige Pfeiler und Säulen, heilige Steine und Bäume und das religiöse Symbol der Doppelaxt vertritt Evans nun die gegenteilige Ansicht, was seiner Aufrichtigkeit Ehre macht. Er sieht sie, zusammen mit den großen Höhlen auf Kreta, als Kultgegenstände der frühen minoischen Muttergöttin, deren Name von den Griechen mit »Rhea« angegeben wurde.

Er kommt zu der Schlussfolgerung, dass seit der Jungsteinzeit bis in die Bronzezeit Kretas eine weibliche Gottheit den hervorragenden Platz in der kretischen Religion einnahm, ganz so wie es in Anatolien, Palästina und Syrien zu dieser Zeit war. Männliche Götter gab es noch nicht, sondern der junge, männliche Begleiter der Göttin war ihr Sohn oder Gefährte und Geliebter. Er bezeichnet ihn als den sterblichen kretischen Zeus, der zur Göttin, die das Land verkörpert, in einer Kindbeziehung steht. Die Minoische Kultur auf Kreta hat eine erstaunliche Dauer gehabt. Wegen der Insellage hat sich hier eine matriarchale Gesellschaft länger halten und weiterentwickeln können als auf dem griechischen Festland.

Gerade weil die Archäologie mit den Bodenfunden Beweiskraft hat, wird diese Disziplin strengster, patriarchaler Kontrolle unterworfen. Man kann es daran sehen, wie mit den Werken von Archäologen und Archäologinnen umgegangen wird, welche die patriarchale Ideologie durchbrechen. Das begann bereits im Umgang mit Arthur Evans’ bahnbrechender Forschung, und es zeigt die in der patriarchalen Wissenschaft übliche Methode der Verzerrung und Verdrängung unliebsamer Ergebnisse. Zunächst wird nach einem alles beherrschen König Minos, dem »Big Man« gesucht, um den alles kreist, der sich aber in der kretischen Kultur nicht finden ließ. Geschmückte Handelsschiffe werden als Kriegsschiffe umgedeutet und der Minoischen Kultur expansionistischer Imperialismus im ganzen Ägäischen Meer unterstellt. Für letztere Annahme gibt es keine Anhaltspunkte.

Die Frau wird wie stets in die zweite Reihe verwiesen, indem alle Bilder sakralen Inhalts als profaner Schmuck abgetan werden. Frauen sind demnach nur zur Zierde da, und ihre sakralen Tänze werden als beiläufige Verschönerung der kultischen Feier missdeutet. Selbst wenn eine gewisse mutterrechtliche Organisation der kretischen Kultur angenommen wird, dann verweist man sofort darauf, dass es sich auf keinen Fall um ein »Matriarchat« handelt, sondern um eine nicht näher definierbare Kultur, die eine Obsession mit dem »Ewig Weiblichen« hat. Dieses »Ewig Weibliche« ist eine Methode, mittels eines a-historischen Schlenkers lästige geschichtliche Tatsachen zum Verschwinden zu bringen.41

Matriarchale Gesellschaften der Gegenwart

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