Читать книгу Alles wird gut ... - Heidi Dahlsen - Страница 15
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ОглавлениеAm frühen Abend klingelt es Sturm bei Jutta.
Jenny läuft zum Fenster, schaut hinaus und ruft ganz aufgeregt: „Mama, komm schnell und sieh dir das an. Eine große Überraschung für dich.“
Jutta geht erst einmal zur Tür und öffnet diese. Ein Mann im Arbeitsanzug steht ihr gegenüber. Er grüßt freundlich und fragt: „Guten Tag. Sind Sie Jutta Seidel?“
„Ja.“
Er hält ihr eine Mappe und Schlüssel entgegen.
„Das soll ich für Sie abgeben. Unterschreiben Sie bitte hier unten“, sagt er und zeigt auf einen Lieferschein.
„Aber ich weiß doch gar nicht, wofür ich unterschreiben soll“, antwortet Jutta verunsichert und zögert.
Der Mann wird etwas unruhig. „Hören Sie, ich habe es eilig. Ich würde ganz bestimmt kein Theater machen, wenn mir jemand so ein tolles Ding nach Hause liefert.“
„Ich habe kein tolles Ding bestellt“, sagt Jutta.
Jenny zwinkert vergnügt, schiebt ihre Mutter zur Treppe und sagt: „Na, dann komm und sieh dir dein tolles Ding an.“
Sie läuft schnell nach unten. Als sie die Haustür öffnet, verbeugt sie sich, lässt ihren Arm in Richtung Parkplatz schwingen und sagt: „Tatarataaa..... Na, ist diese Überraschung gelungen?“
Sie zeigt auf einen knallroten Golf, der in der Sonne blitzt.
Jutta ist sprachlos. Als sie wieder fähig ist, ihre Stimme zu benutzen, fragt sie entsetzt: „Jenny? Hast du das Auto bestellt? Das kann ich doch gar nicht bezahlen.“
„Bekomme ich jetzt endlich eine Unterschrift?“, fragt der Mann ungeduldig. „Einer verstehe die Frauen. Wenn mir jemand so ein Auto hinstellen würde, hätte ich kein Problem zu unterschreiben.“
Jutta sieht Jenny immer noch verdattert an.
„Unterschreib schon“, drängt Jenny. „Ich erkläre dir gleich alles. Der junge Mann muss weiter.“
Jutta setzt ihren Namen zittrig auf den Lieferschein.
„Na, geht doch. Schönen Tag und gute Fahrt noch.“
Er tippt an seine Mütze, schwingt sich in den Schwerlasttransporter und donnert ab – nicht, ohne noch einmal zu hupen.
Jutta ist total von den Socken.
„Komm, wir gehen hoch. Beruhige dich doch. Es ist wirklich alles in Ordnung“, sagt Jenny.
Sie führt ihre Mutter, die immer noch ganz blass ist, ins Wohnzimmer und schiebt sie in einen Sessel.
„Ich glaube, dass ich dir etwas erklären muss“, sagt Jenny.
„Das glaube ich auch. Dann fang mal mit deiner Beichte an. Mir schwant nichts Gutes.“
„Hör mir aber bitte bis zum Schluss zu. Angefangen hat eigentlich alles, zwei Tage nachdem du ausgezogen warst. Papa kam mit einer Frau an und sagte mir, dass die jetzt seine neue Freundin ist und bei uns einzieht. Das hat mich umgehauen. Cynthia ist alles andere als bescheiden. Die rannte durch das ganze Haus und legte gleich los. Papa kam gar nicht hinterher, ihre Änderungswünsche aufzuschreiben. Das habe ich mir nicht lange angesehen und bin zu Oma und Opa gegangen. Ich dachte, dass diese Neuigkeit die auch erschüttern würde. Aber nein. Da sagen die doch ganz ruhig zu mir: `Aber Jennylein. Was soll dein Papa denn machen, wo deine Mutter ihn so Hals über Kopf verlassen hat? Wie kann sie nur so ein schönes Heim und einen liebevollen Ehemann im Stich lassen?´ Meine Nerven lagen blank, und ich hoffte, bei Nicole Verständnis zu finden. Ihre Eltern haben sich doch schon vor zwei Jahren scheiden lassen. Ich heulte mich bei ihr aus und sie sagte nur: `Warum soll es dir besser gehen als mir?´ Jahrelang habe ich mir tagtäglich ihren Frust angehört. Und dann das. Dazu kam noch, dass ich in der Schule erfahren habe, dass ich nicht versetzt werde. Da wollte ich dort nur noch weg.“
Jenny holt tief Luft.
