Читать книгу Alles wird gut ... - Heidi Dahlsen - Страница 11
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ОглавлениеJutta ist gemeinsam mit Jenny zur Realschule gefahren, um sie anzumelden. So hatten beide schon mal die Möglichkeit, sich umzuschauen.
Als sie zurückkommen, hören sie bereits im Treppenhaus, dass ihr Telefon klingelt. Schnell öffnet Jutta die Wohnungstür und nimmt den Hörer ab.
„Jutta Seidel“, meldet sie sich.
„Hallo, Frau Seidel. Gut, dass ich Sie erreiche. Hier ist das Steuerbüro Melzer. Sie haben sich bei uns beworben. Herr Melzer hat mich gebeten, bei Ihnen anzufragen, ob Sie morgen gegen zehn Uhr zum Vorstellungsgespräch kommen könnten.“
„Natürlich. Das kann ich einrichten.“
„Dann werde ich Herrn Melzer Ihre Zusage übermitteln“, sagt die Sekretärin förmlich.
„Ja. Vielen Dank.“
„Jenny“, sagt Jutta überglücklich. „Ich habe morgen ein Vorstellungsgespräch. Wenn das klappt, habe ich endlich einen Job.
Jenny sieht ihre Mutter mit gemischten Gefühlen an.
„Vielleicht hast du mehr Glück als ich“, sagt sie. „Muss ich wirklich morgen in diese Schule? Mir geht es heute schon nicht gut. Bitte schreib mir ausnahmsweise eine Entschuldigung.“
„Das kann ich nicht ohne richtigen Grund. Was sollen die neuen Lehrer von uns denken? Das wäre kein guter Anfang. Pass auf, morgen ist bestimmt unser Glückstag. Ich gebe mein Bestes im Steuerbüro, und du gehst in die Schule und zeigst wenigsten etwas deinen guten Willen. Ein bisschen Entgegenkommen kann ich von dir erwarten. Die Direktorin habe ich fast schon angefleht, dass sie dich nimmt, damit du nicht die restliche Zeit noch auf Omas Gymnasium musst, um dann in der Realschule wieder in eine neue Klasse zu kommen. Drücke die Daumen, dass es so vom Schulamt genehmigt wird“, sagt Jutta.
„Ich dachte, dir gehen zwischendurch die Argumente aus. Dann fiel dir doch immer noch etwas ein. Das hast du wirklich ganz gut gemacht. Aber die Daumen drücke ich mehr für deinen Job.“
„Ich sehe mir gleich die Bewerbung für Herrn Melzer an, damit ich morgen nicht zur falschen Firma fahre.“
„Das wäre lustig. Du kannst ja dann sagen: `Na, wenn ich einmal da bin, fange ich gleich an´“, sagt Jenny scherzhaft.
„Wenn es so einfach wäre“, seufzt Jutta. „Komm, wir räumen noch die Reste aus, damit die Umzugskisten endlich alle wegkommen. Ich kann sie schon nicht mehr sehen. Mit etwas Glück haben wir ab morgen nur noch wenig Zeit für solche Dinge.“
Bis zum Nachmittag ist alles geschafft. Erschöpft lassen sie sich auf die Couch fallen und sehen sich zufrieden um.
„Weißt du, Mama? Ich dachte immer, dass ich dir gleichgültig bin. So viel Zeit wie jetzt hast du dir noch nie für mich genommen. Endlich hast du mir mal zugehört und mit mir geredet“, sagt Jenny.
„Das hat mir auch nicht gefallen. Aber ich hatte mit mir selbst genug zu tun. Das Leben mit Papa und seinen Eltern war für mich nicht leicht. Manchmal dachte ich, dass ich keine Luft mehr bekomme. Und dann musste ich immer so tun, als wäre alles in bester Ordnung, denn die Vorträge wollte ich mir ersparen“, antwortet Jutta wehmütig. „Aber ab jetzt wird alles besser. Wir lassen uns von niemandem mehr reinreden und machen alles so, wie es uns gefällt.“
„Mir gefällt es aber gar nicht, dass ich morgen in die Schule soll“, startet Jenny einen erneuten Versuch.
„Du musst. Sonst gibt es Ärger. Wir wollen doch Papa keinen Grund liefern, dich hier abzuholen, weil ich mit dir überfordert bin, oder?“
„Das ist aber nur ein Mini-Argument“, sagt Jenny enttäuscht. „Ich bringe jetzt mein altes Spielzeug in den Keller, und dann hätte ich Appetit auf Kuchen mit Kakao.“
„Und ich telefoniere noch kurz mit Oma und bereite dann den Kaffee vor“, sagt Jutta.
