Читать книгу Alles wird gut ... - Heidi Dahlsen - Страница 7

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Jutta ist sehr zufrieden mit ihrem Neuanfang. Endlich kann sie ihre Freiheit genießen und etwas durchatmen. Das Wiedersehen mit Christine, Olli und Lydia hat ihr gut getan. Seit dem gemeinsamen Abend fühlt sie sich noch besser und ist überzeugt, dass ihr Entschluss, Rüdiger zu verlassen, genau richtig war.

Sie ist ganz in Gedanken versunken, als die Türglocke sie aufschreckt. Es klingelt Sturm. Verwundert geht sie zur Tür, denn sie erwartet keinen Besuch.

Sie staunt, dass Jenny und Rüdiger im Treppenhaus stehen.

Jenny stürmt an ihr vorbei und sagt nur wütend: „Wo ist mein Zimmer?“

Rüdiger stellt eine große Reisetasche vor Juttas Füße und sagt wütend zu ihr: „Ich bringe deine Tochter. Sie hat es bei uns nicht mehr ausgehalten. So verstockt wie sie immer ist, hat man ja keine Chance, vernünftig mit ihr zu reden.“

Jutta ist etwas verwirrt, denn es war ausgemacht, dass Jenny noch bis zum Schuljahresende bei ihrem Vater bleibt. Vorgewarnt hatte sie auch niemand, dass sie so überraschend auftaucht.

„Willst du reinkommen?“, fragt sie ihren Mann. „Du solltest mich wenigstens darüber aufklären, was geschehen ist. Wie denkt ihr euch das? Jenny muss doch zur Schule. Das ihr euch nicht einmal an Absprachen halten könnt.“

Aber Rüdiger ist schon wieder die ersten Stufen nach unten unterwegs und ruft nur zurück: „Du wirst doch mit deiner Tochter klarkommen, oder? Wer hat es denn auf dieses Theater angelegt und will die Trennung?“

Mit seinem letzten Wort klappt unten schon die Haustür zu. Jutta schließt die Wohnungstür und sucht ihre Tochter. Die hat in der Zwischenzeit jede Tür aufgerissen und ist gerade dabei, die einzelnen Räume zu inspizieren.

„Du darfst aber nicht denken, dass ich das kleinste Zimmer nehme. Da bekomme ich meine Sachen gar nicht unter. Ein bisschen Freiraum wirst du mir ja zugestehen, wenn du mich schon so plötzlich aus meinem Zuhause reißt“, sagt sie, ihrer Wut immer noch Luft verschaffend. „Hättest du nicht für uns ganz einfach eine Wohnung in Papas Nähe nehmen können? Musste es ausgerechnet dieses Kaff hier sein?“

Jutta geht zu ihr und will sie in die Arme nehmen.

Jenny dreht sich weg und sagt: „Lass das!“

So bleibt Jutta nur zu sagen: „Hallo, Jenny. Warum hast du denn nicht angerufen, dass du heute schon kommst?“

„Damit du keine Ausrede findest, mich abzuwimmeln. Weißt du eigentlich, was ich dort durchgemacht habe? Und alles nur wegen dir!“, schreit sie ihre Mutter an und wirft sich heulend aufs Sofa.

Jutta geht zu ihr und will sie trösten: „Ach, Jenny.“

Sie wird aber von ihrer Tochter weggestoßen. „Ach, Jenny. Ach, Jenny“, äfft diese ihre Mutter nach und tobt weiter: „Lass mich doch in Ruhe! Hauptsache dir geht es gut! Hast du dich schon jemals gefragt, wie ich mich fühle? Ganz bestimmt nicht, sonst wäre nämlich alles noch in Ordnung.“

Jutta steht ratlos mitten im Raum und sagt leise: „Du weißt ganz genau, dass schon lange nichts mehr in Ordnung ist. Beruhige dich erst einmal, dann können wir reden. Ich bin in der Küche.“

Sie kocht Tee, um sich selbst abzulenken und hofft, dass ihre innere Unruhe bald nachlässt.

Sie möchte zu gern wissen, warum Jenny einfach so, ohne Absprache, gekommen ist.

