Читать книгу Alles wird gut ... - Heidi Dahlsen - Страница 13
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ОглавлениеWie abgesprochen treffen alle drei jungen Frauen zur gleichen Zeit vor dem Grundstück der Familie Wagner/von Schönbeck ein. Noch bevor Christine klingeln kann, ist Olli zur Stelle und reißt die Tür auf, als hätte er seine Freundinnen dringend erwartet.
Er begrüßt sie mit den Worten: „Endlich seid ihr da. Kommt rein“, und flüstert: „Leider konnte ich meine Schwiegereltern noch nicht dazu bringen aufzubrechen. Also macht euch auf etwas gefasst.“
Sie kennen Karl-Otto von Schönbeck schon lange und erahnen, was auf sie zukommt.
Olli nimmt ihnen die Jacken ab und geht voran in den Salon. Lydia fühlt sich immer unwohl hier, denn der Eingangsbereich der Schönbeckschen Villa hat ungefähr die Fläche ihrer ganzen Wohnung. Nicht, dass sie Angst hätte, sich zu verlaufen. Aber die Größe ist schon ziemlich beeindruckend.
Sybille kommt ihnen entgegen und begrüßt sie kühl. Nur mit Widerwillen hat sie akzeptiert, dass Olli die Freundschaft zu seinen Schulfreundinnen aufrechterhalten hat. Ihr blieb ja nichts anderes übrig.
Sybilles Eltern sitzen steif auf ihren Stühlen und nicken kurz. Karl-Otto macht kein Hehl daraus, dass die drei jungen Frauen unerwünscht sind und signalisiert mit einem Wink, dass sie gefälligst etwas Abstand zu halten haben. Diesen Wunsch erfüllen ihm alle nur zu gern.
Christine ergreift als erste die Gelegenheit, umarmt Olli und sagt: „Meinen herzlichsten Glückwunsch, alles Gute und bleib wie du bist.“
„Hoffentlich nicht“, brummt sein Schwiegervater.
„Olli, ich gratuliere dir und wünsche, dass bald bessere Zeiten anbrechen“, sagt Jutta.
Lydia ergänzt: „Alles Gute und starke Nerven für das nächste Jahr.“
Seit dem letzten Treffen bei Christine wissen sie, dass es in seiner Agentur nicht so läuft, wie es sollte. Die verunsicherten Blicke der alten von Schönbecks lassen erkennen, dass es noch niemand gewagt hat, sie davon in Kenntnis zu setzen.
Die jungen Frauen nehmen Platz – natürlich in angemessener Entfernung zu Sybilles Eltern.
Um die Situation etwas zu entspannen, sagt Sybille: „Richard wird uns gleich ein kleines Klavierstück vortragen. Sein Opa wartet doch schon so gespannt.“
Richard und Bertram kommen in Schlafanzügen angestürmt, laufen mit Jubelschreien zu Christine, fallen ihr um den Hals und gehen anschließend zu Lydia, um auch sie ganz lieb zu begrüßen.
Karl-Otto sieht seine Tochter entsetzt an.
„Sybille! Können deine Söhne nicht leise und in ordentlicher Kleidung hier erscheinen?!?“
„Aber Paps. Sie sind doch noch kleine Kinder, und außerdem ist es Zeit fürs Bett.“
Richard zeigt Lydia ein Notenheft. „Schau mal, Lydia. Bis hier kann ich schon spielen.“
Bertram klettert auf ihren Schoß und himmelt sie an.
„Einfach süß die beiden“, denkt sie etwas wehmütig.
Karl-Otto von Schönbeck sitzt wie immer kerzengerade und umklammert seinen Stock. Er stampft mit dem Fuß auf und ruft Richard zu: „Fang endlich an, damit ihr ins Bett kommt und wir fahren können!“
Richard geht ganz stolz zu seinem Hocker, rückt ihn zurecht, stellt die Noten in den Ständer und setzt sich.
Eine kurze Konzentration, dabei atmet er tief durch – das muss er sich bei einem Meister abgeschaut haben – und schon drücken die kleinen Finger auf die Tasten.
Bertram sieht mit offenem Mund ganz erwartungsvoll auf seinen Bruder.
Natürlich können die kleinen Finger noch nicht so schnell spielen, wie sich das der Komponist vorgestellt hat.