Jutta stammelt: „Das ist doch furchtbar. Das wusste ich nicht. Ich hätte dich doch niemals allein zu Hause gelassen, wenn .....“
Jenny winkt ab und erzählt weiter: „Ich habe nur noch rumgeschrien und geheult und Papa gebeten, mich zu dir zu bringen. Der wollte natürlich nicht. Er hatte nur die eine Sorge, dass du feststellst, dass er mit mir nicht klarkommt. Du könntest ja merken, dass er mich nicht im Griff hat. Zum Glück war Cynthia so genervt von mir, dass die Papa angeschrien hat, er soll mich endlich aus dem Haus schaffen. Mit so einer hysterischen Göre will sie nicht unter einem Dach leben. Da hat Papa ganz schnell nachgegeben. Das konnte ich dir aber nicht eher erzählen, weil du nicht traurig sein solltest, dass er so schnell Ersatz für dich angeschleppt hat. Und dann fiel mir eine Strafe für ihn ein. Er nervt dich doch immer, dass du dir so schnell wie möglich eine Arbeit suchen sollst, damit er dich nicht mehr unterstützen muss. Das war auch ein Hauptthema zu Hause. Oma jammerte immerzu rum: `Der arme Rüdiger wird sicher viel zahlen müssen. Die wäre ja dumm, sich einen Job zu suchen. Wo sie doch das Geld auch so einstreichen kann´.
Als du nun erzählt hast, dass du einen Job bekommen könntest, aber dazu ein Auto brauchst, habe ich ihn gleich angerufen.“
„Ach, das war das heimliche Gespräch?“, fragt Jutta dazwischen.
„Ja. Es sollte doch eine Überraschung für dich werden. Außerdem wusste ich nicht, wie Papa reagiert und ob ich ihn überzeugen kann. Ich habe ihm erzählt, dass du zum Vorstellungsgespräch warst, aber den Job nicht annehmen kannst, weil du keine Möglichkeit hast, in das Dorf zu kommen. Er meinte natürlich, dass das nicht sein Problem wäre. Dann habe ich aber gesagt, er soll doch mal nachdenken. Wenn du arbeiten gehst, bekommst du dein eigenes Geld, und er muss dir keins mehr geben. Wenn du den Job aber nicht machst, bleibt ihm ja nichts weiter übrig, als dich zu unterstützen. Er soll mal aufrechnen, ob es nicht preiswerter wäre, dir eins der Autos zur Verfügung zu stellen, die bei ihm sowieso nur rumstehen. Dann könntest du ab sofort arbeiten gehen und er spart. Das muss er irgendwie begriffen haben. Erst fragte er mich, ob ich unter die Scheidungsexperten gegangen wäre. Dann hat er gedacht, du hättest mich aufgehetzt, aber ich habe ihm erzählt, dass ich das Theater bei Nicoles Eltern mitbekommen habe. Bei denen ging es auch nur ums Geld. Da hat er nichts mehr gesagt.“
„Deshalb war Papa wütend auf mich und meinte, dass ich dich nicht vorschicken muss, wenn ich etwas will. Ich wusste gar nicht, was er meint“, unterbricht Jutta ihre Tochter. „Mensch, Jenny. Bist du verrückt? Was sollen die denn von mir denken?“
„Gar nichts. Ich habe Papa nur gesagt, dass ich es unfair finde, dass Cynthia alles neu bekommt. Ich glaube nämlich nicht mehr an den Klapperstorch und wundere mich, wieso sie bereits schwanger ist. Bei der Zeugung waren wir ja noch eine glückliche Familie. Schon war er still“, erschrocken schlägt sie sich die Hand auf den Mund und sieht ihre Mutter mit großen Augen an.
„Das wollte ich nicht sagen. Bist du mir jetzt böse?“, flüstert sie.
„Papa hat also eine Freundin, die schwanger ist“, stammelt Jutta. Als diese Neuigkeit langsam bei ihr angekommen ist, sieht sie ihre Tochter mitleidig an.
„Warum sollte ich dir denn böse sein? Du kannst doch nichts dafür. Du hattest in den letzten Wochen eine Menge zu verkraften“, sagt sie und nimmt Jenny in den Arm. Sie hält sie fest und will sie trösten.