„Wäre es nicht schön, wenn das heute nur unser Tag bleibt?“, fragt Jenny und hofft, dass ihre Mutter dann gar nicht erst auf die Idee kommt, wieder spontan die Oma einzuladen.
„Okay. Versprochen. Nur unser Tag.“
Als die Wohnungstür hinter Jenny ins Schloss fällt, greift Jutta zum Hörer.
„Schubert“, meldet sich ihre Mutter.
„Hallo, Mutti. Ich habe ein Problem. Würdest du mir morgen bitte dein Auto leihen? Ich habe ein Vorstellungsgespräch in Kirchbach. Dort fahren zu dieser Zeit weder Bahn noch Bus hin.“
„Das passt mir gar nicht. Du weißt doch, dass ich jeden Tag zum Vati fahre. Da brauche ich das Auto schon selbst. Ein Fahrrad kann ich dir geben. Das steht sowieso nur im Keller“, sagt ihre Mutter.
Jutta überlegt kurz.
„Das Fahrrad nutzt mir nichts, weil es fünfundzwanzig Kilometer bis Kirchbach sind. Ich mache dir einen Vorschlag. Am Vormittag fahre ich zu meinem Termin und Mittag hole ich dich ab. Dann können wir zusammen auf den Friedhof gehen.“
„Das wird aber auch Zeit, dass du mal mit zum Vati kommst. Ich dachte schon, du hättest ihn vergessen“, sagt ihre Mutter vorwurfsvoll.
„Ich hatte mit dem Umzug genug zu tun. Außerdem hast du selbst gesagt, es wäre so wichtig, dass ich eine Arbeit finde. Jetzt habe ich die Möglichkeit. Also, kann ich mir morgen dein Auto leihen?“
„Na gut, aber nur ausnahmsweise“, antwortet ihre Mutter wenig erfreut.
„Danke. Ich komme dann früh zu dir.“
„Na gut, bis morgen.“
Jutta geht in die Küche, um Kaffee und Kakao zu kochen. Nach einer halben Stunde ist Jenny immer noch nicht zurück.
„So lange kann es doch gar nicht dauern, ein paar Kisten in den Keller zu bringen“, denkt Jutta.
Langsam wird sie unruhig und entschließt sich, nach ihrer Tochter zu sehen.
„Jenny?“, ruft sie in den Kellergang.
Stille. Nicht ein Laut ist zu hören. Sie geht zu ihrem Keller. Der ist ordnungsgemäß abgeschlossen.
„Wo kann Jenny nur sein?“
Jutta geht nach oben und sieht durch die Glasscheibe der Hauseingangstür, dass Jenny am Container steht und sich angeregt mit einem Mädchen unterhält. Sie geht nach draußen.
„Ach, Jenny. Hier bist du. Ich habe mir Sorgen gemacht.“
„Wo sollte ich denn hin? Das ist eine Kleinstadt. Da kommt man nicht weit“, stellt Jenny lächelnd fest. „Darf ich vorstellen, das ist Stella. Sie wohnt im Nachbareingang und geht in meine Klasse. Ist das nicht super? Sie will mich morgen früh abholen.“
„Guten Tag, Frau Seidel. Ich bin vielleicht froh, dass ich nicht mehr allein zur Schule gehen muss“, sagt Stella.
„Na und ich erst“, sagt Jenny erleichtert. „Mama, darf Stella nachher zu mir kommen? Dann kann sie mir erzählen, wie es in der neuen Klasse ist und was ich alles brauche.“
„Und was ist mit unserem Nur-wir-beide-Tag?“, fragt Jutta gespielt enttäuscht.
„Den holen wir nach. Das ist doch jetzt etwas ganz anderes, oder?“
„Von mir aus kann sie gern kommen. Ich muss mich sowieso noch etwas auf den Termin morgen vorbereiten. Also bis nachher, Stella.“
„Ich komme gleich nach“, sagt Jenny.
„Das ist ja toll, dass Jenny Anschluss gefunden hat. Stella sieht nett aus. Und wenn sie Jenny noch dazu bringt, morgen freiwillig und ohne Diskussion in die Schule zu gehen, hat sie bei mir sowieso gewonnen“, denkt Jutta erleichtert.
„Was hat Oma eigentlich gesagt? Gibt sie dir das Auto?“, fragt Jenny, als sie mit ihrer Mutter am Kaffeetisch sitzt.