Karl-Otto beginnt, mit seinem Stock den Takt anzugeben. Richard guckt etwas irritiert. Das stört aber seinen Großvater nicht, der immer lauter und schneller klopft. Sicher möchte er den Kleinen nur unterstützen. Mit seiner arroganten Art, geht das jedoch voll daneben.
Olli räuspert sich laut und sieht seinen Schwiegervater wütend an. Worauf Sybille ihn anstößt, dass er das zu unterlassen hat. Karl-Otto lässt sich aber nicht aus der Ruhe bringen und rammt seinen Stock weiterhin ungehalten auf das Parkett. Richard wird immer nervöser und bemüht sich um die richtigen Töne. Nach einiger Zeit runzelt er die Stirn und sieht traurig vor sich hin. Das Geklopfe hätte jeden berühmten Pianisten aus dem Takt gebracht.
Der dreijährige Bertram beobachtet diese absurde Szene, will seinem Bruder helfen und ruft dem Großvater zu: „Nich dlopfen!“
Den beeindruckt das jedoch nicht, denn er hält sich für den Herrn im Haus, und Bertram ist für ihn mit dieser Bemerkung nur ein ungezogenes Kind, dem jegliche Manieren fehlen. Den Kleinen trifft ein böser Blick. Karl-Otto lässt sich nicht aus seinem Takt bringen und klopft energischer weiter.
Richard stehen nun schon Tränen in den Augen.
Jutta, Christine und Lydia sehen sich entsetzt an.
„Hoffentlich rettet Sybille ihren Sohn bald und entschärft die Situation. Wie kann sie da nur tatenlos zusehen?“, denkt Jutta und ist entsetzt.
Bertram rutscht von Lydias Schoß und nimmt die Sache selbst in die Hand, denn sein Bruder klimpert nur noch herum und weint.
Der Dreikäsehoch baut sich vor Karl-Otto auf, stemmt die kleinen Fäuste in die Seiten und ruft laut: „Du sollst nich dlopfen!“ Und gleich noch einmal mit Nachdruck: „Du sollst nich dlohopfen!!!“
Da das nichts hilft, fasst er nach dem Stock und rüttelt daran, um ihn seinem Großvater wegzunehmen.
Karl-Otto schubst den Kleinen zur Seite und sagt zu Richard: „So ein Gestümper. Du musst noch sehr viel üben, damit überhaupt eine Melodie zu erkennen ist.“
Olli geht zu Bertram und hebt ihn hoch, damit er keinen weiteren Angriff auf Karl-Otto starten kann. Er zappelt jedoch wild mit den Beinen, sodass Olli ihn wieder auf den Boden stellt.
„Es ist besser, wenn du jetzt ins Bett gehst“, sagt Sybille zu Richard und zieht ihn mit Nachdruck vom Klavierhocker.
Er läuft zu Lydia und hängt sich an ihren Hals.
„Gute Nacht“, sagt er unter Tränen.
Sie drückt ihn und flüstert ihm ins Ohr: „Das nächste Mal komme ich alleine her und dann spielen wir zusammen und lassen uns von niemandem stören. Du kannst nämlich schon viel besser spielen als ich.“
Er wischt sich mit dem Ärmel geräuschvoll, eine feuchte Spur hinterlassend, über sein kleines Gesicht und fragt gequält: „Wirklich?“
Lydia nickt. „Ganz wirklich.“
„Kommt, Jungs. Heute bringe ich euch ins Bett“, bietet Christine an.
Bertram ergreift sogleich ihre Hand und hopst neben ihr her, und Richard läuft los, damit er den Anschluss nicht verliert.
Sybille sieht ihnen mit zusammengekniffener Miene nach.
Olli hat in der Zwischenzeit die Gläser gefüllt und will mit allen auf seinen Ehrentag anstoßen.
Karl-Otto meint zu seiner Frau: „Eigentlich trinken wir ja nur in angemessener Gesellschaft“, und sieht abwertend in die Runde.
„Lieber Schwiegervater, da haben wir ja endlich mal etwas gemeinsam“, stellt Olli fest. „Kommt Mädels. Wir gehen auf die Terrasse. Wir wollen doch dem Herrn von Schönbeck mit unserer Anwesenheit nicht den Abend verderben.“
Jutta bekommt vor Schreck große Augen und sieht Lydia, die sich ein Grinsen nicht verkneifen kann, erstaunt an. Schnell erheben sie sich und verlassen den Festsaal.