Typisch Rüdiger. Setzt sie einfach ab und verschwindet ohne ein Wort. Das kann er gut. Hoffentlich erzählt mir Jenny bald, was passiert ist“, denkt sie traurig.

Sie nimmt sich die nächste Kiste vor und räumt den Inhalt in den Schrank. Mitgenommen hat sie nur das Nötigste und das, was sie nicht so sehr an die letzten Jahre erinnert. Zum Glück gehört die Einbauküche zur Wohnung. Sie wüsste gar nicht, wovon sie Möbel bezahlen soll. Als erstes wird sie sich dringend um einen Job kümmern müssen. Mehrere Bewerbungen hat sie vor ein paar Tagen abgeschickt.

Nach einer halben Stunde kommt Jenny schniefend in die Küche.

Sie umarmt ihre Mutter und sagt leise: „Entschuldige.“

Jutta genießt den seltenen Augenblick, denn Jenny ist gegen Körperkontakt scheinbar allergisch. Sie lässt kaum Zärtlichkeit zu. So war sie schon immer.

„Komm, setz dich zu mir. Ich habe Tee gemacht“, sagt Jutta.

Jenny sieht sich um und stellt fest: „Das ist ja alles noch mehr als spärlich. Wie soll man sich denn hier wohl fühlen?“

„Weißt du, es kommt nicht so sehr auf die Einrichtung an oder wie viel jemand hat. Sondern, ob man mit Menschen zusammen ist, die man mag. Dann ist alles andere egal“, meint Jutta diplomatisch. „Erzählst du mir jetzt, was vorgefallen ist?“

„Nein! Darüber werde ich nicht sprechen“, sagt Jenny. Ihre Stirn zieht sich schon wieder zusammen. „Außerdem sind es nur noch acht Wochen bis zum Schuljahresende. Die werde ich doch zu Hause bleiben können. Du musst mir nur eine Entschuldigung schreiben.“

Ich glaube nicht, dass das so einfach ist“, denkt Jutta. „Aber, wie heißt es doch so schön – abwarten und Tee trinken. Dann wollen wir diesen Rat mal befolgen.“

Sie prostet ihrer Tochter zu.

„Ich gehe auf keinen Fall wieder zurück. Nicht mal zu Besuch fahre ich dort hin“, sagt Jenny mit Nachdruck.

„Deine Großeltern wirst du doch ab und zu besuchen, oder?“, fragt Jutta.

„Wenn du wüsstest, wie wütend die auf dich sind. Die haben keinen Tag versäumt, ihre Wut auf dich an mir auszulassen. Und ständig dieses Gesäusel: `Aber Jennylein, du wirst doch hier bleiben. Du kannst doch deinen Papa und uns nicht auch noch allein lassen.´ Als wäre ich denen jemals wichtig gewesen. Opa hat mir oft genug gesagt, dass ich ein Junge hätte werden sollen. Und dieses: `Aber, na ja, man muss halt nehmen was man kriegt´, konnte ich schon lange nicht mehr hören. Dabei hat er mich immer abschätzend angesehen. Denken die vielleicht, das kann ich einfach vergessen. Ich bin doch nicht blöd.“

Jutta versucht, Jenny auf andere Gedanken zu bringen.

„Trink doch erst mal deinen Tee.“

Jenny hebt die Tasse an den Mund und riecht, dann stutzt sie und trinkt. Als sie die Tasse absetzt, grinst sie ihre Mutter an.

„Draußen sind fast dreißig Grad und du machst uns Weihnachtsmischung. Wie abgefahren ist das denn?“

Jutta ist erleichtert und hofft, etwas Freundlichkeit in die Unterhaltung zu bekommen.

„Ich habe noch nichts anderes im Haus. Wir könnten nachher zusammen einkaufen gehen und du suchst dir aus, was du möchtest. Und heute Abend machen wir ein leckeres Begrüßungsessen.“

„Na gut. Aber auf keinen Fall kaufen wir Lebkuchen, passend zum Weihnachtstee“, sagt Jenny und schmunzelt.

