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1.2 Die marxistische Diskussion

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Die Diskussion der marxistischen Theoretiker, die auf den Forschungen Bachofens und Morgans aufbaut, hat sich insbesondere mit Fragen der Patriarchatsentstehung befasst. Das gilt besonders für Friedrich Engels in seinem Werk »Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates« (1884).11 Im Anschluss an Karl Marx greift er genau die beiden Fragen auf, die Morgan offen gelassen hat: erstens die Frage, ob die bürgerliche Monogamie das ideale Gebilde für die Gleichheit der Geschlechter ist, zweitens die Frage, wie es denn zum Privateigentum in den Händen von Männern kam.

Zur ersten Frage äußert er sich mit unmissverständlicher Klarheit, indem er feststellt, dass der Umsturz des Mutterrechts die »weltgeschichtliche Niederlage des weiblichen Geschlechts« gewesen sei. Der Mann habe das Steuer auch im Hause ergriffen, die Frau wurde entwürdigt, geknechtet, Sklavin seiner Lust und bloßes Werkzeug der Kinderzeugung. Diese erniedrigte Stellung der Frau sei allmählich beschönigt und verheuchelt worden, stellenweise auch in mildere Formen gekleidet; beseitigt sei sie keineswegs.12

Was den Mann zum Umsturz des Matriarchats befähigte und seine Herrschaft auch im Hause begründete, ist nach Marx und Engels das Privateigentum in seinen Händen. Auch die Monogamie ist auf ökonomische Bedingungen gegründet, auf den Privatbesitz von Männern als Sieg über das matriarchale Gemeinschaftseigentum. Daraus erklärt sich ihr Charakter nicht als Versöhnung von Mann und Frau, sondern als der Widerstreit beider Geschlechter. Denn sie ist Monogamie nur für die Frau, nicht aber für den Mann. Auch die hoch gepriesene Vaterschaft dient nicht einem ideellen und sozialen Ausgleich der Geschlechter, sondern dazu, männliche Erben zu erhalten, denen der Mann seinen Privatbesitz vermachen kann. – Diese Gedanken von Engels räumen gründlich auf mit Morgans Vorurteilen. Er macht deutlich, wie fragwürdig der »Fortschritt« der Einzelehe ist, die geschichtlich durch Zwang zustande kam. Denn dahinter lauert moralisches und seelisches Chaos, das sich negativ auf die gesellschaftliche Situation insgesamt ausgewirkt hat und noch auswirkt.

Wir wenden uns der zweiten Frage zu, der nach dem Ursprung des Privateigentums in den Händen von Männern. Hier fällt bei Engels Erklärung auf, dass diese einschneidende Umwälzung offenbar sanft und stetig in die Welt kam, ohne größere dramatische Einbrüche in der Geschichte. Treibender Motor der Entwicklung ist nach ihm allein die zunehmende Arbeitsteilung und damit die Zunahme der Produktivkräfte. Das ist gewiss etwas Gutes, aber in wessen Hände der Gewinn der Zunahme der Produktivkräfte fließt, ist dann nichts Gutes. Deshalb kommt es laut Engels zur Entfaltung der sozialen Widersprüche in der Gesellschaft mit ihren verschiedenen Klassen von Reichen und Armen und den daraus folgenden auseinanderstrebenden Kräften.

Da Engels den unvereinbaren Gegensatz von matriarchaler und patriarchaler Gesellschaftsform nicht zu Ende denkt, bleiben mehrere Unklarheiten in seinen Gedankengängen bestehen: So bedeutet Gemeinschaftseigentum nicht, dass die Arbeitsteilung in einer solchen Gesellschaft gering sein muss. Beispielsweise zeigen matriarchale Stadtkulturen eine hohe Arbeitsteilung und entwickelte Produktivkräfte, aber noch keinen Privatbesitz in den Händen einzelner Männer. Höhere Arbeitsteilung erzeugt nicht automatisch Hierarchie als die verschiedenen Klassen von Reichen und Armen. Das ist ein erster Fehlschluss im Gedankengang von Engels, weshalb er mit seiner ebenfalls zu einfachen evolutionistischen Stufentheorie den matriarchalen Gesellschaften nicht gerecht werden kann. Für ihn verbleiben sie auf der Stufe der guten, »kommunistischen«, aber doch leider »primitiven« matrilinearen Stammesgesellschaften stehen.