Jenny ist aber gerade so schön in Fahrt, ihrem ganzen Ärger Luft zu machen. Sie befreit sich aus der Umarmung und erzählt weiter: „Bevor Papa uns jedoch eine Schrottmühle andreht, habe ich ihn noch schnell gewarnt, dass er, wenn er ein Auto aussucht, auch daran denken soll, dass ich darin mitfahren muss. Ich möchte nicht ständig am Straßenrand lachende Menschen sehen, denn das hier ist eine Kleinstadt. Da kennt fast jeder jeden.“
„Jenny, das halte ich nicht aus. Du bist ja raffiniert. Mach das bitte nie wieder, sonst bekomme ich einen Herzanfall.“
„Das muss ich gar nicht so schnell noch einmal tun. Ein Auto wird ja reichen.“
Jutta greift zum Telefon.
„Jetzt muss ich mich wohl bedanken.“
„Lass mich erst mal mit ihm sprechen.“
Jenny nimmt Jutta den Hörer aus der Hand.
„Hallo, Papa. Das Auto ist gerade angekommen. Da hast du dich ja nicht lumpen lassen. Musstest du Opa lange überzeugen? ..... Ich geb dir Mama ..... Ja, versprochen ich komme übernächstes Wochenende. Grüß bitte Oma und Opa ....., von mir aus auch Cynthia. Tschühüs.“
Jutta sammelt sich und holt tief Luft.
„Rüdiger. Das wollte ich nicht.“
Jenny runzelt die Stirn, knufft ihre Mutter in die Seite und schüttelt den Kopf.
„Deine Tochter hat ganze Überzeugungsarbeit geleistet. Von wem sie das wohl hat?“, wettert Rüdiger ungehalten.
„Sicher von dir“, gibt Jutta die passende Antwort. „Meine Mutter sagt ja immer, man soll auf die Erbanlagen achten.“
„Und Jenny ist wirklich in der Realschule glücklich?“, lenkt er ein.
„Ja. Lass sie doch etwas zur Ruhe kommen. Wir haben es ihr in der letzten Zeit nicht gerade leicht gemacht. Du wirst sehen, dass noch etwas aus ihr wird. Sie hat gezeigt, welch großes Verhandlungsgeschick in ihr steckt. Und das jetzt schon. Sicher wird sie eine erfolgreiche Geschäftsfrau und bringt dann euer Autohaus in Schwung.“
„Das läuft ganz gut“, wirft Rüdiger schnell ein und wechselt das Thema. „Anmelden musst du den Wagen selber. Das wirst du ja hinbekommen. Dass ich dir den Golf überlasse, ist eine einmalige Sache. Also pass auf die LKWs auf“, kann er es sich nicht verkneifen, sie zu erinnern.
„Ich gebe mir Mühe“, sagt Jutta.
„Und dass mit Jennys nächstem Besuch nicht wieder etwas dazwischenkommt. Wir verlassen uns darauf.“
„Ja, ich bringe sie pünktlich zum Bahnhof. Das ist jetzt kein Problem mehr.“
„Tschüss“, sagt Rüdiger und legt einfach auf, ohne ihre Antwort abzuwarten.
Jutta sitzt immer noch wie betäubt im Sessel.
„Mama, nun komm schon. Lass uns das Wägelchen in Augenschein nehmen und eine Probefahrt machen. Oma wird staunen.“
„Meine liebe Tochter, ich bin heute nicht mehr fähig, Auto zu fahren. Außerdem geht das nicht so schnell mit der Zulassung und der Versicherung“, stellt Jutta fest.
Sie gehen beide nach unten, schließen das Auto auf und setzen sich hinein.
„Da hat Papa sich wirklich nicht lumpen lassen“, sagt Jenny hocherfreut.
„Vielleicht drückt ihn auch nur etwas das Gewissen. Er kann sich ja denken, dass ich irgendwann erfahre, dass seine Freundin ein Baby von ihm erwartet. Und rechnen kann ich auch.“
„Ist ja egal. Hauptsache wir sind jetzt mobil“, sagt Jenny und drückt auf die Hupe.
„Aber, wenn Papa rausbekommt, dass ich hier gleich um die Ecke arbeite. Meinst du nicht, dass er sich belogen und ausgenutzt fühlt?“, fragt Jutta.