„Wenn du willst, kannst du Oma anrufen und ihr sagen, dass du schon da bist. Oder du besuchst sie einfach, damit du dieser Leere hier entkommst.“

„Das mache ich nachher. Ach so, ich soll dir ausrichten, dass Papa am Wochenende meine Möbel und den ganzen Rest herbringt. Ich packe jetzt erst einmal meine Tasche aus.“

Jutta möchte nur zu gern wissen, was zu Hause vorgefallen ist, will aber Jenny nicht unter Druck setzen, denn sie kennt ihre Tochter. Die muss schon von sich aus darüber sprechen wollen. Trotzdem freut sie sich, dass sie nicht mehr allein ist. Morgen wird sie sich um den Schulwechsel kümmern, damit es keinen Ärger gibt. Auf einen Tag mehr oder weniger kommt es nun auch nicht mehr an. Eigentlich hätte Rüdiger das vor seiner Abfahrt zusammen mit Jenny in der Schule regeln können. Unverantwortlich von ihm, diese vorprogrammierten Probleme auf sie abzuwälzen. Zur Not wird sie eben alles auf ihn schieben.

Jenny hat unterdessen bei ihrer Oma angerufen und diese für den Nachmittag eingeladen.

„Oma kommt nachher. Sie hat aber gesagt, dass sie nicht so lange bleiben will. Ich weiß zwar nicht, was sie zu tun hat. Es ist wie ein Wunder, dass sie überhaupt kommt.“

„Sie war noch gar nicht hier. Ich bin ja gespannt, wie ihr unsere Wohnung gefällt“, meint Jutta und hat kein gutes Gefühl, denn sie kennt ihre Mutter bereits sechsunddreißig Jahre.

Jenny bietet sich an, den Tisch zu decken. Aus einer Kiste zaubert sie sogar Servietten, von denen Jutta gar nicht mehr weiß, diese eingepackt zu haben.

Sie erinnert sich dann doch: „Die hatte ich für Rüdigers vierzigsten Geburtstag besorgt. Gebraucht haben wir die nicht, denn er meinte, dass ihm so ein Firlefanz nicht auf den Tisch kommt. Ja, für seine Gesellschaft war eine abwaschbare Tischdecke ausreichend. Hauptsache die hochprozentigen Getränke wurden nicht knapp. Diese Erlebnisse werden mich wohl noch lange verfolgen“, denkt sie traurig.

Als Juttas Mutter eintrifft, kommt Jenny gleich aus ihrem Zimmer und geht freundlich auf sie zu.

„Hallo, Oma. Schön, dass du da bist. Komm, ich zeige dir unsere neue Wohnung.“

Die Oma steht da wie vom Donner gerührt, sieht ihre Enkelin entsetzt an und sagt statt einer Begrüßung: „Jenny! Wie siehst du denn aus? In diesen zerlumpten Sachen kannst du hier nicht rumlaufen, die sind dir doch alle zu groß und die Hose ist total zerschlissen. Da bringt es auch nichts, dass du einen Minirock darüber trägst. Und diese Frisur, wenn man das überhaupt so nennen kann. Dreifarbige Haare habe ich auch noch nie an einem vernünftigen Kind gesehen. Du siehst fürchterlich aus. Man könnte denken, du bist der Tierwelt entsprungen. Jutta! Ich verstehe nicht, dass du das duldest!“

Jenny ist über den Kommentar so erschüttert, dass sie ihre Oma mit weit aufgerissenen Augen anstarrt.

„Mutti, nun komm doch erst einmal rein“, sagt Jutta und versucht, die Wogen zu glätten. „Jenny hat den Tisch gedeckt. Wir können gemütlich Kaffee trinken und Eistorte essen, und nachher gibt es zur Feier des Tages Spaghetti Bolognese. Das hat Jenny sich gewünscht. Und schimpfe bitte nicht darüber, wie sie sich kleidet. Das ist heute modern.“

„Das kann ich mir nicht vorstellen. So läuft an meiner Schule kein Kind rum. Außerdem bleibe ich nicht lange. Ein Kaffee reicht, dann muss ich wieder nach Hause.“

„Nun setz dich doch erst mal“, sagt Jutta und schiebt ihre Mutter in einen Sessel.