Engels formuliert es weit zutreffender, wenn er sagt, dass es das Privateigentum von Produktionsmitteln in den Händen Einzelner ist, die den Gewinn daraus für sich abschöpfen, was die Veränderungen in der Geschichte ausmacht. Diese Einzelnen sind, geschichtlich gesehen, immer Männer, so dass die marxistische Definition der Klassengesellschaft nur auf entwickelte patriarchale Gesellschaften – für die sie auch formuliert wurde – zutrifft.

Wenn wir näher hinschauen, sehen wir nämlich, womit der Privatbesitz an Produktionsmitteln in den Händen einzelner Männer zu tun hat. Sie verwenden das Privateigentum als Herrschaftsinstrument. Das erkennen die Theoretiker Marx und Engels sehr genau. Aber die Tatsache geht bei ihnen unter, dass Privateigentum als Herrschaftsinstrument erst dann eingeführt werden kann, wenn zuvor Herrschaft etabliert worden ist. Das geschah, wie wir wissen, in bestimmten historischen Situationen, wenn matriarchale Gesellschaften blutig erobert, unterworfen und von einer fremden Herrenschicht überlagert wurden. Diese Perspektive ist nicht mehr mit einer Evolutionstheorie zu vereinbaren, bei der sich das Privateigentum problemlos durch irgendwelche immanenten Mechanismen stufenweise gebildet haben soll. Es geht nämlich um die Suche nach einer Erklärung für die Entstehung von Gewalt, insbesondere von Herrschaft als organisierter Gewalt.

Aber die marxistische Charakteristik des Staates ist dafür umso treffender, der als eine Not der Klassengesellschaft beschrieben wird, um die unlösbaren ökonomischen Widersprüche in ihrem Inneren nicht zum gewalttätigen Ausbruch kommen zu lassen. Um das zu verhindern braucht es Gesetze und Strafen, Steuern und Staatsbeamte, Polizei und Gefängnis, eben die strukturelle Gewalt. Diese Zwangsmaßnahmen kennzeichnen patriarchale Staatsbildung, und eine andere Staatsbildung gibt es nicht. Doch Engels geht davon aus, als sei dieser patriarchale Staat auf einer bestimmten Stufe der ökonomischen Entwicklung einfach notwendig gewesen, als habe die Evolution, listig und gemein wie sie sein kann, von selbst dahin geführt. Das aber ist keine Erklärung. Ferner sieht es so aus, als habe sich erst das gefährliche Privateigentum gebildet und später sei, um es zu schützen, der Staat hinzuerfunden worden. Wie aber, wenn es umgekehrt gewesen wäre? Staatliche Herrschaft, aus Eroberung hervorgegangen, kam zuerst; die Herrschenden konfiszierten dann das Gemeinschaftseigentum, um ihre neue Ordnung aus Herren und Knechten zu zementieren. –

Erst der Marxist August Bebel, der sich in seinem Buch »Die Frau und der Sozialismus« (1913) auf die Thesen von Bachofen und Engels stützt, nennt die Dinge deutlich beim Namen.13 Wenn Engels sich den Übergang vom Mutterrecht zum Vaterrecht sehr harmlos vorstellte, nur als einfache Abstimmung der Sippen, dass sie nun patriarchal sein wollen, so ist Bebel anderer Ansicht. Er verweist anhand der Amazonensagen auf den Kampf und Widerstand, den Frauen dieser neuen Ordnung entgegensetzten. Er nimmt Abschied von der unglaubwürdigen Evolution und nennt den Umbruch vom Matriarchat zum Patriarchat die erste große Revolution in der Menschheitsgeschichte. Zu Recht merkt er an, dass diese sich nicht überall gleichzeitig vollzog und dass sie auch nicht überall auf ein und dieselbe Weise vor sich ging, schon gar nicht aus einem einzigen Grund.