„Ja. Aber nur ausnahmsweise, weil sie es selber braucht.“
„Typisch“, sagt Jenny unzufrieden. „Hast du ihr schon erzählt, dass ihr meine Anwesenheit auf ihrem Gymnasium erspart bleibt? Da müsste sie doch so erleichtert sein, dass sie etwas großzügiger ist.“
„Nein. Das werde ich morgen tun.“
Als Stella kommt, verschwinden beide Mädchen in Jennys Zimmer. Jutta hört nur ab und zu Gekicher. Die Zeit bis zum Abend kann sie für sich nutzen, um zur Ruhe zu kommen und die neuen positiven Ereignisse zu genießen. Endlich nach vielen Jahren.
Am nächsten Morgen frühstücken Jutta und Jenny gemeinsam. Beide sind aufgeregt und gespannt darauf, was ihnen dieser Tag bringen wird.
Stella klingelt pünktlich. Jenny geht zu ihrer Mutter und umarmt sie fest.
„Tschüss, Mama und viel Glück.“
„Das wünsche ich dir auch. Und lass dich nicht ärgern.“
„Das schaffen die jetzt nicht mehr so leicht.“
Jutta räumt den Tisch ab und macht sich auf den Weg, um das Auto zu holen. Wohl ist ihr nicht dabei. Lieber würde sie ein Taxi nehmen, aber das wäre rausgeschmissenes Geld, das sie dringend für nützlichere Dinge braucht.
Juttas Mutter öffnet die Tür. Ihr Gesichtsausdruck lässt erkennen, dass sie nicht erfreut ist, ihrer Tochter das Auto zu borgen.
„Guten Morgen, Mutti. Das ist lieb von dir, dass du mir hilfst. Ich wüsste sonst gar nicht, wie ich nach Kirchbach kommen sollte“, sagt Jutta freundlich zur Begrüßung.
„Was soll denn das für eine Firma sein, in so einem kleinen Dorf?“, fragt ihre Mutter skeptisch.
„Das weiß ich nicht. Lass mich erst einmal hinfahren. Sowie ich zurück bin, berichte ich ausführlich. Das ist die einzige Firma, die sich bisher auf eine meiner Bewerbungen gemeldet hat. Da möchte ich den Termin schon gern wahrnehmen.“
„Hier sind die Papiere und der Schlüssel. Fahr bitte vorsichtig. Du weißt, wie Vati an dem Wagen gehangen hat. Und außerdem kannst du jetzt nicht mehr einfach das nächste Auto nehmen, so wie du es gewöhnt warst.“
Damit spielt ihre Mutter auf den einen Unfall an, der ihr passiert ist. Ein LKW hatte ihr die Vorfahrt genommen und ihren Polo zu einem Totalschaden zerquetscht. Natürlich war es einfach, bei der großen Auswahl im Autohaus, gleich am nächsten Tag ein anderes Auto zu nehmen. Dass sie mit dem Leben davongekommen ist, hatte niemanden interessiert.
„Ja, Mutti. Ich fahre ganz langsam. Ich verspreche es.“
Jutta steigt ein und rollt aus der Garage: „Tschüss und danke“, ruft sie durch das offene Fenster.
Als sie an die Hauptstraße kommt und anhält, sieht sie im Rückspiegel, dass ihre Mutter immer noch in der Einfahrt steht und ihr voller Sorge nachschaut.
„Leider gilt ihre Sorge mehr dem Auto“, denkt Jutta traurig.
Nach dem Vorstellungsgespräch holt Jutta ihre Mutter ab, um mit ihr zum Friedhof zu fahren. Zwei Blumensträuße hat sie unterwegs gekauft. Einen übergibt sie ihrer Mutter gleich bei Ankunft.
„Für dich. Du hast mir sehr geholfen.“
„Das ist doch nicht nötig. Komm erst mal rein. Hat es wenigstens geklappt?“
„Mit dem Job gibt es zwei Probleme. Herr Melzer hat in seinem Wohnhaus ein kleines Büro eingerichtet. Er hat noch nicht viele Mandanten und kann deshalb nicht viel Gehalt zahlen. Und, um in dieses abgelegene Dorf zu kommen, bräuchte ich schon ein Auto.“
„Ich habe dir bereits gesagt, dass du unseres nicht jeden Tag haben kannst. Ich brauche es selber“, erinnert ihre Mutter sie schnell.