Diese schüttelt immer noch den Kopf und fängt an zu jammern: „Dass das so kommen musste, habe ich von Anfang an gewusst und dir auch oft genug gesagt. Wie konntest du den nur heiraten? Hättest du mal lieber auf Vati und mich gehört. Aber unsere Warnungen hast du stets in den Wind geschlagen.“

„Mutti, Jenny ist da“, sagt Jutta mit einem warnenden Unterton. „Das wollen wir eigentlich etwas feiern.“

„Ja, ja. Und wie soll das mit der Schule werden? Du hast schon bisher nicht viel gelernt und gehörst nicht einmal zu den guten Schülern. Hättest du nicht erst das Schuljahr beenden können? Wann willst du das alles aufholen?“

Jenny kneift ihre Augen zusammen und bekommt einen zornigen Gesichtsausdruck. Jutta weiß jetzt wieder, warum sie vor dem Besuch ihrer Mutter ein mulmiges Gefühl in der Bauchgegend hatte.

„Mutti! Nun lass es doch endlich gut sein. Ich finde es schön, dass meine Tochter schon da ist. Wir fangen einfach neu an. Hier hast du ein Stück Eistorte.“

Sie reicht ihrer Mutter einen Teller über den Tisch.

Jenny ist der Appetit vergangen. Sie sieht wütend vor sich hin und beobachtet, wie ihr Eis langsam zerläuft. Jutta sitzt schweigend da und rührt ununterbrochen in ihrer Kaffeetasse. Das Geklapper des Löffels geht ihr selbst auf die Nerven, sodass sie ihre Tasse unsanft auf den Tisch stellt.

Ihre Mutter unterbricht das Schweigen. „Hast du schon Arbeit in Aussicht? Es ist doch wichtig, dass du dein eigenes Geld verdienst. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dein Mann lange für euch sorgen wird.“

„Ich habe schon ein paar Bewerbungen abgeschickt“, antwortet Jutta. „Sicher wird sich eine Firma melden. In Steuerbüros werden ständig Mitarbeiter gesucht. Vielleicht habe ich Glück und kann mir sogar etwas aussuchen.“

„Na, wenn du meinst. Wer kann sich heute schon eine Stelle aussuchen? Da muss man nehmen, was man bekommt“, lacht ihre Mutter höhnisch und sieht abwertend auf Jutta. Dann schaut sie sich um und sagt: „Für diese Wohnung brauchst du ja noch so allerhand. Es sieht eher aus, als hätte jemand die Flucht ergriffen, als dass jemand eingezogen ist.“

Nun reicht es Jenny. Sie funkelt ihre Oma wütend an und sagt: „Meine Möbel bringt Papa am Wochenende. Ach ja, Mama, das habe ich fast vergessen. Das Schlafzimmer sollst du auch bekommen. Ist doch super, dann musst du erst mal nichts Neues kaufen.“

„Das hat er mir gar nicht gesagt. Mal sehen, was am Wochenende dann alles zum Vorschein kommt“, schwant Jutta nichts Gutes.

Ihre Mutter verzieht das Gesicht und fängt schon wieder an zu nörgeln: „Ich möchte trotzdem wissen, wie ihr euch das mit der Schule denkt. Ich hoffe doch sehr, dass Jenny nicht an meinem Gymnasium angemeldet wird. So wie sie rumläuft, wird sie sofort zur Außenseiterin. Da traue ich mich nicht mehr hin. Und wenn meine Kollegen erfahren, wie schlecht sie in der Schule ist, das ist eine Schande für mich. Du müsstest mal erleben, was für ein nettes und intelligentes Mädchen Tilly, die Tochter von deiner Schulfreundin Christine, ist. Die hat mit ihr überhaupt keine Probleme. Da wirst du neidisch, und ich schäme mich gleich doppelt für deine Tochter.“

„Woher willst du denn so genau wissen, welchen Leistungsstand Jenny hat? Das kannst du gar nicht einschätzen“, sieht Jutta ihre Mutter böse an und ist besorgt um Jenny. Sie fühlt sich gar nicht wohl, weil sie ja weiß, dass ihre Mutter wenigstens ein bisschen Recht hat. Aber dieses Recht zu haben, steht ihr nicht zu, denn sie hat es nie für nötig gehalten, Jenny jemals eine liebevolle Großmutter zu sein. Die unfreundlichen Bemerkungen ihrer Eltern konnte sie recht gut von Jenny fernhalten und war eigentlich immer froh, so weit weg zu wohnen. Aber alles Gute ist eben niemals beisammen.