Sie hören nur noch, dass Sybille zu ihren Eltern sagt: „Mami und Paps, es ist vielleicht besser, wenn ich euch ein Taxi rufe. Es ist schon ziemlich spät.“
Karl-Otto klopft noch ein paarmal kräftig mit seinem Stock aufs Parkett und meint: „Da hast du Recht. Margarethe! Es wird Zeit, dass wir gehen. Hier ist es ja nicht auszuhalten.“
Olli, Jutta und Lydia gehen nach draußen und machen es sich unter freiem Himmel in den großen Korbstühlen bequem.
Jutta kann sich einen Kommentar nicht verkneifen und sagt: „Ich bin ja einiges gewöhnt. Aber bei euch herrscht sogar ohne Alkohol Stimmung.“
Als Christine wieder nach unten kommt, sagt sie: „Die Jungs sind im Bett. Bertram hat seinen Bruder noch aufgefordert: `Domm, Ridschi. Wir spielen Dauboy und Indianer´. So kann Richard die unangenehme Situation hoffentlich etwas vergessen. Zum Glück sind Kinder in dem Alter noch leicht abzulenken.“
Olli sieht Christine mit einem Leuchten in den Augen dankbar an.
Nachdem Sybille ihre Eltern angemessen verabschiedet hat, kommt sie auch auf die Terrasse und sagt ironisch: „Oliver, ich soll dir von meinen Eltern noch eine besonders angenehme Feier wünschen. Ich gehe nach oben, ich habe Kopfschmerzen.“
Nun kann die Party beginnen. Die drei Freundinnen können Olli endlich hochleben lassen.
Überschattet wird der Abend nur durch die neuen Geschehnisse, die Olli aus seiner Agentur berichtet.
„Mein Partner Tom hat ein tolles Hobby. Es fing vor fast einem Jahr an, als er die Mittagspausen nutzte, um joggen zu gehen. Dagegen ist ja nichts einzuwenden. Seine Laufstrecke wurde aber immer länger. Er war so begeistert, dass er begann, einen Marathon nach dem anderen zu laufen. Erst hier in der Nähe, nur an den Wochenenden. In der Zwischenzeit ist er schon europaweit unterwegs, und dafür muss er oft eine ganze Woche vom Büro wegbleiben. Einen Teil seiner Kunden hat er mir aufs Auge gedrückt. Ich sitze abends lange im Büro und samstags sowieso. Sybille ist natürlich unzufrieden. Darunter leidet das ganze Familienleben. Aber was soll ich machen? Es muss doch irgendwie weitergehen.“
„Hast du ihn schon zur Rede gestellt, wie er sich das vorstellt?“, fragt Christine.
„Klar habe ich ihn um eine Aussprache gebeten. Er meinte nur, dass das wohl nicht so schlimm wäre, wenn ich ein paar seiner Aufträge bearbeite. Ich hätte schließlich kein so zeitaufwändiges Hobby und kann mich besser auf die Agentur konzentrieren. Arbeit wäre für ihn nicht das Leben. Man muss sich auch mal erholen dürfen und etwas Spaß haben. Dagegen ist nichts zu sagen. Aber wo bleibt mein Spaß und meine Erholung?“
„Vielleicht ist es besser, wenn du dich von ihm trennst“, schlägt Christine vor.
„Das habe ich mir auch schon überlegt. Das geht jedoch nicht so einfach, weil wir einen Partnervertrag haben. Vor vier Wochen habe ich einen Grafiker eingestellt, der mich unterstützt. Das ist aber keine Lösung auf Dauer, denn der muss zusätzlich bezahlt werden. Da Tom keine Leistung mehr bringt, aber trotzdem seine Anteile will, muss ich das Doppelte erwirtschaften. Da bleibt mir einfach nichts anderes übrig“, sagt Olli.
Sybille, die sich unterdessen zu ihnen gesetzt hat, ist dieses Thema sichtlich peinlich, denn berufliche Tiefschläge ist sie aus ihrer Familie nicht gewöhnt. Sie weiß noch nicht, wie sie die drohende Agenturpleite ihren Eltern erklären soll. Um dem Gespräch eine andere Richtung zu geben, fragt sie Jutta, ob sie die Scheidung schon eingereicht hat. Sybille ist es angenehmer, wenn jemand anderes über seine Tragödien berichtet.