„Ja, ich weiß. Das würde ich auch gar nicht von dir verlangen. Vielleicht meldet sich noch ein anderes Büro hier in der Nähe“, sagt Jutta und um abzulenken: „Ich soll dich von Jenny grüßen.“
„Hmm! Was wird denn nun mit der Schule?“, fragt ihre Mutter unfreundlich.
„Das ist auch geklärt. Jenny geht seit heute in die Realschule. Und, du wirst es nicht glauben, sie ist sogar ganz gern gegangen“, sagt Jutta stolz.
„Das kann ich mir nicht vorstellen, aber, na ja. Können wir jetzt los?!“
„Hätte nur noch gefehlt, dass sie sagt, der Vati würde warten“, denkt Jutta traurig. „Wie soll das nur mit ihr weitergehen? Sie kann doch nicht ewig ihre Mitmenschen so verärgern.“
Die Fahrt zum Friedhof verläuft schweigend. Jutta hat keine Lust, ihre Mutter zu unterhalten und sich dafür noch Belehrungen und Vorwürfe einzufangen.
Bevor das Schweigen jedoch unangenehm werden kann, sind sie auch schon angekommen.
Jutta bekommt von ihrer Mutter mit den Worten: „Holst du mal frisches Wasser?“, eine Vase unsanft in die Hand gedrückt.
Als sie zurückkommt, stellt sie den Blumenstrauß hinein und übergibt ihn ihrer Mutter, die einen passenden Platz dafür aussucht.
Anschließend stehen beide nebeneinander, schauen vor sich hin, und Jutta wird das erste Mal seit einem halben Jahr so richtig bewusst, dass ihr Vater nicht mehr da ist. Ihre Gedanken kreisen um die Erinnerungen, die sie an ihn hat. Kurze Zeit später bemerkt sie einen leichten Stoß an ihrem Arm und hört ihre Mutter sagen: „Wir können jetzt gehen!“
Jutta schüttelt leicht den Kopf, um wieder zu sich zu finden.
„Kommst du endlich?“, vernimmt sie die ungehaltenen Worte ihrer Mutter.
„Ja, ja.“
„Und du hast Jenny wirklich nur in der Realschule angemeldet? Wie soll sie denn einen ordentlichen Studienplatz bekommen? Mit so einer Vorbildung wird das doch nie etwas“, nörgelt ihre Mutter, während sie zum Parkplatz gehen.
„Es können doch nicht alle studieren. Vielleicht will sie nur eine Ausbildung machen. Das sollten wir einfach ihr überlassen. Es ist schon ein großer Fortschritt, wenn sie jetzt gern zur Schule geht, den Stoff gut begreift und ein besseres Zeugnis bekommt. Dann hat sie Erfolg und ist zufriedener als bisher. Das müsstest du als Lehrerin doch am besten wissen. Oder hast du immer noch diese veraltete Ansicht, wenn ein Kind nicht zum Gymnasium geht, könnten die Nachbarn glauben, es wäre zurückgeblieben?“
„Wie sprichst du eigentlich mit mir?“ fragt ihre Mutter etwas beleidigt. „Ein bisschen Respekt werde ich von dir erwarten können. Außerdem hat es uns fast das Herz gebrochen, als du nicht studiert hast. Wir haben uns jahrelang bemüht, damit aus dir was wird. Und was machst du? Trittst einfach alles mit Füßen.“
Zu Juttas Erleichterung sind sie schon an ihrem Elternhaus angekommen. Jutta steigt schnell aus und verabschiedet sich.
„Tschüss, Mutti und noch mal vielen Dank.“
„Schon gut“, wehrt diese ab.
Jutta muss nun wieder zu Fuß nach Hause gehen. Sie ist froh, ihre Mutter los zu sein und genießt den Spaziergang. Als sie am Bäcker vorbeikommt, kauft sie zwei große Stückchen Torte und hofft, zu Hause eine glückliche Tochter vorzufinden.
Sie schließt die Tür auf. Jenny kommt ihr sofort entgegen.
Sie sehen sich an und fragen gleichzeitig: „Wie war es bei dir?“, und nach einer kurzen Pause: „Du zuerst.“
Darüber müssen sie herzhaft lachen. Jenny kann sich nicht mehr zurückhalten und erzählt aufgeregt, dass die neue Schule ganz okay ist. Was heute besprochen wurde, hatte sie bereits durchgenommen. Also hat sie es sogar gewagt, sich einmal zu melden.
„So mutig warst du?“, stellt Jutta fest.