Jenny stehen die Tränen in den Augen. Jutta sieht sie mitfühlend an, schüttelt den Kopf und will ihr damit sagen: „Mach dir nichts draus.“

Aber Jenny ist schon aufgesprungen, stürmt in ihr Zimmer und knallt die Tür hinter sich zu.

„Was ist denn das für ein Benehmen? Das hättest du dir mal trauen sollen, oder ich als Kind. Tagelang hätte ich hinterher nicht sitzen können“, nörgelt ihre Mutter weiter.

„Mutter! Jetzt ist es aber genug. Wir dachten, dass du dich wenigstens etwas freust, dass wir jetzt hier sind. Aber scheinbar ist das nicht so. Und mit der Schule wird sich schon alles regeln. Außerdem bist du eine erfahrene Lehrerin und kannst deiner Enkelin sicher helfen.“

„Das wäre ja noch schöner. Was ihr versaut habt, soll ich nun wieder hinbiegen. Und das bei so einem verstörten Kind. Nein, da habe ich genug eigene Probleme.“ Und etwas leiser fügt sie hinzu: „Ich habe dir immer gesagt, achte auf die Erbanlagen. Du konntest ja nicht hören. Das Ergebnis hast du jetzt täglich vor Augen.“

„Mutter! Jetzt reicht es aber!“, ruft Jutta entsetzt.

„Das meine ich auch. Ich muss gehen“, sagt ihre Mutter, steht auf, stürmt in den Flur und dreht sich noch einmal zu Jutta um und fragt: „Verabschiedet sich dieses Kind wenigstens noch von mir?“ Sie wartet einen kurzen Augenblick. Als nichts geschieht, stellt sie fest: „Das habe ich auch nicht anders erwartet.“

Jutta kann ihre Mutter nur noch mit den Worten: „Tschüss, Mutter“, verabschieden.

Sie ist über deren Äußerungen sehr erschrocken.

Selbst die Trauer über Vatis frühen Tod gibt ihr nicht das Recht, so mit mir und Jenny umzugehen. Als Kind hatte ich nie eine Chance, gegen sie anzukommen. Aber meine Tochter werde ich vor ihr beschützen“, nimmt sie sich fest vor.

Sie braucht eine ganze Weile, um sich zu beruhigen. Deshalb räumt sie den Tisch ab und geht danach zu Jenny.

„He, Mäuschen. Oma ist gegangen. Es tut mir so leid. Einerseits sollten wir mit ihr Mitleid haben, denn sie hat es nicht leicht. Opa und sie wollten noch so viel zusammen erleben. Dass das nun nichts mehr wird, ist ihr bewusst geworden. Aber andererseits steht es ihr nicht zu, so mit dir zu sprechen. Lass ihr etwas Zeit. Sie muss dich ja auch erst einmal kennenlernen. Ihr habt euch so selten gesehen. Du weißt doch, dass der Klügere nachgeben soll. Dann zeig ihr doch, dass du die Klügere bist.

„Womit habe ich nur solche Großeltern verdient? War Oma schon immer so? Wie hast du mit der deine Kindheit überstanden?“, fragt Jenny ihre Mutter mitleidig.

„Leicht war es nicht. Mit gleich zwei Lehrern zu Hause, habe ich oft unter Strom gestanden.“

„Wie meinst du das?“, fragt Jenny entsetzt und reißt ihre Augen auf. „Haben die dich etwa mit einem Elektroschocker in Schach gehalten?“

„Nein, das sagt man nur so. Wenn jemand ständig Druck bekommt, zu lernen und sich zu benehmen, dann steht er unter Spannung, nervlich, meine ich.“

„Ach so. Ich dachte schon, die haben dich gequält. Gewundert hätte mich das nicht. Wenn man ständig aufpassen muss, alles richtig zu machen, das ist bestimmt nicht einfach.“

„Nein, ist es nicht. Deshalb bin ich etwas zu nachsichtig mit dir. Weil ich weiß, wie anstrengend es ist, immer wie ein kleiner Erwachsener auftreten zu müssen. Meine Eltern haben mich ständig beobachtet und gleich korrigiert, und für die Schule musste ich alles auswendig lernen. Sogar abends im Bett wurde ich noch abgefragt. Und wehe, ich wusste nicht alles“, erinnert sich Jutta wehmütig.