Jutta lässt sich nicht lange bitten, denn sie ist froh, von ihren Freunden Unterstützung und so manchen guten Rat zu bekommen, ohne unangebrachte Kommentare.
„Über eine Scheidung habe ich noch gar nicht nachgedacht. Dafür hatte ich keinen klaren Kopf, denn die Ereignisse haben sich in der letzten Zeit überschlagen. Wir müssen bestimmt auch das Trennungsjahr einhalten. Kennt von euch jemand einen Anwalt, den ich damit beauftragen könnte? Vielleicht sieht der eine Möglichkeit, alles etwas zu beschleunigen. Rüdiger hat wohl eine Freundin, die gleich zwei Tage nach meinem Auszug eingezogen ist. Er liest ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Und die muss Wünsche haben, die passen niemals auf einmal in die Augen. Ihr wisst auch noch gar nicht, was mir widerfahren ist.“
Sie macht eine kurze Pause, um die Neugier bei den Zuhörern zu steigern. „Rüdigers Neue ist ja sooo großzügig. Ihr habe ich nämlich eine ganze Fuhre Möbel zu verdanken.“
„Das hört man selten, dass es die Neue mit der Exfrau gut meint. Da hast du ja richtig Glück“, wirft Lydia erstaunt ein.
„Ganz so ist es nicht. Sie soll wohl durch das Haus stolziert sein und gesagt haben, das Gerümpel wäre ihrer nicht würdig. Sie will eine komplette neue Einrichtung. Außerdem wird sie sich auf keinen Fall in das Bett legen, das von ihrer Vorgängerin noch warm ist.“
„Ich weiß nicht, ob ich das traurig oder lustig finden soll“, meint Olli.
„Eher traurig. Das klingt ja so, als wäre für die Ex das alte Zeug gerade gut genug“, sagt Christine.
„So alt ist das alles noch nicht. Rüdigers Eltern haben auch bei uns Wert darauf gelegt, dass das Haus immer aussah wie neu, damit sie vor der Verwandtschaft protzen konnten. Also ist es nicht so schlimm. Zu meiner Einzugsparty könnt ihr euch ja selbst ein Bild machen. Wenn ich mir nur nicht so große Sorgen um Jenny machen müsste, wäre mein neues Leben fast perfekt. Schon, wenn sie nur mit ihrem Vater telefoniert, ist sie bereits ganz schön durch den Wind und muss sich abreagieren. Leider trifft sie nur auf einen Prellbock – nämlich mich. Hinterher entschuldigt sie sich zwar, aber schön ist das nicht. Sie erzählt mir nicht viel. Die ganze Sache ist ihr ziemlich unangenehm.“
„Das ist für Jenny sicher noch schwerer als für dich“, sagt Lydia. „Du musst dich dieser Verwandtschaft nicht mehr aussetzen. Von ihr wird dort erwartet, dass sie für ihren Vater Partei ergreift und sich gegen dich stellt.“
„Ja, ich weiß“, stimmt Jutta ihr zu. „Ich spreche Jenny Mut zu. Mehr kann ich nicht tun.“
„Ich könnte es mir ohne meine Kinder gar nicht schön vorstellen. Und wenn ich mal etwas vorhabe, kommt meine Mutti und alles läuft gewohnt weiter“, sagt Christine.
„Um deine Mutti haben wir dich schon als Kinder beneidet. Zu dir konnten wir jederzeit kommen und sogar bleiben, solange wir wollten“, sagt Lydia.
„Besser gesagt – durften“, wirft Jutta ein. „Meine Mutter hat das nicht gern gesehen, wenn ich bei dir war. Es wäre doch keiner von uns freiwillig nach Hause gegangen. Man hätte ja etwas verpassen können.“
„Es ist schön, so eine Mutter zu haben. Ich bin sehr glücklich, dass ich sie habe und meine Kinder lieben ihre Oma auch sehr. Es ist gut, dass wir ständig zusammen sein können“, sagt Christine.