Wir stimmen ihm zu und sehen es noch schärfer: Sie ist nicht nur die erste, sondern die grundsätzliche Revolution in der Menschheitsgeschichte überhaupt. Der Übergang von der matriarchalen Kultur als einer auf Friedenssicherung achtenden Gesellschaftsform zum patriarchalen Staat, der auf Gewalt, Krieg, Herrschaft und Privateigentum beruht, bedeutet einen derart krassen Wechsel in der äußeren und inneren Lebensweise der Menschen, dass wir vom tiefsten und revolutionärsten Bruch sprechen müssen, den es in der Geschichte der Menschheit je gegeben hat. Bebel beantwortet auch nicht die Frage, wie es zu dieser Revolution kam, und in keiner Hinsicht wurden seine wichtigen Erkenntnisse aufgenommen. –

Neue marxistische Thesen zur Entstehung von Herrschaft hat Christian Sigrist in seiner Forschungsarbeit »Regulierte Anarchie« (1979) vorgelegt.14 Er greift die Frage nach der Entstehung von Herrschaft, die bei Engels offengeblieben ist, auf und weist eine Richtung für ihre Lösung. Er zeigt auf dem Boden seiner ethnologischen Studien, dass es noch heute Stammesgesellschaften gibt, die herrschaftsfrei leben, und zwar nicht aus simpler Naivität, sondern auf dem Boden bewusster, sozialer Regeln. Dabei wird deutlich, dass es nicht das Privateigentum ist, das die Entwicklung von Herrschaft auslöst, sondern dass umgekehrt einmal etablierte Herrschaft das Privateigentum zu ihrer Festigung benutzt.

Die Beispiele, auf die Sigrist sich stützt, sind Stammesgesellschaften aus Afrika, deren Ökonomie auf Hirtentum beruht. Sie sind zwar patrilinear, aber noch nicht patriarchal organisiert. Er stellt ihre herrschaftslose und doch wohlgeordnete Sozialstruktur dar und weist damit das weitverbreitete Vorurteil zurück, dass Gesellschaften ohne Herrschaft ins Reich der Phantasie utopischer Autoren gehören. Gleichzeitig weist er die Primitivitäts-These zurück, die dem Engelsschen Evolutionismus noch anhängt, nämlich die Vorstellung, frühe Stammesgesellschaften seien nur deswegen herrschaftslos gewesen, weil sie keine Differenzierung in allen Lebensbereichen hätten. Sigrist zeigt, dass sich eine solche Auffassung auf dem Boden der modernen Ethnologie nicht halten lässt. Denn herrschaftsfreie Stammesgesellschaften weisen eine so große Vielfalt der sozialen Beziehungen und Muster auf, dass sie jede simple »Naturwüchsigkeit« hinter sich lassen.

Nach Sigrist beruht bei ihnen Führung ohne Herrschaft auf natürlicher Autorität, das heißt, die Anführer dieser Stämme können bei ihren Wanderungen mit den Herden keine soziale Kontrolle ausüben. Sie sind in ihren Entscheidungen nicht frei, sondern können nur Rat geben und müssen alle Entscheidungen im Konsens mit der Gruppe treffen. Sie gelten nur als Sprecher des Volkes, nicht als Entscheidungsträger. Sie genießen zwar Respekt und freiwillige Anerkennung, besitzen jedoch keinen Erzwingungsstab um ihre Entscheidungen durchzusetzen. Das Fehlen dieses Erzwingungsstabes, den zum Beispiel Krieger, Polizei, kontrollierende und strafende Institutionen ausmachen, ist genau das Kriterium für Herrschaftsfreiheit.

Ihre innere Ordnung halten herrschaftsfreie Gesellschaften durch Selbststeuerung und Selbsthilfe aufrecht. Selbststeuerung ist, wenn ein Normbrecher, der die sozialen Spielregeln der Gegenseitigkeit nicht beachtet, von der Gegenseitigkeit der Gruppe ausgeschlossen wird. Da die Gruppe der einzige Schutz ist, bedeutet Ausgeschlossensein eine Gefahr fürs Überleben. Bei Selbststeuerung bleibt die Gruppe passiv, bei Selbsthilfe wird sie dagegen aktiv. Der Normbrecher, der sich der Pflicht zum Teilen entzieht, riskiert Übergriffe auf seine Person und sein Eigentum, das ihm weggenommen und unter den anderen verteilt wird. Daran wird offensichtlich, dass die Gleichheit der Mitglieder dieser Gesellschaften nicht naiv-unbewusst ist, sondern ein bewusstes Streben nach Aufrechterhaltung dieser Gleichheit. Gleichheitsbewusstsein als gesellschaftlich regulierender Faktor fehlt nämlich in der Engelsschen Analyse. Es ist jedoch der entscheidende Faktor bei sich selbst organisierenden Gesellschaften, die keine Herrschenden und keine Elite für ihre Organisation brauchen.