„Ja“, antwortet Jenny stolz. „Da kannst du mal sehen. Und außerdem haben wir nächste Woche Projektwoche. Ich darf bei Stella mitmachen, weil ich sie schon kenne. Irgendetwas Botanisches. Aber das ist mir egal. Hauptsache mit ihr zusammen. Was wird mit deinem Job? Kannst du bald anfangen? Hast du eine Beule in Omas Auto gefahren?“, überschlägt sie sich mit ihren Fragen.
„Um Gottes Willen, nein. Ich bin fast nur mit dreißig km/h durch die Gegend geschlichen. Nein, ganz so langsam doch nicht. Ich bräuchte unbedingt ein Auto, um täglich zur Arbeit zu kommen. Das ist zurzeit finanziell überhaupt nicht drin und schon gar nicht, wenn ich dort anfangen würde, weil Herr Melzer nicht viel Gehalt zahlt. Oma borgt mir ihr Auto nicht noch einmal. Das hat sie ja gestern schon mit Bestimmtheit festgelegt. Als ich zurückkam, hat sie gleich das Auto inspiziert. Sie hat zwar so getan, als müsste sie ganz zufällig drum herum gehen, um einzusteigen. Ihre Blicke haben sie aber verraten.“
„Da hattest du ja weniger Glück als ich“, stellt Jenny enttäuscht fest. „Stella kommt gleich. Wir wollen Hausaufgaben machen. Hast du etwas dagegen? Sie hat drei kleine Geschwister und nicht mal ein eigenes Zimmer. Da haben wir bei ihr keine Ruhe.“
„Macht nur. Es klingt toll, dass du jetzt sagst, du willst Hausaufgaben machen und nicht mehr, dass du musst.“
„Heute weiß ich auch, worum es geht. Da ist das nicht so schlimm. Aber erst rufe ich Papa an.“
Jenny nimmt das Telefon, geht in ihr Zimmer und schließt hinter sich die Tür.
Jutta ist darüber verwundert, dass Jenny Heimlichkeiten vor ihr hat. Das Läuten an der Wohnungstür lenkt sie aber ab. Als sie öffnet, wird sie von Stella freundlich begrüßt: „Hallo, Frau Seidel. Ich möchte mit Jenny lernen.“
„Komm rein. Sie ist in ihrem Zimmer und telefoniert.“
Jutta ruft: „Jenny. Stella ist da.“
„Sie soll zu mir kommen“, erhält Jutta zur Antwort.
Da Stella die Tür hinter sich schließt, kann Jutta leider immer noch nicht hören, worüber Jenny mit Rüdiger spricht.
Wehmütig denkt sie, dass jetzt die Zeit gekommen ist, dass sie von ihrer Tochter nicht mehr alles erfährt. Es fällt ihr aber ein, dass sie bisher auch nicht viel von ihr wusste. Das schlechte Gewissen lässt Tränen in ihr aufsteigen. Wenn man nur vorher wüsste, wie alles richtig ist .....
„Hinterher musst du auch nicht heulen. Mach es ab sofort besser!“, murmelt sie vor sich hin und zuckt zusammen, als Jenny sie von hinten antippt und das Telefon in die Hand drückt: „Hier, Papa will noch kurz mit dir sprechen.“
„Hallo, Rüdiger.“
„Ich wollte eigentlich, dass Jenny am Wochenende zu uns kommt“, poltert er gleich los. „Aber ihr habt ja angeblich schon was vor. Denke nicht, dass du das jetzt immer so machen kannst. Nächstes Wochenende hat sie hier zu erscheinen! Ich habe auch Rechte. Und wenn du von mir was willst, musst du sie nicht vorschicken. Das kannst du mir auch selbst sagen.“
„Wie meinst du das?“, fragt Jutta irritiert.
„Tu nicht so scheinheilig. Das weißt du ganz genau.“
„Nein, weiß ich nicht“, sagt Jutta und bemerkt, dass Rüdiger bereits aufgelegt hat.
Ratlos bleibt sie zurück.
Sie geht in die Küche und teilt die zwei Stück Torte gerecht in drei Teile. Den Mädchen bringt sie je einen Teller und Kakao. Sie klopft und wartet auf ein Zeichen, dass sie eintreten kann. Das Geschirr stellt sie auf den Tisch und sagt: „Hier, damit ihr bei Kräften bleibt.“
Stella strahlt. „Mhmmm, lecker. Danke, Frau Seidel.“
Jenny sieht ihre Mutter nicht an und sagt nur: „Danke. Das ist lieb von dir.“
Nachdenklich schließt Jutta die Tür hinter sich.