„Bei dem Verhältnis zu meiner Mutter, weiß ich noch nicht wo es uns hinführt“, sagt Jutta. „Ich habe immer so eine Wut, wenn ich auf sie treffe. Dass es solche Unterschiede zwischen Müttern geben muss. Wie schön wäre eine Kindheit, wenn jeder eine Frau Schumann als Mutter hätte.“
Lydia sieht Christine an und nickt.
Sybille erhebt sich so plötzlich, dass ihr Stuhl umfällt. Erschrocken hebt sie ihn wieder auf und meint: „Es ist spät geworden. Ich fange schon mal an abzuräumen.“
Worauf sie von Olli böse angefunkelt wird.
„Lass nur“, beruhigt ihn Jutta. „Wir wollten sowieso nicht lange bleiben. Und Olli, wenn ich etwas für dich tun kann, gib mir einfach Bescheid. Ich habe noch keinen Job, also Zeit, dir in der Agentur zu helfen.“
„Das wäre toll. Ich rufe dich an, wenn es so weit ist. Danke, dass ihr mich mit diesen Familienmonstern heute nicht alleine gelassen habt. Tschüss und kommt gut nach Hause“, verabschiedet er seine Freundinnen und schließt die Tür.
Er steht noch lange im Flur und überdenkt den Abend.
Sybille beschäftigt sich in der Küche und ignoriert ihn. Sie ist froh, dass alle Gäste endlich weg sind. Die Konfrontation mit ihren Eltern und dass diese Weiber, wie sie die Freundinnen ihres Mannes nennt, auch noch Zeugen des ausfallenden Verhaltens ihres Vaters geworden sind, ist sehr unangenehm für sie.
Als sie ins Schlafzimmer kommt, sagt sie zu Olli: „Du musst mir jetzt keinen Vortrag halten. Ich weiß selbst, dass mein Vater herrschsüchtig und sein Verhalten Richard gegenüber ungerecht ist. Aber was soll ich denn tun? Ich kann ihm doch nicht vor allen Gästen die Meinung sagen. Er ist mein Vater. Ihm schulde ich Respekt.“
Olli sagt nichts. Diskussionen über dieses Thema hat er sich schon lange abgewöhnt. Außerdem lässt ihm die Sorge um seine Agentur keine Ruhe. Da hat er genug Grund, sich zu ärgern. Soll doch Sybille selbst sehen, wie sie mit ihren Eltern klarkommt. Er ist ziemlich verzweifelt über seine derzeitige Situation. Privat und geschäftlich in einer Sackgasse zu stecken, ist doppelt ärgerlich.
Ein paar Tage später geht es in der Villa wieder lautstark zu, denn Christine hat Olli zum Gartenfest eingeladen.
„Auf meine Anwesenheit könnt ihr nicht hoffen“, sagt Sybille mit Nachdruck. „In eurer Vierergemeinschaft fühle ich mich nicht wohl. Das war schon immer so. Du kannst gern die Jungs mitnehmen. Ich besuche am Samstag meine Eltern. Wir wollen über unseren Sommerurlaub sprechen. Da haben wir wenigstens Ruhe.“
„Wieso sprichst du unseren Urlaub mit deinen Eltern ab?“, fragt Olli verwundert.
„Paps hat den Vorschlag gemacht, dass wir alle zusammen in Südfrankreich den Sommer verbringen. Er hat ein großes Strandhaus gemietet“, schwärmt sie.
„Das erfahre ich so ganz nebenbei?“
„Du bist doch kaum noch zu Hause. Ob ich mich nun hier allein um die Jungs kümmern muss oder im Urlaub, das macht keinen Unterschied“, sagt Sybille verärgert.
„Bin ich etwa schuld daran, dass Tom mich im Büro so im Stich lässt? Ich kann auch alles hinschmeißen und dann von früh bis abends bei dir sein. Dann verspreche ich dir, dass es ganz schnell mit dem Luxus vorbei ist. Ein bisschen mehr Verständnis für meine Situation hätte ich schon erwartet. Aber, was rede ich da? Einen Versager wie mich gab es bisher noch nicht in deiner hochwohlgeborenen Familie.“
„So ein Quatsch. Das hat damit nichts zu tun. Dann musst du Tom eben rausschmeißen. So einfach ist das.“
„Das ist eben nicht so einfach. Mein Anwalt sagt, dass er freiwillig unserer Firmenauflösung zustimmen muss. Und Tom von der Trennung zu überzeugen, ist eben nicht so einfach. Tom weiß, dass ihm jeden Monat die Hälfte vom Gewinn zusteht – egal, ob er arbeitet oder nicht. Er wäre doch dumm, darauf zu verzichten“, klärt er sie auf.