Dies ist umso interessanter, weil Engels seine Theorie der Bildung von Privateigentum genau auf Hirtenvölker gründet. Bei ihm scheint sich Herrschaft durch das Anwachsen von Reichtum als dem Anwachsen der Viehherde in den Händen weniger Männer automatisch von selbst zu ergeben. Daran kritisiert Sigrist, dass sich Reichtum an Vieh nicht beliebig vermehren lässt und dass er nur vorübergehend ist, weil es ständig ökonomisch ausgleichende Tendenzen zwischen allen Mitgliedern der Gesellschaft gibt. Dazu gehört die Verpflichtung zur Freigebigkeit ebenso wie das Heiratssystem, durch das Viehbesitz immer wieder geteilt wird. Auch die These von Engels, dass aus dem Privatbesitz von Herden politische Macht entstehe, ist nicht zu halten. Sich selbst organisierende Gesellschaften kennen politische Macht in diesem Sinne nicht. Außerdem ist einer, der gerade anführt, am meisten geachtet, wenn er am meisten mit den anderen teilt und am freigebigsten ist. Das kann darauf hinauslaufen, dass er nicht selten zum Ärmsten in der Gruppe wird.

Nach Sigrist entstehen erste Herrschaftsbildung und Hierarchie, wenn ein charismatischer Anführer eine treue Gefolgschaft um sich sammelt, die er als einen Erzwingungsstab gegen die anderen Mitglieder der Gesellschaft einsetzen kann. Dann kann er beginnen zu befehlen, und seine Befehle werden vom Erzwingungsstab durchgesetzt. Diese Herrschaftsbildung kann jedoch nicht aus dem normalen Leben von Stammesgesellschaften erwachsen, da hier jede Tendenz dazu verhindert und beendet wird. Sie geschieht also nicht durch innere Mechanismen, vielmehr ist es stets äußerer Druck, der dazu führt. Dieser kann verschiedene Ursachen haben, wie Druck durch Veränderungen der natürlichen Umwelt oder Druck durch die Veränderung der sozialen Umwelt, das heißt, vonseiten der Nachbargesellschaften. Solche Abläufe der Herrschaftsbildung unter sozialem Druck von außen schildert er aus der jüngsten Vergangenheit einiger afrikanischer Völker, wobei dieser Druck von den Kolonialmächten ausging. Die Formen von Herrschaft reichen dann bis zu militanten Männerbünden, die sich nach außen gegen den Feind, aber auch nach innen gegen die Menschen der eigenen Gesellschaft richten.

Diese Erkenntnisse sind äußerst interessant, aber der blinde Fleck in Sigrists Werk sind Frauen und von Frauen geprägte Gesellschaften. Von den Frauen in den patrilinearen Hirtengesellschaften, die er untersucht, ist nirgends die Rede, auch nicht, ob die Herrschaftsfreiheit sie einbezieht – was fragwürdig ist. Denn er untersucht nur die Herrschaftsfreiheit unter Männern. Damit entgeht ihm auch das weitaus interessantere Feld der Herrschaftsfreiheit in matriarchalen Gesellschaften, weil sie dort für beide Geschlechter gilt. Seine Auslassung wurde zur bewussten Missachtung, als er mit der modernen Matriarchatsforschung in Berührung kam, und damit verhält er sich genauso wie alle patriarchal geprägten Ethnologen.

Das Verdienst der marxistischen Diskussion ist zweifellos, dass hier erstmals das Problem des Patriarchats benannt wird und einige patriarchale Muster erkannt werden. Aber sie hat an dem Mangel an Wissen über matriarchale Gesellschaften und an der Geringschätzung der Matriarchatsforschung nichts geändert. Kamen Gedanken zum Matriarchat und der Begriff »Matriarchat« in der traditionellen Version dieser Diskussion wenigstens noch vor, so verschwinden sie gänzlich aus der modernen Version. In der traditionellen Version wurden sie allerdings nur zum Formulieren des eigenen marxistischen »Überbaus« benutzt. Die politische Konsequenz davon ist, dass in kommunistischen Staaten – getreu nach Engels Stufentheorie der Geschichte – matriarchale Gesellschaften zwar als existent betrachtet werden, aber man erklärt sie als »rückständig«. Das hat zur Folge, dass sie, falls sie innerhalb solcher Staaten existieren müssen, auch dort Konzepten von »Entwicklung« unterworfen werden, die ihre Kultur zerstören.15

Matriarchale Gesellschaften der Gegenwart

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