„Von wem sollte er das denn erfahren? Ich halte dicht und stelle mich dumm. In ein paar Monaten fragt sicher niemand mehr danach. Cynthia will so schnell wie möglich Papa heiraten. Opa hofft auf seinen Erben. Ich glaube, die interessiert es nicht, wo du arbeitest.“
„Hoffentlich hast du Recht. Lass uns wieder hochgehen. Ich muss dienstlich noch dringend etwas erledigen.“
Am Abend nimmt Jutta den Speicherstick aus der Tasche, steckt ihn in den Computer und startet das Programm.
Sie kann immer noch nicht glauben, was sie gefunden hat.
„Tom muss verrückt sein, das Büro in den Ruin zu treiben. Er hat doch alles selbst mit aufgebaut“, denkt sie.
Sie druckt jede Datei aus und sieht sich an, was Tom in den letzten Monaten gemacht hat.
Für eine Sportkarriere sind das alles gute Ideen, aber die Umsetzung dieses Projektes passt absolut nicht in eine Werbeagentur. Er hätte Olli wenigstens von seinem Vorhaben in Kenntnis setzen und ihn mit einbeziehen müssen.
Verständnislos schüttelt sie den Kopf.
Nach zwei Stunden schaltet sie den Computer aus und geht ins Bett.
Sie träumt von einem Mann ohne Gesicht. Er verfolgt und bedroht sie. Sie fühlt sich jedoch gar nicht ängstlich. Sie schaut sich um und entdeckt Markus ganz in ihrer Nähe. Er lächelt sie an. Sie ist wie hypnotisiert von ihm.
„Da erwartet mich ja heute sicher einiges“, wird ihr bewusst, als sie erwacht. „Irgendwie muss ich mich vor dem Tom schützen und den Blicken meines Kollegen Markus ausweichen. Wenn ich beide einfach nicht ansehe und ignoriere, schaffe ich das schon“, ist sie zuversichtlich.
Als Jutta am nächsten Morgen vor dem Bürohaus eintrifft, sieht sie, dass Markus auch gerade vorfährt. Er winkt ihr zu.
„Wenn ich jemanden nicht treffen will, steht er garantiert an der nächsten Ecke. Beachte ihn einfach nicht!“, sagt sie in Gedanken streng zu sich.
Markus kommt mit schnellen Schritten auf sie zu und begrüßt sie freundlich. „Guten Morgen, schöne Frau.“
„Guten Morgen, Herr Siebert“, sagt sie förmlich.
„Dann wollen wir mal unser Tagwerk beginnen“, sagt er und hält ihr die Eingangstür auf.
Frau Wiehmer kommt um den Empfangstresen und sagt freudestrahlend: „Guten Morgen, Frau Seidel.“
„Ihnen auch einen guten Morgen.“
Jutta geht in Toms Büro und schließt schnell die Tür hinter sich.
Ihr Herz klopft bis zum Hals.
„Hoffentlich gibt sich das bald, sonst kann ich hier keinen klaren Gedanken mehr fassen“, denkt sie.
Sie setzt sich an den Schreibtisch, startet den Computer. In diesem Moment geht die Tür auf. Ihr Herzschlag beschleunigt sich, sie sieht auf und denkt: „Gott sei Dank, nur Olli.“
Laut sagt sie: „Guten Morgen, Olli. Ich muss dich unbedingt sprechen. Du wirst staunen, was ich entdeckt habe.“
„Hallo, Jutta. Schön, dass du da bist. Du hast es dir also noch nicht anders überlegt? Gut. Gestern habe ich Toms Frau im Supermarkt getroffen. Die ist .....“
Weiter kommt er nicht, denn die Tür wird aufgerissen. Ein wütender Mann stürmt herein, schiebt Olli zur Seite und brüllt: „Mit mir nicht, mein Freund! Was soll das? Wieso schnüffeln hier fremde Menschen in meinem Computer rum?“
Er zerrt Jutta aus dem Stuhl und sagt zu ihr: „Raus aus meinem Büro!“
„Halt mal!“, mischt sich Olli ein. „Das ist eine gute Freundin von mir, also keine fremde Person. Außerdem schnüffelt sie nicht, sondern erledigt deine Aufträge.“
„Das kann ich selbst“, brüllt Tom. „Macht, dass ihr raus kommt! Und Olli, das eine will ich dir sagen, wenn du noch einmal versuchst meine Frau gegen mich aufzuhetzen, dann ..... dann ..... lernst du mich kennen. Und was in meinem Computer ist, geht niemanden etwas an.“
„Tom, das ist nicht dein Büro und auch nicht dein Computer. Alles hier gehört uns gemeinsam, und wenn du nicht in der Lage bist, deine Kundenaufträge zur Zufriedenheit zu bearbeiten, dann muss das eben jemand anderes machen.“
„Ich habe dir schon einmal gesagt, dass du meine Aufträge auf Grit und Markus verteilen sollst, dann ist das alles kein Problem. Du hast mich nicht um mein Einverständnis gebeten, diese Person einzustellen“, brüllt Tom.