„Dann mach doch einfach keinen Gewinn mehr. Was denkst du, wie schnell Tom zustimmt. Musst du immer auf alle Rücksicht nehmen?“
„Auch für die Verluste muss ich allein geradestehen, weil Tom sich sicher nicht daran beteiligen wird. Ich weiß auch, dass er sich ins Fäustchen lacht und ich bei der ganzen Sache der Dumme bin“, sagt Olli wütend. „Außerdem verliere ich alle Kunden, wenn ich die Agentur schließe, weil die sich in der Zwischenzeit eine andere suchen würden. Die sind alle weg, wenn ich allein neu anfange. Wofür habe ich denn dann die letzten Jahre so viel gearbeitet?“
„Dafür kann ich ja nun nichts“, stellt Sybille klar. „Was soll aus unserem Urlaub werden? Willst du etwa, dass wir eine Radtour von einem Zeltplatz zum anderen machen? Mein Vater wäre entsetzt.“
„Und wenn schon. Deinem nagelneuen Fahrrad, das seit Jahren im Keller steht, würde es bestimmt gut tun mal rauszukommen. Und dir ist wieder am wichtigsten, was Paps denken könnte. Wenn du wüsstest, wie mir das zum Hals raushängt. Paps hier und Paps da. Ich kann es nicht mehr hören. Für deine Eltern war ich von Anfang an nicht gut genug und jetzt beweist es sich endlich. Der Schwiegersohn ist ein Versager.“
„Das ist nicht meine Schuld. Hätte ich mich damals bloß nicht mit dir eingelassen, wäre mir viel erspart geblieben. Das habe ich nun davon, dass ich einmal nicht auf meinen Paps gehört habe. An eurem Gartenfest musst du jedenfalls ohne mich teilnehmen. Ich habe wichtigere Dinge vor. Du weißt ja, wo du mich am Samstag findest.“
Olli geht nach oben, um sich von seinen Jungs zu verabschieden. Als er in der Tür des Kinderzimmers steht, sieht er sie traurig an. Richard und Bertram kommen zu ihm gelaufen und schmiegen sich eng an ihn. Er streicht beiden übers Haar und gibt jedem einen dicken Kuss.
Danach macht er sich fertig, um in die Agentur zu fahren. Das fällt ihm auch jeden Tag schwerer.
Als erstes will er Jutta anrufen, ob sie nicht schnellstens wenigstens die Buchhaltung übernehmen könnte. Mit ihrer Hilfe will er versuchen zu retten, was noch zu retten ist.
Als er an seinem Schreibtisch sitzt, greift er sofort zum Hörer. „Hallo, Jutta. Gut, dass ich dich erreiche.“
„Willst du mir vom geplanten Gartenfest erzählen? Das weiß ich schon von Lydia“, sagt sie.
„Nein. Ich wollte dich bitten, in mein Büro zu kommen. Falls du noch keinen lukrativen Job gefunden hast.“
„Die Angebote halten sich in Grenzen. Wenn du möchtest, kann ich gleich kommen.“
„Morgen wäre völlig ausreichend. Ich muss erst noch alles raussuchen und zusammenstellen. Wenigstens eine Frau, die mir heute nicht in den Rücken fällt und mich hängen lässt“, rutscht ihm raus.
„Alles klar. Ich bin morgen neun Uhr da. Du musst mir nur noch sagen, wo ich deine Agentur finde“, sagt Jutta.
„Bahnhofstraße 24. Das kannst du nicht verfehlen. Gleich neben dem großen Schuhgeschäft von Annegret Müllers Eltern.“
„Der Laden existiert noch? Bis dahin kann ich gut laufen und muss mir nicht einmal das alte Fahrrad meiner Mutter leihen“, stellt Jutta fest. „Danke, Olli. Mit einem Job hilfst du mir sehr.“
„Ich glaube eher, dass du mein Rettungsanker werden musst“, sagt Olli, der schon fast der Verzweiflung nahe ist. „Ich verlass mich auf dich. Mach´s gut.“
„Ja, tschüss.“