Sie empfindet wieder die Hilflosigkeit, die sie als kleines Mädchen spürte, und Angst, etwas falsch gemacht zu haben, bedrückt sie. Sie schüttelt die Gedanken ab und atmet tief durch. Jetzt muss sie sich nicht mehr von ihrer Mutter beherrschen lassen. Diese negativen Gefühle hat sie längst hinter sich.

„Ich weiß aber auch, dass es nicht ganz richtig ist, einem Kind immer alles durchgehen zu lassen“, sagt sie gespielt streng zu ihrer Tochter. „Also, fangen wir gleich mit etwas Erziehung an. Jenny, ab in die Küche. Du darfst das Abendessen vorbereiten.“ Lächelnd fügt sie hinzu: „Komm, wir machen es uns so richtig gemütlich. Wir schlagen uns den Bauch mit Spaghetti voll und dann kugeln wir uns auf die Luftmatratzen und schlafen bis morgen Mittag.“

Am nächsten Tag ruft Jutta in Jennys Schule an.

„Hallo, Herr Direktor Holm, hier ist Jutta Seidel, die Mutti von Jenny Seidel aus der Klasse 8a. Ich bin umgezogen und meine Tochter möchte bis zum Schuljahresende doch nicht bei ihrem Vater bleiben. Wäre es möglich, dass ich Jenny schriftlich abmelden kann?“

„Einen Moment bitte, ich hole nur kurz die Unterlagen ihrer Tochter“, antwortet Herr Holm.

Jutta stehen die Schweißperlen auf der Stirn. Ihr graut es immer vor Gesprächen mit den Lehrern.

„Wie ich hier sehe, ist ihre Tochter versetzungsgefährdet“, teilt ihr der Direktor ohne Vorwarnung mit.

„Oh, das wusste ich nicht“, stammelt Jutta.

Leider kann sie das nicht einfach auf Rüdiger schieben.

„Am besten verbleiben wir so, ich spreche mit der Klassenlehrerin, und Sie rufen bitte morgen noch einmal an.“

„Ja, das mache ich. Vielen Dank.“

Auch das noch“, denkt Jutta verärgert. „Bleibt mir denn nichts erspart?“

„Jenny, kommst du bitte mal zu mir.“

Nichts Gutes ahnend kommt Jenny langsam ins Wohnzimmer, denn sie weiß, dass ihre Mutter in der Schule angerufen hat. Jetzt schlägt für sie die Stunde der Wahrheit. Schuldbewusst sieht sie ihre Mutter an.

„Ich habe gerade mit deinem Direktor gesprochen. Er hat mir gesagt, dass du eventuell sitzen bleibst. Hast wenigstens du das gewusst?“

„Na ja, es lief eben nicht so gut. Die anderen waren alle so doof zu mir, und mit Nicole habe ich mich laufend gestritten. Es war furchtbar in der Schule und zu Hause auch kaum auszuhalten. Und dann war ich so traurig, dass du allein weggezogen bist.“

„Du wusstest doch, dass das nur für kurze Zeit ist.“

„Ja. Ich will aber nicht mehr in diese Schule. Und Nicole kann mich mal. Aber in Omas Gymnasium will ich auch nicht. Die erkundigt sich dann vielleicht täglich bei meinen Lehrern und macht mich ständig vor allen runter. Diese Peinlichkeit tue ich mir nicht auch noch an“, äußert Jenny ihren klaren Standpunkt.

„Warten wir das Gespräch morgen mit Herrn Holm erst einmal ab“, sagt Jutta.

Das verschiebt sich aber noch um ein paar Tage, da Jennys Klassenlehrerin krank geworden ist. Jutta ist über die Verzögerung sehr erleichtert.

Alles wird gut ...

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