„Sie ist noch gar nicht eingestellt. Außerdem versuche ich, dich seit einer Woche zu erreichen. Wenn du dich verleugnen lässt und keiner weiß, wo du bist, kann ich dich nicht fragen“, antwortet Olli ungehalten.
„Das geht dich gar nichts an. Und jetzt raus hier!“
Er zeigt zur Tür.
Jutta nimmt ihre Tasche und geht an Tom vorbei.
Er sieht sie wütend an und sagt: „Ich werde Sie verklagen! Das hat ein Nachspiel!“
Olli verlässt mit Jutta das Büro, denn er ist jetzt nicht in der Lage, weiter mit Tom zu streiten. Er wundert sich, wie sehr Tom sich in so kurzer Zeit verändert hat.
Auf dem Weg in sein Büro sagt er zu Jutta entschuldigend: „Es tut mir leid, dass du zwischen die Fronten geraten bist.“
„Der ist ja ein Choleriker“, stellt Jutta fest. „Ich dachte, dass joggen gesund für Körper und Geist ist. Da muss ich mich geirrt haben. Olli, du musst wirklich zusehen, dass du den bald los wirst. Der ruiniert das Geschäft. Es ist vielleicht besser, wenn ich schleunigst aus der Schusslinie verschwinde. Rufe mich an sowie hier wieder Frieden eingekehrt ist. Oder kann ich etwas anderes tun? Wir müssen heute noch dringend miteinander reden.“ Ihr fällt wieder ein, dass sie Olli unbedingt über ihren Fund informieren muss.
„Bleib einfach hier. Markus kann dir in der Zwischenzeit zeigen, woran er arbeitet.“
„Ich würde mich lieber erst einmal von Grit einarbeiten lassen“, sagt Jutta hoffnungsvoll, denn sie kann die Nähe von Markus nicht ertragen.
„Ach, komm schon. Der Auftrag ist interessant. Das wird dir gefallen“, antwortet Olli.
„Es wird mir nichts anderes übrig bleiben. Jutta, denk dran – an ihm vorbeischauen“, erinnert sie sich an ihren Vorsatz, fängt jedoch sofort an zu zittern.
Markus strahlt ihr entgegen. Er holt ihr einen Stuhl, damit sie sich setzen und gut auf den Bildschirm sehen kann. Jutta rutscht hin und her und kann sich überhaupt nicht konzentrieren.
„Keine Angst“, sagt Markus, der ihre Unruhe auf den Vorfall mit Tom schiebt. „Er bleibt nicht lange und kommt auch nicht so schnell wieder. Das können Sie mir glauben.“
Jutta holt tief Luft und ist froh, dass Markus sie noch nicht durchschaut hat.
„Lange halte ich es neben ihm nicht aus. Los, Jutta! Konzentriere dich auf den Bildschirm“, denkt sie und sagt: „Dann zeigen Sie mir doch einfach, was Sie den ganzen Tag tun. Von der Werbebranche habe ich noch keine Ahnung.“
Markus erklärt ihr die einzelnen Schritte vom Auftrag über die Ausführung bis zum Druck. Gespannt hört Jutta zu und bemerkt nach einer Weile, dass sie wirklich ruhiger geworden ist. Also nimmt sie sich vor, nicht nur ständig an ihm vorbeizusehen, sondern konzentriert zu arbeiten. Dann wird die Zusammenarbeit schon klappen – hofft sie.
„Haben Sie noch Fragen?“, hört sie Markus neben sich.
Spontan dreht sie sich zu ihm um, sieht ihm natürlich direkt in die Augen („Das war ein Fehler“, schreit es in ihr.) und ..... wummm, beginnt ihr Herz zu hämmern.
„Nein“, sagt sie schnell. „Das ist alles ziemlich interessant. Die Arbeit als Steuerberaterin dagegen ist sehr trocken. Falls Olli mich einstellen sollte, kann ich mir schon vorstellen, mich einzuarbeiten. Ein bisschen Abwechslung tut gut.“
„Das will ich meinen“, sagt Markus.
Im Vorraum hören sie eine heftige Diskussion, dann wird die Eingangstür laut zugeschlagen.
Olli kommt zu ihnen und lässt sich auf einen Stuhl fallen. „Tom ist weg“, sagt er. „Er hat Dateien in seinem Computer gelöscht. Wie soll ich das bloß seinen Kunden erklären? Da kommen Vertragsstrafen auf mich zu.“
Jutta sieht Olli mitfühlend an und sagt mit Nachdruck: „Olli, ich muss unbedingt mit dir reden. Du wirst staunen, was ich gefunden habe. Können wir in Toms Büro gehen?“
An der Tür dreht sie sich noch einmal zu Markus um und sagt: „Danke. Es war aufschlussreich.“
„Und mir war es eine große Freude“, ruft er ihr nach.
Mit weichen Knien geht Jutta hinter Olli her und setzt sich zu ihm an den Computer.
„Du, Jutta. Bevor wir miteinander reden, muss ich erst einmal dringend den Computer checken. Vielleicht ist noch etwas zu retten.“
„Ich helfe dir. Vier Augen sehen mehr als zwei“, antwortet sie und hofft, dass Olli vielleicht selbst die verräterischen Dateien von Tom findet.
Sie möchte ungern als Petze dastehen.
Olli rauft sich die Haare. „Ich möchte zu gern wissen, was Tom Geheimes zu erledigen hatte. Hier sind noch seine Aufträge, also ist nicht alles gelöscht. Sieh doch mal, die letzte Bearbeitung liegt Wochen zurück. Ich drucke erst mal alles aus und rufe dann bei den Kunden an. Jetzt müssen Grit und Markus unbedingt mit ran. Lass mich ruhig allein. Wenn ich fertig bin, kannst du weitermachen. So schnell kommt Tom ganz bestimmt nicht zurück.“
„Ich würde mich lieber erst einmal in die Buchhaltung einarbeiten und diese auf den aktuellen Stand bringen. Frau Wiehmer hat alle Unterlagen, sagtest du?! Die lasse ich mir geben. Wenn ich genaue Zahlen habe, informiere ich dich, wie es um die Agentur steht.“
„Danke, Jutta. Dich schickt der Himmel.“
Olli hämmert hilflos auf der Tastatur rum. Jutta steht in der offenen Tür und sieht ihn an.
„Olli, ich habe gestern eine Straftat begangen“, sagt sie.
Er schaut erschrocken hoch und sagt dann ungläubig: „Du doch nicht.“
„Doch, habe ich.“ Sie sieht ihn schuldbewusst an.
„Hast du eine Bank überfallen, und ich soll dir ein Alibi liefern?“, fragt er.
Jutta schüttelt den Kopf und sagt: „Nein.“
„Das hätte mich auch gewundert. Raus mit der Sprache. Vielleicht kann ich dir helfen.“
„Hier hast du meinen Speicherstick. Darauf sind alle Dateien, die Tom gelöscht hat. Ich wusste gestern nicht so recht, wie ich mich verhalten soll. Also habe ich erst einmal alles gesichert. Es weiß niemand etwas davon.“
Olli klappt der Kiefer nach unten. Er starrt Jutta an.
„Das glaube ich jetzt nicht“, flüstert er nach einer Weile und seine Miene hellt sich auf. „Das ist die Rettung. Danke, danke, danke. Du bist super.“
„Ich finde, dass es eine Schweinerei ist, was Tom hinter deinem Rücken und auf deine Kosten getan hat. So kann ja die Agentur nur den Bach runtergehen. Hoffentlich kann dein Anwalt mit den von mir gesicherten Daten etwas anfangen“, sagt Jutta. „Ich lass euch jetzt allein – den Computer und dich.“
Sie verlässt Toms Büro, um sich der Buchhaltung zu widmen.
In der Agentur sind Ollis entsetzte Ausrufe zu hören: „Das gibt’s doch nicht ..... Das glaube ich jetzt nicht ..... Das kann gar nicht sein ..... Markus, komm bitte mal her und sieh dir das an.“
Jutta lächelt Frau Wiehmer an und ist erleichtert, die Beichte bei Olli abgelegt zu haben.